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Palmendieb
Ich gehe durch die Straßen und schmatze mit den Lippen, um die Aufmerksamkeit der Kunden zu gewinnen. Es klingt wie früher, wenn Tante Amaia ihren feuchten, blutroten Mund auf meine Backe gedrückt hat, damit ich ein anständiger Junge werde, der sich auch genug anstrengt und sich ja von der ganzen Barbarei im Viertel fernhält, denn die Gottlosen würden nie alt. Aber ich tat so, als wüsste ich nichts davon und Tante Amaia starb kurze Zeit später an Malaria. Wir verbrannten sie unten am Strand in einem Steinhaus ohne Dach, ihr schwarzer Rauch stieg in den Himmel und verdeckte den Mond. Danach streuten wir die Asche ins Meer.
Ich hoffe, meine Kunden kaufen Zigaretten, die roten Portsman, von denen jeder Husten bekommt. Wir nennen sie nur hier so, eigentlich steht Sportsman auf der Packung, aber weil unser Zuhause direkt am Hafen liegt, sprechen wir’s anders aus. Wenn ich davon zehn Schachteln loswerde, muss ich mir die nächsten zwei Tage keine Sorgen um dich und Mama machen. Falls gelegentlich ein paar Mzungus dabei sind, hilft’s uns sehr, die sind zahlreicher geworden, seit das neue Strandresort eröffnet hat. Die zahlen im Schnitt das Fünffache und ich denke mir, so fühlt sich Gerechtigkeit an.
Trotzdem reichts nirgends hin. Ansonsten habe ich nur Krimskrams anzubieten, nichts, was wirklich was einbringt, Kaugummis und kleine in Plastik abgepackte Snacks, ein paar Softdrinks wie Pepsi und Fanta. Ich trage sie in einem geflochtenen Korb auf dem Kopf, die Arme lasse ich locker schwingen, während ich auf und ab gehe und das Geräusch mit den Lippen mache.
Wenn Wellblech und Asphalt in der Hitze des Tages kochen und die Enge an der Fähranlegestelle mich zwischen Matatus und Boda Bodas zerdrückt, weil jeder seinem Geschäft nachgeht, brennt der Schweiß in meinen Augen und ich atme Abgase, während ich mich durch lärmende Blechkolonnen quetsche. Es staut sich den ganzen Tag. Auf dem Meeresarm stößt die Fähre dunklen Qualm in den azurblauen Himmel, der Dieselmotor stampft und stöhnt übers Wasser. Die Küste der gegenüberliegenden Halbinsel flimmert, als hätte dort jemand alles in Brand gesteckt. Fühlt sich an wie in einem Schmelzofen, aus dem es kein Entrinnen gibt.
Am liebsten mag ich’s, wenns dunkel ist am Port, dann spüre ich, das Leben ist ganz nah und glaube, dass ich es mit Händen greifen und mich daran festhalten kann. Ich fühle das Atmen leichter werden, wenn der salzige Nachtwind vom Meer herüberweht und eine unschuldige Stille in der Luft liegt, weil all der Trubel sich für ein paar Stunden zur Ruhe gelegt hat. In der Nacht filtere ich die wahre Schönheit dieses Ortes aus der Dunkelheit. Wenn seine hässlichen Narben versteckt sind, lächle ich und denke an dich. Die Palmblätter leuchten im Mondschein und das triste Wellblech wird von den magischen Lichtern der Stadt angestrahlt, als gäb es keinen täglichen Kampf ums Überleben.
In solchen Augenblicken fühlt es sich gut an und der Kopf ist für einmal frei. Mit weichen Knien renne ich durch den Slum und mache mich auf den Weg nach Masaki, wo du in einer Hütte am Boden liegst. Du hast mal gesagt, du spürst nur was, wenn du es mit mir tust, aber mittlerweile glaube ich, du fühlst gar nichts mehr. Die Matte unter deinem nackten Körper ist fleckig, es riecht nach Moschus und nach Fisch. Du lebst jetzt in Masaki, sagt der Mzee. Dabei wollten wir doch Palmendiebe werden.
