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Orte - Zacharias fällt
Die Wörter waren: Frühsommer, nachdenklich, Fallschirmspringen, Stahlschraube, Feuerwerk
Ein Schatten erhob sich aus dem gebrochenen Körper des Springers und verzerrte den Blick durch die tanzenden Luftschichten des heißen Sommertages.
Es war beinahe komisch. Wenige Augenblicke waren es gewesen, die mehr oder weniger alles veränderten, was in Zukunft geschehen oder nicht geschehen sollte. Jetzt hatte das Schicksal nicht mehr im Sinn, als ihm die letzten Stationen aufzulisten, die er und der Mensch, den er gerettet hatte, gemeinsam durchlaufen hatten.
Die Luft flimmerte vor seinen Augen während er zurückschaute – und sich an einen nur mäßig beleuchteten Raum erinnerte.
„Also du meinst, dass da irgendwo ein Mädchen ist, das – äh, wie war ihr Name doch gleich?“
„Florin“, kam die müde Antwort.
„Ja, danke. Also Florin, die ich dazu bewegen soll, zwischen ... den Welten zu wechseln – dass ich genau und nur ich dafür geboren wurde? Genauso ein ... wie sagtest du? – ein Gesandter wie du? - Scheiße, Mann, mir war schon immer klar, dass du spinnst.“ Michael nahm das Bier in eine Hand und stützte sich mit der anderen auf; er richtete den Zeigefinger vom Glas weg auf sein Gegenüber: „Ich sollte dir eine ballern, mein Freund. Dich wieder zu Verstand bringen.“ Kurz sah er voller Ernst in die Augen hinter dem dünnen Brillenglas, doch seine Mundwinkel zuckten bereits und im nächsten Moment lachte er laut heraus und schlug dann seine Hand auf die knochige Schulter des jungen Mannes, der auf der anderen Seite des Tisches saß. „Du bist ein Freak, Zach.“
Zacharias sah an Michaels gerötetem Gesicht vorbei und beobachtete die Zeiger der Uhr über der Tür.
Es war sinnlos.
Es wäre sicher anders, leichter gewesen, wenn sie sich noch nie zuvor begegnet wären. Dann hätte er vielleicht die Karte des mystischen Fremden ausspielen, hätte irgendwo angreifen können und einen Halt in der verqueren Welt seines Freundes gefunden. Aber so war für Michael alles ein riesiger Spaß, ein weiterer Schritt in die schöne neue Welt, die Studium und Universität möglich machten. Sie hatten sich beide zusammen diesen Traum gebaut, immer weiter davon geredet und sich gegenseitig Halt gegeben, die ganzen langen Schuljahre hindurch – und zu guter Letzt recht behalten, denn hier an dieser Uni, weit ab von ihrem Heimatdorf, gab es so viele Menschen mit dem Bedürfnis, anders zu sein, dass man als Freak nicht weiter auffiel – außer, man war so verrückt, normal zu wirken.
In der Schulzeit war Michael da gewesen, wenn Zacharias Ärger mit Kilian hatte. Er stand ihm bei, als Kilian damit prahlte, wie tief er seinen Schwanz in Zachs’ jungem Arsch gehabt hätte und sich weiterhin jeden seiner Finger danach leckte.
Michael hatte ohne, dass Zacharias lang und breit erklären musste, was genau es überhaupt so weit hatte kommen lassen, akzeptiert, dass es eine der weiteren Tatsachen war, die sie beide als das kennzeichneten, als das sie immer verschrieen gewesen waren: Freaks.
Aber da waren diese Träume. Sie hoben sie beide hinaus über den Status des Freaks. Sehr darüber hinaus und er schien derjenige von ihnen zu sein, der dies wusste.
„Komm, lass uns gehen“, sagte er und sie standen auf, Michael noch immer lachend.
Die Straßenlaternen waren an langen Kabeln vielleicht alle einhundert Meter über den Asphalt gespannt und obwohl es nicht mehr als fünf Minuten her sein konnte, dass er Michael zum Abschied umarmt hatte, überkam Zacharias inmitten der Schatten zwischen diesen nebeligen Lichtinseln bereits dieses seltsame Gefühl.
Angst vor Verlust.
Angst vor Versagen und vor dem Tod.
