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Selbstbeherrschung, gepflegt, umständehalber abzugeben

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13.11.2002
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Selbstbeherrschung, gepflegt, umständehalber abzugeben

Die Schlüssellöcher in den Türen meines Verstandes haben begonnen zu zwinkern.

Wenn ich meinen Wagen tanke, um durch die Nacht zu fahren, erscheint mir der Gestank des Benzins wie das Parfüm einer Chimäre, die ihre Krallen um den gesunden Teil meiner Beherrschung klammert; ihr Griff wird mit jeder Nacht fester.
Heute morgen schien der Reißverschluss meiner Jeans zu lächeln - unendlich viele Zähne bleckten sich mir entgegen, aber ich ignorierte sie aus reiner Höflichkeit.

Eine gute Erziehung ist unabdingbar bei dem, was ich tue.
Wenn das Leben wirklich wie eine Pralinenschachtel ist - warum habe ich dann nur das Konfekt mit Eierlikör?
Mein Leben ist wie eine Kirmes, auf der jede Fahrt nur rückwärts geht, wie die Auslage eines Metzgers, der nur die Leberwurst von Gestern auf schlecht gemalten Pappschildchen anpreist.
Ich würde gern mit den Pferden durch die Nacht preschen, aber Kordhosen von Palomino haben mir jeden Spaß vergällt; ich hätte Angst, das Glöckchen zu hören, das an meiner Gürtelschlaufe baumelt.
Der Sensenmann benutzt neuerdings einen Rasenvertikutierer, aber er erwischt mich nicht, obwohl ich mich nie ducke; er scheint nicht motiviert zu sein.

Ich habe entschieden, ein eremitenhafter Entertainer zu sein; Dean Martin in Workout- Hosen, im Programm traurige Lieder von syphilitischen Butterblumen, wenn Sie wollen.
Ein guter Entschluss: um mich herum nur kopulierende Gratulanten.

Mein Fernseher ist zu geschwätzig für einen Tag, an dem die Wolken aussehen wie die clerasilgetränkte Watte eines Teenagers.
Lao Tse sagt: ich würde gern in meinem Elfenbeinturm leben, aber zuviel Scheiße schwappt an sein Fundament.
Die Bedienung in der Bar jeder Vernunft sagt, ich wäre ein Rassist, weil ich bei der Bestellung meines Kaffees »schwarz« so komisch betone; möglich, dass sie recht hat.
Aber Cafe Latte erinnert mich zu sehr an den Moment nach dem Aufwachen - alles zu endgültig für mein Geschmack, und alles zu viel. Dann lieber ohne Milch; ich vermisse sie sowieso nicht.

In der Straßenbahn sitzt der Messias neben mir; er lächelt, aber seine Schuhe passen nicht zum Anzug. Als er mir auf die Schulter klopft, rieche ich Ouzo in seinem Atem, aber vielleicht ist es auch der Duft der Erkenntnis. Als er spricht, weiche ich zurück - tief in mich selbst, von den Plätzen für arthritische Senioren, in die ich stolpere, ganz zu schweigen.
Seine nässenden Worte berühren mich stärker als jeder harte Knastfilm in Sepiatönen:

Pathos gibt es jetzt auch in Salzlake.

 

Ja...es geht mir gut, Danke der Nachfrage.:susp:

In der Überschrift fehlt ein T. Großartig.
Wo kann ich mich hier vor Scham wälzen?

Jack

 

Ist doch nicht schlimm. *auslach*
Habs geändert.

 

Hallo Jack Torrance,

eine Menge interessanter Metaphern hast Du in Deinem Text verwendet. „in der Bar jeder Vernunft“ ist ein schönes Wortspiel.
Wenn ich das richtig sehe, treibt der Prot. In der Nacht etwas, ohne Selbstbeherrschung, die offene Hose gibt Hinweise...
Er beschließt (wahrscheinlich wegen Resten der „guten Erziehung“ Entertainer zu werden, aber ein eremitischer, was dem Vorhaben natürlich nicht dienlich ist. Überhaupt scheinen die Widersprüche und Undurchsichtigkeiten des Lebens am Selbstbewußtsein des Prot. zu nagen... er weicht „tief in sich selbst“ zurück.
Trotzdem- es fehlt mir eine Geschichte, deren nichtlinearer Inhalt eine Erwartungshaltung über das Formelle hinaus erzeugt.

Tschüß... Woltochinon

 

Die Bar jeder Vernunft gibt es in Berlin tatsächlich und hat immerhin so populäre Schauspieler wie Meret Becker oder Meren Kroymann mit ihren Lied und Kabarettprgrammen zu Gast.

Hallo Jack Torrence,

wahrscheinlich lachst du jetzt über mich, dass ich in dieser Metahpernfolge eben doch eine Geschchte sehe.
Der alltägliche Wahnsinn lässt sich halt anders oft nicht beschreiben als in diesem vorzüglichen Text. Er ist die konsequente Geschichte eines Land der lila Kühe. (Bernhard Lassahn und Thommie Bayer lassen grüßen).
Hat mir gut gefallen.

