Mitglied
- Beitritt
- 01.07.2016
- Beiträge
- 233
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 17
Lass doch mal die Ahmeds tindern
Vincent, Junggeselle und Waisenkind
Julia, junge Frau aus der bayerischen Provinz und Tinderella
Hardal, Freund von Vincent und ebenfalls Junggeselle
Hanna, ein Tinderella
Anna, eine ältere, geschminkte Dame
Ein Arzt
Fahrradfahrer, Männer mit Baskenmützen, zwei „Teenies“
Die Szene spielt das ganze Stück hindurch in München. Es kommen vor: Hardals Wohnung, ein Park und ein Krankenhaus.
Die erzählte Zeit beträgt in etwa eine Stunde.
Erste Szene
Er wischt mehrmals energisch nach rechts auf seinem Handy.
Hardal: (zum Publikum)
Jedes Mädchen. Ich like jedes Mädchen auf Tinder. Und trotzdem will sich niemand mit mir treffen. Ich hätte mein Geld nicht für diese App ausgeben sollen. Wer hat mir nochmal gesagt, dass diese App so cool ist? Vincent. Oh ja, ich hasse Vincent. Scheiß Vincent.
Hardal: Oh, wer ist denn das? Komm herein!
Hardal: Könnte besser gehen.
Vincent: Wieso denn? Es ist doch so ein fantastischer Tag. Guck mal, wie glücklich ich bin.
Vincent beginnt zu tanzen.
Hardal: Was is'n los?
Vincent: Womit soll ich denn anfangen? Also, ich hab dir doch erzählt, dass ich jetzt Tinder habe.
Hardal: Ähm, ich kann mich nicht mehr daran erinnern.
Hardal: Ja, weiß schon.
Vincent: Und da hast du gesagt, ich finde niemanden.
Hardal: Ja.
Vincent: Weil mein Name so blöd ist.
Hardal: Ja.
Vincent: Guck ich weiß, dass war ein Witz. Aber trotzdem wollte sich niemand mit mir treffen. Also, ähm …
Hardal: Was denn?
Vincent: Ich habe im Internet nach den attraktivsten Männernamen im Jahr 2017 geguckt und dann auf Tinder meinen
Namen geändert.
Hardal: Was?
Vincent: Ich heiß’ dort jetzt Ahmed.
Hardal: Ahmed? Attraktiv? Was für ’n Blödsinn?
Vincent/ Ahmed: Guck mal, was für ein Mädchen mich treffen will.
Vincent/ Ahmed: Aber guck mal. Voll hübsch.
Hardal: Ähm?
Vincent/ Ahmed: Ich treff’ mich jetzt mit ihr. Ich habe ein Date.
Hardal: Okay.
Vincent/ Ahmed: Ich habe jetzt ein Date. Ich, ich!
Hardal: Nicht zu spät kommen.
Vincent/ Ahmed: Oh, du hast recht. Ab.
Hardal wischt wieder mehrmals energisch nach rechts auf seinem Handy.
Hardal: Ach, verdammte Scheiße. Hardal ist türkisch für Senf! Wer will mit einem Jungen zusammen sein, der Senf heißt? Ab
heute bin ich ein Gewinner. Ich heiße jetzt Ahmed.
Ein Park vor einer Arztpraxis. Fahrradfahrer klingeln sich vorbei. Männer mit Baskenmützen schwatzen über das letzte Spiel der Borussia. Zwei „Teenies“ plagen sich mit riesigen Einkaufstüten. Im Hintergrund spielt Pantera Mambo.
Vincent/Ahmed und Julia betreten die Bühne. Julia hält einen gelben Blumenstrauß
Julia: Die bin i. Bist dou dou Ahmed?
Vincent/ Ahmed: Ja, der bin ich.
Julia: Des is schön. I hob dou woas für di.
Julia: Wie meinst’n des?
Vincent/ Ahmed: Würdest du mich auch daten, wenn ich nicht Ahmed wäre, sondern, keine Ahnung, Vincent?
Julia: Vincent? Hört si a, als würd’ sich someone übergeben.
Julia: Joa. Mei Dialekt is verrückt.
Julia: Gehat das mi dei Religion zusamma?
Vincent/ Ahmed: Klaro. Let’s go.
Hardal und Hanna betreten die Bühne.
Hardal/Ahmed: Nenn’ mich Ahmi, bitte.
Vincent/ Ahmed hält mehrere leere Bierflaschen in der linken und den Blumenstrauß in der rechten Hand.