Gedanken an die Träume. Träume, die in den letzten Nächten extrem geworden waren. Sie hatten ihn schon lange begleitet. Sie waren gekommen, als er zu Kilian gegangen war, um mit ihm abzuschließen. Damals noch selten und er hatte sie nie verstanden, immer geglaubt, er wäre einfach nur anders als der Rest. Was in gewisser Hinsicht auch richtig war. Es war nur so, dass er den Grad des Abnormen nie als so extrem wahrgenommen hatte, wie er es tatsächlich war.
Denn er war ein Gesandter mit einer Aufgabe.
Diese Bezeichnung war ihm vor Jahren eingefallen, als ihn ein Traum gejagt und er im Schein der Nachttischlampe auf den Morgen gewartet hatte. Jemand oder etwas hatte sich sein gerade geborenes Leben – warum auch immer – aus dem großen Pool aller Leben gegriffen, hatte den Stempel mit der Bezeichnung „Aufgabe“ geschwungen und es wieder fallen lassen. Ihn gebrandmarkt. Anfällig für all das alltägliche Übel der Menschen gemacht. Ihn in das Leben gesandt, nur um seine Aufgabe zu finden und einen Masterplan gangbar zu machen.
Und irgendwann hatte er geglaubt zu wissen, wofür er hier war. Was anderes, als diese Aufgabe zu erfüllen, blieb ihm zu tun?
Zacharias nahm seine Brille ab und putzte sie. In den letzten Monaten waren seine Nächte schlimm gewesen. Er hatte immer nur wenige Stunden geschlafen, denn sobald er zur Ruhe kam, zogen ihn erschreckende Bilder in die Realität zurück und übernahmen die Wache, damit er nicht zurückfand in eine möglicherweise traumlose Welt. Bilder voller eigenem und fremden Leid, die ihn hindern sollten – und es erfolgreich taten – Ruhe und Kraft in der Nacht zu finden. Er wurde mit jedem Tag müder.
Zacharias setzte die Brille wieder auf und sah noch einmal in die enge Seitenstraße, die sich zwischen den Wänden zweier schmalgiebliger Häuser verlor. Aber da war nichts gewesen.
Eine wunderschöne Stadt, keine Frage. Die alten Häuser an den unzähligen Hängen schmiegten sich aneinander und lehnten sich dabei so manches Mal beinahe zu weit über die alten Kopfsteinpflaster. Es gab viele kleine, alte Gassen, viele dunkle Parterreeingänge und eine Studentenquote von fast vierzig Prozent. Er fasste sich an den Kopf.
Da war nichts gewesen. Sicher nicht.
Zacharias beschleunigte den Schritt, es war nicht mehr weit zu seiner Wohnung, die er über einer alten Änderungsschneiderei bezogen hatte. Er war sich sicher, dass er auch diese Nacht nicht viel Schlaf finden würde, aber morgen musste er so oder so in die Uni und sollte es zumindest probieren. Etwas entspannter sein als heute Abend. Morgen würde er Michael wiedersehen und ihn vielleicht dann etwas weicher klopfen können.
Denn Michael war seine Aufgabe. Heute war er zu müde gewesen. Hatte keine Energie aufbringen können, um den sturen Kopf in die richtige Richtung zu drehen. Aber er hatte seine Aufgabe akzeptiert. Was wäre ihm nach all den Jahren auch übrig geblieben? Gewissheit war eine bittere Medizin, aber trotz allem tat sie einem schlussendlich nur Gutes.
Da war nichts gewesen.
Zacharias drehte den Schlüssel im Schloss und öffnete die Tür - und spürte mit dieser Bewegung eine Wut, die ihn von rechts aus dem alten Garten des Nachbarhauses traf.
Sie war so voller Kraft, sie leuchtete beinahe.
Was es war, woher und wie es diese Gewalt aufbringen konnte, war ohne Belang. Alle komplexeren Gedanken flogen aus der Bahn und seine Hände öffneten die Tür ohne, dass er bewusst daran dachte. Wollten die Flucht ermöglichen, nur seine Sinne griffen nach dem, was auf ihn zukam, ihn festhielt, ihn bald voller Hass umspülte und seinen Körper vergiftete.
Festhielt.
Umspülte.
Vergiftete.
