Was ist neu

Mein Freund Steven

Mitglied
Beitritt
20.02.2016
Beiträge
4

Mein Freund Steven

Am Anfang war mir Steven zu bleich und das Gesicht zu kantig. Wirklich nicht der hübscheste, dachte ich mir. Und dann auch noch die Glatze und die eintönige Kleidung! Nein, Liebe auf den ersten Blick kann man dazu nicht sagen. Ja, am Anfang habe ich mich eher gegen ihn gewehrt! Möglichst wenig beachten, ignorieren und dann geht es schon vorbei. So dachte ich damals noch.
Er hat mir viel geholfen, mein lieber Steven. Das hat meine Meinung über ihn am meisten geändert. Wir mussten uns erst einfinden und uns kennenlernen – ach, zusammenraufen ist das richtige neumodische Wort dafür. Er war mir zu kompliziert und ich ihm wahrscheinlich einfach zu dumm. Aber so ist es doch mit vielem im Leben, nicht wahr? Wenn man lang genug mit ihnen zu tun hat, passt man sich aneinander an. Steven und ich kennen uns ziemlich gut mittlerweile.

Zuerst ist er bei mir in der Arbeit aufgetaucht. Einfach so mir nichts dir nichts wurde er in meinem Büro abgeliefert, kurz vorgestellt und das wars. Dann sollte ich ihn beschäftigen. Genauso wie bei Jugendlichen heutzutage, oder? Generation Praktikum werden die genannt. Weil sie zuerst nur helfen dürfen und ganz viel „Erfahrung sammeln“ sollen statt Geld sammeln. Jeder muss schon in fünf Büros Kaffee gekocht haben, bevor man seinen eigenen Schreibtisch bekommt. Steven macht so etwas nichts aus. Kaffee kochen kann er sowieso noch nicht. Es war trotzdem nicht einfach, ihn zu beschäftigen, denn er ist schon bisschen speziell. Das würde ich ihm aber nie zum Vorwurf machen – da war ich wohl eher das Problem.

Tut mir Leid, dass ich so langatmig erzähle, aber mit Steven werde ich immer etwas melancholisch. Er hat mich durch mein ganzes Arbeitsleben begleitet, dann irgendwann zu mir nach Hause und so war er immer für mich da, wann immer ich ihn gebraucht habe. Eine treue Seele wie kein anderer, hart arbeitend, unermüdlich. Na gut, bevor ich zu sehr ins Schwärmen komme: Er hat seine Macken, wie jeder andere eben auch. Manchmal könnte ich ihn anschreien vor Wut, weil er mich ignoriert oder mal wieder seine Phasen hat. Er kann so stur sein! Vor allem wenn er müde zu sein scheint und nichts auf die Reihe bringt, dass ich ihn einfach rausschmeißen will. Man könnte ihn schon typisch männlich bezeichnen, weil er so wenige Emotionen zeigt. Einerseits macht es mich wahnsinnig, aber andererseits ist es der einzige Grund, warum wir noch zusammen arbeiten können. Wenn ich mal ausflippe, bleibt er ganz ruhig, langsam und vertraut. Er macht nicht zwangsläufig das, was ich will, aber immerhin hat er noch nie ganz abgeschaltet und mich vollends alleine gelassen. Er ist der einzige, der immer für mich da ist.

So haben wir schließlich zusammen gefunden. Er half mir in der Arbeit, schnell an Informationen ranzukommen, er hat mich mit Leuten zusammengebracht, die ich längst vergessen hatte, und er hat meine Protokolle und andere Dokumente so gut verbessert wie kein anderer. Wo er das wohl gelernt hat… Ich muss ihn mal danach fragen. Zugegeben, ich weiß immer noch nicht besonders viel über ihn. Schweigsam wie er ist. Aber das wird schon noch kommen. Zurzeit ist er leider noch schweigsamer wie sonst, denn jetzt gibt es ja den anderen.

Ich sage Steven immer und immer wieder, dass Paul keine Konkurrenz für ihn ist. Wirklich, er kann Steven nie ersetzen! Auch wenn Steven es nie zugeben würde: Ich habe den Verdacht, er ist neidisch, seit ich so viel Zeit mit Paul verbringe. Deshalb spinnt er so viel rum zurzeit. Ich kann ihn verstehen, es ist nicht einfach für ihn. Er ist nun mal nicht besonders mobil durch seinen Körper, während ich gerne lange Spaziergänge unternehme und – oh nein, jetzt hängt es! Alles wird weiß, dabei noch nicht einmal eine Seite geschrieben! Komm schon… ah danke. Puh. Jedenfalls ist er neidisch, wenn Paul und ich rausgehen und zusammen unterwegs sind, weil er nicht mitkann. Auch verständlich, aber er muss doch verstehen, dass er immer noch der wichtigste ist! Wir verbringen doch auch weiterhin so viel Zeit miteinander, allein schon in der Arbeit! Paul ist mir sowieso zu klein, das würde nichts werden. Irgendwann werde ich Steven noch überzeugen.