Liebe Grüße, sim

 

Hallo Jack, ich muß gestehen Deine Geschichte sagt sehr viel aus. Sie wirkt auf mich einsam, sensibel, bitter, selbstironisch,gelassen, traurig,des Lebens überdrüssig.............Ich könnte immer so weiter schreiben. Deine Geschichte hat mich sehr berührt.
Gruß Sima

 

Hallo, Leute.

Der Text an sich ist auch kaum zusammenhängend; ich habe ihn unter selbst erzeugtem Zeitdruck geschrieben, um festzustellen, ob der Druck die Wucht (falls vorhanden)aus den Sätzen nimmt. Es war, als würde ich nachts um 3 geweckt und müsste vom Zehnmeter-Brett springen.

Ich glaube, alle Reaktionen sind okay.

 

...na gut.
Hauptsächlich fand ich den Schlusssatz grandios.
War nur n bisschen kurz als eigenständiges Experiment. Also habe ich dann den letzten, den vorletzten usw..Satz geschrieben.

J.

 
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Für mich ist diese Geschichte eine heitere Ansicht eines von selbstzweifeln geplagten jungen Menschen.

Was mich allerdings wirklich amüsiert hat ist der letzte Satz, denn ich empfinde ihn als äußerst zweideutig und zutreffend.

 

hi jack!

cool!
ich hab den Zusammenhang durch Plot nicht wirklich vermißt. Er lag für mich im Stil. Hat mir sehr gefallen. Vor allem der Formulierungen wegen.

Das tief in sich selbst zurückweichen fand ich besonders gut.

Lieben Gruß,

Frauke

 

Okay - Wiglaf Droste meets Christoph Schlingensief? Okay, nicht ganz... ;)

Also ich mag die Geschichte - auch wenn ich sagen muss: Dir fehlt noch der Mut zum Dadaismus! :naughty:

Vielleicht liegt's an mir, aber ich vermisse den Plot nicht, ich seh ihn klar und deutlich, die Tretbootfahrt durch den Neokortex, eine klare Linie - die man aber vielleicht nur sehen kann, wenn man - wie ich - ein Mensch ist, der Nachts um eins in einer Kneipe hocken und sich fragen kann, ob die Bierdeckel sich einsam fühlen oder ob der Flaschenöffner es gemütlich findet in seinem Schmuddelhandtuchnest neben der Spüle... so unentdeckte Schizophrene halt, die sich ihrer Beute angepasst haben... :D

Soll heissen: Ich habe gern gelesen, verdammt! Und ich bereue nichts! Würde es wieder tun. Leb damit! So! :D

Yep,
Horni

PS: Aber warum "Experimente" - für unnormale Menschen ist das doch eine völlig normale Geschichte!? :stoned:

 

Guter Stoff für Geschichten, wenn auch selbst keine. Erinnert mich daran, wie ich als Kind immer von der Rohmasse genascht habe, aus der Muttern eigentlich den Kuchen machen wollte. Sollte. Mußte?

Semantische Rohmasse, der Menge wie Perlen vorgeworfen. Von den Trüffelschweinen begierig aufgeschnappt und schnell verdaut.

Hochwertiges Werkzeug, jedoch nicht zum Bau einer höherwertigen syntaktischen Architektur verwendet, sondern selbst in Kunstwerkform zusammengeschraubt, dabei seines ursprünglichen teleologischen Sinnes verlustig gegangen. Was soll´s, das Volk liebt es dennoch.

Man könnte mehr draus machen (gemacht haben?), aber in Experimente ist´s gut aufgehoben.

r

 
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Ein paar Gedanken zu Deinem Text. Das "Ich" ist abstrakt und in keinerlei Hinsicht persönlich gemeint.