Vincent/ Ahmed: (lallt ab jetzt)
Und weißt du, meine Mutter soll mich einfach vor einer Kirche abgesetzt haben. In einem Korb, als ich noch ein
Baby war. Das hat mir der Herr Pfarrer erzählt.
Julia: Wei grausom.
Vincent/ Ahmed: Und weil niemand wusste, wer ich bin, hat mich der Pfarrer einfach Vin – also
Ahmed genannt und in ein Waisenheim gesteckt.
Vincent/ Ahmed streift sie im Vorbeigehen mit seinem Blumenstrauß
Vincent/ Ahmed: Na dann ziehen Sie ihn doch aus, sieht bestimmt noch hübscher aus.
Vincent/ Ahmed: Ach, nichts.
Hardal/ Ahmed: Kein Problem.
Vincent/ Ahmed: Na, da wird doch der Hund in der Pfanne verrückt. Na, imitierst du mich, Hardal?
Hardal/ Ahmed: Oh Shit.
Hanna: Was meint dieser betrunkene Mann, Ahmi?
Vincent/ Ahmed: Er heißt nicht Ahmed. Sein Name ist Hardal!
Hanna: Hardal? Was ist denn das für ein Name? Ahmi, sag mir, dass das nicht wahr ist!
Hardal: Verdammt, warum machst du das? Ja, ich heiße nicht Ahmed.
Hanna: Hä, warum hast du mich angelogen? Psycho!
Hardal: Er tut selber so, als würde er Ahmed heißen, um Frauen aufzureißen. Sein wahrer Name ist Vincent.
Julia: Vincent? Sog mi dos des nied woar is.
Vincent: Julia, ich kann dich nicht mehr anlügen. Mein Herz brennt nur für dich.
Hanna: Das wird mir jetzt alles zu viel! Ich gehe jetzt und werde dann diese komische App löschen.
Hardal: Bitte verlass mich nicht! Ich bin verzweifelt.
Julia: Oh my God!
Plötzlich sind ein fahrender Zug und Schreie zu hören. Vorhang zu.
Erste Szene
Julia, Vincent, Hardal, Anna und ein Arzt treten auf.
Anna liegt im Krankenbett.
Arzt: Na da hatten Sie mal Glück im Unglück. Diese Heldin da konnte Sie noch im letzten Moment von den Bahngleisen
wegschubsen. Sie haben dann zwar einen kleinen Nervenkollaps gekriegt, aber – naja, Gott sei Dank haben Sie den
Nervenkollaps neben einem Krankenhaus gekriegt, nicht?
Anna: Ach, was nützt mir denn noch das Leben.
Julia: Sogen Sie doch sowos nicht.
Anna: Es stimmt doch. Ein ganzes Leben habe ich nur gewartet. Gewartet, gewartet, gewartet.
Julia: Des stimmt doch nicht. Worum denk’n Sie so?
Anna: Ach, jetzt ist es sowieso egal. Wissen Sie, jeder nennt mich Anna, aber mein wahrer Name ist Aisha. Ich war ein turkmenischer Flüchtling aus dem Libanon. Und ich hatte ein Baby.
Als ich das erste Mal in München war, kannte ich mich noch gar nicht mit Deutschland aus. Meine Brüste gaben seit Wochen keine Milch mehr und ich wusste nicht, wie ich meinen Sohn ernähren sollte. Sozialstaat und das alles, das wusste ich ja damals noch nicht.
Eines Tages legte ich ihn vor einer Kirche ab. Seitdem habe ich immer das Gefühl, ständig zu warten. Ich habe meinen Sohn nie wieder gesehen.
Wisst ihr, manchmal wollte ich von vorne starten. Erfolgreich im Beruf sein, heiraten und eine Tochter kriegen. Alles, was mir das Leben gab, war eine Scheidung. Er hat mich verlassen, als ich einmal sehr krank wurde. Ich lasse mich immer noch mit seinem Nachnamen ansprechen. Mönig.
Vincent: Moment mal, ich wurde als Baby auch vor einer Kirche gelegt.
Hardal: Was?
Julia: Vincent, i glaub i hob dei Mutter gfunden!
Anna/ Aisha: Ist es wirklich wahr?
Vincent: Ich weiß es nicht, aber es kann sein.
Vincent: Mama, ich muss dir eine wichtige Frage stellen. Wie ist mein Name?
Hardal: Echt jetzt?
Anna/ Aisha: Ich habe dich nach meinem kleinen Bruder genannt, den ich nie wieder gesehen habe.
Dein Name ist …
Wir stehen hierselbst und sehn betroffen,
den Vorhang zu und alle Fragen offen.