Ich will an die selbstverständliche Leichtigkeit und das Aufeinandertreffen der Gezeiten am Strand von Mbalamwezi denken, wo die Reggae-Beats niemals aufhörten und wir die ganze Nacht lang tanzten und Ganja rauchten. Eine traumhafte Erinnerung, an die ich mich mit aller Kraft festklammere, aber sie zerrinnt wie der weiße Sand zwischen den Fingern. Wir waren jung und das Geschäft hatte noch nicht unser Leben verändert und uns zu Sklaven gemacht. Alle dachten, die Zukunft ist noch weit entfernt und niemand kümmerte sich darum, dass Ausländer im Viertel auftauchten und braunes Pulver auf Schiffe verluden.
Bis der Mzee in die Sache involviert wurde und sich darin verstrickte wie eine Schildkröte in einem Fischernetz. Die faulen Hunde machten sich natürlich nicht selbst die Pfoten schmutzig. Dafür suchten sie die richtigen Leute und solche wie wir waren da und mussten herhalten für deren dreckige Geschäfte. Wir hätten ja eh nichts Besseres zu tun, sagte der Mzee. Oder wollten wir vielleicht einen von den Reichen überfallen? Das war unmöglich, weil die sich hinter ihren Mauern aus Betonklötzen versteckten, mit Glasscherben und Stacheldraht oben drauf. Seit Politik und Korruption die Straßen zum Brennen gebracht hatten, kamen die Feiglinge nicht mehr in die Stadt. Was sollten wir schon tun? Die hatten Wächter mit Pistolen und wir höchstens einen Totschläger.
Also rief jemand an, wenns Arbeit gab, und wir mussten sofort losspringen, weil das Schmiergeld nur für ein bestimmtes Zeitfenster gezahlt worden war, und luden die Pakete von einem Schiff mit asiatischer Flagge auf ein Afrikanisches oder Europäisches um. Ab und an erwartete uns auch ein Laster mit irgendeinem Kennzeichen aus dem Norden und die Fahrer rauchten gelangweilt, während sie uns beim Aufladen zuschauten.
Anstrengender waren die Lieferungen aus dem Inland, dann fuhren wir nachts mit geliehenen Bodas übers Land, ohne Licht durch dichte Akazienwälder und über endlose, schlaglochverseuchte Pisten. Das brachte uns gerade so viel Schillings ein, dass es zum Überleben reichte, aber wir hörten ständig davon, dass die Bullen bündelweise Scheine kassierten, und kamen uns deshalb betrogen vor.
Das mit dem Schmiergeld funktionierte zum Glück gut, nur einmal haben sie uns aufgelauert, in der Nähe des Kigamboni-Nadelöhrs. Stinkende Toyota-Minibusse und Lastwagen verstopften beide Fahrtrichtungen und die Straßenprediger schrien so laut, als wär’s eine Strafe Gottes, hier zu leben.
Wir hatten einen Rucksack voll von dem Zeug dabei und bemerkten die Bullen gar nicht, die am Straßenrand neben einem Samosa-Stand parkten. Du hieltst an, weil auf dem Hafenareal keine Tuk Tuks und Boda Bodas erlaubt sind und wir kein Risiko eingehen wollten. Da bemerkten sie uns.
Ich war bereits runtergeklettert und sah, wie der Bulle neben dem Wagen wie ein Panther auf das Motorrad sprang, und du gabst Gas, das Vorderrad hob sich und der Auspuff sprühte Funken, während er an dir hing und dich zu Boden ringen wollte. Das Motorrad schoss nach vorne, du verlorst die Kontrolle, fielst nach hinten aus dem Sattel, das Boda fuhr ein paar Meter allein weiter und krachte in einen Tomatenverkäufer.
Drei Wochen lang ernährten wir uns von einem Teller Suppe pro Tag und den wenigen Lichtstrahlen, die durch unsere Zellentüren fielen. Dir haben sie zwei Finger gebrochen, nur aus Langeweile oder vielleicht auch aus Spaß, weil sie gerne Leute quälten. Ich saß in meinem Loch und konnte nichts dagegen tun, wollte schreien und sie beleidigen, aber mein Mund war so trocken, dass ich nur vor mich hin krächzte. Dann kam der Mzee mit irgend so einem Araber vorbei und sie holten uns ab. Wir wunderten uns nicht mal, warum das so lange gedauert hatte, sondern waren einfach froh, endlich aus der Finsternis raus zu sein.