Selbstbeherrschung oder Gefängnis.
Vielleicht auch ein Drang zu schockieren? Ein Nachmittag bei den Verwandten, alle unterhalten sich am Kaffeetisch. Was passiert wohl, wenn ich jetzt meinen heißen Kaffee meinem "Lieblings"verwandten in den Schoß kippe? Oder die Torte an die Wand werfe? Angetrockntete Schokoladentorte an weißer Rauhfaser sieht bestimmt super aus, hehe. Schnell an was anderes denken, es juckt schon in den Fingern. "Ja, mit dem Wetter hatten wir Glück ..." Stell die Tasse hin, stell die Tasse wieder hin!! Uff. Hat der Kerl aber eben Glück gehabt. Was tun jetzt mit der Wut? Glücklicherweise hat der Verstand eine Katastrophe verhindert. Aber die Wut, die ist noch da, ich könnte sie runterschlucken. Habe ich schon erzählt, daß ich ein Magengeschwür habe? Aggression ist böse. Ist doch viel schöner, wenn alles harmonisch ist. Sie haben mir gezeigt, was sie von mir erwarten, und ich tue es. Sie tun es auch, verhalten sich wie immer. Gut so. Nachher kriege ich noch heißen Kaffee in den Schoß ... In mir brodelt es. Will ich riskieren, daß sie mich vielleicht nicht mehr mögen? Ich muß es riskieren, sonst kriegt das Geschwür Gesellschaft. Aber ich kann doch nicht wirklich den Kaffee ... Ich brauch jetzt dringend eine andere Umgebung. Dieser bunte, leicht heitere Betonsarg hier bringt mich gleich zum Platzen. Wie sie alle lachen, ja, toller Nachmittag, ach, wer hat einen neuen Furunkel am Hintern? Ich muß raus hier. Aber ich kann doch nicht jetzt schon gehen, wie sieht das denn aus. Alle würden mich fragen, was mit mir los ist, ob ich ihre Gesellschaft nicht mehr schätzen würde. Bin ja immer bis zum Schluß geblieben. Das erwartet man. Sie bleiben auch immer bis zum Schluß. Was würde ich denken, wenn bei mir am Kaffeetisch einfach einer aufsteht und geht? Hmm ... irgendwie nichts Böses. Steh ich auf oder nicht? Ich könnte sagen, daß ich einem Freund noch beim Renovieren helfen muß. Aber warum lügen, ich ertrage euch heute einfach nicht. Aber das kann man nicht sagen. Aufstehen oder nicht? Geh ich erstmal zum Klo? Dann bin ich wenigstens vom Tisch erstmal weg. Aber da war ich vor fünf Minuten. Ich steh einfach mal auf und gucke, was passiert.
"Willst du schon gehen?" Was nun?
"Äh ... Naja ..."
"Wieso das denn?"
"... "
Lügen oder nicht? Lügen oder nicht? Nicht! Ich hab ein Recht darauf. "Weil ich will."
Was kommt jetzt? Setz dich gefälligst wieder hin? Was hast du denn noch vor? Das ist doch kein Grund ...
"Was ist der/die denn heut so merkwürdig?"
Ja, seid froh, ich hätte noch viel merkwürdiger sein können. Dann sähe eure Tapete jetzt ziemlich beschissen aus. "Tschüs."
Ah, ein bißchen gewandelte Wut in den richtigen Dosen kann auch dein Freund sein.

Darf man sagen, was man sich wünscht? Jessica sagt zu Tootsie-Dustin, sie wünsche sich, ein Mann würde einmal auf sie zukommen und einfach sagen "Ich will dich" oder so ähnlich. Als Dustin - als ein ihr unbekannter Mann - es tatsächlich macht bei einer Party, bekommt er einen Drink ins Gesicht oder eine Ohrfeige.
Eine Folge von "Mit Schirm, Charme und Melone": Ein sympathischer, stets korrekter Butler ist in ein Verbrechen verwickelt und Steed fragt ihn, warum er das mitgemacht habe, was er mit dem vielen Geld wolle. Der Butler sagt: "Ich möchte unhöflich zu hübschen, jungen Frauen sein."

Wie erfülle ich mir einen Wunsch? Geh ich hin und sage: "Los, gib her!" ? Oder versuche ich, den anderen hinzumanipulieren, damit er tut, was ich will? Zensiere ich den Wunsch? Ich möchte etwas sehr gern, aber fühle ich mich auch so? Bin ich nicht zu ängstlich dafür? Fragen über Fragen, was für ein Frust.

Der Entertainer. (Ich habe mal gehört, daß Rex Gildo (? - oder war es Roy Black?) viel lieber Rockmusik gemacht hätte.) Viele mögen mich. Wollen sie eigentlich wissen, was hinter der Fassade steckt? Nein, sie wollen Unterhaltung. Sie mögen gar nicht MICH, sie mögen einen Teil von mir. Ich würde gern etwas anderes machen, aber dann sind sie enttäuscht. Dann entspreche ich nicht mehr ihrem Ideal. Sie sind eigentlich ziemlich egoistisch irgendwie. Sie saugen mich aus. Ich hasse sie. Wie sie sich amüsieren! In mir tobt es. Ich will nicht euer Götze sein! Ich will ich sein! Aber dann wollt ihr mich nicht mehr. Ich brauche euch. Dieses Gipskorsett erstickt mich noch, ich kann mich kaum noch bewegen. Kann ich es riskieren? Wird jemand übrig sein, der auch die andere Seite von mir sehen will? Und die anderen? Wollen die dann wenigstens ein bißchen noch von mir unterhalten werden, wenn sie den Rest auch kennen?

Elfenbeintürme sind nie so hoch und nie so weit weg, daß man in ihnen ruhig leben könnte. Manchmal habe ich einen kleinen Elfenbeinturm, aber ich muß immer wieder heraus. Ins Leben.

Der letzte Satz. Diese Verletzung habe ich ja noch nie bemerkt an mir. Wo habe ich mir die denn zugezogen? Tut ganz schön weh. Hmm ... Ach, das ist nichts. Wisch es weg, oder bist du wehleidig?
Oder: Ich klebe ein Pflaster auf. Am besten ein cooles, schwarzes oder ein lustiges, buntes.

 

Hallo Vio.

Ich benötige noch etwas, um deine Stellungnahme adäquat zu beantworten:-)

Geduld!

 

Hallo Jack,

ja klar.
(Ich hab ja auch lange gebraucht für meine Interpretation.)

 

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