Hach, der Absatzknopf ist langsam sehr kaputt. Alle Tasten sind etwas schwerfällig und mir wurde gesagt, das Betriebssystem ist auch nicht das Beste. Aber ich will doch keinen neuen, viel zu viele Erinnerungen würden verschwinden! Steven ist ein Teil meines Lebens geworden. Er würde einfach so ersetzt werden! Ich werde ihn schon beschützen. „Ach Steven“, sage ich zu meinem Computer, „wir hatten schon eine schöne Zeit. Mein I-Phone kann nie so schlau sein wie du, glaub mir. Mach dir keine Sorgen, du bleibst bei mir!“ Und die Maus in der Ecke blinzelt mir zu.

 

Hallo Schatten,

da wird ein Computer dem Leser wie ein Praktikant vorgestellt. Beiseite mit meinem Vorbehalt gegenüber der Vermenschlichung von Computern, ist der Coup bei mir gelungen. Alles in allem hat mir der Text gefallen, überragend finde ich ihn nicht, aber schon formidabel, ich habe ihn gern zweimal gelesen.

Zwei Hinweise formaler Natur:

  • Tut mir leid. Leid gehört hier klein geschrieben.
  • "Computer" am Ende würde ich umschreiben, etwa >> sage ich auf sein leises Surren hin, "wir [...]

 

Hallo schatten,

es ist eigenartig, aber mir war schon nach em ersten Absatz klar, dass Steven kein Mensch ist. Erst dachte ich an einen Hund, aber das kantige Gesicht? Nein, Steven musste eine Maschine sein. Und diese Vermutung geriet dann im Laufe des Textes zur Überzeugung. Immerhin hat der Text dazu angeregt, ihn zu Ende zu lesen, um zu schauen, ob die Vermutung stimmt. Kurzweilige Unterhaltung, so als Häppchen zwischendurch.

Liebe Grüße

Jobär

 
Zuletzt bearbeitet:

Hola Schatten,

willkommen in der Firma!
Nachdem ich Dein Profil gelesen habe, dachte ich: Hallo – da kommt was. Der Text selbst war dann doch sehr verhalten. Lang ist er nicht, doch für das Erzählte für meinen Geschmack deutlich zu lang.
Es passiert ja nichts. Du sagst selbst:

Tut mir Leid, dass ich so langatmig erzähle, ...
Ja, das ist leider wahr. Mich wundert das, denn Du schreibst auch:

Ich finde, gerade Kurzgeschichten haben eine solche Dichte und Intensität, die unglaublich viele Interpretationen erlaubt und man besser als in jeder anderen Erzählform das Spiel der Wörter, diesen Tanz, beobachten kann.

Im krassen Gegensatz lese ich dann:

Jeder muss schon in fünf Büros Kaffee gekocht haben, bevor man seinen eigenen Schreibtisch bekommt. Steven macht so etwas nichts aus. Kaffee kochen kann er sowieso noch nicht.
Da bin ich doch schwer irritiert. Jetzt brauchte ich einen Kaffee.
Die Erzählung fährt im Kreis, es entwickelt sich nichts, aber ich will bis zum Schluss durchhalten, trotz:

Zugegeben, ich weiß immer noch nicht besonders viel über ihn. Schweigsam wie er ist. Aber das wird schon noch kommen. Zurzeit ist er leider noch schweigsamer wie sonst, denn jetzt gibt es ja den anderen.

Ja, der Paul, die neue Generation. Schon verstanden, aber musste das so treu und brav erklärt werden:
„Ach Steven“, sage ich zu meinem Computer, „wir hatten ...

Liebe Schatten, Du schreibst fehlerfrei, fließend und warmherzig. Ich schildere nur meinen privaten Leseeindruck – das ist keine Wertung. Nur möchte ich Dich bitten, an Dein Geschriebenes im Profil zu denken und eine Schippe draufzulegen.

Beste Grüße!
José

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom