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Liebe?

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08.01.2002
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Liebe?

Es war der denkbar ungünstigste Zeitpunkt, als sich Peter und Lilo 1986 ineinander verliebten.
Peter befand sich in den Vorbereitungen, um nach Amerika auszuwandern. Er hatte eine der seltenen Greencards in der Lotterie gewonnen. Lilo wollte nicht mit. Aber schließlich ließ sie sich von Peters Amerikafieber anstecken und gemeinsam richteten sie eine Wohnung in San Francisco ein.
Lilo wurde in den Staaten schwanger.

Je weiter die Schwangerschaft voranschritt, desto unruhiger wurde sie.
"Ich möchte nicht hier entbinden. Ich fühle mich wohler, wenn ich in der Nähe meiner Mutter bin. Ich fliege zurück."
"Wie stellst du dir das vor? Ich hab doch grad den neuen Job. Ich versteh dich ja, lass mich erst Mal hier Fuß fassen."
"Aber zur Entbindung kommst du nach, oder?"
"Klar. Wehe, ihr beide kommt zu früh", lachte Peter und streichelte Lilos Bauch.

Der anfänglich noch intensive Kontakt über den großen Teich ebbte nach ein paar Wochen deutlich zwischen Lilo und Peter ab. Lilo, die bei ihrer Mutter weder einen PC nutzen, noch sich die damals teuren Telefonate nach Amerika leisten konnte, schickte Peter eine Postkarte: "Lieber Peter, es ist aus zwischen uns."

Peter unternahm unzählige Versuche, Lilo zu erreichen, schrieb Briefe, schickte Päckchen, rief an, wandte sich an ihre Verwandten und Freunde, blieb aber erfolglos und seine Verzweiflung wuchs.

Zum ausgerechneten Geburtstermin flog er nach Hamburg. Auf der Entbindungsstation teilte man ihm mit, dass Lilo jeglichen Kontakt zu ihm ablehne. Auf sein Drängen hin erfuhr er durch Lilos Mutter, dass er Vater einer gesunden Abigail geworden war. Das seltsame Verhalten ihrer Tochter konnte sie ihm nicht erklären. Oder sie wollte nicht; Peter war ratlos. Er hatte sich in den Staaten weder mit Lilo gestritten, noch sonstwie Meinungsverschiedenheiten gehabt. Und nun diese Abwehr.


"Ich werde behandelt wie ein Schwerverbrecher", sagte er seiner Anwältin.
Ein guter Freund, der selbst so ratlos wie Peter war, hatte ihm vorgeschlagen, einen Anwalt aufzusuchen.

"Ich verstehe das alles nicht. Ich durfte bei der Geburt nicht dabei sein, dabei hatten wir das geplant. Ich darf Lilo und mein Töchterchen nicht einmal sehen. Wir haben uns so auf das Kind gefreut und nun weigert sie sich. Ich weiß nicht, was sie gegen mich hat. Wir wollten doch gleich nach der Geburt in den Staaten heiraten und hatten schon mit den Hochzeitsplanungen begonnen. Da stimmt was nicht."
"Wir können, da Sie nur der nichteheliche Vater sind, auf Umgang klagen. Das wird eine ganze Zeit dauern. Selbst, wenn wir es im Wege der einstweiligen Verfügung zu beschleunigen versuchen, müssen Sie mit etlichen Monaten bis zum ersten Gerichtstermin rechnen."
"Und bis dahin kann ich beide nicht ein einziges Mal sehen?"
"Leider. Sie sind auf das Einverständnis der Mutter angewiesen."
"Das heißt, dass ich monatelang hier festhänge. Wovon soll ich leben und den Unterhalt für mein Töchterchen zahlen?"
"Man geht davon aus, dass Sie sich eine Arbeit suchen, damit sie bezahlen können."
"In San Francisco wartet auf mich ein guter Job. Aber wenn ich den mache, dann müsste ich laufend hin- und herfliegen und das kann ich mir nicht leisten."
"Zur Arbeit zwingen kann man Sie nicht, aber Sie würden, wenn Sie nicht irgendwie Geld heranschaffen, so behandelt werden, als seien Sie in der finanziellen Lage, den Kindesunterhalt zu zahlen."

Der Ort, an dem Peter seiner Tochter zum ersten Mal begegnete, war vor Gericht. Abigail war da schon fünf Monate alt. Die Mutter, die an Peter vorbei sah, hielt eine dick gewindelte Babymade wie ein Schild vor ihr Gesicht. Von Abigail war nur ein kleiner Gesichtsausschnitt zu sehen.
Der Säugling strampelte, man sah kleine Tritte, die sich durch die wattierte Hülle beulten, während der Familienrichter die Namen der Anwesenden in sein Diktiergerät sprach.

"Es werden die Anträge gestellt", sagte er konzentriert über das Mikrofon gebeugt und zwei Anwältinnen nickten grimmig.
"Ihnen ist schon klar, dass ein Säugling nicht ohne die Mutter stundenlang in Ihre Obhut gegeben werden kann?", tadelte der Richter den Vater.
"Das verlange ich auch nicht, aber ich habe bisher meine Tochter noch nicht ein einziges Mal sehen dürfen. So kann das nicht weitergehen."
"Sie sehen sie ja jetzt", fuhr der Richter dazwischen, "und außerdem bekommt so ein Säugling noch gar nicht mit, wer Sie sind."
"Meine Mandantin möchte auf keinen Fall, dass der Vater allein mit dem Kind ist. Sie hat große Befürchtungen", kündigte die Anwältin energisch an.
"Und weshalb möchte sie das nicht, Frau Kollegin?", funkelte Peters Anwältin.
"In Ihrem Schriftsatz steht keine Begründung, mein Mandant tappt bis heute im Dunkeln. Was ist überhaupt passiert?"

"Wenn einer hier Fragen stellt, bin ich das", bellte der Richter, "ich leite diese Verhandlung und ich ordne begleiteten Umgang zwischen Abigail und ihrem Vater an. Alle vier Wochen jeweils montags von 10-12 Uhr wird jemand vom Jugendamt dabei sein."
"Wozu begleiteten Umgang? Mein Mandant hat nichts getan. Was soll diese Bewachung?"
"Die Mutter hat doch gerade eben mitgeteilt, dass sie den Vater nicht mit dem Kind allein lassen möchte, weil sie Angst hat. Diesen Wunsch werde ich nicht übergehen", sagte der Richter und blickte auf seine Uhr.
"Das macht man doch nur, wenn die Gefahr besteht, dass der Kontakt dem Kind schaden könnte. Ich sehe hier nicht den geringsten Anlass. Was für Gründe liegen denn vor? Und einmal im Monat ist zu wenig. Wie soll da eine Beziehung zwischen Vater und Tochter entstehen?" , sagte die Anwältin.
"Meine Mandantin kann das Kind, nicht in der Zeit von 10-12 Uhr bringen, weil sie es dann gerade stillt.
"Dann eben von 12-14 Uhr", sagte der Richter.
"Könnte der Kontakt nicht lieber am Wochenende stattfinden?", fragte der Peter mit zaghafter Stimme. "Oder wenigstens nachmittags ab 17 Uhr, ich arbeite bis 16.30 Uhr und könnte dann."

Genervt klappte der Richter die Akte zu.
"Ich höre hier immer nur Forderungen und Wünsche von Ihrer Seite, Ich, Ich, Ich. Wo bleibt Ihre Liebe zu dem Kind? Wenn Ihnen die Begegnung wirklich wichtig ist, würden Sie sich frei nehmen."
"Ich bin noch in der Probezeit, da könnte das unangenehm auffallen, wenn ich einmal im Monat einen Urlaubstag nehmen muss."
"Ihre Anwältin hat gerade vor zehn Minuten den Antrag auf Umgangsrecht gestellt, wollen Sie keinen Umgang mehr?"
"Doch, selbstverständlich will mein Mandant seine Tochter unbedingt und regelmäßig sehen, um endlich eine innige Beziehung zu ihr aufbauen zu können. Da die Mutter nicht berufstätig ist, wäre es doch möglich, dass das Kind erst um 17 Uhr gebracht wird?"
"Das geht nicht, meine Mandantin teilt mit, dass Abigail dann schon schläft."
"Entweder 12-14 Uhr oder gar nicht.", sagte der Richter, "ich kann den Antrag auf Umgang auch abweisen."
"Dann eben 12-14 Uhr", antwortete Peter resigniert. Der Richter nickte mit einem "warum denn nicht gleich"-Gesichtsausdruck.

"Und teilen Sie bitte Ihrem Mandanten mit, dass er gefälligst den Kindesunterhalt zu zahlen hat. Im Voraus! Sonst klagen wir", teilte Lilos Anwältin mit, während sie ihre Robe auszog und in den Aktenkoffer stopfte.
"Hat sich Ihre Mandantin schon mal Gedanken darüber gemacht", sagte Peters Anwältin,"dass mein Mandant normalerweise in den Staaten sein Geld verdienen würde. Er hat hier gerade erst im letzten Monat eine Arbeit gefunden. Er wird zahlen, keine Sorge."

Zum 1. vom Gericht festgelegten Kontakt erschien Lilo mit einer wie am Spieß schreienden Abigail.
Eigentlich waren für die Begegnung zwischen Vater und Tochter zwei Stunden eingeplant gewesen. Da aber weder Peter, noch die Begleitung vom Jugendamt das herzzerreissende Weinen Abigails aufhalten konnten, wurde der Säugling Lilo vorzeitig zurückgegeben. In den Armen der Mutter beruhigte sich Abigail sofort.

Im nächsten Monat ging der Vater in angespannter Erwartung, wieder ein schreiendes Kind vorzufinden, zum Treffen. Die Mutter erschien nicht. Statt dessen rief ihre Anwältin das Jugendamt an und teilte mit, dass Abigail erkältet sei. Auf die Frage, wieso man erst unmittelbar vor dem Termin informiere, wurde fadenscheinig begründet.

"Ich bin sehr beunruhigt", sagte der Vater seiner Anwältin. "Letztens rief mich eine Bekannte von Lilo an. Sie hat kürzlich Abigail mit Pflastern verklebten Ohren gesehen und mit kahlrasiertem Kopf. Abigail soll keine abstehenden Ohren bekommen und die Haare sollen angeblich durch häufiges Kahlrasieren kräftiger nachwachsen. Da stimmt doch mit der Mutter etwas nicht."
"Das ist schon seltsames Verhalten", sagte die Anwältin, "es stellt sich die Frage, wie wir das verhindern können, dass die Mutter das Kind quält. Ich schlage vor, dass wir uns an das Jugendamt wenden und davon Mitteilung machen."

Die Dame vom Jugendamt hörte sich den Bericht des Vaters gewissenhaft an. Ob sie wegen Arbeitsüberlastung nichts unternahm oder aber, weil ihr die geschilderten Vorfälle nicht wichtig erschienen, erfuhr Peter nicht.

Zum dritten Kontakttermin erschien die Mutter mit einer tief schlafenden Abigail. Weder Peter, noch die Begleiterin vom Jugendamt getrauten sich, das Kind aus dem Schlaf zu holen. Das klägliche Weinen bei der 1. Begegnung war ihnen noch in deutlicher Erinnerung. So schoben sie während der gerichtlich bewilligten zwei Stunden den Kinderwagen durch die Häuserschluchten und gaben den Säugling an die Mutter zurück, ohne dass Abigail die Augen aufgeschlagen hatte.

"Ich weiß nicht, wie das weitergehen soll", sagte der Vater zu seiner Anwältin, "dieses Mal hat Abigail wenigstens nicht geschrien. Das tat beim ersten Mal furchtbar weh, die Lütte so aufgebracht erleben zu müssen. Da fragt man sich: was tue ich dem Kind bloß an? Dabei will ich sie doch nur endlich kennenlernen und erleben und sie mit mir vertraut machen. Sie ist mir immer noch so fremd. Und Lilo, die redet nach wie vor keine Silbe mit mir. Ich versteh es nicht. Was ist bloß los mit ihr?"

Ein paar Tage später entdeckte Peter zufällig Lilo in einem Eiscafé. Sie saß dort mit zwei Freundinnen und schaukelte eine glatzköpfige Abigail auf dem Arm. Als Peter freudestrahlend alle begrüßte, verstaute Lilo den Säugling rasch in den Kinderwagen und legte einen Sichtschutz darüber. Sie forderte ihn auf, wegzugehen.

Kurz vor dem vierten Umgangstermin erhielt das Gericht ein Schreiben von Lilos Anwältin, in welchem sie mitteilte, dass es keine Kontakte mehr geben werde. Abigail müsse vor dem Vater geschützt werden. Man habe bei ihr festgestellt, dass sie im Genitalbereich wund gescheuert sei.

"Mit der Mutter stimmt etwas nicht", teilte der Vater seiner Anwältin mit. "Ich habe das Kind nicht angerührt. Ganz im Gegenteil. Die Dame vom Jugendamt und ich, wir sind extra leise gewesen, damit Abigail nicht geweckt wird. Wir haben sie nicht einmal aus dem Kinderwagen genommen. Was die Mutter da behauptet, ist ungeheuerlich und zugleich lächerlich. Ich weiß nicht, wie ich darauf reagieren soll."
"Wir brauchen so schnell wie möglich die Stellungnahme der Jugendamtsdame und gleichzeitig werden wir dem Gericht mitteilen, dass wir Zweifel an den Fähigkeiten der Mutter haben, Abigail zu betreuen. Das Schlimme ist nur, dass Sie in der Zwischenzeit ihr Töchterchen wiederum nicht sehen werden."