Irgendwann ließ es ihn durch die Tür, doch Zacharias spürte, dass dieses Entkommen ohne Belang war. Denn etwas hatte ihn berührt. Sein Körper würde nicht standhalten und sein Geist nicht widerstehen können - er hatte beinahe gespürt, wie ausgewählte Zellen auseinandergezerrt, verdreht und neu geschrieben wurden.
Er würde fallen.
Bald.
Dies war ein direkter Angriff gewesen, was bedeuten musste, dass es der anderen Seite zu dringlich wurde. Dass sie - die aus den Träumen - dabei waren, die Entscheidung herbeizuführen. Sie konnten ihn anscheinend nicht direkt töten und vielleicht gab es ja tatsächlich einen Gegenpart, etwas, das seinen Tod zu verhindern suchte. Doch selbst, wenn es so war, so hatten sie den Krieg gerade verloren.
Seine Machtlosigkeit war beinahe schwerer zu ertragen als die Angst, die ihn durchschlug. Er legte sich ins Bett und fühlte seinen Körper zitternd langsam schwächer werden.
Diese Nacht schlief er nicht eine Minute.
Der folgende Tag war hart.
Etwas fraß sich in seinen Organen fest, er spürte es sich laben, es sein Inneres genießen und die Angst vor dem Sterben lähmte ihn. Zacharias dachte an die dunklen Träume, die ihm – wie er es nun bestätigt fand - stets gezeigt hatten, wie es ausgehen würde. Was ihn erwartete. Es ihm seit Jahren vorgaben und nur die eine Aufgabe noch zulassen würden und er verließ den Hörsaal, versteckte sich auf der Toilette, zog die Beine hoch und ließ es fressen.
Zeitlos fraß es.
Dann – irgendwann – wurde das Fressgelage beendet und sein Körper fand Ruhe. Aus dem Dunkel schälte sich langsam ein Gesicht heraus und Zacharias spürte, dass hier nicht die Macht hinter den Träumen am Werk war.
Mehr und mehr glitt das blasse Gesicht in Michaels Züge hinein, wurde ihm von irgendwo her beinahe bildlich aufgedrängt. Diese andere Seite, dieses hellere Gefühl nahm die Tränen nicht mit sich und schenkte auch nur wenig Hoffnung. Doch es rief den Gedanken wach, dass er wegen Michaels Heil gesandt worden war und Zacharias ließ seinen Gefühlen freien Lauf und suchte Energie. Er fand sie ein letztes Mal und ging zum Mittagessen in die Mensa.
„Alles bereit für morgen, Zach?“
In Anbetracht der Schlaflosigkeit und der dunklen Träume konnte er hinterher sogar nachvollziehen, dass er den Sprung vollkommen vergessen hatte.
Fallschirmspringen.
Michael sprang schon seit Jahren regelmäßig und Zacharias wusste, dass sein Freund diesen Sport liebte. Ihn regelrecht brauchte, um sich auf sich selbst konzentrieren zu können, um immer wieder runterzukommen. In der Tat war der Michael, der gerade einen Sprung hinter sich hatte, derjenige, den Zacharias immer am liebsten gemocht hatte.
Morgen würde er mitspringen.
Es war nicht das erste Mal, aber jetzt wusste er, warum er gestern angegriffen worden war. Denn es war soweit.
Die Entscheidung. Michael würde er nicht mehr überzeugen können. Lediglich beschützen. Das Ende seiner Aufgabe und er würde endlich zur Ruhe kommen.
Nach dem Sprung.
„Ich denke, es ist alles bereit“, antwortete er. Michael sah ihn nachdenklich an.
„Ist alles okay mit dir?“
„Um acht vor der Tür.“
Diese Nacht war es anders.
Er war nur einmal kurz eingenickt und wieder hatten ihn die dunklen Bilder seiner Träume zurückgeholt. Hatten ihn mit dem Sterben geängstigt, mit dem Danach verunsichert und Adrenalin missbraucht, um ihn wach zu halten und ihm so seine Energie zu stehlen gesucht.
Jedoch schon kurz nach dem ersten schlimmen Erwachen hatte sein Geist sich beruhigt und er Wege betreten, die ihn von der Angst wegführten. Denn er erinnerte sich wieder an seinen Garten an der alten Schule und suchte hier noch ein letztes Mal Schutz.
