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Marlen Haushofer: Die Wand

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19.05.2006
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Marlen Haushofer: Die Wand

Titel: Die Wand
Autorin: Marlen Haushofer
Verlag: List
ISBN: 978-3-548-60571-5
Umfang: 285 Seiten


Eine Frau mittlerer Jahre unternimmt gemeinsam mit ihrer Cousine und deren Mann, einen Jagdausflug in die Berge. Als die beiden Eheleute nach einem abendlichen Dorfausflug nicht mehr nach Hause zurückkehren, legt sich die namenlose Ich-Erzählerin beunruhigt in der Jagdhütte zu Bett. Am nächsten Morgen kommt der Hund ihrer Cousine, Luchs, mit blutiger Schnauze angelaufen. Die Frau macht sich auf die Suche nach den Vermissten und stößt bald an eine durchsichtige, aber unüberwindlich scheinende Wand, die großräumig das ganze Tal und die umgebenden Gipfel und Wälder umspannt. Nur den Gebirgsbächen gelingt es, unter der Wand durchzusickern. Ein möglicher Ausweg?
Fortan ist die Frau vom Rest der Welt getrennt und richtet sich auf diese Situation ein.
Von einem höher gelegenen Aussichtsplatz kann die Erzählerin die umliegenden Dörfer beobachten. Jegliches Leben scheint erloschen, Menschen und Tiere, die sie mit dem Fernglas erkennen kann, sind unbeweglich, sehen wie versteinert aus. Nur Pflanzen gedeihen weiterhin, die Felder und Straßen verwildern zunehmend. Es ist offensichtlich, dass sich eine Naturkatastrophe ereignet hat, nur die rätselhafte Wand hat die Erzählerin davor bewahrt, das selbe Schicksal zu nehmen wie ihre Freunde und vermutlich alle Menschen außerhalb der unsichtbaren Umfriedung.
In den folgenden Monaten lernt die völlig allein gelassene Frau, in der Natur zu überleben. Sie hat Gesellschaft durch eine zugelaufene Kuh, die sie Bella nennt, einer Katze, die bald Junge wirft, und dem treuen Jagdhund Luchs, der ihr ständiger Begleiter wird. Gelegentlich schießt sie mit dem Gewehr ihrer Cousine Wild, um ihn und sich mit Fleisch zu versorgen.
Im Folgenden durchläuft sie eine innere Wandlung, weg von der konsumorientierten, oberflächlichen Frau, hin zur vergeistigten Naturliebhaberin, die, verbunden mit harter, täglicher Arbeit, ein entbehrungsreiches Leben führen muss. Sie baut Kartoffeln und Bohnen an, isst Brennnesselspinat, lernt auf Zucker zu verzichten und entwickelt eine hohe Sensibilität für ihre Tiere und die Stimmen der umgebenden Natur. Langsam findet sie sich mit ihrem Schicksal ab.
Im ersten Jahr ihrer unfreiwilligen Isolation bringt die Kuh Bella einen Stier zur Welt. Die Erzählerin hofft auf eine erfolgreiche Rinderzucht und widmet sich inständig der Hege des Kalbs, ist doch die Milch der Kuh, neben der gelegentlichen Jagdbeute, ein unverzichtbarer Nahrungsbringer. Würde die Kuh kein weiteres Kalb gebären, wäre das Überleben der Erzählerin, auf längere Sicht, gefährdet.
So vergeht die Zeit. Aus Wochen des Alleinseins werden Monate, aus Monaten werden zwei Jahre. Als die Frau eines Tages, gemeinsam mit ihren Tieren, zu einer höher gelegenen Alm aufsteigt, auf der sie, wie im Vorjahr, die Sommermonate zu verbringen gedenkt, begegnet sie einem fremden, völlig verwahrlosten Mann, der, ohne ersichtlichen Grund, den kleinen Stier und ihren Hund mit einem Beil erschlägt. Verständnislos steht sie diesem Gewaltakt gegenüber, ohne zu zögern, erschießt sie den Fremden mit dem Jagdgewehr und wirft seine Leiche achtlos eine Geröllhalde hinab. Ihren geliebten Hund begräbt sie unter einem duftenden Strauch auf der Alm.
Der Ausgang der Geschichte bleibt offen. Nach zweieinhalb Jahren Einsamkeit beendet die Autorin ihre Aufzeichnungen, sie hat kein Papier mehr um weiter zu schreiben, die Streichhölzer werden knapp, ihre Munition geht zu Ende. Durch den Tod des kleinen Stieres, besteht keine Aussicht mehr auf Vermehrung ihres Rinderbestandes, das baldige Ende ist absehbar. Trotz der vagen Aussicht auf Selbstbefreiung, die Wand reicht nicht tief in den Boden, sie könnte sich möglicherweise frei graben, verzichtet sie bis zum Schluss ihrer Erzählung auf diese Möglichkeit, nur der Tiere wegen, überlegt sie, einen Ausgang zu schaffen, bevor sie stirbt.
In diesem Verhalten spiegelt sich wohl das Selbstbild der Autorin, deren Sicherheitsabstand zu den Mitmenschen im Laufe ihres (realen) Lebens immer größer wurde, bis sie zuletzt, innerlich völlig isoliert, ihr Dasein fristete. „Mein heutiges Leben erscheint mir, wie durch eine unsichtbare Wand, von den anderen getrennt“, wie sie selbst einmal sagte.