Vier Monate später erschienen die Parteien erneut vor einem missgelaunten Richter, der kopfschüttelnd die Akte aufschlug und sagte:
"Ich war davon ausgegangen, dass ich Sie hier nie wieder sehe. Aber gut, wenn Sie es nicht anders wollen, dann muss eben ein Sachverständigengutachten klären, ob der Umgang zwischen Vater und Abigail künftig zu unterbleiben hat."
"Mein Mandant und auch die Dame des Jugendamtes versichern, dass die Vorwürfe der Mutter völlig haltlos sind", sagte die Anwältin, "wir brauchen keinen Sachverständigen dafür."
"Das werden Sie schon noch mir überlassen, was wir brauchen und was nicht", erwiderte der Richter eisig.

Die Sachverständige benötigte für ihr Gutachten sieben Monate. In dieser Zeit sah Peter seine Tochter kein einziges Mal und erfuhr auch sonst nichts von ihr.

"Wissen Sie, ich grübele Tag und Nacht, was die Ursache dafür ist, dass Lilo nichts mehr von mir wissen will", sagte Peter seiner Anwältin.
"Und wie soll mein künftiges Leben eigentlich aussehen? Ich will mir doch meine Existenz in Amerika aufbauen. Meine Eltern und Geschwister leben schon dort und warten auf mich. Aber soll ich meine Tochter hier einfach zurücklassen? Lilos Freunde sagen, sie habe sich nach der Geburt auch von ihnen zurückgezogen. Die wenigen, die noch Kontakt zu ihr haben, wissen nichts. Oder sagen nichts. Ich weiß nicht weiter. Ob das Gutachten Erkenntnisse bringen wird?"


Das tat es. Die Sachverständige hatte ermittelt, dass Lilo psychisch erkrankt war. Einem Trauma ähnlich sei sie nicht in der Lage, sich und das Töchterchen getrennt zu betrachten. Sie leide unter Ängsten, die vermutlich bereits in frühester Kindheit entstanden waren. Aus Furcht handele sie wie eine Übermutter, um sich und das Kind vor allen Übeln zu schützen. Weshalb ausgerechnet Peter bei Lilo eine derartige Reaktion auslöse, konnte die Sachverständige nicht ermitteln, vermutete jedoch, dass jeder andere männliche Partner auch zum Feindbild geworden wäre.

Zur Frage, ob der Kontakt zum Vater für Abigail schädlich sei, verwies die Sachverständige auf die Ängste der Mutter, die sie auf das Kind unweigerlich übertrage. Sie beurteile daher den Kontakt zwischen Vater und Kind sehr kritisch, obwohl er dem Grunde nach sehr wünschenswert sei. Die frei von der Mutter erfundenen Vorwürfe, der Vater habe das Kind sexuell belästigt, seien Ausdruck dieser Ängste. Lilo wurde dringend geraten, eine therapeutische Behandlung zu beginnen. Jedoch bescheinigte die Sachverständige ihr auch, dass sie in der Lage sei, sich um Abigail ausreichend zu kümmern und dass keine erzieherischen Defizite vorlägen.
Ob der Kontakt zwischen Vater und Tochter künftig stattfinden solle, sei am Ende nicht entscheidbar bzw. setze voraus, dass die Mutter ihre Ängste abzubauen lerne.

"Heißt das nun", fragte Peter seine Anwältin, "dass Lilo starke psychische Probleme hat, aber trotzdem als Mutter uneingeschränkt geeignet ist?"
"Das heißt es. Das Hauptproblem ist aber, dass die Sachverständige sich nicht klar für einen regelmäßigen Kontakt zwischen Ihnen und Abigail ausgesprochen hat. Wir sind also auf den Richterspruch angewiesen."
"Aber wenn Lilo, wie ihr geraten wurde, sich in die Therapie begibt, dann kann ich doch hoffen, dass alles besser wird."
"Sie vergessen, dass niemand gezwungen werden kann, sich therapieren zu lassen. Wenn Lilo nichts unternimmt, haben wir keine Macht, es zu ändern."
Peter sackte in sich zusammen.

Der Richter entschied auf seine schon bekannte unwirsche Art, dass Peter weiterhin das Recht erhalte, im Beisein der Dame des Jugendamtes, Abigail einmal im Monat für 2 Stunden zu begegnen.

"Und was passiert", fragte Peters Anwältin, "wenn die Mutter sich wiederum weigert, das Töchterchen zu übergeben?"
"Was dann passiert, Frau Rechtsanwältin, muss ich Ihnen ja wohl nicht erklären. Ich mache hier keine Rechtsberatung für Anwälte. Sie wissen selbst, dass das Kind nur mit Hilfe des Gerichtsvollziehers und zur Not mit Hilfe der Polizei rausgeholt werden kann."

Wie befürchtet, erschien Lilo nicht mit Abigail.

"Ich gehe zurück in die Staaten", sagte Peter seiner Anwältin. "Sie haben mir ja erklärt, dass es keinen Sinn macht, das Kind mit dem Gerichtsvollzieher von der Mutter wegzuholen. Es wäre unmenschlich, sie so wegzuzerren. Ich bin dazu nicht bereit. Es ist ja schon schlimm genug, dass Abigail mit dieser Mutter geschlagen ist, da muss ich nicht noch zu ihrer zusätzlichen Traumatisierung beitragen. Ich habe lange darüber nachgedacht. Aber ich gebe auf. Ich werde versuchen, das alles zu vergessen."
"Ganz vergessen werden Sie Ihre Tochter aber nicht können", sagte seine Anwältin, "Sie müssen jeden Monat für Abigail den Unterhalt bezahlen. Vielleicht möchte Ihre Tochter irgendwann einmal Kontakt zu Ihnen aufnehmen. Bewahren Sie die ganzen Gerichtsunterlagen gut auf. Kann sein, dass Sie ihr dann erklären müssen, weshalb Sie sich all die Jahre nicht gemeldet haben."

Peter flog in die Staaten zurück, heiratete später dort eine Amerikanerin und bekam mit ihr zwei Söhne. Von Abigail erfuhr er nichts mehr.

 
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Genau das, zigga, fände ich verkehrt. Weil der Leser dann sagen könnte: Ist ja alles nicht so, wie es geschrieben ist.
Diese Kurzgeschichte soll nicht unterhalten, so wie offshore es fordert, sie soll tatsächlich etwas bewirken.
Ich finde, das schließt sich gegenseitig nicht aus - wenn eine Geschichte gut unterhält, aber Hand und Fuß hat, und man dem Erzähler alles 100% so abkauft, was will man mehr? Mein Kettensägenbeispiel war nicht ganz ernst gemeint, das wirst du dir schon gedacht haben. Ich würde lakita auch nie empfehlen, einen Plot so zu modifizieren, dass er "übertrieben" vorkommt oder nicht mehr zu 100% authentisch ist - aber wenn man hier und da richtig dosiert und die Figuren so anlegt, dass sie in entscheidenden Situationen gewisse Entscheidungen treffen, die insgesamt dann zu einem - wenn auch nicht 100% in der Realität passierten - Höhepunkt kommen, und sich die Prämisse, die Aussage des Textes dadurch bloß verstärkt und intensiver für den Leser wird, fände ich es für einen Text und Autor einen großen Gewinn. Aber da muss jeder selbst schauen, was sich richtig für sich selbst anfühlt, und wo man hin will.

 
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bernadette schrieb:
Diese Kurzgeschichte soll nicht unterhalten, so wie offshore es fordert, sie soll tatsächlich etwas bewirken.

Sorry, bernadette, aber du interpretierst meinen Beitrag wirklich vollkommen falsch.

offshore schrieb:
Ich will mich durch einen „belletristischen“ Text (in einem „Literaturforum“!) auf andere Art und Weise betroffen machen lassen, als z.B. durch Nachrichtensendungen, Zeitungsartikel, Reportagen usw.
[...]
Da muss einfach auf der sprachlichen, auf der stilistischen Ebene noch irgend eine Art von Mehrwert dazukommen, damit ich von einem wahrhaftigen, verstörenden Leseerlebnis reden kann.

 

Hallo lakita,

hmm also, ich weiß nicht so recht ...
ernst offshore hat geschrieben, er habe das Gefühl, der Einzige zu sein, dem diese Art von Text nicht gefalle und ich muss sagen: Nein, nicht der Einzige, ich bin auch nicht ganz warm geworden damit.

Vorab möchte ich sagen: ich mag es, wenn ein Text kühl und nüchtern geschrieben ist und ja, ich finde, dass gerade diese schlichte Art oft viel eindrucksvoller wirkt als jeder gefühlvoll geschriebene Text. Ich habe (abgesehen von "Tabu") alles von Schirach gelesen und mag ihn als Autor sehr. Trotzdem konnte mich dieser Text nicht so berühren. Ich glaube, es ist zu viel Alltägliches drin - und das dann noch in einer nüchternen Sprache erzählt, das wirkt auf mich nicht. Dafür hätte es zumindest an der ein oder anderen Stelle einen Einblick in Peters Innenleben gebraucht, eine Besonderheit, eine persönliche Note, irgendetwas, was Peters Schicksal für mich als Leser einzigartig macht.

Also, so ist das für mich tatsächlich zum Teil wie ein Fall aus einem Juralehrbuch, oder wie eine Reportage - sie macht betroffen, ich finde die Geschehnisse traurig - aber sie berührt mich nicht wie eine Geschichte.

Was ich grad überlege: vielleicht hätte es gewirkt, wenn es NOCH mehr eingedampft wäre, also z.B. mit Verzicht auf die wörtlichen Reden, z.B. in der Verhandlung? (Wenn ich mich recht erinnere, waren Schirachs Texte auch immer recht knapp, aber da mag ich mich täuschen)

Noch paar einzelne Stellen (hab mir nicht alle Kommentare durchgelesen, vielleicht wiederhole ich was), einfach paar Gedanken dazu:

"Ich verstehe das alles nicht. Ich durfte bei der Geburt nicht dabei sein, dabei hatten wir das geplant. Ich darf Lilo und mein Töchterchen nicht einmal sehen. Wir haben uns so auf das Kind gefreut und nun weigert sie sich. Ich weiß nicht, was sie gegen mich hat. Wir wollten doch gleich nach der Geburt in den Staaten heiraten und hatten schon mit den Hochzeitsplanungen begonnen. Da stimmt was nicht."
das klingt sehr hölzern, war das auch Absicht?

"Zur Arbeit zwingen kann man Sie nicht, aber Sie würden, wenn Sie nicht irgendwie Geld heranschaffen, so behandelt werden, als seien Sie in der finanziellen Lage, den Kindesunterhalt zu zahlen."
Den Satz versteh ich irgendwie nicht :D

"Sie sehen sie ja jetzt", fuhr der Richter dazwischen, "und außerdem bekommt so ein Säugling noch gar nicht mit, wer Sie sind."
geht es beim Umgangsrecht nur darum, dass das Kind davon etwas merkt? Ist das nicht auch ein Recht der Eltern? (ist eine ernst gemeinte Frage, interessiert mich wirklich)


"Und weshalb möchte sie das nicht, Frau Kollegin?", funkelte Peters Anwältin.
hmm ... "funkeln" ist doch kein Synonym für "sagen". Ich weiß natürlich, wie du's hier meinst, aber ich finde trotzdem, dass es nicht passt.

Zum 1. vom Gericht festgelegten Kontakt
hier würde ich "ersten" schreiben

Das klingt jetzt alles mega negativ, aber so ist meine Kritik nicht gemeint - ich konnte halt persönlich nicht so viel mit der Art des Textes anfangen. (Das Thema find ich toll und ich finds immer interessant, Geschichten aus dem Bereich der Justiz zu lesen)

Ich hoff, du konntest mit meinen Anmerkungen was anfangen!

Liebe Grüße,

Tintenfisch

 

Liebe Lakita,

eigentlich wollte ich mich nicht zu deinem Text äußern, weil z.B. ernst offshore und Bea Milana u.a. schon genau das ausgedrückt haben, was mir auch zu ihm eingefallen ist. Dein Text erschüttert den Leser, aber es ist mMn der Sachverhalt, der erschüttert, nicht seine literarische Aufarbeitung.
In deinem Text bleibst du sehr nah am aktenmäßig nachvollziehbaren Geschehen. Die Hintergründe der Personen werden so thematisiert, wie sie sich aus den Protokollen erschließen lassen. Und so entwickelst du dem Leser diese kafkaeske Situation. Die Aussichtslosigkeit der Handlungen Peters wird erfahrbar und die Unmenschlichkeit des juristischen Alltagsgeschehens berührt uns. Und in der Tat, deine über weite Strecken sachliche Darstellung unterstreicht noch diese Unmenschlichkeit.

Du bleibst in deiner Geschichte sachlich, stellst einfach nur dar, was geschehen ist, lässt das Geschehen für sich wirken. Da empfinde ich die Stimme des Autors an Stellen wie diesen, beinahe störend

"Wenn einer hier Fragen stellt, bin ich das", bellte der Richter,

Genervt klappte der Richter die Akte zu.

weil du hier die sachliche Ebene verlässt und mich mit Bewertungen des Autors konfrontierst. Ich bin mir nicht sicher, ob du nicht vielleicht konsequenterweise auch auf sie verzichten solltest.