Diesmal gab es keine Wertung durch die damaligen Ereignisse.
Der Garten für sich zählte.
Er, Zacharias, hatte dort bestimmt, hatte den Garten konstruiert, verwirklicht und das immer entgegen all der damals vorherrschenden Ströme. Hatte Inseln von Rhododendren aus dem Gras wachsen lassen. Hatte Früchte tragende Bäume aus Meeren von Farnen, Blüten und Gräsern gezogen. Er hatte dort alles eingebracht, was Gutes in ihm war. Gewiss, dunkle Momente hatte er hier erlebt, Momente, die Menschen wie Kilian bewusst und andere, wie vielleicht Dagny, nur durch ihre Anwesenheit verursacht hatten. Sie hatten das wahre Gefühl, die wahre Natur des Gartens zerstört, so hatte er es lange gesehen. Doch letztendlich – das verstand er in dieser Nacht - war diese Eingebung immer falsch gewesen, denn der Garten und somit auch Kilian und Dagny und all die anderen waren Bestandteil dessen, was er in dieser Nacht als Ganzes seines Lebens begriff. Was ihn an Erfahrung reich machte.
Was ihn als Mensch ausmachte.
Was ihn vielleicht für seine Aufgabe prädestinierte.
Er würde nicht aufgeben und den morgigen Tag durchleben.
Was danach kommen mochte, war nebensächlich.
Am nächsten Morgen stieg Zacharias kurz nach acht in Michaels Auto und fuhr noch einmal mit seinem Freund die lange Strasse entlang, an der Universität vorbei und hin zum Flughafen.
Beide waren sie recht schweigsam und sprachen nur das Nötigste. Michael redete nie viel vor einem Sprung; es war Zacharias immer so erschienen, als würde er all das, was ihn in den letzten Wochen fertiggemacht hatte, sammeln, um es mit sich aus dem Flugzeug zu werfen.
Zacharias selbst war in sich zur Ruhe gekommen und begnügte sich damit, die Landschaft und den Himmel am Fenster vorbeifliegen zu sehen.
Er spürte es nach wie vor in sich, wie es seinen Körper tötete, aber es war kein weiter Weg mehr und er konzentrierte sich auf das, was er sah.
Die Sonne stand noch recht tief am Horizont, war aber bereits kräftig und ließ die langen Schatten langsam schrumpfen. Der Himmel selbst war wunderschön blau. Die Welt erschien unerschütterlich und es war ihm, als könne das Kommende nicht im Geringsten Auswirkung auf dieses Bild haben.
Eine Stunde später saßen sie im Flugzeug. Die Like öffnete sich in dreitausend Metern Höhe.
Zacharias’ Puls raste während Michael sich an den Griffen hin und her schwang. Tat er immer. Seine Lippen bewegten sich und er schien sich selbst die Energie zuzusprechen, die er brauchte, um im Fallen all den Ballast loszuwerden.
Zacharias hatte seine Sinne geschärft, hatte frühzeitig die Situationen erkennen wollen, in denen der Feind angreifen mochte. Doch war er nicht in der Lage, auf den Vorstoß zu reagieren, der direkt von einem der Springer erfolgte.
Er sah den Kerl in einem Augenblick noch gelassen auf seinem Platz sitzen und im nächsten von Krämpfen geschüttelt auf dem Boden des Flugzeugs knien. Ein anderer Springer beugte sich zu ihm und dann sah es so aus, als würde der Mann aus der Luft vom Boden hochgezogen, nach vorne gestoßen werden, dabei mit einer Hand das Messer des Springers neben ihm aus der Scheide an dessen Stiefel ziehen. In dem Bruchteil eines Momentes, den der Gegner benötigte, um an ihm vorbeizukommen, sah er das dunkle Leuchten in den Augen des Mannes, sah es erst flackern, dann mächtig aufflammen.
Etwas hatte diesen Menschen gepackt.
Michael sah ihn nicht kommen und die beiden Körper prallten aufeinander und schleuderten aus dem Bauch der Maschine, noch bevor Zacharias auch nur ein Wort der Warnung über die Lippen gebracht hatte. Sein Körper reagierte und seine Muskeln warfen ihn hinterher während sein Kopf das Geschehen noch zu verarbeiten suchte.
