Nostalgie
Wie oft war er schon auf jenen grasbewachsenen, weit überschaubaren Hügeln Englands gestanden und hatte den Wind auf seiner Haut gespührt. Hier war er zuhause, in einem alten, etwas verstaubten Schloss im Südwesten des vereinigten Königreiches. Hier hatte seine Familie gelebt, seit unzähligen Generationen. Er hatte wirklich einen bedeutenden Stammbaum und auch wohl einen der ältesten Englands. Schon im Mittelalter waren hier, auf diesem Schloss, seine Vorfahren Herrscher über den Herzogsbereich des "Lord Vallingdor" gewesen. Der Adelstitel hatte sich von Generation zu Generation vererbt. Schliesslich bis zu seinem Vater: Lord Jonathan Vallingdor. Sein Vater hatte damals eine bildhübsche Südländerin geheiratet und zusammen hatten sie in diesem alten Schloss gelebt, in dem er als ihr Sohn aufgewachsen war. Er war das einzige Kind des Lord Jonathan Vallingdor geblieben und so war er auch der alleinige Erbe des Landsitzes.
So spazierte er des öfteren den blassgrünen Hügeln entlang, betrachtete das wolkenverhangene Meer und dachte oft über seine Vorfahren nach. Er selbst war schon im letzten Stadium seines Lebens. Fünfundsiebzig Jahre lang hatte er hier gelebt, hier hatte er seine Ausbildung bekommen, an diesen Ort hatte er unzählige Erinnerungen und hier würde er auch sterben. Nie hatte er geheiratet. Weder ein südlädisches Strassenmädchen, wie seine Mutter eines gewesen war, noch eine gehobene englische Lady. Auch hatte er keine Nachkommen, er war der einzige Vallingdor, der noch unter den Lebenden weilte. Schloss Vallingdor, ein Schmuckstück aus vergangnener Grösse, ein Schimmer aus verblichenem Rum. Einst waren hier Könige empfangen worden und Kinder hatten in den grossen Parkanlagen des Schlosses gespielt. Einst war Leben in diesem Schloss gewesen. Heute war es verlassen, nur wenige Bedienstete arbeiteten für den jetzigen Lord Vallingdor und hielten das Schloss halbwegs auf Vordermann. Wenn er manchmal vor diesem alten Bau stand, der wie ein stetig alternder aber trotzdem aufmerksamer Wächter auf das unruhige Meer hinausblickte, dann versank er tief in Gedanken. Was hatte er getan in seinem Leben? Hinter Bücher und in grossen Schreibzimmer an vergoldeten Schreibtischen hatte er das ruhige Leben zugebracht, das einem Lord zusteht. Nie hatte er das Bedürfnis verspührt, von diesem Schloss wegzuziehen, nie war er abenteuerlustig gewesen. Er war ein ruhiger und gemächlicher Mann. Darüber dachte er nach und mit einem melancholischen Lächeln musste er daran denken, dass er weder eine Frau, noch Kinder gehabt hatte. Der Titel des Lord Vallingdor, der sich über Generationen hinweg vererbt hatte, starb mit ihm. Kein Nachkomme konnte ihn erben. Mit dem Titel starb das Schloss, mit dem Schloss würde auch der letzte Rest vergangener, erfolgreicher Jahre dahingehen. Doch dieses Schloss, das wie ein sterbender Riese in den letzten Strahlen der Abendsonne lag, liess ihn nochmals zurückkehren in die alten Zeiten. Vergangener Ruhm vergblichene Grösse, entschwundener Stolz, sterbende Vergangenheit.