Ob ich weitere Texte in dieser Art lesen möchte, habe ich mir überlegt. Ja, u.U., aber es würde mir wohl in erster Linie um den Inhalt, um den in ihnen dargestellten Fall, gehen. Über den könnte ich am Ende nachdenken, mich entrüsten oder erschüttert sein. Er würde im Mittelpunkt meines Interesses stehen, nur bedingt das literarische Können des Autors.

Von Schirach ist schon erwähnt worden. Es ist mMn nicht die Frage, ob es um Privat- oder Strafrecht geht, es ist die Frage, ob ich hier Literatur vor mir habe oder nicht. Auch bei Schirach bin ich mir nicht immer sicher, inwieweit er mit literarischen Maßstäben zu messen ist. Aber mich überzeugt sein ganz spezieller Stil, seine Fähigkeit, mir mit seinen Worten die ganze Komplexität des Hintergrundes des Geschehens und der einzelnen Personen nahe zu bringen – und, auch das ist wichtig, mich gleichzeitig packend zu unterhalten. Am Ende habe ich bei ihm häufig das Gefühl, nicht nur einen authentischen Fall gelesen zu haben, eine gute Geschichte, die nicht nur die Oberfläche skizziert, sondern auch einen Text, der mich sprachlich beeindruckt.

Fazit: Mich hat der Fall, den du darstellst, erschüttert in seiner ganzen kafkaesken Ausweglosigkeit. Und ich finde auch die sachliche Darstellung adäquat. Es fällt mir allerdings schwer, die eigentliche sprachliche und inhaltliche Leistung des Autors zu erkennen.

Liebe Grüße
barnhelm

 

Hallo an alle,
ich schlage vor, wir lassen die Autorin einfach mal Luft holen. Hier kommt ja einiges zusammen an teilweise recht eindringlichen Argumenten.
Und vielleicht lassen wir auch mal Ferdinand von Schirach aus dem Spiel. Das wird mittlerweile in der Diskussion auch falsch wiedergegeben. Lakita hat ja nirgendwo geschrieben, dass der Schirach ihr Ideal wäre oder dass sie sich stilistisch nach ihm richten würde. Sie will ihn mal angucken, okay, aber das würde doch jeder wohlmeinende Mensch schreiben, wenn ein Kommentator ihn drauf anspricht. Friedel hatte Schirach erwähnt und ich danach in Unkenntnis seiner Erwähnung, aber nur als Lesebeispiel zu der Thematik als solcher und als Hinweis, dass ein nüchterner unpathetischer Stil nicht verkehrt sein muss und dass ich mich an Schirach erinnert fühlte. Aber für meine Erinnerung kann ja lakita nichts. Ich fände es einfach unpassend, wenn wir lakita jetzt in Schuhe drängen, die sie sich gar nicht anziehen wollte.
Und ansonsten sollte man vielleicht auch mal überlegen, ob man die Diskussion über den Schreibstil (Kann ein sachlicher, protokollartiger Stil überhaupt literarisch sein) auch auslagern sollte. Die Autoren geraten oft in eine ziemliche Rechtfertigungsrolle für ihre literarische Entscheidung. Und vielleicht will oder kann ein Autor sich (noch) gar nicht entscheiden. Ich hab das jetzt schon ein paar mal erlebt - und ich wollte es wenigstens mal zu bedenken geben.
Dann könnten wir anderen diskutieren, dass es knallt und spritzt, aber wir üben keinen Druck aus.
Viele Grüße

 
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Liebe lakita,

es wundert mich kein bisschen, dass über deinen Text eine lebhafte Diskussion entbrannt ist. Schließlich geht es hier um nichts weniger als das Selbstverständnis des Forums. Welche literarische Ästhetik ist welchem Sachverhalt angemessen? Gibt es dafür eindeutige Kriterien, und wenn ja, welche sind das?

Über den Sachverhalt in deinem Text gibt es keinen Zweifel: Die Empörung über ein unzulängliches Rechtssystem, das Gerechtigkeit schaffen will und soll, ist bei allen Kommentaren vorhanden. Aber wie sollen die Tatbestände eingekleidet werden?

Du hast dich für eine ästhetisch zurückgenommene Darstellungsweise entschieden, um den Fakten besondere Wucht zu verleihen. Bei mir hat das funktioniert. So konnte ich meine eigene Betroffenheit und Empörung ungefiltert spüren. Allerdings gab es Stellen, wo du dieses Gestaltungsprinzip durchbrochen hast, wobei ich es durchaus für möglich halte, dass Absicht dahintersteht. Vielleicht brauchtest du als Autorin dieses Ventil. Aber die grundsätzliche Strenge scheint mir eine angemessene Darstellungsweise, es muss aber nicht die einzig denkbare sein.

In diesem Zusammenhang fällt mir die Diskussion um Celans "Todesfuge" ein. Damals war die Empörung riesengroß, nämlich um die Vermessenheit Celans, das Grauen der Gaskammern in den Konzentrationslagern ästhetisch "genießbar" zu machen. Ein Gedicht, das mir immer wieder neue Schauer über den Rücken jagt, gerade wegen seiner unbestrittenen Brillanz. Celan als Überlebender des Holocaust sah für sich keine andere Möglichkeit, mit den Fakten umzugehen.

Was die Verbindung von Ästhetik und Grauen angeht, gibt es ja auch im Forum Beispiele. Ich denke da an ernst offshore und seine Geschichte "Jorska", die auch Kontroversen gestiftet hat.

Ich für mich glaube, dass persönliche Dispositionen eines Autors nicht beliebig ersetzbar sind. Wie denn auch, es sind ja die Lebenserfahrungen, die in jede Geschichte einfließen. Ich respektiere das.

Was das Handwerk des Schreibens angeht, wird hier im Forum tolle Arbeit geleistet, sowohl für die Anfänger (ich bewundere die Moderatoren!) als auch für diejenigen Autoren, die sich schon einen Namen gemacht haben.

Diese Bandbreite fasziniert mich. Das musste ich mal loswerden.

LG wieselmaus

 
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Hallo lakita,

das ist eine dieser Geschichte über das Versagen des Rechtssystems, wie sie wahrscheinlich zu Tausenden in den Akten unserer Gerichte schlummern und von denen immer mal wieder besonders krasse Fälle in den Nachrichten landen.

Da ich der festen Überzeugung bin, dass im Zivilrecht jedes Rechtssystem versagt, wenn eine Partei "verrückt" ist und/oder ein Richter unwillig, schockt mich die Geschichte nicht so sehr, sondern löst bei mir die Frage aus, wie man das System verbessern kann (auf die Menschen hat man schließlich keinen oder nur geringen Einfluss).

Ich sehe Deinen Versuch, Kanzleifälle aufzuarbeiten, zwiegespalten. Einerseits finde ich den protokollartigen Stil der Sache angemessen, da Du einen wahren Sachverhalt wiedergeben möchtest. Damit stellst Du auch sicher, dass Du Deine eigenen Emotionen in dem Fall heraushältst. Dadurch schaffst Du aber andererseits die Schwierigkeit, dass Du nicht losgelöst eine fiktive Geschichte mit allen Stilmitteln schreiben kannst, die Dir zur Verfügung stehen.

Mein rein spekulativer Eindruck ist, dass Du zu nahe an dem Fall dran bist oder es Dir schwer fällt, Dich richtig freizumachen, um die Geschichte nicht protokollartig zu erzählen.

Die Lösung ist aus meiner Sicht, entweder mit dem protokollartigen Stil zu leben und diesen zu verfeinern oder Deine Kanzleifälle als Inspiration für rein fiktive Geschichten zu nehmen.

Ich hoffe, diese Außensicht hilft Dir ein wenig.

Gruß
Geschichtenwerker

 

Hallo lakita,

ich habe die anderen Kommentare nur sehr grob überflogen, aber ich habe mitbekommen, dass es eine breite Diskussion über den Stil deiner Geschichte gibt. Dazu muss ich sagen, dass mir der Stil erst mal völlig egal ist, weil mich deine Geschichte auf der inhaltlichen Ebene einfach gepackt hat. Wenn ich eine Überschrift für meine Lesart des Textes geben sollte, wäre es etwas in der Richtung von: Väter in den Mühlen der Familienjustiz.

Wie einige andere Leser auch bin ich im Laufe des Lesens immer wütender geworden. Ich konnte die Verzweiflung des Vaters nachfühlen, trotz oder gerade wegen des betont sachlichen Stils, in dem du schreibst. Ich glaube, gerade durch den Verzicht auf sprachlichen Pathos und gewollt emotionale Formulierungen entfalten die Fakten des Falles ihre Wirkung, zumindest bei mir. Und dass es tatsächlich Fakten eines realen Falles sind, habe ich erst danach gelesen; das macht es noch mal schlimmer. Vielleicht lese ich deine nächste Geschichte lieber nicht beim Frühstück. ;)

Nun bist du ja die Juristin, und wenn der Fall eh echt ist, verbieten sich die Zweifel fast von selbst, aber wenn es eine erfundene Geschichte wäre, hätte ich ein paar Dinge als wenig plausibel moniert. Zuvorderst diesen absolut sturen und kompromisslosen Richter: Was wäre dem denn bitte für ein Zacken aus der Krone gefallen, wenn er die Besuchszeiten aufs Wochenende gelegt hätte? Ist doch absolut nachvollziehbar, dass Peter auch mal arbeiten muss? Oder die Anwältin der Mutter: Hat die nie selbst hinterfragt, was bitte die Sorgen ihrer Mandantin sind in Bezug auf den Umgang des Vaters mit dem Kind? Muss man als Anwalt immer knallhart das Maximum fordern/durchsetzen, egal ob das der Sache angemessen ist? Aber offensichtlich ist da die Realität einfach nicht plausibel. Bitte sag mir, dass das wenigstens seltene Fälle sind ... :shy:

Man hätte sich vielleicht wünschen können, hier etwas über die Motivationslage z.B. des Richters zu erfahren, aber die steht natürlich nicht im Fokus des Textes. Vielleicht verstärkt das sogar noch das Gefühl der Ohnmacht aus Peters Sicht, wenn man nicht einmal weiß, warum die Obrigkeit so unerbittlich sachfremd entscheidet. So ein bisschen wie in einem Horrorfilm (weit hergeholt, ich weiß), wo der oder das Böse m.E. meist stärker wirkt, wenn es mysteriös bleibt und gerade nicht erklärt wird, woher es kommt und warum es so ist, wie es ist.

Wo ist da Platz für die titelgebende Liebe? Kein Wunder, dass du sie mit einem Fragezeichen versiehst. Zwischen Peter und Lilo besteht sicherlich keine (mehr), es geht wohl eher um die Liebe zu dem Kind. Dass Lilo ihre Tochter liebt, steht wohl außer Zweifel, auch wenn sich diese Liebe gemäß Einschätzung der Gutachterin in teils krankhafter Weise äußert. Und Peter? Der hat wohl gar keine Chance, eine Beziehung zu Abigail aufzubauen, die jemals Liebe zu nennen wäre. Aber zumindest zeigt er mehr Fürsorge als alle anderen Beteiligten, indem er das größtmögliche Opfer bringt und auf den Kontakt zu seinem Kind verzichtet, damit dieses nicht zusätzlich unter dem Gezerre zwischen den Eltern leiden muss. Wie schwer muss das gewesen sein?

So weit meine Gedanken zu dem Text; wie gesagt, er hat mich gepackt. Ich bin nur froh, dass ich nie selbst in solch eine verfahrene Situation gekommen bin.

Ein paar Textstellen:

"Wie stellst du dir das vor? Ich hab doch grad den neuen Job. Ich versteh dich ja, lass mich erst Mal hier Fuß fassen."
mal (klein)

Der anfänglich noch intensive Kontakt über den großen Teich ebbte nach ein paar Wochen deutlich zwischen Lilo und Peter ab.
Das Fette würde ich weiter nach vorne stellen, vielleicht hinter "Kontakt".

Lilo, die bei ihrer Mutter weder einen PC nutzen, noch sich die damals teuren Telefonate nach Amerika leisten konnte, schickte Peter eine Postkarte
Kein Komma hinter "nutzen".

Er hatte sich in den Staaten weder mit Lilo gestritten, noch sonstwie Meinungsverschiedenheiten gehabt.
Kein Komma nach "gestritten".

Die Mutter, die an Peter vorbei sah, hielt eine dick gewindelte Babymade wie ein Schild vor ihr Gesicht.
Besser: wie einen Schild. Auch wenn die Unterscheidung zwischen Schild (maskulin) und Schild (Neutrum) allmählich verschwindet.

"Meine Mandantin möchte auf keinen Fall, dass der Vater allein mit dem Kind ist. Sie hat große Befürchtungen", kündigte die Anwältin energisch an.
"Und weshalb möchte sie das nicht, Frau Kollegin?", funkelte Peters Anwältin.
"In Ihrem Schriftsatz steht keine Begründung, mein Mandant tappt bis heute im Dunkeln. Was ist überhaupt passiert?"
"Wenn einer hier Fragen stellt, bin ich das", bellte der Richter, "ich leite diese Verhandlung und ich ordne begleiteten Umgang zwischen Abigail und ihrem Vater an. Alle vier Wochen jeweils montags von 10-12 Uhr wird jemand vom Jugendamt dabei sein."
"Wozu begleiteten Umgang? Mein Mandant hat nichts getan. Was soll diese Bewachung?"
"Die Mutter hat doch gerade eben mitgeteilt, dass sie den Vater nicht mit dem Kind allein lassen möchte, weil sie Angst hat. Diesen Wunsch werde ich nicht übergehen", sagte der Richter
Ist mir unbegreiflich, dass die Frage von Peter bzw. seiner Anwältin nach den konkreten Befürchtungen der Mutter so komplett übergangen wird. Das ist doch ein zentraler Punkt des Ganzen?!

