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Schmutzige Schneebälle
Kennengelernt habe ich den alten Mann mit den wässrig-grauen Augen und dem schütteren Haar in einer dieser Spelunken, die wie Unkraut neben jedem Teleport aus dem Boden schießen. Wo Geschäftsreisende hingehen und alle, die es zuhause nicht aushalten, um für ein paar Credits ihren Frust in billigem Ammoniak zu ersäufen. Manchmal braucht man so etwas: Einen Ort, an dem keiner Dich kennt und keiner fragt, was Dein Problem ist. Mein Transporter hatte Verspätung, ich kannte niemanden in New Monaco und mir war langweilig. Auf einen kurzen Drogentrip in einer der Dreamer-Kabinen hatte ich keine Lust, also blieb mir nur, die Zeit mit ein paar Drinks totzuschlagen. Wie die Bar hieß, weiß ich nicht mehr. Es spielt eigentlich auch keine Rolle. Aber als ich am Tresen lehnte und irgendein grünes Zeug runterkippte, fiel mir dieser Typ auf. Also eigentlich fiel er mir nur auf, weil er nahezu völlig mit dem Hintergrund verschwamm. Er war wie ein Möbelstück, das man kaum beachtet. Es gibt doch diesen Ausdruck „Ein Schatten seiner Selbst“. Dieser Typ war eher eine Erinnerung an einen Schatten. Nur noch Rauch, der aus einer liegen gebliebenen Zigarette im Aschenbecher aufsteigt und sich gerade auflöst. Warum auch immer, er interessierte mich. Aber wie gesagt, mir war auch verdammt langweilig. Also ging ich rüber, setzte mich neben ihn an den Tresen, und gab ihm einen Syntequila aus. Seinen müden Blick werde ich nie vergessen. Er guckte mich mit Augen an, die so glasig waren, dass ich mir gar nicht sicher war, ob er mich wirklich sah. Er guckte irgendwie durch mich hindurch, als wäre er nur eine leere Hülle. Und irgendein Arsch hatte schon vor Jahren die Kerze hinten in seinem Hirn ausgepustet. Er begann eigentlich sofort, von sich zu erzählen. Ich glaube, das hatte er nötiger als jeden Schnaps: Jemanden, der ihm zuhört. Okay, okay, ich gebe es zu: Ich hatte auch Mitleid mit ihm. Er erzählte, dass er Bergungsschiffer gewesen war. Ich meine, scheiße, der arme Kerl. Journalist oder Koch, selber schuld. Die wussten doch, dass ihr Job den Bach runter geht. Gegen KI’s, 3D-Drucker und eine immer gleichgültiger werdende Menschheit … keine Chance. Aber er hatte wohl gedacht, im Weltall läge die Zukunft. Er war bei der „United Worlds Mining Company“ angestellt gewesen, die Meteore und Asteroiden im dritten Quadranten abgraste, bis die Firma pleite ging.
„Hey, alter Mann“ versuchte ich ihn aufzuheitern. „Wenigstens warst Du noch da oben, das können nicht mehr viele von sich sagen.“
Er schaute mich mit seinen toten Augen an. Nein, im Ernst: Ich hatte bis dahin und habe seitdem auch nie wieder jemanden gesehen mit so erloschenen Augen. Ich gab ihm noch einen dieser Syntequilas aus, er kippte ihn auf Ex herunter.
„Wissen Sie, wie das damals war?“, lallte er. „ Ich bin auf das ganz große Versprechen hereingefallen. Dass da draußen Gold und Schätze und Abenteuer warten. Wir waren Pioniere! Die zu den Sternen aufbrechen, neue Welten entdecken, Mineralien abbauen, reich werden.“ Er lachte ein kurzes trockenes Lachen, das eigentlich eher ein Husten war.
„Keiner von uns hatte doch damit gerechnet, dass alles so schnell wieder vorbei sein würde. Nur weil ein paar Alienwixer durch Wurmlöcher gesprungen kommen und blind um sich schießen. Ich meine, heute traut sich doch kein Mensch mehr da hoch. Diese scheiß Grills erwischen dich, bevor Du es auch nur in die Stratosphäre schaffst. Die blasen dich vom Firmament, einfach so.“ Er schnipste mit den Fingern.
