Mitglied
- Beitritt
- 30.08.2004
- Beiträge
- 12
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 6
Schlafendes Kind
Langsam bröckelt die Haut von seinem Körper. Schlafe mein Kind, schlafe. Die Fetzen seiner selbst bewegen sich hinfort, lassen die Decke sich in Wellenform bewegen, wie das Meer am Horizont eines Hafens. Und während es schläft fallen langsam die Fetzen aus der Decke auf den Boden, sie machen "tsch,tsch", doch es merkt dieses nicht, denn es schläft tief und fest.
Wie alte Kruste pellt sich die Haut von seinem Körper, wie die Schale der Kartoffeln, die Mutter manchmal schält. Sie löst sich von seinen Augen, seiner Nase, verlässt seinen Mund und beginnt zu leben. All seine Glieder bald gänzlich verlassen vom Schutz, den die Natur ihm gegeben hat. Und der Schein des Mondes glänzt auf dem neuen Gesicht, was sich glatt und geschmeidig anzufühlen scheint.
Die Fetzen hingegen steigen aus der Decke und fallen alle herab auf den Boden. Einer nach dem anderen springen sie herab, wie Kinder im Schwimmbad vom Sprungbrett. Manche trauen sich nicht recht, geben sich einen Ruck und fliegen dann doch hinab aufs Parkett.
Nach der Landung versammeln sie sich am Fußende des Bettes. Sie tuscheln und nuscheln vor sich hin, als würden sie etwas verbergen. Doch das Kind ist im Land der Träume, entflohen, und scheint es nicht zu bemerken. Als würden sie sich an den Händen und Füssen halten verbinden sie sich in Reih und Glied. Und, siehe da, sie bilden den Körper des Kindes, auf dem Boden liegend, unversehrt. Und als der letzte Fetzen seine Position einnimmt, wacht das Kind aus seinen Träumen auf.
Es dreht am Schalter des Lichtes auf der Kommode, und langsam geht im Zimmer die Sonne auf. Das Kind, dupliziert, wie gelähmt, auf dem Boden, das Kind, ohne Haut, halb bedeckt im Bett. Neugierig beginnt es sich umzuschauen, zu suchen, zu fluchen, doch findet es nicht. Erst als es sich aufrichtet und über den fordern Rand seines Bettes lugt, sieht es sich selbst.
Hohl, und doch vollständig, liegt es selbst da, als wäre gar nichts geschehen. Das Kind ohne Haut seufzt und steht auf, steht nun direkt vor dem leeren Mantel. Mechanisch beugt es sich nach vorne, hebt sich selbst auf und zerrt an der Haut. An der Wirbelsäule entlang springt sie langsam auf, wie ein Reißverschluss, der bis zur Hüfte reicht. Das Kind steigt in den eigenen Körper, streicht die Haut an den knittrigen Stellen wieder glatt. Es dehnt sich und streckt sich, um sich schließlich gegenüber des großen Wandspiegels zu stellen. Es dreht sich um, und mit geschickter Hand schließt es langsam die Öffnung an der Wirbelsäule, bis in den Nacken hoch. Nach getaner Arbeit steigt das Kind wieder ins Bett, betrachtet seine Glieder und nickt zufrieden, denn alles hat wieder seine Ordnung.
Langsam dreht sich das Kind in die Decke, bis es vollkommen eingewickelt ist. Das Kissen fest mit den Armen umschließend verlangsamt sich wieder der Atem. Die Decke hebt und senkt sich langsam im Mondschein, die Flut ist vorbei, die Ebbe am Anfang. Und als nach einiger Zeit das Kind wieder träumt, zerspringt die Haut auf seiner Stirn, als wäre es für ewig erblindet.