Bei der Gelegenheit die Frage: Gibt/gab es im Familienrecht gar nicht so etwas wie eine Berufungsinstanz?

"Ich höre hier immer nur Forderungen und Wünsche von Ihrer Seite, Ich, Ich, Ich.
Also, ich höre immer nur "will nicht, kann nicht, geht nicht" von der Mutter ...

"Hat sich Ihre Mandantin schon mal Gedanken darüber gemacht", sagte Peters Anwältin,(Leerschritt)"dass mein Mandant normalerweise in den Staaten sein Geld verdienen würde. Er hat hier gerade erst im letzten Monat eine Arbeit gefunden. Er wird zahlen, keine Sorge."

Da aber weder Peter, noch die Begleitung vom Jugendamt das herzzerreissende Weinen Abigails aufhalten konnten, wurde der Säugling Lilo vorzeitig zurückgegeben.
Kein Komma hinter "Peter".

Sie hat kürzlich Abigail mit Pflastern verklebten Ohren gesehen und mit kahlrasiertem Kopf.
Das bräuchte theoretisch ein doppeltes "mit": mit mit Pflastern verklebten Ohren (= mit Ohren, die mit Pflastern verklebt sind). Oder umformulieren.

Abigail soll keine abstehenden Ohren bekommen und die Haare sollen angeblich durch häufiges Kahlrasieren kräftiger nachwachsen. Da stimmt doch mit der Mutter etwas nicht.
Ich weiß nicht, wie viele Leute in den Achtzigern noch geglaubt haben, dass diese Methoden funktionieren, aber sie waren auf jeden Fall jahrzehntelang gängig, davon habe ich auch in den späten Neunzigern noch gehört.

Weder Peter, noch die Begleiterin vom Jugendamt getrauten sich, das Kind aus dem Schlaf zu holen.
Kein Komma hinter "Peter". (Du merkst: das moniere ich immer bei den Weder-noch-Konstruktionen.)

Kurz vor dem vierten Umgangstermin erhielt das Gericht ein Schreiben von Lilos Anwältin, in welchem sie mitteilte, dass es keine Kontakte mehr geben werde. Abigail müsse vor dem Vater geschützt werden. Man habe bei ihr festgestellt, dass sie im Genitalbereich wund gescheuert sei.
Wie kann sie mit so was durchkommen? Peter ist doch nie allein mit dem Kind, die Frau vom Jugendamt ist immer dabei?

Ich merke schon, ich rege mich wieder auf ... nun ja, ich fahre jetzt zum Sport, da kann ich Adrenalin abbauen. Ein starker Text!

Grüße vom Holg ...

 

Liebe lakita,

ich habe nicht alle Kommentare gelesen. Aus familiären Gründen möchte ich mich kurz fassen, denn meine inhaltliche Meinung ist diffus, unpopulär, nicht repräsentativ und ich sehe keinen Sinn darin mehr, hier irgendeinen Streit vom Zaun zu brechen, vor allem nicht bei so einem sensiblen Thema und nicht auf dieser Plattform. Frei nach Dieter Nuhr erlaub ich mir einfach mal, die Klappe zu halten.

Der Stil ist gut gewählt. Allerdings hätte ich mir gewünscht, wenn es auch emotionalere, expressivere Passagen in dem Text gäbe, Kontrapunkte zur kalten Gerichtsmalletristik. So fiel es auch mir schwer, mit den Figuren irgendein Mitgefühl zu haben.

Der Text wurde für mich ab dann unglaubwürdig, als Abigail zum zweiten Mal an den Vater übergeben wurde, und sie nur schlief, während der ganzen Zeit kein Auge auftat. Ich habe kein fundiertes Wissen, aber die ungefähre Ahnung, dass das Baby in der Situation hätte bald aufwachen müssen: einfach aus dem schlichten, biologisch untermauerten Grund – das Riechhirn ist der älteste und am tiefsten verwurzelte Hirnteil überhaupt – dass die Duftstoffe der nicht mehr anwesenden Mutter fehlen, wie überhaupt das olfaktorische Milieu der üblichen Schlafumgebung, und der natürliche Schlafrhythmus des Kindes daher keine derart langen Tiefschlafphasen aufweisen kann, wenn überhaupt. Ich mag da vollkommen falsch liegen, ich habe da null Erfahrung, das ist wie gesagt nur eine Ahnung; dies lässt für mich jedenfalls nur einen Schluss zu: Dem Kind wurden starke Schlafmittel verabreicht, was meines Erachtens den Verdacht der mutterseitigen Kindesmisshandlung rechtfertigen würde.

Dass in deiner Geschichte im Gerichtssaal diese Vermutung niemals aufs Tapet gebracht wurde, wie auch immer sie dann juristisch bewertet worden wäre, hat mich irritiert. In der Nachbetrachtung hat der Text für mich an der Stelle verloren.

Nebenbei: Dürfen eigentlich auch Prozessbeobachter in den Zuschauerrängen Eingaben machen? Vermutlich nicht. Hätte dann wohl den Raum verlassen, denn diese Blindheit der Justiz wär mir unerträglich.

Details:

"Zur Arbeit zwingen kann man Sie nicht, aber Sie würden, wenn Sie nicht irgendwie Geld heranschaffen, so behandelt werden, als seien Sie in der finanziellen Lage, den Kindesunterhalt zu zahlen."
Verstehe ich nicht. Wie wäre der umgekehrte Fall? Würde er "irgendwie Geld heranschaffen", wäre er denn plötzlich nicht in der Lage, den Kindesunterhalt zu zahlen? Paradox. Jedenfalls unglücklich formuliert.
Der Ort, an dem Peter seiner Tochter zum ersten Mal begegnete, war vor Gericht.
Warum nicht >> Vor Gericht begegnete Peter seine Tochter das erste Mal?
"Und weshalb möchte sie das nicht, Frau Kollegin?", funkelte Peters Anwältin.
"In Ihrem Schriftsatz steht keine Begründung, mein Mandant tappt bis heute im Dunkeln. Was ist überhaupt passiert?"
Wozu der Absatz? Das ist ja noch der gleiche Sprechpart.
"Ganz vergessen werden Sie Ihre Tochter aber nicht können", sagte seine Anwältin, "Sie müssen jeden Monat für Abigail den Unterhalt bezahlen.
Ich würde das "aber" rausnehmen, auch das "müssen" überzeugt nicht in dieser Situation. Ich bin mir sicher, dass die Anwältin empathisch genug ist, verbal hier keine unnötige Mauer zu bauen.

So weit. Kurz noch mal zu meiner obigen Vermutung, die die Vermutung eines Laiens ist: Ich möchte hier nicht den Überrichter spielen, oder einen Rechtsgutachter, lediglich wollte ich meine Meinung zu dem Text kundtun, insbesondere, wo ich ihn unglaubwürdig fand.

Viele Grüße
-- floritiv

 
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Hallo lakita

Mich hat die Geschichte im Einstieg zuerst kalt gelassen, da die Protagonisten austauschbar, ohne persönliche Facetten, eingeführt werden und "nur" der Sachverhalt des Beziehungsbruchs mit Kind dargestellt wird.
Rasch kommt die Sparache auf die gerichtliche Auseinandersetzung. Für Gefühle bleibt da, wie auch in der Schilderung des Falls, kein Platz. Damit wuchs beim Weiterlesen in mir der Zorn über dieses Ungewisse, wie auch Peter keine Ahnung hat, warum er keinen Zugang erhält, weder zu Lilo, noch zu seinem Kind.
Mir als Leser bleibt somit kaum eine andere Wahl, als auf das Rechtssystem sauer zu sein, und so interpretiere ich diese Geschcihte auch: Eine Anklageschrift an unser(egal ob deutsches oder schweizerisches) Rechtssystem, und ihre Exekutive.
Wie von bernadette angesprochen, kenne auch ich einen Fall in meinem Bekanntenkreis, bei dem ich Kotzen könnte. Obwohl die betroffenen Kinder in einem soliden Umfeld untergebracht werden können, mischt die KESB (Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde) kräftig mit und setzt vom Gesetzgeber beschlossene Artikel 1:1 und gegen jeden gesunden Menschenverstand um. Entgegen dem Wohl der Kinder, dass es eigentlich zu schützen gilt.

Einerseits gelingt es deinem "Stil-Experiment", mich betroffen zu machen, andererseits vermisse ich gewisse persönliche Noten, die mich mit den Figuren mitleben lassen.
Wenn ich es richtig verstehe, wolltest du die Geschichte neutral darstellen, was meiner Meinung nach nicht gelingt, erlebe ich sie doch aus Peters Perspektive, aber das wäre kein Problem, würde ich mehr über die Personen erfahren.

Also ein gesunder Mix aus Berichterstattung und verbindenden szenischen Alltagsausschnitten, das würde mir gefallen.
Ich hoffe, meine Anmerkungen ermutigen dich, das Experiment fortzusetzen, denn der vorliegende Text hat mich am Ende doch nicht kalt gelassen.

Liebe Grüsse,
dot

 
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Liebe Kritiker,

ich bin erschlagen von so viel konstruktiven Gedanken und hilfreichen Stellungnahmen und Ideen.
Ich habe damit nicht gerechnet, dass diese Geschichte derartig viele Rückmeldungen auslöst und ich bin, heute sind es genau 15 Jahre meines Kurzgeschichten.de/Wortkrieger.de-Daseins, sowas von glücklich mit euch allen zusammen sein zu dürfen. Wir sind schon eine echt klasse Wortkrieger-Truppe. Ich bedanke mich bei allen recht herzlich für das Mitdenken und Mitfühlen und die tollen Diskussionsbeiträge.

Bevor ich auf euch einzeln en detail eingehe, möchte ich das präsentieren, was mir im Laufe der letzten Stunden immer deutlicher geworden ist. Daran habt ihr alle mit euren Beiträgen wunderbar mitgewirkt.

Meine Erkenntnis ist die, dass man es so, wie ich es gemacht habe, also so wie die Geschichte jetzt da steht, durchaus so machen kann, aber es erreicht eher nur eine gewisse Personengruppe, nämlich die, die einerseits wissen, dass ich vermutlich einen echten Fall geschildert habe und andererseits die, die vom Fall her bereits gefangengenommen werden. Ich habe mich darüber natürlich sehr gefreut, dass es solche Leser gegeben hat. Stehen sie doch dafür, dass ich nichts mehr verändern muss an der Geschichte und faul wie ich nun mal bin, gefällt mir dieser Status natürlich bestens. :D

Aber Scherz beiseite, mir ist klar geworden, dass so, wie die Geschichte jetzt da steht, sie nicht bleiben kann. Und da kommt ernst offshore mit seiner Forderung nach literarischer Qualität völlig berechtigt ins Spiel. Das wäre für mich die äusserste Kante dessen, wie man solch eine Geschichte verändern könnte. Ich verstehe letztendlich auch Zigga und manch anderen so, dass man aus seiner Sicht deutlich freimütiger und freizügiger, ohne den eigentlichen Kern der Aussage zu verraten, literarisch an die Sache herangehen sollte.

Diejenigen, die von mir fordern bzw. anraten, doch noch neutraler zu schildern, laufen bei mir leider keine offenen Türen ein, weil ich glaube, dass wir dann wirklich im Protokoll sind. Ich bin davon überzeugt, dass es dann ganz eindeutig ein Text werden würde, bei dem bereits der erste Moderator, der ihn liest, ihn gelöscht hätte, weil es keine Geschichte ist. Und das wäre dann auch korrekt gewesen.

Worüber ich mir noch nicht abschließend eine Antwort gegeben habe, ist die Frage, inwieweit ich mich völlig oder nur teils oder möglichst gar nicht vom wahren Sachverhalt lösen kann, um die Geschichte mehr in den Bereich der Literatur zu bringen.

Und an dieser Stelle taucht tatsächlich immer wieder das von Ferdinand von Schirach Geschriebene auf. Bea Milana hatte und das danke ich dir sehr, liebe Bea, einige Originalpassagen von Schirachschem Text hier gepostet. Ich selbst habe die zurückliegenden Stunden ebenfalls dafür genutzt, um mir ein paar seiner Geschichten anzuhören (ich habe sein Buch "Schuld" in Hörbuchform hier zu Hause). Beas Zitate sind typsich für Schirachs Umsetzung und ich habe eine Weile gebraucht, um herauszufinden, weshalb man seine Texte, mich absolut mit eingeschlossen, gut und ansprechend findet.

Hier meine Gedanken dazu: Kennzeichnend bei ihm ist, dass er schon von Haus aus mit dem Kennzeichen auftritt als Anwalt all diese Fälle erlebt zu haben. Ob das dann tatsächlich der Fall ist oder er fremde Fälle verarbeitet, ist dabei egal, es bleibt die Tatsache, dass der Leser diese Vorinformation erhält, es handele sich um wahre Begegebenheiten, die aus anwaltlicher Sicht dargestellt werden.