Fazit: Ein äußerst lesenswertes Buch, das in einem tagebuchartigen Bericht, tiefreichende Innenansichten der Hauptfigur und ihrer Entwicklung, abseits menschlicher Gesellschaft zeigt. Wie immer bei Marlen Haushofer, handelt es sich um ein sprachlich herausragendes Werk, mit fein gewobenem, hintergründigen Plot, der trotz der (scheinbaren) Monotonie der Alltagsbeschreibungen, und der bewusst schnörkellosen Sprache, nie langweilig wird. Manche Rezensenten nannten es eine weibliche Robinsonade. Dieser Auffassung kann ich mich nicht anschließen. Robinson Crusoe hatte keine Möglichkeit, die Insel zu verlassen, die Begegnung mit Freitag brachte ihm Erlösung aus seiner Isolation. Haushofers Protagonistin hingegen erschießt den einzigen Menschen der ihr begegnet ohne Anhörung. Sie könnte vermutlich ihrem Gefängnis entfliehen, deutet dies auch an verschiedenen Stellen des Textes an. Ihre Isolation ist letztlich freiwillig, beruhend auf veränderten Lebenswerten.
Bei seinem Erscheinen, 1963, konnte der Roman nicht reüssieren, erst als die erwachende Frauenbewegung der frühen Siebzigerjahre das Buch für sich entdeckte, erklomm es die Bestsellerlisten.
Klaus Antes, der Verfasser des berührenden Nachwortes, brachte es treffend auf den Punkt. „Ein Stoff, den man nur einmal im Leben schreibt.“ Die Autorin fand einfachere Worte zu ihrem Werk. Als sie das fertige Manuskript ihrem Freund und Mentor, Hans Weigel mit der Bitte um Beurteilung übergab, sagte sie nur: „Hier, eine Katzengeschichte.“

Netten Gruß,
Manuela :)

 

Hallo Manuela,
schön, wie du das Buch vorgestellt hast! Mir erging es beim Lesen ähnlich: Ich merkte schnell, dass ich da in etwas reingezogen werde, dass mir vielleicht die gute Laune für den Rest des Tages versauen, mich von meiner wohlgeordneten Alltagswelt mit all ihren Aktivitäten auf meine inneren Dreckecken zurückwerfen könnte. Doch das Buch läßt dem Leser tatsächlich Raum, es drängt sich zwar mit seiner Intensität auf, kommt aber nicht moralisierend daher. Fantastisch finde ich auch, dass es den Prozeß einer fortscheitenden Depression besser beschreibt, als es jedes Lehrbuch machen könnte, vor allem, weil es nicht mit einem kurativen Ende winkt. Ich finde Haushofer heute mehr denn je relevant, das sollte einem schon zu denken geben.
Herzlichen Dank und Gruß,
Jutta

 

Hey,
das Buch hat mich wirklich fasziniert, die Art wie es geschrieben ist, ist wirklich wunderbar! es lässt viele Stellen offen, bringt ein paar Sachen mit sich, die man kaum erwartet hätte und immer wieder neue Hoffnungen für die nächsten Jahre. Es fiel mir schwer mich hinein zu lesen, aber zum Schluss legte ich es nur schweres Herzens wieder aus der Hand.
Schade fand ich nur, dass vielen Sachen schon vergegriffen wurde, so fehlte die Spannung an den Stellen, trotzdem finde ich das Buch definitiv empfehlenswert!
LG
Frenchy

 

Ich hatte dieses Buch vor einigen Jahren gelesen. Ich fand es sehr schön. Vor allem hat mir imponiert, wie man mit einer äußerlich derart einfachen und leichten (seichten) Sprache solche Tiefe ausdrücken kann, und an keinem meiner Selbstansprüche glaube ich mehr zu scheitern. Das Buch hat mich berührt. Wenn mich die Erinnerung nicht trügt, hatte ich, das Buch zu Ende gelesen, sogar Tränen in den Augen gehabt.

-- floritiv.

 

Hallo zusammen!

Freut mich richtig, dass euch die Geschichte ebenso gut gefallen hat, wie mir. :)
@floritiv

Wenn mich die Erinnerung nicht trügt, hatte ich, das Buch zu Ende gelesen, sogar Tränen in den Augen gehabt.

Ging mir ähnlich. Aber das war bei allen ihren Werken so, die ich kenne. ;)

 

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