Als wir in Mzees Mercedes sassen, drehte sich der Fremde im Sitz und kläffte uns an wie ein wahnsinniger Köter. Wir verstanden fast nichts, nur soviel, dass er wegen uns eine Menge Ärger mit den Bullen am Hals gehabt hätte, auch irgendwas von Bürokratie und wir müssten das jetzt aus eigener Tasche abbezahlen. Aber vor allem sagte er es dem Mzee, der dann gar nicht mehr so selbstsicher war und sich fluchend irgendwo verkroch, nachdem er uns abgesetzt und eine ordentliche Standpauke gehalten hatte. Er drohte damit, beim nächsten Vergehen meine Mama zu verletzen. Ich glaubte ihm kein Wort, denn sie ist seine Schwester und der Mzee ja mein Onkel und der eigenen Familie würde er sicher keine Gewalt antun. Wir haben uns geschworen, dass wir uns nie wieder erwischen lassen würden.
Von diesem Tag an sah ich den Mzee immer häufiger mit Arabern Geschäfte machen. Ich beobachtete sie jeweils nur von Weitem, mit ihren Sonnenbrillen auf den dünnen Nasen und den muskulösen, hellbraunen Armen, die sie aus den Jeeps hängen ließen, und manchmal gab er ihnen auch ein Mädchen, noch nicht mal volljährig, und es musste einsteigen und sie fuhren mit ihm irgendwohin, obwohl es nicht mal deren Sprache verstand.
Der Mzee trieb sich immer häufiger bei den Touristenresorts rum, wurde zum Essen eingeladen und zu Besprechungen, aber das war nicht unsere Welt, diese hellen Lichter und die Sauberkeit und das gute Essen weit entfernt und unerreichbar für uns. Wir warteten einfach, bis er zurückkehrte und die Aufgaben verteilte. Mit der Zeit wurde er ganz schön fett und verfressen, aber wir sagten nichts, auch nicht zu der Waffe, die seitdem für alle sichtbar in seinem Hosenbund steckte, wenn er im Slum rumging.
Irgendwann kam die Sache mit dem Benzinschmuggel und von da an wurde es gefährlich für uns. Wir mussten die Fässer in kleinen Schiffen über das Meer bringen, in totaler Dunkelheit, vorbei an der Hafenpolizei mit ihren Schnellbooten, damit das Benzin auf der anderen Seite abgeladen und versteckt werden konnte. Oder wir fuhren mit klapprigen Pick-ups ins Landesinnere, wo der starke Wind manchmal einen Tanklaster umkippen ließ und wir dessen Ladung in gelbe Kanister abschöpften. Das führte irgendwann so weit, dass es in der Stadt keinen Tropfen bezahlbaren Treibstoff mehr gab, und an irgendeinem Ort, den nur der Mzee und seine Freunde kannten, horteten sie’s literweise und die Leute, die sich’s leisten konnten, mussten es zu überhöhten Preisen zurückkaufen.
Ein paar von uns wurden erwischt, wir haben den Kontakt verloren und wissen nicht, was mit ihnen geschehen ist. Der Mzee hat mal gesagt, die wurden alle umgelegt und draußen vor der Stadt auf der Müllhalde verscharrt, aber wir glaubten, er sagte das hauptsächlich, um uns Angst einzujagen.
Er bläute uns ein, dass wir aufpassen sollten. Die Bullen hätten längst Wind von der Sache gekriegt und seien ganz scharf darauf, dem Schmuggel ein Ende zu bereiten, weil sie ja schließlich auch Benzin für ihre Fahrzeuge brauchten, wenn sie mit der Familie am Wochenende aufs Land führen. Das nun alles so teuer war, passte denen gar nicht in den Kram. Da war für die dann auch das Schmiergeld nicht mehr so attraktiv, wie bei den braunen Päckchen, da sie plötzlich persönlich davon betroffen waren. In ihrer eigenen Freiheit eingeschränkt zu werden, ließen die nicht auf sich sitzen. Die forderten ihre gottverdammten Menschenrechte ein, so nannte der Mzee das. Aber wir wussten, die waren einfach nicht so arm wie wir, also konnten sie sich einen Aufstand leisten.
Die Geschäfte mit den Drogen hatten wir mittlerweile ganz gut im Griff und machten uns deswegen keine Sorgen mehr. Doch dann hatte einer von Mzees Ausländern plötzlich ein Auge auf dich geworfen, er machte sich an dich ran, wie so ein überheblicher Gockel mit seinen polierten Schuhen und dem frisch gebügelten Hemd. Du hast ihn zuerst abblitzen lassen, aber das gefiel ihm ganz und gar nicht und der Mzee redete mit ihm und dann musstest du mit diesem Arschloch mitgehen wie die kleinen Mädchen zuvor und er hat jede Menge gemeinen Schweinkram mit dir abgezogen.
Eines Nachts bist du zurückgekommen, ich glaubte schon, dich verloren zu haben, und war nächtelang wachgelegen. Verstört hast du dich dann neben mich auf die Bastmatratze gewälzt, hast deinen Kopf zögerlich an meine Schulter gelegt und mir unter Tränen gesagt, deine Vagina sei gefühllos geworden, weil er dich gebissen und irgendwas mit deinen Schamlippen gemacht hat und ich dich verstoßen werde, weil du jetzt eine Aussätzige bist, und es hätte auch stark geblutet innerlich und dir täte das alles so leid.
Du hattest von da an Schmerzen beim Stuhlgang, saßest zusammengekrümmt auf der Latrine, weil er wohl Sodomit war und auch was mit deinem Anus gemacht hat, und ich habe dir geschworen, dass ich ihn umbringen, ihn so richtig leiden lassen würde, so wie wir die Verbrecher hier richten, mit einem Reifen und einem Benzinkanister. Aber ich habe ihn nie mehr wieder gesehen.
Du hast von den Drogen genommen, die wir weiterhin schmuggelten, weil du dich betäuben wolltest und dein Körper auf nichts anderes mehr reagierte und richtige Schmerzmittel zu teuer waren. Irgendwann konntest du nicht mehr weitermachen, das war ja schwere körperliche Arbeit mit dem Benzin und allem, und der Mzee beschloss, dich unten beim Rotlicht einzusetzen. Dort liegen gebrauchte Kondome wie bleiche Schlangen in den Gassen und überall dringt das Gestöhne der Freier aus den Hütten, als wär’s Sodom und Gomorra.
Dafür seist du noch gut genug in Schuss, behauptete er, und tat so, als wüsste er nichts davon, was dir sein Freund angetan hatte. Seitdem besuche ich dich jeden Abend in Masaki und bringe dir ein kleines Tütchen mit dem Pulver, das du bei Kerzenlicht auf einen Fetzen Papier ausschüttest und ein Röhrchen in deine Nase steckst, damit du eine weitere Nacht ohne Schmerzen überlebst.
Ich selbst habe die Drogen nie angerührt, denn ich sehe ja, was das mit dir macht. Du bist alt geworden, obwohl du erst Anfang zwanzig bist, doch die Falten und die Narben auf deinem Körper sprechen eine andere Sprache. Ich tue das gegen meinen Willen aber ich weiß, dass ich dir im Moment nicht anders helfen kann. Also mache ich es mit schwerem Herzen und mit glühendem Hass, vor allem auf den Mzee, dieses fette, hinterhältige Schwein, obwohl auch er nur ein Fisch im Netz ist, der zappelt, so wie wir, denn er will nichts Gutes mehr für uns, nur das Geld braucht er und ohne ihn hättest du nie die Möglichkeit mit den Drogen gehabt. Ich hoffe, dass ich dich irgendwann dort rauskriege, und wir kaufen uns ein eigenes Boda Boda und fahren zusammen mit Mama ganz weit weg von hier.
Die Arbeit mit dem Zigarettenverkaufen mache ich immer noch. Ich kaue büschelweise Kath, damit ich wachbleibe und nicht einschlafe, denn ich brauche täglich fünftausend Schilling, um dir die Drogen zu finanzieren. Das Pulver ist teuer und klauen geht nicht. Außerdem bringen sie mich mit Sicherheit um, wenn ich’s auch nur versuche und das kann ich mir nicht leisten. Ich sterbe im Kampf für unsere gemeinsame Freiheit und nicht weil’s irgendjemand so für mich vorherbestimmt.
Neuerdings kann ich auf der Fähre verkaufen, damit ich mir was dazuverdienen kann, meint der Mzee, und außerdem gäb‘s keine Probleme dabei, meine Tasche ist voll von den braunen Päckchen, die ich auf der anderen Seite ins Gebüsch werfe, immer an derselben Stelle und ich blicke ins Fahrwasser, wo die Wellen schäumen und ihre Kämme im Sonnenlicht glitzern und erinnere mich wieder an den Strand von Mbalamwezi.
Jeden Abend sahen wir Palmendiebe. Die waren nicht sonderlich hübsch anzusehen mit ihren Panzern und den Krebsbeinen, aber es hatte etwas Faszinierendes, wenn sie geschickt an den glatten Stämmen hinaufkletterten und wir sie dabei beobachten konnten, wie sie die Kokosnüsse zu Boden fallen ließen und danach mit ihren Scheren knackten.
Wir wollten sein wie sie. Palmendiebe wollten wir werden und gemeinsam Kokosnüsse stehlen und einfach frei sein, uns in den Armen halten und uns nicht um sowas wie Geld oder Arbeit kümmern müssen. Stellten uns vor, wie wir bis in die Wipfel hinaufkletterten und auf die Welt hinabsehen, losgelöst von der Armut im Slum und von all den anderen Ungerechtigkeiten. Dort oben hängen die Früchte des Lebens, sagtest du, und wenn wir keine Palmendiebe werden, können wir immer nur hinaufschauen und erahnen, wie sie schmecken.
Wir haben nie einen davon über dem Feuer gebraten, auch wenn unsere Mägen nicht immer gefüllt waren und wir deswegen in Versuchung gerieten. Vor diesem Gefühl hatten wir ganz schön Respekt.
Schon damals hast du eine Liebe zu hartem Stoff entwickelt, dank dieses schniefenden Weißen, der einen auf Rasta machte und sich mit seinem Tipi hinter der Bar einquartiert hatte. Glücklicherweise führte das mit ihm zu keiner ernsthaften Sucht, da wir hauptsächlich Ganja rauchten, aber er hat damals eine Art Grundstein gelegt, für die bleierne Schwere, die dir heute so aufs Herz drückt. Ich wollte nicht, dass du mit diesem Weißen abhängst, weil er ständig von den Drogen redete und da hatten wir unseren ersten richtigen Streit und sahen uns eine Zeit lang nicht mehr.
Für mich war das sehr schwer zu ertragen und ich stürzte mich von Bar zu Bar, soff Tusker bis ich nicht mehr stehen konnte und das wenige Geld komplett über den Jordan war. Nach ein paar Monaten kehrte ich zu dir zurück, weil ich’s allein mit Mama nicht mehr aushielt, denn ich wusste ja, wo ich dich finden konnte. Den Weißen prügelte ich grün und blau und du hast geweint und geschimpft und ich Trottel tat so, als wüsste ich nicht warum.
Heute glaube ich, dass ich endlich ein Palmendieb sein kann und zu dir raufklettern werde, um dich von diesem verdorbenen Ort wegzuholen und irgendwann, wenn wir die Flucht geschafft haben, werde ich auch die harte Schale der Drogen knacken können und dich daraus befreien. Du wirst wieder lachen, wenn die Wellen an fernen Stränden brechen und farbige Muscheln um deine Zehen spülen und du wirst wieder Wärme fühlen, wenn Sonnenlicht uns die Augen zusammenkneifen lässt. Wir werden davon träumen, dass wir vielleicht eines Tages in eines der Flugzeuge steigen, die drüben auf der Halbinsel landen und mit ihren Turbinen über unsere Wellblechdächer hinwegdonnern. Irgendwohin, wo alles leichter ist als hier in dieser Stadt.