Und dann erzählte er mir von seinen Souvenirs.
Dass er über die paar Jahre, in denen er Staub und Zeug von Meteoriten gekratzt hatte, immer mal wieder ein paar Bruchstücke mit heim genommen hatte.
Jetzt wurde die Geschichte interessant.
Ich sag ja, man sollte nie einem Zufall misstrauen.
„Moment, Alter,“ bohrte ich nach. „Sie wollen mir weismachen, Sie haben zuhause … Steine? Aus dem Weltall?“ Jetzt denken Sie bestimmt schlecht von mir, dass ich einen armen versoffenen alten Trottel ausnutzen wollte. Aber hey, dieser Typ da neben mir hatte doch eh keine große Zukunft mehr vor sich, und zuhause im Schrank lagerte er ein kleines Vermögen, einfach so? Ich gehe jede Wette ein, Sie wären auch hellhörig geworden. Es gibt so viele Spinner, Sammler, die für jeden Krümel aus dem Weltall hunderte Credits hinblättern! Ich wäre doch verrückt gewesen, wenn ich die Chance nicht genutzt hätte. Ich bestellte noch zwei Syntequilas, er schüttete seinen sofort runter. Und ich blieb dran: „Also, was jetzt? Sie haben Steine zuhause? Von da oben?“
Er nickte schwerfällig. „Ein ganzes Regal voll. Meine Souvenirs, klar. Das einzige, was mir von damals geblieben ist.“
Wir redeten noch eine Zeit lang darüber, wie sich das endlose Vakuum so anfühlt, aber ehrlich, ich habe gar nicht mehr zugehört. Ich wollte ihm nur das Gefühl geben, dass ich verstehe, mich für seine öde Geschichte interessierte. Wie er immer mal wieder kleine Brocken Gestein mit nach Hause gebracht hatte, und sich in Anti-Schwerkrafts-Gläsern ins Regal gestellt hatte. Ich war fassungslos. Dieser Typ war doch nicht ganz bei Trost! Der hatte keine Ahnung, wieviel das Zeug heute wert war. So’n Kram wurde auf dem Schwarzmarkt für viel Geld ersteigert. Wie ein Stück Berliner Mauer, ein Teller mit Hakenkreuz drauf, oder ein Ziegel vom Weißen Haus, bevor es zerbombt worden war … Ich witterte meine Chance. Ich bin doch nicht auf den Kopf gefallen! Nach dem ich weiß nicht mehr wievielten Schnaps habe ich ihn dann einfach gefragt. Und er sagte allen Ernstes Ja.
„Sie sind echt in Ordnung,“ lallte der Alte. „Klar zeig ich ihnen meine Steine. Aber … aber nur, wenn wir ne Flasche mitnehmen.“
Ich bestellte also noch einen Liter billigen Alkohol, zahlte die Rechnung und versuchte, meine Aufregung zu unterdrücken. Vielleicht hatte ich die ganze Sache gar nicht richtig zu Ende gedacht. Was würde ich denn machen, wenn er wirklich zuhause Steine rumliegen hatte? Ich konnte ihm ja schlecht eine überziehen und das Zeug einfach klauen. Aber ich würde ihm schon irgend ein Geschäft vorschlagen können. Der Typ war schließlich sternhagelblau. Ich dagegen hatte meine Shots unauffällig einfach stehen lassen, der Alte war eh viel zu betrunken, um das zu merken.
Also betrat ich wenig später einen dieser grauen Wohntürme. Thomas Rose bewohnte eine runtergekommene Bude mit einer Schlafkoje, einem Wohnzimmer samt integriertem Protein-Synthesizer und Minibad. Es war so erbärmlich, wie ich erwartet hatte.