Das bringt bereits eine völlig andere Erwartungshaltung zutage, als z.B. hier bei uns Wortkriegern, wo ein ernst offshore völlig zu Recht Literatur erwartet und wiederum völlig berechtigterweise enttäuscht ist, dass sie nicht gepostet wurde. Hätte ich von vorneherein in einer Art Vorspann geschrieben: Liebe Leser, dies sind echte Fälle aus meiner Praxis, hätte ich bereits den Leser beeinflusst gehabt, nicht nach der Logik des Plots zu fragen, nicht das Ende zu bemängeln und so weiter.

Ein ebenfalls nicht von der Hand zu weisender Punkt ist das Thema der Geschichten. Während wir alle Straftaten als etwas betrachten, dass nicht in unserer ureigenen Welt täglich stattfindet, wir also nicht alle einen Mörder, Räuber, Vergewaltiger zum Bekannten haben, ist mein Fall bei euch vielen schon deswegen auf viel Verständnis gestoßen, weil man jemanden kannte, dem es so oder so ähnlich ergangen ist oder es vielleicht sogar hautnah selbst erleben musste. Ich habe quasi über den Alltag geschrieben, nicht über etwas Exotisches wie einen Verbrecher.

Während also die Neugierde, zu erfahren, welche Hintergründe, welche Abgründe zur Straftat geführt haben, bei mir nicht der Motor gewesen ist, die Geschichte zu lesen, hat es Herr Schirach in dieser Hinsicht deutlich einfacher.

Darauf ruht er sich aber nicht aus, sondern er hat eine hochgeschickte Form der Verpackung gewählt, die man in Bea Milanas Zitaten, die sie hier gepostet hat, wunderbar entdecken kann. Einen wahren Sachverhalt, sozusagen die Grunddaten der Tat schmückt Herr Schirach durch jede Menge erfundene Details aus und gibt den Figuren Farbe. Genau die Farbe, die ich meinen Figuren nicht gegeben habe, weil ich glaubte, der Sachverhalt sei erdrückend genug.

Was aber, wenn ihr genau hinschaut Herr Schirach tatsächlich nicht macht, ist seine Geschichte literarisch zu gestalten. Alle Informationen, die er meint, dem Leser zusätzlich zur nackten Tat hinzu geben zu müssen, erfolgen in narrativer Form. Er legt fest, was das für ein Mensch das ist, er schaut in diese Köpfe und referiert ihre Gedanken und Gefühle und weil es sich um tatsächliche Fälle handelt, kauft man ihm ab, dass er weiß, was diese Figuren gedacht, gefühlt und für Motive gehabt haben.

Das ist durchaus geschickt gemacht, aber und nun rufe ich mir ernst offshore wieder zur Seite, das ist auch keine Literatur, nicht wahr? Denn Herr Schirach macht ganz konsequent tell anstelle von show. Und das Ganze funktioniert, weil eben niemand erwartet, dass er eine literarisch ausgearbeitete Geschichte präsentiert bekommt. Während also dieses Schirach-Konzept wirklich gut durchdacht ist, ist mir klar geworden, dass ich es tatsächlich falsch angegangen bin.

Ob ich nun versuche, a la Schirach, meinen Figuren eine Kleidung zu geben, damit sie farbiger und nachvollziehbarer erscheinen oder ob ich lieber eine Geschichte erzähle, genau das weiß ich noch nicht.

Auf jeden Fall bin ich sehr zufrieden mit dieser Auseinandersetzung und all den Gedankengängen, die ihr angeschoben habt. Ich hätte wirklich nicht geglaubt, dass mir so viel durch den Kopf gehen würde, nachdem ich diese Geschichte/Text hier reingesetzt habe. Euch allen allerherzlichsten Dank.
Ich bin stolz hier zu sein. :)


So, ich poste dies erst Mal und setze dann meine Erwiderungen auf eure Antworten fort, soweit ich heute komme.

Ach noch was:
Novaks Idee, die Diskussion auszulagern, ist sehr lieb gedacht, aber ich denke, sie wurde derartig konstruktiv und sachlich bislang geführt und hatte stets unmittelbare Verbindung zur Geschichte, dass dies mir nicht notwendig erscheint.


....wird fortgesetzt.

 

Hallo!

Aufgrund einiger Kommentare habe ich darüber nachgedacht, warum es mich die spartanische Figurenzeichnung nicht sehr stört. Üblicherweise sehe ich genau diesen Punkt sehr kritisch.
Der Vater ist in der Tat auch nicht als Identifikationsfigur geeignet. Man erfährt zu wenig über ihn, aber auch über ihre gemeinsame Vergangenheit und ... naja, die üblichen goldenen Regeln der Erzählstruktur.
Aber ist der Vater eigentlich der Protagonist? Ich meine: Steht er wirklich im Mittelpunkt des Dramas und soll der Leser mit ihm mitgehen?
Oder ist hier nicht vielmehr das Kunststück gelungen, dass bei den Lesern Empathie für die Hauptfigur, das wirkliche Opfer, entsteht, ohne dass es überhaupt erscheint?
Der Vater hat zumindest die Option, sich durch Rückzug zu schützen. Aber die Auswirkungen auf ein Kind mit dieser verpeilten Mutter und ohne die notwendige Identifikation mit einem Vater sind hier die eigentliche Tragödie. Der tiefe psychologische Einschnitt einer Vaterlosen Kindheit wurde bereits seit dem Kriegsende mehrfach in der Fach- und populärwissenschaftlichen Literatur dargestellt. Nichtsdestotrotz wurde das Familienrecht und Handlungsvorgaben für Jugendämter bis heute nicht nachgeregelt. Daher sehe ich auch die Mutter nicht als entscheidenden Faktor, der zur Tragödie führt, sondern eine Gesellschaft, die sich nach außen gerne modern und aufgeklärt zeigt, aber bei solchen Fragen ein Stock-konservatives Familienbild offenbart.
Deshalb finde ich, ein tieferes Eintauchen in die emotionale Welt der Eltern unnötig. Um sie geht es gar nicht. Der Konflikt findet zwischen den Interessen des Kindes und der Gesellschaft statt.

Meine Worte erheben keinen Anspruch auf Gültigkeit, sondern sind nur Teil einer Auseinandersetzung mit dem Text und den eigenen Vorstellungen über Literatur und Funktionsweise bestimmter stilistischer Mittel.

Kellerkind

 

Ich gehe in der Reihenfolge eurer Beiträge weiter:
Isegrims
diese Idee, quasi eine Art Mosaik aus echten Schriftstücken zu zitieren, so verstehe ich dich, hat etwas. Das wäre dann nochmals eine ganz andere Herangehensweise. Danke für diese Idee.
Kanji
oh wie lieb von dir. Danke für deine aufmunternden Worte. Ich bin da (wie leider so oft) noch völlig unaufgeräumt und weiß nicht so genau, ob ich all diese saublöden Fälle, bei denen Tragisches passierte, nochmals aufrollen möchte. Du sagst da was Richtiges. Es könnte sein, dass ich auf diese Weise mich von diesen Nachhängern lösen könnte, indem ich sie mir von der Seele schreibe. Aber manchmal packt mich auch diese völlige Unlust, jemals wieder etwas Juristisches anzupacken. :D
rieger
auch dir herzlichen Dank für deine noch nachfolgenden Gedanken. Sicherlich verfolgst du mit, was ich bislang erwidert habe und es ist ja tatsächlich alles verdammt spannend. Im Grunde genommen gilt das, was wir hier alle zusammen diskutieren doch für jeden von uns. Jeder hat in seinem Leben Dinge erlebt und durchgestanden, die eine Geschichte wert wären. Und jeder hat dann sich die Frage zu beantworten, in welcher Verpackung so etwas daher kommen sollte, um die Leser zu erreichen.
Novak
dein Lob und deine Beschreibung, was die Geschichte in dir ausgelöst hat, geht mir natürlich runter wie Öl (allerdings ohne davon Durchfall zu bekommen :D ). Dafür danke ich dir sehr und habe mich über deinen Vorschlag, die Diskussion eventuell auszulagern gefreut. Diese Diskussion ist durchaus geeignet, allen denjenigen Lesern und zugleich Autoren die Augen darüber zu öffnen, wie man eigenerlebte Sachverhalte verarbeiten kann. Bisher waren aber die Rückmeldungen allesamt sehr auf meine Geschichte bezogen, so dass ich denke, es kann hier bleiben. Auf jeden Fall danke ich dir für deine Fürsorglichkeit, das war sehr lieb von dir.
Über von Schirach habe ich mich ja schon geäußert und genügend Textanalyse betrieben, das wiederhol ich hier nicht extra.
Ich finde das alles total spannend.
bernadette

auch dein Lob, auch wenn ich dir mit meiner Geschicht wohl kaum Freude bereitet haben dürfte, hat mich sehr stolz gemacht. Genau das wollte ich erreichen, was du von dir beschreibst. Mein Gefühl zu diesem Fall ist nämlich auch ein ganz ganz mieses damals gewesen. Diese Ohnmächtigkeit, dem Vater nicht helfen zu können und mit ansehen zu müssen, wie das Kind auf so perfide Art und Weise seinen Vater für immer verliert. Ich weiß noch, dass ich damals dem Mandanten gesagt habe und damals schrieb ich noch gar keine Texte, dass ich vermutlich irgendwann einmal seinen Fall als Geschichte aufschreiben möchte und bat ihn um sein Einverständnis. So sehr war mir klar, dass dies so einer dieser Fälle ist, die man ein Leben lang nicht vergisst. Und natürlich ist keineswegs immer die Mutter das Problem bei solchen Fällen, wenn auch mir auf der Stelle mindestens drei Fälle einfallen, wo sie das Problem sind. Bei den Vätern war es oft so, dass sie recht bald die Lust verloren, sich alle 14 Tage um die Kinder zu kümmern und weil es den Müttern meist so Recht war, dass der Störfaktor Vater nicht mehr mitmischte, taten sie auch nichts, um das zu ändern. Solche Fälle liefen also eher nicht anwaltsintensiv ab. Aber immer immer waren es die Kinder, die auf der Strecke blieben.
ernst offshore

dir danke ich ganz besonders, dass du so tapfer an deiner Kritik festhältst. Ich verstehe deine Forderungen verdammt gut. Du bist übrigens auch nicht allein mit deiner Ansicht, aber selbst wenn du es wärst, sie ist ja richtig. Wir sind hier auf einer Literaturplattform und wenn du bemängelst, dass dir das zuwenig literarisch ist, dann mussst du dich keineswegs an die Wand genagelt fühlen, nur weil eine Menge mit der Geschichte, so wie sie dasteht, klar kommt. Deswegen ist sie ja noch lange nicht literarisch.
Dein Einwand ist also nicht angreifbar. Und er ist gut und richtig.

Bea Milana

auch dir meinen herzlichen Dank für deine nochmalige Stellungnahme, die ausnehmend hilfreich ist.
Ich bin in dem Punkt, in welchem du mir vorhältst, ich bezöge Stellung, nicht ganz konform mit dir.
Die Zitate, die du aus meiner Geschichte rausgesucht hast, befassen sich bis auf eines, allesamt mit der Rolle des Richters und der Anwältinnen. Beim Richter beziehe ich Stellung, das stimmt. Dieser Richter wird von mir als recht tendenziös dargestellt. Aber was Peter oder Lilo anbelangt, da bleibe ich neutral, denn Peters Verzweiflung ist eine Tatsache und dass die beiden Anwältinnen tatsächlich jeweils auf der Seite ihrer Mandanten stehen und sich dementsprechend kriegerisch verhalten, ist ebenfalls nicht Stellung beziehen.
Dich ärgert, schreibst du, dass ich nicht neutral bleibe und damit quasi auf Leserfang gegangen bin.
Ich glaube nicht, dass allein der tendenziös beschriebene Richter dies auszulösen vermochte. Ein Richter übrigens, der ja nichts Ungesetzliches entscheidet, ganz im Gegenteil, Peter erhält ja am Ende immerhin weiterhin das Recht, seine Tochter zu sehen. Und dies trotz der Tatsache, dass die Mutter es nicht will.
Dein Zitat, dass von Schirach gesagt haben soll, dass die prozessuale Wirklichkeit eine andere sei als die reale, verstehe ich wahrscheinlich völlig anders als du es tust. Soweit du es auf diese Geschichte und damit den tatsächichen Fall anwenden möchtest, passt es nicht. Hier ist die prozessuale Wirklichkeit keineswegs konträr zu realen. Ein nichtehelicher Vater bekam 1986 allenfalls das Umgangsrecht zugesprochen und das wars. Die Mutter behielt quasi alle Rechte. Heutzutage könnte er das alleinige Sorgerecht beantragen. Hätte man das damals getan, hätte man gerichtlcherseits einen Lachanfall ausgelöst, denn es gab diese Möglichkeiten gesetzlich damals noch nicht. Was Schirach sicherlich meint, ist die besondere Situation bei Strafrechtsfällen. Der Anwalt verteidigt den Angeklagten mit dem Ziel des Freispruchs im günstigsten Fall. Der Anwalt macht in Bezug auf seine Tätigkeit keinen Unterschied, ob er einen unschuldigen oder einen schuldigen Angeklagten verteidigt. Sein Ziel bleibt immer der Freispruch. Gelingt es ihm, dem Schuldigen einen Freispruch oder eine geringe Strafe zu verschaffen, ist die prozessuale Wirklichkeit nicht dieselbe wie die reale, denn verdient hätte der Täter ein anderes Strafmaß.
Was ich ganz weiter oben im sozusagen allgemeinen Teil zu Ferdinand von Schirach geschrieben habe, könnte ich jetzt auch hier reinsetzen, aber sicherlich hast du es bereits durchgelesen. Ich möchte dich aber, falls du diesem Irrtum unterliegen solltest, vorsichtig darauf hinweisen, dass Herr von Schirach die wahren Fallgerüste mit eigener Phantasie ausschmückt. Dein Hinweis auf ihn wirkte auf mich so, als würdest du glauben, er verarbeite ausschließlich Wissen.
Das macht seine Texte aber keinesfalls minderwertig oder unlesbar, aber wie schon oben beschrieben, sie hielten der Forderung nach literarischem Gehalt keineswegs stand. Dir müsste z.b. aufgefallen sein, dass er kaum Dialoge verwendet und wenn er es tut, dann taucht dort etwas vom wahren Sachverhalt auf, wie z.B. beim Verhör, Geständnis, Gespräch zwischen Täter und Anwalt, aber keine erfundenen Dialoge.
Dein Zitat am Ende deiner Stellungnahme ist sicherlich treffend und zutreffend, wenn es um wirklich junge Anwälte geht. Aber man verliert sehr sehr schnell diese Illusion, dass Rechtsprechung etwas mit Gerechtigkeit zu tun hat. Das Schlimme ist nur, dass man noch ganz andere Illusionen verliert. Z.B. die, dass Richter neutral sein könnten, sie sind meist höchst voreingenommen für eine Seite, dass Richter fachlich kompetent sind, man freut sich meist schon, wenn die sich für den jeweiligen Verhandlungstermin hingesetzt haben, um die Akte zu studieren, dass sie wissen, wie die Gesetze lauten und dementsprechend anzuwenden sind, wehe man belehrt sie. Und man verliert die Illusion über Sachverständige meist nach ein bis zwei Gutachten völlig. Aber das nur am Rande.
Auf jeden Fall war deine Erwiderung höchst hilfreich für mich, für die gesamte Diskussion und dafür danke ich dir sehr.
Kellerkind