Ich habe lange überlegt, wie ich das schaffen kann. Aber manchmal ist es besser, nicht zu viel über eine Sache nachzudenken. Sondern zu handeln und Vertrauen zu fassen, zu Gott vielleicht, aber wir haben gelernt, dass dieser Ort gottlos ist und so bleibt uns nur auf ein gnädiges Schicksal zu hoffen und an uns selbst zu glauben.
Ich wünsche mir, dass der Mzee verreckt und die ganze Araberbande mit ihm, weil sie unser Leben ruiniert und kaputt gemacht haben, doch sie atmen weiter und ich sitz in einem Bretterverhau und ess eine Chapati, stopfe mir dazu weißes Ugali in den Mund und der Verkäufer schlägt Eier in eine Metallpfanne, in der das Öl über einem Ofen zischt. Ich rede mir ein, dass ich einen Plan habe und will ihn noch heute Nacht in die Tat umsetzen. Mama, vergib mir.
Ich halte ein Matatu an, bei dem die Schiebetür fehlt und Gott ist groß in farbigen Lettern auf dem Heck steht. Fahre durch die Dunkelheit runter nach Masaki, wo du auf mich wartest, und ich lege dem Makanga dreihundert Schilling in seine ausgestreckte Hand. Weil der Minibus fast leer ist, muss ich mehr bezahlen, aber das ist mir egal.
In der Nähe des Rotlichtviertels kenne ich einen Händler, der mir seinen Holzkarren leiht und ich ziehe das Ding vorbei an krächzenden Marabus, die sich auf den Abfallhaufen sammeln wie Krähen auf einem Feld und mit ihren langen Schnäbeln und hässlichen Köpfen im Müll rumwühlen. Irgendwo überfahre ich einen toten Schimpansen, der aufgedunsen im Staub der Straße liegt.
Heute Nacht ist es ruhig und nur wenige besoffene Freier torkeln zwischen den Hütten umher und straucheln hinter schmutzigen Vorhängen hervor. Wenn sie fertig sind mit der Fickerei, verlassen sie hastig den Ort und manche vergessen ihre offenen Hosenställe und dann hängt der halbsteife Schwanz raus. Ich beachte niemanden und schlüpfe in deine Hütte, aber da liegt einer nackt auf dir drauf und kneift seine Arschbacken zusammen und stöhnt leise, da schlage ich ihm mit der Handkante ins Genick und er stöhnt noch mehr und bricht über dir zusammen.
Ich rolle ihn von dir runter und er wehrt sich nicht einmal, sondern kauert sich in eine Ecke und wartet im flackernden Kerzenlicht, bis ich dich draußen auf den Karren gelegt habe. Du sagst kein Wort, nur ich flüstere dir zu, das alles gut werden wird, dass wir heute Nacht abhauen und niemehr zurückkommen werden.
Ich strenge mich an, deinen Körper über die unebene Straße zu bugsieren, und der Schweiß tropft mir vom Gesicht, obwohl’s im Dunkeln angenehm kühl ist. Jemand ruft uns nach, dass er dich letzte Nacht gevögelt hätte und es schön gewesen sei ohne Kondom und er bezeichnet mich als einen egoistischen Bastard, der die beste Hure von Masaki stehlen und zu sich nach Hause nehmen will, weil ich dich ganz für mich allein haben möchte, aber das gehe nicht, weil er erst noch seinen Schwanz zwischen deinen Lippen vergraben will, du hättest Aids bekommen und werdest hoffentlich elend dran krepieren.
Zum Glück gibt es keine weiteren Zwischenfälle und wir erreichen den Strand. Sterne glitzern schwach am Himmel und es riecht nach Feuer und nach Talg. Die Wellen rauschen über den Sand, der Karren bleibt im weichen Untergrund stecken und ich muss dich runternehmen, aber du hast keine Kraft, bist wie ein Sack voller Chapati-Mehl oder so schwer wie eines der Benzinfässer.
Über dem Wasser schwebt der Mond und beleuchtet mein einsames Tun. Die letzten Meter schleife ich dich über den Strand zum Schmugglerboot, hieve deinen Körper über das Holz und leg dich hinein. Ich schiebe uns in die Wellen und hüpfe ins Innere zu dir. Dann schließe ich die Augen und der Strand von Mbalamwezi auf der anderen Seite ist so nah.