Und auf ein paar simplen Holzbrettern, vor denen ich stand, lagerte ein Vermögen. Vierzehn blau leuchtende Antigrav-Sphären, in denen jeweils summend ein Sternenkrümel schwebte. Der größte Stein war vielleicht daumennagel groß, der kleinste immer noch wie ein Stecknadelkopf. Und sie standen da auf dem Regal in ihren elektrischen Gravitationsfeldern wie saublöde Schneekugeln. Vierzehn mal ein paar tausend Credits, überschlug ich hektisch im Kopf, konnte aber nicht genau sagen, wie viel die Sammlung wert war. Scheißegal, ich bin reich, war mein einziger Gedanke. Der alte Mann griff nach einer der Sphären und hielt sie dicht vor seine Augen. „Das ist mein Liebling“, erklärte er feierlich, und drehte sie, damit ich den Stein darin von allen Seiten sehen konnte. „Wissen Sie, wir dachten, da oben würden wir Mineralien finden, Edelmetall, irgendwas, das all die Mühen wert sei. Irgendwas, das was wert wäre. Aber dann kamen die Grills, und da war der Traum schon wieder zu Ende.“
Der Stein in seiner schwach blau leuchtenden Sphäre zog meinen Blick an, als wäre ich hypnotisiert. Ich konnte an gar nichts anderes mehr denken. Ich wollte diese Steine. Alle. Unbedingt.
„Es war ganz einfach“, flüsterte der Alte vor sich hin. Sein Geist hatte sich zurückgezogen wie zu einer Andacht in der Kirche. „Ich hab diese Babies in meinem Raumanzug heimgeschmuggelt. Wenn ich da draußen war, hab ich sie in einen Beutel geschoben und später im Schiff hab ich sie schnell in meiner Unterhose versteckt. Und keiner hat was gemerkt.“ Ich hörte ihm eigentlich gar nicht mehr zu, ging im Kopf meine Optionen durch. Bis jetzt hatte ich hier drin noch nichts berührt. Keine Fingerabdrücke oder DNS-Spuren. Und niemand hatte mitbekommen, dass ich mit ihm die Bar verlassen hatte. Keine Zeugen, keine Beweise. Keine Spur führte zu mir. Und drüben an der Wand lehnte ein Baseballschläger. Ich könnte ihm das Ding über den Schädel ziehen, und dann? Wie kriege ich vierzehn Sphären möglichst schnell hier raus?
„Wissen Sie, was unser größter Irrtum war?“, fragte der Mann beiläufig. Er starrte immer noch auf den Stein, den er in den Händen hielt. „Wir dachten, wir finden irgendwann etwas wertvolles. Wir haben aber nie etwas gefunden.“ Seufzend stellte er die Sphäre zurück auf das Regal. Ich ging lautlos zwei Schritte hinter ihm vorbei Richtung Baseballschläger.
„Aber eines habe ich gelernt.“ Er drehte sich langsam zu mir. „Man sollte nie etwas in seine Unterhose stecken, von dem man nicht weiß, was es ist.“ Ich schaute ihm fragend in die Augen, die einen sonderbaren schwarzen Glanz angenommen hatten. „Wir haben nie etwas Wertvolles gefunden,“ wiederholte er mit monotoner Stimme. „Aber etwas hat mich gefunden. Es tut mir schrecklich leid, sie waren so nett zu mir …“
Mir wurde schlagartig klar, niemand hatte mitbekommen, dass ich mit dem Alten die Bar verlassen hatte. Keine Zeugen, keine Beweise. Ich stand in einer von tausenden anonymen Wohnungen in einem armseligen dreckigen Wohnturm. Panik kam in mir hoch. Scheiße, niemand wusste, wo ich war. Thomas Rose öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen, würgte aber nur ein gurgelndes, nasses Geräusch hervor. Ein längliches schwarzes Ding, armdick, feucht glänzend wie ein Aal, glitschte aus seinem Mund heraus und klatschte vor mir mit einem schmatzenden Geräusch auf den Boden. Der alte Mann kippte zur Seite weg wie eine leere Hülle, das schwarze Etwas kroch auf mich zu. Ich griff in Todesangst nach dem Baseballschläger und schlug damit auf den schwarzen Schleimaal. Mit aller Kraft hämmerte ich auf das Aliendings ein. Ich glaube, ich habe nicht einmal geschrien, in meiner Erinnerung ging alles ganz schnell und still. Nur das matschige Geräusch, wenn der Baseballschläger die gallertartige Masse traf. Ich war wie im Rausch. Ich schlug zu, wieder und wieder, zermalmte das wurstartige Ding zu Brei, klopfte es regelrecht in den billigen Teppich, bis es eine schwarze Pfütze war. Dann ließ ich den Schläger fallen, taumelte rückwärts zur Tür und rannte um mein Leben.