lieben Dank, dass du nochmals erklärst, was du mit deinem ersten Feedback gemeint hast.
Dass du schon früher einen Hinweis auf diese Erkrankung gut fändest, verstehe ich sehr gut. Ich hatte diese Hinweise gemeint, auch schon gegeben zu haben, nur nicht explizit mit ihrer Lösung. Dieses sich Abwenden kurz vor der Geburt, ihn nicht an sich ranlassen, das Kind nicht zeigen wollen, die Anschuldigung, er habe das Kind sexuell belästigt, das alles sind ja schon Warnhinweise darauf, dass etwas bei nicht stimmt. Vermutlich war ich da nicht deutlich genug. Insoweit danke für diesen wichtigen Hinweis.
zigga

herzlichen Dank für dein so ausführliches und konstruktives Feedback.
Ja, man könnte daraus einen Roman stricken, aber ich finde irgendwie, die hohe Schule des Schreibens ist es, eben daraus eine gelungene Kurzgeschichte zu bereiten. Ich finde, dass ist gerade der Reiz der Kurzgeschichten, dass sie auf so wenig Raum so unendlich vielschichtig und intensiv auftreten können. Aber deine Hinweise, sich vom Tatsächlichen mehr ins Literarische zu lösen und, ohne den Fall zu zerstückeln, mehr im freien Raum zu agieren, das hat schon was. Wie ich oben ja geschrieben habe, denke ich noch darüber nach, was für mich eine sinnvolle Form wäre.
Mein Vorteil wäre ja, dass nur ich die fraglichen Fälle kenne und somit auch niemand damit kommen könnte, mir mitzuteilen, dass ich sachverhaltlich falsch liege. Das sieht bei Herrn von Schirach insoweit etwas anders aus. Alle seine Fälle standen vermutlich in der großen Öffentlichkeit, er muss das Fallgerüst beibehalten. Nur ausschmücken darf er freiheitlich.
Übrigens hat die Sache mit den Sekten was. Du bringst mein müdes Gedächtnisgehirn auf Trab, ich hatte mal so einen schlimmen Fall, wo der Vater Scientologe war und zusammen mit seiner 110%igen neuen Partnerin vermutlich reichlich seine Tochter indoktriniert hat. Oh Gott, ich fühle mich grad wie eine alte Schachtel voller lauter angegammelter Fälle. :D
Der konstruktive Schlagabtausch zwischen dir und bernadette ist ja aufgeklärt zwischen euch. Ich freue mich natürlich, wenn, so wie bernadette es meint, alles schon mit meinem Text erreicht ist, was ich erreichen wollte. Klar, dann muss ich nicht mehr ran an das Baby. :D
Aber selbstredend ist das richtig, wenn du schreibst, dass das eine keineswegs das andere ausschließt. D'accord!
Tintenfisch

gut, dass du ernst offshore beigetreten bist. Ich kann auch deine Auffassung von dieser Geschichte verdammt gut nachvollziehen. Was ich zu Ferdinand von Schirach (Himmel, dem Herrn müssten heute die Ohren klingeln, so oft wie er hier erwähnt wird) ausgeführt habe, hast du bestimmt oben bereits gelesen, nicht wahr? Ich wiederhole das nicht extra.
Die von dir mit hölzern bemängelte Aussage des Peter werde ich nochmals genauer anschauen. Könnte aber sein, dass mir momentan der Abstand fehlt, es aus fremder Sicht genügend kritisch betrachten zu können. Aber ich nehme deinen Hinweis sehr ernst.
Deine Frage, ob das Umgangsrecht ein Recht der Eltern ist, ja so war es damals. Die Eltern hatten das Recht, das Kind nicht. Heute haben die Eltern die Pflicht! und das Kind das Recht! Viel gebessert hat sich dadurch nicht, aber wenigstens hat heutzutage der nichteheliche Vater deutlich mehr Rechte zur Seite. Die Aussage des Richters, der damals tatsächlich diese Bemerkung gemacht hatte, soll verdeutlichen, was für Ignoranten da manchmal als Familienrichter fungierten. Was mich damals, aber das hatte ich in dieser Geschichte nicht eingeflochten, total irritiert hatte, war die Tatsache, dass ausgerechnet dieser Richter ein wichtiger Vorreiter für mehr Rechte des nichtehelichen Vaters gewesen war. Anstatt, wenn er schon seine Neutralität verlässt, sich auf die Seite des rechtlosen Vaters zu stellen, kam dann so ein Spruch von ihm.
Ich konnte auf jeden Fall etwas mit deiner Kritik anfangen, gar keine Frage und dafür danke ich dir herzlich.
barnhelm

lieben Dank für dein hilfreiches Feedback. Ja, ich bin mir ja selbst noch nicht so sicher, wie sehr ich den Text noch erweitere, um all die Beschreibungen, die das alles persönlicher machen. Zu dem Stil, den Ferdinand von Schirach für die Schilderung der Straftaten verwendet, habe ich ja schon weiter oben ausführlich Stellung genommen. Dort habe ich auch zum Unterschied von Zivil- und Strafrechtsfällen etwas erwidert. Ich verweise darauf und erspare dir hier die Wiederholung. Danke, dass du grundsätzlich an solchen Fällen von mir interessiert wärst. Das fasse ich mal als Kompliment auf.
wieselmaus
das freut mich, dass bei dir meine Art, die Geschichte darzustellen, funktioniert hat. Erst recht finde ich gut, dass du auch der Diskussion darum etwas abgewinnen kannst. Ich sehe es ja auch so, es ist im Grunde genommen auch eine wichtige Diskussion, die jeden betrifft, der einmal vorhat, etwas quasi Persönliches von sich zu verarbeiten. Jeder von uns hat garantiert im Laufe seines Lebens hochgradig einschneidende wichtige Dinge erlebt, die Stoff für eine Geschichte wären. Das Problem stellt sich also jedem Autor, wie man solche Erlebnisse angemessen für den Leser zubereiten kann.
Lieben Dank für dein Feedback.
Geschichtenwerker,

übrigens ein sehr schön passender Nick. Ich denke immer, alle verdammt guten Nicks sind schon verprasst worden und dann tauchen doch immer mal wieder wunderbare Nicks hier auf.
Danke für dein konstruktives Feedback und ich teile deine Einschätzung, dass immer dann, wenn einer oder mehrere Beteiligte eines Rechtsstreits "verrückt" sind, das System nicht mehr richtig greifen kann. Es driftet dann meist in diese furchtbare Hilflosigkeit ab. Deine Außensicht, dass ich vielleicht noch zu nah am Fall bin, könnte durchaus ins Ziel treffen. Dieser Fall liegt schon so lange zurück und trotzdem macht er mich heute noch betroffen. Ich glaube, dass es daran liegt, dass es auch heutzutage noch so viele Fälle gibt, bei denen die Kinder diejenigen sind, die mal wieder alles verlieren. Aber ausgerechnet sie sind es doch, für die man etwas erreichen möchte. Das tut mir heute immer noch weh, egal wie oft ich es miterleben musste.
The Incredible Holg

herzlichen Dank für dein so fast schon füllhornartiges Feedback.
Zunächst hat mich sehr gefreut, dass bei dir diese Geschichte, so wie sie dasteht, funktioniert hat.
Aber auch deine Entrüstung möchte ich etwas auffangen. JA, Richter sind leider auch nur Menschen und schaffen es meist nicht, sich gegenüber allen Beteiligten neutral zu verhalten. In der Juristenausbildung wird in keinem einzigen Studiengang darüber gelehrt, wie sehr wir manchmal manipulativ handeln und behandelt werden und warum das so ist. Dieses Drüberstehen über einen Fall, das schaffen die wenigsten Richter, das ist leider so. Vorhin habe ich einem Kritiker geantwortet, dass wir Anwälte schon froh sind, wenn der Richter überhaupt den Akteninhalt gut genug kennt, den er grad verhandelt. Im Laufe all meiner Dienstjahre ist dies meist die größte Befürchtung, die man mit in den Verhandlungstermin nimmt. Das führt so fast schon irrwitzigen taktischen Überlegungen der ganz besonderen Art: schreibe ich nun ausführlich in meinem Schriftsatz, um auf diese Weise dem Richter, der vermutlich nur den letzten aktuellsten Schriftsatz liest, genügend Informationen zu geben? Oder sollte ich mich allerkürzest fassen, damit er es überhaupt liest, weil er lange Schriftsätze eh ignoriert?
Übrigens konnte der Richter die Besuchszeiten deswegen nicht aufs Wochenende legen, weil die Dame vom Jugendamt nicht am Wochenende arbeitet. Kinderschutz, denn nur dafür war sie ja gedacht, weil angeblich der Vater dem Kind hätte schaden können, findet nur werktags statt. Womit wir wieder mal bei einem der Hauptprobleme unserer Gesellschaft sind: Kinder sind immer noch Menschen ohne Lobby. Ohne Lobby bist du aber in diesem Land verloren.
Deine Idee, die Motivation des Richters, der ja tendenziös sich verhält, offenzulegen, hat absolut seinen Reiz. Ich habe ja weiter oben dargestellt, wie Herr von Schirach das gemacht hat und mir käme auch in den Sinn, es ebenfalls so narrativ zu formulieren. Ich bin aber immer noch nicht entschieden, ob ich mich völlig löse und eine Geschichte schreibe oder ob ich es einmal mit dieser Mischung aus exaktem Fall und eigenem Erfundenen versuche. Ich bin selbst gespannt, was daraus wird.
Die von dir gefundenen Textfehler bügele ich aus, da waren ja noch mehr von anderen Kritikern gefunden worden. Danke für die Mühe.
Es stimmt, einer der zentralen Punkte war, dass Lilo Angst hatte, das Kind mit dem Vater allein zu lassen, ohne konkreten Sachverhalt hierzu zu benennen. Der Richter hat dies damals einfach als wahr unterstellt, dass diese Angst berechtigt ist. Um Peter nicht völlig von der Möglichkeit des Umgangs abzuschneiden, hat er den begleiteten Umgang angeordnet. Das geschah und geschieht heutzutage ziemlich oft in all den Fällen, in denen sich die Mutter (oder der Vater) komplett weigert, das Kind für einen Umgang herauszugeben. Um auf diese Weise den Elternteilen den Wind aus den Segeln zu nehmen, dass sie behaupten, ihr Kind sei zusammen mit dem Umgangsberechtigten gefährdet, wird sofort diese Begleitung angeordnet. Meist knicken dann die Verweigerer ein, weil sie einsehen, dass sie ihr Ziel, dass gar kein Umgang stattfindet, nicht erreichen.
Klar gibt es im Familienrecht den Instanzenzug. Aber im vorliegenden Fall hat Peter ja das Umgangsrecht bewilligt bekommen, wenn auch zu für ihn unmöglichen Zeiten. Rechtsmittel kann man nur gegen abschlägige Entscheidungen einlegen.
Du stellst berechtigterweise all diese Fragen, wie man mit einer Behauptung, das Kind sei sexuell belästigt worden, durchkommen kann. Aber die Richter sehen sich allesamt in der Bildzeitung, wenn ihnen etwas durchrutscht, was sie hätten erkennen müssen. Wenn also der Richter gesagt hätte, "Sie spinnen ja, gute Frau" und es wäre dann doch irgendwann mal etwas herausgekommen, hätte er sich nicht mehr aus der Verantwortung nehmen können. Schaltet er jemanden ein, wie das Jugendamt, das Stellung nimmt oder den Sachverständigen, dann kann er sich dahinter positionieren und sagen, dass die Fachleute dies oder jenes untersucht und herausgefunden haben und er sich dem anschließt. Er ist quasi abgesichert.
Nochmals herzlichen Dank für dein Feedback.
floritiv