Das Brüllen der Luft um ihn herum erschien ihm immens, bedeutsamer als früher zu sein. Instinktiv verringerte er den Luftwiderstand auf ein Mindestmaß, flashte, orientierte sich und fand Michael und den Angreifer. Michael wehrte sich mit aller Kraft seines jungen Körpers und in diesem Moment glaubte Zacharias, dass es für sie beide gut ausgehen könnte. Er hielt auf die Kämpfenden zu und verringerte den Abstand - nur langsam, so wie alles zu sein schien, wenn man sprang.
Komm her du Mistkerl, dachte er, lass dir von einem Freak aufs Maul geben!
Knappe vierzig Sekunden blieben, bevor sie den Fallschirm würden öffnen müssen.
Als er auf den Körper des Angreifers traf, schlug er mit all der Macht seines freien Falls zu. Er spürte seine Finger brechen; der Schmerz rannte an seinen Knochen entlang, fand das Hirn und explodierte dort. Zacharias schrie laut auf, hörte nichts von sich selbst. Der Körper des angreifenden Springers schleuderte zur Seite, der Kopf einen Moment später. Zacharias sah Michael aufschreien, dann traf Blut seine Schutzbrille und er entdeckte die tiefe Wunde, die der Gegner in Michaels Schulter geschnitten haben musste.
Michael umfasste die offene Wunde. Er blickte schockiert den Blutspritzern nach und sein Körper begann zu trudeln während die Sekunden stetig verrannen.
Zacharias’ Hand schrie und tobte. Die Luft um ihn herum brüllte.
Neben sich sah er Michael, der jegliche Kontrolle über seinen Flug verloren hatte und dessen Wunde heftig blutete; sie hinterließ eine dünne, aber sichtbare rote Bahn in der Luft.
Sie näherten sich dem roten Bereich, Michael stand unter Schock und Zacharias konnte lediglich noch versuchen, dessen Hilfsschirm selbst zu ziehen, wenn der Hauptschirm noch rechtzeitig im Luftstrom sein sollte. Er versuchte sich zu drehen, schaffte es und sah den Springer, von dem er Michael eben noch befreit hatte, wieder auf sich zustürzen.
Wie kann er schon wieder hier sein?
Die Augen dieses – Menschen – Angreifers leuchteten immenser, als sie es zuvor im Flugzeug getan hatten; er hatte keine Brille aufgesetzt und hätte nichts sehen können. Der Schlag, der Zacharias die Finger gebrochen hatte, hätte ihn ausschalten müssen. Hätte den Kerl in inzwischen nur noch wenigen Sekunden ohnmächtig auf den Boden aufschlagen lassen müssen.
Du müsstest tot sein.
Aber Zacharias sah ihn lachen. Sah seine Augen glänzen und die erhobene Hand aufblitzen.
Dann stürzte das Ding auf ihn und dessen Hand
das Messer, es ist das Messer
stieß nieder und die Klinge fuhr tief in Zacharias Schenkel und es waren ungeahnte Schmerzen, die Hand zog das Messer heraus, hob sich wieder, schlug zu und durchschnitt wieder lebendes Fleisch, seinen Magen und Zacharias heulte noch einmal auf.
Der Angreifer holte aus.
Stieß zu.
Erhob sich.
Und Zacharias erkannte im Sterben den Fehler, den der Feind machte.
Du verlierst dich, mein Freund. Verlierst dich in deinem Trieb.
Sie waren immer noch auf einer Höhe mit Michael, waren direkt neben ihm und der Feind sah es nicht.
War zu beschäftigt.
Zacharias fand die Kraft, zog Michaels Hilfsschirm, umklammerte den Feind und erfüllte seine Aufgabe.
Sie schlugen auf.
Ein Schatten erhob sich aus dem gebrochenen Körper des Springers und verzerrte den Blick durch die tanzenden Luftschichten des heißen Sommertages.
Es war beinahe komisch. Wenige Augenblicke waren es gewesen, die mehr oder weniger alles veränderten, was in Zukunft geschehen oder nicht geschehen sollte. Jetzt hatte das Schicksal nicht mehr im Sinn, als ihm die letzten Stationen aufzulisten, die er und der Mensch, den er gerettet hatte, gemeinsam durchlaufen hatten.
