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Schwarze Braut
Seit Stunden platschte Tropfen um Tropfen auf das Blech, pochte ihr Herz schmerzend in der Brust, wagte sie kaum zu atmen. Zu laut schien ihr das Luftholen, zu verkrampft war ihre Muskulatur, schmerzhaft drückte der Metallstift, bohrte sich in die weiche Haut ihres Rückens wie eine Nadel durch Samtpapier. Nur keinen Mucks, kein Geräusch, nicht mal die Ahnung einer Regung durfte ihr entfahren, durfte sie aus ihrer Starre herausreißen, sie wieder lebendig werden lassen, denn das könnte ihr Tod sein. Das warme Rinnsal entlang ihrer Schenkel, süßlich riechend, inniger Erguss, Ausdruck ihrer Hilflosigkeit, sog sich in ihr weißes Kleid, legte sich fast bleiern in den Stoff, nistete sich dort ein wie ein schutzsuchendes Kind hinter der Mutter, verängstigt vom kleinsten Geräusch, zur Bewegungslosigkeit getrieben, festgesetzt, gebannt, gelähmt vor Furcht, die kalt über den Rücken kriecht, aus jeder Körperpore strömt, sich vereint, zu Rinnsalen wird…
Der Holzfußboden knarrte, knarrte wie eine morsche Eiche, ergriffen von der Hand des Windes, geschüttelt, losgelassen, geschüttelt, losgelassen, im Takt von Schritten, schreitenden Füßen, starke Beine tragend, einen Körper bewegend, aus dessen Kopf stechende Augen, kalt wie Stahl, suchend und Nasenflügel, blähend, Witterung aufnehmen, die Fühler nach der Beute ausfahren, jede Ecke, jeden Winkel, jeden Zufluchtsort erhaschen, Blutgeruch und Jagdinstinkt, Abgründe der Psyche, schlotternde Hängebrücken über tiefen, dunklen Schlünden, eisige Winde und fallende Steine, verschluckt von einem dumpfen Schlag!
Frühlingsdüftemorgenkleid, geschmückt mit Rosen, zartrosa und weich, wärmende Strahlen im goldenen Himmel, laue Winde tragen Vogelmelodien samtweich über wogende Ähren, fruchtige Felder, Kinderaugen glänzen wie ein Meer aus Funkellichtern auf den Wellen, Schwäne schwimmen ruhig daher, tanzen innig, sich kosend, verschlungen, den Tanz der Zweisamkeit.
Glockenklänge aus der Ferne, engelsgleich das junge Paar, getragen von der Harmonie, über weiße Kieselwege, entlang des alten Gartens, Götterstatuen grüßen, freundlich ihr Lächeln, rein die Körper, in Anmut gebannt. Gedanken frei wie junge Tauben, Bilder der Vollkommenheit, Hochzeitstag der Träume, duftend der Strauß, jungfräulich der Schleier, sanfter Nebel kost das Himmelsblau.
Unter der Marmortreppe, unter der Brücke verwest das Fleisch, laben Maden sich in offener Brust, Fliegen brummen, die Katze: tot!
Freunde sind gekommen, gratulieren, jubeln, freuen sich, feiern ausgelassen jenen schönsten Tag, die Braut strahlt glücklich, Funkelaugen, breitet die Arme, schmiegt sich an, liebkost die weichen, die sinnigen, die sanften Lippen, schaut in Augen, meeresgrün, Sehnsucht scheint erfüllt.
Der Plan scheint aufzugehen, bald schon, bald! Fantasien und Bilder, die Jugend schmerzt als schwarzes Loch, Erinnerung saugt alle Lebensfreude, innerlich brodelt der Hass, schäumt die Rache, die Faust geballt, umfasst das Messer, blanker Stahl, schneidet endlich, sehnsuchtsvoll, den Schmerz aus seiner Brust.
Tod, Tod, Tod!
Versammelt ist die Gesellschaft zum Tanz, leichten Schrittes schweben Braut und Bräutigam auf dem Parkett, ziehen Blicke der Freude auf sich, entspannte Mienen, offene Gesten, Glück scheint in der Luft zu liegen.
Fliegen setzen sich, unbemerkt und massenhaft, auf die Torte, fressen sich in weichen Teig, legen Eier ab zur Brut!
Beim Festmahl bleibt das Sinnen unbemerkt.
Der letzte Gast begleitet, angeheitert, feuertrunken, den Bräutigam zum Keller. Weine dort, blutrote Bordeaux, sollen Sinnesfreuden wecken, geschenkt zur Erinnerung an diesen Tag der Freude.
Das Messer bohrt sich still und sanft, von leichter Hand, in den Hals.
Nun bricht sie an, die Zeit des Blutes, die Zeit der Erregung, sie ist gekommen!
Gut gelaunt, ganz ohne Ahnung, schwebt die Braut auf Amors Wolke in den Keller, dunkel, stickig. Sie fällt und schreit und spürt die Wärme an der Hand. Ein Feuerzeug flammt auf im Raum. Sie starrt in Augen, aufgerissen, leer und trüb.
Erst jetzt hört sie die Stimme, erst jetzt denkt sie: Oh Gott! Der Abstellschrank, die letzte Hoffnung.
Tropf, tropf, tropf…