auch dir danke ich herzlich für deine klugen Einwände. Das du im Grunde genommen mit dem Stil der Geschichte klar gekommen bist, freut mich sehr.
Dein Hinweis, dass dem Kind vermutlich Schlafmittel verabreicht worden sind, trifft exakt dieselbe Vermutung, die mein Mandant damals auch hatte. Aber so etwas frei in den Raum zu stellen, hätte zur Folge gehabt, dass die Gegenseite es abgestritten hätte und, so ist der prozessuale Ablauf, derjenige, der etwas behauptet, hätte es beweisen müssen. Mit anderen Worten, man hätte bei diesem Verdacht damals Abigail medizinisch untersuchen müssen. Ich bin mir sicher, dass hierzug das Einverständnis der Mutter erforderlich gewesen wäre. Dies hat sich keiner damals getraut, denn wehe, es wäre nichts gefunden worden. Das wäre vielleicht das Ende des Umgangsrechts gewesen. Aber du hast die Misere verdammt gut erkannt.
Familiensache, das kannst du nicht wissen, sind immer sog. nichtöffentliche Sitzungen, also ohne Publikum. Das ist auch gut so, ich möchte nicht wissen, wieviele Schlägereien es geben würde, wenn jeweils die verhassten Familienangehörigen der jeweils gegnerischen Familie im Gerichtssaal auftauchen oder gar der Nebenbuhler oder die Nebenbuhlerin zuhört, wie geschieden wird. :D
Ganz lieben Dank für deine Textarbeit. Ich werde deine Verbesserungsvorschläge gerne zusammen mit all den anderen einarbeiten.
dotslash

lieben Dank für deine Eindruckschilderung zur Geschichte.
Freut mich sehr, dass dich der Text nicht kalt gelassen hat und ich werde an dieser Geschichte noch rumfummeln. Versprochen.
Im Grunde genommen, wenn ich alle Kritiken zusammenzähle ist es so, dass die Mehrheit sich wünsche würde, ich hätte ihnen mehr Daten geliefert, die es ihnen ermöglicht hätte, die Handelnden besser verfolgen und einordnen zu können. Wie weit ich in der Veränderung allerdings gehen werde, also ob völlig neu erfundene Geschichte mit dem Gerüst des Falles oder aber nur ein paar Einschübe, das weiß ich noch nicht.
Kellerkind

habe soeben deinen letzten Kommentar gelesen und du sprichst mir aus der Seele. Die Verliererin ist Abigail. Um sie geht es, auch wenn sie herzlich wenig im Vordergrund steht, sondern eher die Rolle einer Puppe hat. Ich glaube aber, dass dieser gedankliche Effekt trotzdem entstehen kann, wenn ich nicht so puristisch bleibe, sondern den Eltern mehr Leben gebe. Der Nachhall, wobei ich hoffe, dass der erhalten bleibt, wird schon auf diesen Punkt hinweisen, dass im Grunde genommen das Kind all den Schaden trägt, den andere an ihm angerichtet haben und man kann perfiderweise hier wirklich von Teamarbeit sprechen. Danke für deine klugen Gedanken dazu.

Uff....alle Erwiderungen geschafft.

Euch allen ausdrücklich nochmals herzlichsten Dank für all die Mühe und guten Gedanken.

lakita

 

Hallo Lakita,

ein böses, Ärger-erregendes Zeitzeugnis hast Du geschrieben. Die Thematik macht schwindelig. An einem Fallbeispiel, wie es viele ähnlich gehört oder selbst erlebt haben.

Zuerst dachte ich, ich läse eine Kafkaeske. Dann sah ich, dass die Geschichte unter Alltag ist. Und bald vermutete ich, dass der Text auf einer wahren Begebenheit basieren muss. Eine Geschichte aus dem Leben. Unerbittlich wahr. Der nüchterne, schnörkellose Schreibstil, denke ich, passt zu solch einer Hass-schürenden Alltagsgeschichte. Leider Juristen-Alltag? Und doch noch zu harmlos dargestellt, wie ich beim zweiten Lesen empfinde. Ich versuche, das zu begründen.

Der Richter ist realistisch gezeichnet: selbstherrlich, aggressiv, unlogisch, unmenschlich, taub.

Die Anwälte dagegen sind schwach, eher gutmütig und zu sehr im Hintergrund. Wie ich Deinem Profil entnehme, bist Du Anwältin und das, was ich über Anwälte sage, darfst Du auf keinen Fall persönlich nehmen. Es ist natürlich immer schön, wenn man seinen Beruf (noch) positiv sieht. Das erleichtert auch das Leben. Und das Wichtigste im Beruf ist in der Regel der Verdienst. So sollte in der Geschichte zumindest erwähnt werden, dass der Mandant Peter zu allem Unglück noch mit den Rechnungen der Anwältin zu kämpfen hat. Vielleicht könnte man auch eine Summe benennen. Diese mit einem Flugticket nach Kalifornien vergleichen. Am Schluss, die Sinnlosigkeit dieser Geldausgabe erwähnen.

Weiterhin fehlen mir die so typischen Anwaltssprüche, nachdem ein Prozess wieder mal verloren ist, wie: "Bei Gericht und auf hoher See ..." oder: "Ich hatte mal einen Mandanten, der war mit Sicherheit im Recht und es ging um sehr viel mehr als bei Ihnen, aber aus formalen Gründen konnte die Richterin nicht ..."
Was mir weiterhin fehlt, ist die Duckmäuserei der Anwälte den Richtern gegenüber. Und, dass sich ein Mensch nicht selbst verteidigen kann. Ohne Anwalt ist er bei den meisten Richterinnen und Richtern weniger als ein Stück Scheisse. Selbst, wenn der Mandant einen Anwalt bezahlt hat und in dessen Gegenwart zum Richter spricht, pfeifen ihn Richter, Gegenanwalt und der eigene Anwalt zurück. Das fehlt in diesem Prozess. Und ist doch so typisch. Auffällig ist auch, dass Anwalt und Gegenanwalt im Hintergrund miteinander sprechen und was aushandeln. Auch dieses Verhalten tritt hier nicht auf.

Ein bisschen abschweifend, aber ich würde Folgendes gerne zur Diskussion stellen. Die nicht-neutrale und oft befangene Art der Richter ist wohl das Hauptproblem. Meist scheinen sie militärisch-maschinell zu arbeiten, passen auf, dass ja keine Aussage aus den Winkeln auf sie zukommt. Brüllen die Advokaten und Kunden an. Jetzt sind wir beim Stichwort. Kunden für die Juristen sind Menschen, die es nicht schaffen, sich außergerichtlich zu einigen. Solche muss man natürlich fördern. Deine Lilo ist so eine, sie bringt dem Gericht Geld ein, sie muss den Prozess gewinnen. Peter ist das Zahlschwein. Der verdient offenbar gut. So ist der Prozess anhand der Finanzlage und Streitlust der Kunden, noch bevor er eigentlich beginnt, entschieden. Welche Aufgabe hat da noch der Anwalt? Rechtfertigung für das System? Ist die Juristerei dazu da, ein gewisses Niveau an Verbrechen aufrechtzuerhalten? ...
So kann man darüber nachdenken, Richter durch Roboter zu ersetzen. Der Kunde füttert sie mit den Daten. Der Richter Programme (Software) wären die Gesetze. Aber noch mehr: Isaac Asimov hat z. B. drei Gesetze für Roboter formuliert:
Ein Roboter darf kein menschliches Wesen (wissentlich) verletzen oder durch Untätigkeit (wissentlich) zulassen, dass einem menschlichen Wesen Schaden zugefügt wird.
Ein Roboter muss den ihm von einem Menschen gegebenen Befehlen gehorchen – es sei denn, ein solcher Befehl würde mit Regel eins kollidieren.
Ein Roboter muss seine Existenz beschützen, solange dieser Schutz nicht mit Regel eins oder zwei kollidiert.
Das könnte dann auch so ähnlich für Richter gelten.

Vielleicht möchte Ihre Tochter irgendwann einmal Kontakt zu Ihnen aufnehmen. Bewahren Sie die ganzen Gerichtsunterlagen gut auf. Kann sein, dass Sie ihr dann erklären müssen, weshalb Sie sich all die Jahre nicht gemeldet haben.
Der Tochter wird nach 15 Jahren so ein Prozess egal sein! Der Vater wird immer der Schuldige bleiben. Er hätte geschickter mit den Anwälten verhandeln sollen. Dass es zum Prozess kam, ist auch seine Schuld - aus möglicher Sicht der Tochter.

Das ist alles, was mir gerade dazu einfällt. Trotz des langen Kommentars habe ich die Geschichte sehr gerne gelesen und finde es gut, dass Du sie geschrieben und eingestellt hast.
Viele Grüße
Fugu

 

Hallo lakita,

Da stimmt was nicht."
"Wir können, da Sie nur der nichteheliche Vater sind, auf Umgang klagen. Das wird eine ganze Zeit dauern. Selbst, wenn wir es im Wege der einstweiligen Verfügung zu beschleunigen versuchen, müssen Sie mit etlichen Monaten bis zum ersten Gerichtstermin rechnen."
Das ist ja sowas von vorbeigeredet, hätte er mal einen Detektiv genommen, vielleicht hätte der in dieser Situation mehr erreicht. Aber dieses Nicht-Eingehen auf die subjektive Befindlichkeit des Mandanten, dieses Sich Verschanzen hinter den klaren Regeln - das weckt nicht sehr fröhliche Erinnerungen in mir.

Zu den weiteren Schilderungen werde ich nichts mehr sagen, ist schon genug geschrieben worden. Ich habe die schlimmen Erlebnisse meiner Berufszeit - bis hin zu zwei Suiziden, weil ich den Mandanten nicht wirklich helfen konnte - sorgsam archiviert und möchte deshalb auch nicht mehr zum Inhalt sagen. Natürlich wäre es schön, wenn wich später ein Kontakt zwischen Vater und Tochter ergäbe - aber das Leben hat eben kaum Platz für Romantik und Träume.

Liebe Grüße

Jobär

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi lakita!

So, dann kann/will/werde ich auch mal meine Wut/Frustration/Agressionen abladen!!;)

Also ich finde einen kühlen, beschreibenden Stil keineswegs schädlich oder nicht unterhaltsam. Eher im Gegenteil - eine nüchterne, unpathetische Beschreibung lässt die Geschichte wesentlich intensiver und gnaden- und leidenschaftsloser rüberkommen. Bei dem Thema klug gewählt und als sehr effizientes Mittel verwendet!

Anfangs haben mich der schon beinahe Roland-Freisler-artige Richter und seine Prozessführung natürlich auch empört. Hinzu kommen diese Gefühle der Ohnmächtigkeit, unfairem und manipulativem Verhalten sowie der absolut einseitig agierenden Pseudo-Objektivität unserer schon längst nicht mehr (nur) blinden, sondern wohl eher dauerbekifften Justitia!
Wäre das meine Geschichte gewesen, der Prot hätte schon nach dem zweiten Sitzungstag das Problem mit ner Pumpgun gelöst. Unheimlich befriedigend - jedenfalls in der Fantasie!!:naughty:

Jedoch ist das Leben nun mal (leider!) so treffend realistisch, juristisch korrekt und sehr zwischenmenschlich niederträchtig. Gut, dass du, liebe lakita, dem Leser eine derartig primitiv-brachiale Befriedigung vorenthälst und ihn statt dessen den Weg des echten Lebens gehen lässt.

Nun ja - und spätestens dann erschließt sich uns hier diese furchtbare Situation in ihrer gesamten Dimension.

Eine sehr unbequeme Geschichte - und dafür ein großes Lob!

Viele Grüße vom EISENMANN, der schon weiß, warum er lieber bei der Pumpgun bleibt!

 

Hallo @Maria,

selbstverständlich ist es absolut in Ordnung, wenn dir dieser Text nicht gefällt. Das verstehe ich sehr gut, schließlich habe ich ihn hier in dieser Form hereingesetzt, weil ich von euch wissen wollte, wie er ankommt. Ich habe bewusst diese schlichte und wie du sagst, abgehackte, kalte Form gewählt, weil ich ausprobieren wollte, wie das auf den Leser wirkt, wenn ich einfach nur den schlichten Fall erzähle.

Vielleicht hast du all die Vorkritiker nicht gelesen, ist ja auch eine ganze Menge, daher mein Resümee:

es haben sich quasi mit allen Schattierungen zwei Lager gebildet, die einen, die wie du, mit der Art der Umsetzung nicht Freundschaft schließen können, und die anderen, die gerade diese Form der Nüchternheit passend und gut finden.
Theoretisch müsste ich jetzt abzählen, wo die größte Anzahl versammelt ist, aber so einfach ist es ja nicht, wenn man eine Geschichte schreibt.