Die Luft flimmerte vor seinen Augen während er zurückschaute – und sich an einen nur mäßig beleuchteten Raum erinnerte.
Und recht zufrieden starb.
Es waren nur wenige Menschen gewesen, die um Zacharias’ Grab gestanden hatten.
Michael lehnte sich erschöpft im Beifahrersitz zurück. Seine Schwester brachte ihn zurück ins Krankenhaus und er spürte eine irre Vorfreude auf einen dicken Beutel des flüssigen Schmerzkillers. Vielleicht war der Arzt, der so nett gewesen war, ihn zur Beerdigung rauszulassen, auch in der Lage, ihm davon für heute nacht eine Bonusration zu gönnen.
Als Zacharias Michaels Hilfsschirm gezogen hatte, war der rote Bereich bereits erreicht, und er selbst nicht in der Lage gewesen, sich vernünftig auf die Landung vorzubereiten. Das hatte er mit einem Splitterbruch und einigen Stahlschrauben im linken Bein bezahlt – und er hatte seinen besten Freund verloren.
Es hatte einige Zeit gedauert, bis er die Geschehnisse in einen linearen Ablauf gebracht und die kausalen Zusammenhänge richtig gedeutet hatte. Als es soweit war, war das Schuldgefühl über ihn hereingebrochen und begleitete ihn seit dem.
Der Cocktail im Krankenhaus dämpfte glücklicherweise auch das Denken.
Wenige Tage nach seiner Entlassung machte Michael sich daran, den Weg zu finden.
Von dem Moment, in dem er Zacharias’ Warnungen als wahr erkannt hatte, waren die Dinge von Michael neu bewertet worden. Vielleicht hätte er den Tod seines Freundes als Unfall abgetan, als eines der hässlichen Dinge, die innige Freundschaften hin und wieder zerstörten.
Aber das, was er gesehen hatte, war keine Hin-und-wieder-Situation gewesen. Er hatte die vielen Einstichwunden in Zacharias’ zerschmettertem Körper gesehen.
Hatte Zacharias im Fallen den rasenden Körper des Anderen umklammern sehen.
Er hatte den toten Angreifer grinsen sehen.
Aber vor allem hatte er den Schatten gesehen, der von dem Toten gegangen war.
Er hatte verstanden und sein Leben neu überdacht. Energie, die in ihm steckte, in andere Kanäle zu lenken gesucht. Jetzt, da er wusste, dass andere Mächte als die ihm bisher bekannten existierten, dauerte es nicht lange, bis er die Kraft entdeckte, zwischen zwei bestimmten Welten eine Verbindung zu ermöglichen. Nachdem er die ersten Male vor dem endgültigen Abschluss zurückgeschreckt war, trat er eines Abends im Frühsommer in eine einfache Welt, in ein kleines Dorf, in welchem gerade die Vorbereitungen für ein Fest und das bevorstehende Feuerwerk getroffen wurden.
Er betrachtete, was er da fand, hieß es gut und blieb.
Er musste sich noch lange Jahre in Geduld üben, etwas sorgte dafür, dass er nur langsam alterte. Michael hatte seine Aufgabe zu erfüllen und er hielt geduldig Ausschau nach einem Mädchen namens Florin.
Und natürlich wurde sie in dem kleinen Dorf geboren. Es ergab alles einen Sinn. Wenn die Geschichte sich mit diesem Mädchen fortsetzte, würde er seine Rolle hier beschließen, damit von nun an von ihr erzählt werden konnte.
Michael hatte diese Welt mit den Jahren in sein Herz geschlossen. Umgeben von einem scheinbar sich in die Unendlichkeit erstreckenden Wald fand er in diesem Dorf Ruhe. Er nahm sich die Zeit, seinen Schuldgefühlen Zacharias gegenüber entgegenzutreten und sie zu verarbeiten.
Jeder von ihnen hatte seine Aufgabe zu erfüllen. Ihm, Michael, war es vergönnt, sein Leben weiterzuleben. Zumindest, solange es noch Orte zum Leben gab.
Sie alle lagen in der Hand von Florin und anderen, die Seite an Seite für diese Welten kämpfen würden.