Ich bin daher dabei, die Familienrechtsakte nochmals zu studieren und überlege, ob ich nicht ein paar wichtige Einschübe dazusetze, damit wenigstens dem Leser mehr Stoff über die Figuren vermittelt wird. Ich plane sozusagen eine Version zwei von dieser Geschichte.

Dass dir der Titel nicht gefällt, ist ebenfalls ein Punkt, den ich nachvollziehen kann. Es geht um die Liebe zum Kind, die mir in all den Wirren völlig auf der Strecke bleibt. Ich habe schon mal an anderer Stelle geschrieben, dass alle Handelnden nichts Böses tun. Aber das Kind ist trotzdem der Verlierer.

Dass du das Ende nicht gut findest, ich denke, vielleicht ginge es mir auch so, wenn ich diese Geschichte als Leser auf mich wirken lassen würde.
Ich habe hier einen realen Fall aus meiner Praxis verarbeitet und wollte unbedingt am wahren Sachverhalt bleiben, den ich übrigens schon schockierend genug fand, denn immerhin ist es ja nicht der Normalfall, dass eine Mutter psychisch erkrankt und das sich so auswirkt, dass der Vater zum Feind wird.
Auf jeden Fall danke ich dir herzlich für dein offenes und weiterführendes Feedback. Was du geschrieben hast, ist mir sehr wichtig.

Fugusan,

es freut mich sehr, dass du mit der Geschichte gut klar kommst und auch mit dem herben kalten Stil.
Noch mehr hat mich gefreut, was das alles an Gedankengängen bei dir ausgelöst hat, eine wahre Flut.

Der Mandant bekam damals, weil er ja zu Beginn des Prozesses völlig mittellos war, sog. Prozesskostenhilfe, d.h. der Staat hat die Gerichtskosten und die Anwaltskosten des Mandanten übernommen. Diese Prozesskostenhilfe wurde zwar nicht von allen, aber doch von einigen Familiengerichten innerhalb der nächsten vier Jahre ab Beschlussverkündung nochmals überprüft und geklärt, ob nicht der Begünstigte infolge besserer wirtschaftlicher Verhältnisse nun doch alles oder teilweise zurück zahlen kann.
Du hast aber insoweit vollkommen Recht, dass man hier noch viel mehr hätte aufdrehen können. Die hohen Kosten bei solch einem spezifischen Prozess, in dem es um das Umgangsrecht geht, sind aber nicht die Gerichts- und Anwaltskosten, sondern so ein Sachverständigengutachten schlägt gut und gerne mit 10.000 Euro ins Kontor und diese Summen müssen die Parteien aufbringen, so sie nicht Prozesskostenhilfe erhalten haben. In einem Familienrechtsverfahren, das gerade noch läuft, hat eine Sachverständige bereits 16.000 Euro in Rechnung gestellt und die ist noch nicht fertig mit ihrer Tätigkeit. Aber die Idee, letztendlich dem Vater nicht nur die Gegenseite und den Richter vorzusetzen, sondern auch den allein auf seine Pfründe setzenden Anwalt ist absolut gut. Nur hier nicht.

Das Verhältnis des gebeutelten Mandanten vor Gericht, der jeweils vom Richter, seinem eigenen Anwalt und dem gegnerischen Anwalt zusammengestaucht werden kann, hast du gut erkannt. Die Idee, hier noch mehr zu übertreiben, würde der Sache eventuell den falschen Stempel aufdrücken. Mir ging es um dieses Kind, das obwohl sich ja eigentlich alle darum kümmern und bemühen, vollkommen auf der Strecke bleibt. Alles wollen sie richtig und gut machen und das arme Kind wird auf diese perfide Weise vollkommen übergemangelt.

Die Sache mit dem Roboter ist eine noch brillantere Idee, du sprühst ja echt vor lauter guten Inputs.
Herrlich, das mitzuerleben! :)

Der Tochter wird nach 15 Jahren so ein Prozess egal sein! Der Vater wird immer der Schuldige bleiben.
Da ist was dran. Aber hier ist diese typische Lage, des Mandanten, der aufgibt und sich unendlich unwohl dabei fühlt und der Anwältin, die auch nichts dagegen tun kann.
Ob so ein Kind später mit Vorwürfen auf den Vater zukommt, keine Ahnung, ich erlebe das ja nicht in meiner Praxis, weil das völlig ausserhalb meines Feldes liegt. Aber was würde so ein Kind tun? Es würde, wenn es denn infolge der falschen Indoktrination durch die Mutter nicht sowieso den Vater ein Leben lang hasst, vermutlich mit Vorwürfen vor seiner Tür stehen. Er hätte dann die Möglichkeit, sich sogar in beweisbarer Form zu entlasten, indem er ihr zeigt, was er alles vergeblich unternommen hat, um Kontakt mit ihr zu bekommen. Ich glaube, es besteht zumindestens eine Chance, dass zwischen Kind und Vater eine Versöhnung stattfindet. Aber ich befinde mich tatsächlich im freien Felde der Spekulation.
Auf jeden Fall danke ich dir herzlich für dein Feedback und all deine wunderbaren Gedankenanregungen.


jobär,

stimmt, ich vergess ja immer, dass du auch mal vom Fach gewesen bist. Dann weißt du ja nur zu gut, wie so was abläuft und wie so was ausgeht. Kann gut verstehen, dass du daran nicht viel rumrühren möchtest.
Aber vielleicht bist du der einzige, der auch versteht, weshalb ich gar nicht auf die Idee kommen konnte, solch einen Stoff belletristisch zu verarbeiten. Ich hätte Skrupel, aus all diesen elenden Familienfällen Geschichtenmaterial zu schlagen.

Lieben Dank für dein sehr wichtiges Feedback.

Eisenmann,

lieben Dank für deine Kritik und dein Lob. Freut mich ungemein, dass du auch findest, dass der Stil dem Thema entspricht. Ich werde trotzdem mal eine Variante schreiben, in der ich mehr über die Figuren reinsetze. Mal sehen, ob das nicht vielleicht doch noch runder wirkt.

Vielleicht ergibt sich dann für dich auch gar nicht mehr die Frage, weshalb mein Mandant so rein gar nicht der Typ gewesen wäre, die Pumpgun zu nehmen. So wie er jetzt agiert, fragt man sich ja schon, weshalb er nicht langsam, aber sicher ausrastet (Pumpgun) oder wie weiter oben geschrieben wurde, das Kind einfach entführt.


Euch allen lieben Dank für die Mühe! Ich bin immer noch total geflasht davon, dass so viele von euch dazu etwas sagen und auf diese Weise sehr viel dazu beitragen, dass mir meine Vorgehensweise klarer wird.

Liebe Grüße

lakita

 

Hallo lakita,

ich habe ein wenig mitverfolgt, wie die Kommentare eintrudelten und welche Reaktionen sie hervorgerufen haben.

Ich versuche mal, völlig unabhängig davon meine eigene Interpretation zu erarbeiten, so als wäre deine Geschichte gerade erst gepostet worden. ;)

Ich fange einfach oben an, komme über Zwischenfundstücke zum Ende und zu meinem Fazit.

Der erste, narrative Absatz gefällt mir. Eine gute, knackige Einleitung, bevor es dann live weitergeht. Auch später die Erzählpassagen finde ich gut. Nicht der gesamte Text muss „show, don’t tell“ sein, (sagt derjenige, der gerade auch an einer Geschichte mit relativ vielen Erzählpassagen schreibt) :Pfeif:

Lilo, die bei ihrer Mutter weder einen PC nutzen
nutze

"Lieber Peter, es ist aus zwischen uns."
Wie, auf einmal? Mir fehlt da ein Konflikt, der Grund. Das geht mir zu schnell. Warum ebbte denn der Kontakt ab? :confused:

Zum ausgerechneten Geburtstermin flog er nach Hamburg.
Dummer Kerl. Das hätte schief gehen können. Wo doch viele Kinder schon früher zur Welt kommen. :D

Auf der Entbindungsstation teilte man ihm mit, dass Lilo jeglichen Kontakt zu ihm ablehne. Auf sein Drängen hin erfuhr er durch Lilos Mutter, dass er Vater einer gesunden Abigail geworden war.
Fehlt dazwischen nicht ein Absatz? So könnte man meinen, Lilos Mutter hätte es ihm auf der Station gesagt.

Er hatte sich in den Staaten weder mit Lilo gestritten, noch sonstwie Meinungsverschiedenheiten gehabt.
Da! Selbst er findet es merkwürdig! :lol:

Dann das Gespräch beim Anwalt:
Spätestens hier hätte ich mir gewünscht, etwas über die Emotionen von Peter zu erfahren.

hielt eine dick gewindelte Babymade wie ein Schild vor ihr Gesicht.
Dick gewindelte Babymade? Was ist das denn? So'n Amibegriff? Noch nie gehört.

eine Beziehung zwischen Vater und Tochter entstehen?" , sagte die Anwältin.
Da ist ein Leerzeichen zu viel nach dem Hochkomma reingerutscht.

"Meine Mandantin kann das Kind, (KEIN KOMMA)nicht in der Zeit von 10-12 Uhr bringen, weil sie es dann gerade stillt.(GÄNSEFÜßCHEN OBEN)
Wohin bringen eigentlich? Das habe ich nicht verstanden.

"Könnte der Kontakt nicht lieber am Wochenende stattfinden?", fragte (kein DER) Peter mit zaghafter Stimme. "Oder wenigstens nachmittags ab 17 Uhr, ich arbeite bis 16.30 Uhr und könnte dann.“
Ist er also doch schon nach Deutschland umgezogen?
Sehe, dass es später angesprochen wird. Warum nicht schon früher? Das hat mich irritiert, dachte,mich hätte was überlesen. (Vielleicht habe ich es sogar. Schaue jetzt nicht nach. :shh:

"Hat sich Ihre Mandantin schon mal Gedanken darüber gemacht", sagte (FRAGTE) Peters Anwältin,“(LEERZEICHEN)dass mein Mandant normalerweise in den Staaten sein Geld verdienen würde.(FRAGEZEICHEN) Er

Zum 1. vom Gericht festgelegten Kontakt
bei der 1. Begegnung
Ist das offizielle Gerichtssprache (1.)? Ich finde, diese „Fachsprache“ muss hier nicht sein, höchstens, wenn ein Protagonist irgendwo diese Begriffe abliest bzw. zitiert.
Hier schreibst du es ja auch „normal“:
„Zum dritten Kontakttermin“ oder „dem vierten Umgangstermin"

Auf die Frage, wieso man erst unmittelbar vor dem Termin informiere, wurde fadenscheinig begründet.
Klingt in meinen Ohren unschön oder falsch, zumindest unrund. Würde schreiben:
Die Frage, wieso man erst unmittelbar vor dem Termin informiere, wurde fadenscheinig begründet. oder besser:
Auf die Frage, wieso man erst unmittelbar vor dem Termin informiere, wurde fadenscheinig geantwortet.
Oder meinst du: "Auch die Frage ..."?

Sie hat kürzlich Abigail mit Pflastern verklebten Ohren gesehen
Auch irgendwie unrund. Vorschlag:
Sie hat kürzlich Abigail mit zugepflasterten Ohren gesehen

Die Sachverständige benötigte für ihr Gutachten sieben Monate. In dieser Zeit sah Peter seine Tochter kein einziges Mal und erfuhr auch sonst nichts von ihr.
Was ist denn eigentlich aus dem Kontakt mit Lilos Mutter geworden?

Die Sachverständige hatte ermittelt, dass Lilo psychisch erkrankt war.
Das ist doch eine Finte von Lilo bzw. deren Anwälte! :baddevil:

Der Inhalt hat mich echt geschockt, liebe lakita. Schlimm, ganz schlimm, aber leider gar nicht so selten, wie ich vermute ...

Hat mir gut gefallen.

Ich persönlich würde mich freuen, wenn du da an einigen Stellen mehr Gefühle, Gedanken etc. einbauen würdest. Aber auch so finde ich den Text gut, da der Inhalt alles andere ein wenig in den Hintergrund drängt.

Liebe Grüße,
GoMusic

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo lakita,

die Sache mit dem Titel hat mich weiterbeschäftigt. Ist eine Macke von mir, an anderer
Leutes Formulierungen herumzuschnitzen.

Mein Vorschlag: Elternliebe

Dann wäre der Aspekt Romantik erledigt.
Übrigens bewundere ich deine Akribie, mit der du auf alles eingehst.

LG
wieselmaus

 

Hallo lakita,
vielen Dank für Deine Ausführungen. Ich kann das so nachvollziehen, wie Du es sagst.
Deine Geschichte hat einen sehr bewegenden und tiefen Inhalt, so dass sie mich immer noch beschäftigt.
So ist mir noch eingefallen, auch in Bezug auf andere Kommentare, dass man an anhand von Peter vielleicht das natürliche Rechtsgefühl, das jeder Mensch, auch ein naiver wie Peter, hat, beschreiben könnte und wie die formale Gesetzgebung da oft im Widerspruch steht.
Es ist sehr interessant zu beobachten, wie die Form Deiner Geschichte angenommen oder abgelehnt wird. Für mich selbst kann ich sagen, dass ich sehr inhaltsgetrieben reagiere. Die Form kommt dabei nach dem Inhalt. Sicher würde für Deine Geschichte für mich eine andere Form ebenso passen, vorausgesetzt sie würde den Inhalt nicht ändern.
Es gefällt mir, wie klar du schreibst und antwortest.
Viele Grüße
Fugu

 

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