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Kopernikus
Es war der Nachmittag des 5. Juli 1506. Die Sonne schimmerte in einer Pfeilspitze, die auf einen der vier Reiter im Tal gerichtet war. Sein Atem war flach und er fokussiert. Ein leichter Wind wehte und er beschloss noch ein wenig mehr auf sein Ziel vorzuhalten. Der Hauch war trocken und angenehm, eigentlich ein viel zu schöner Tag für ein Blutbad.
Sein Griff öffnete sich. Ein todbringendes Pfeifen war zu hören. Den Bogen fallen lassend, zog er seine zwei Äxte, sprang aus der Deckung und spurtete mit seinem schweren Kettenhemd auf den Tross zu. Der Reiter fiel gerade aus seinem Sattel und schmetterte auf den Boden, als er nur noch wenige Schritte von der Straße entfernt war. Seine drei verbliebenen Gegner waren wohl immer noch verwirrt, denn er erreichte den ersten ohne bemerkt zu werden. Die Klinge seiner Axt versenkte er im Oberschenkel des Reiters und zog ihn mit dieser von seinem Pferd. Der zweite Hieb traf den Hals. Klebrige Spritzer im Gesicht.
Er rannte an der Kutsche entlang zu der nächsten Wache, welche versuchte ihn mit einer Lanze aufzuspießen. Er drehte sich an dem Stoß vorbei, sprang mit einem Bein auf eine Sprosse der Kutsche, stieß sich ab und war nun hoch genug, um seine Waffe in dessen Brust zu versenken. Sein Gegenüber stieß einen letzten Klagelaut aus und fiel dann zu Boden.
Als er sich zum letzten Reiter umsah, war dieser nicht dort, wo er ihn erwartet hatte. Stattdessen galoppierte er über die Straße davon, weg von dem Scharmützel.
„Was für ein Feigling“, brachte er verächtlich hervor.
Er nahm ein Messer von seinem Gürtel und warf es in die Brust des Kutschers.
Ein Tritt gegen die Tür und das dünne Schloss gab nach. Dort saß ein alter, bärtiger Mann in einer roten Robe und sah ihn mit hasserfüllten Augen an.
„Wer bist du, Teufel?“
„Wo ist es?“
„Es ist ein heiliges Relikt. Du kannst es nicht mitnehmen. Gott wird das nicht zulassen.“
„Hör mir zu du Möchtegern-Heiliger, du spuckst jetzt aus, wo das Kreuz ist, oder ich schneide dich in Streifen. Anfangen werde ich bei deinen Fingern.“
„Ich bin Priester des Philippusordens. Nichts wird mir geschehen.“
Er nahm seine Axt und hieb dem Heiligen die rechte Hand ab. Der alte Mann schrie auf.
„Wo ist es?“, rief er nachdrücklich.
„In der Kiste unter dem Sitz, du Dämon.“
„Ich bin kein Dämon.“
„Was bist du dann?“, stammelte der Priester.
„Ein einfacher Söldner mit dem dem Namen Kopernikus. Was hast du erwartet?“
„Ich verfluche dich Kopernikus. Deine glücklichen Tage sind gezählt. Du hast dich gegen einen uralten Orden verschuldigt und du wirst diese Schuld abbezahlen.“
„Was auch immer du sagst, alter Mann.“
Kopernikus zog die Kiste hervor und packte das prächtige, mit Edelsteinen verzierte Goldkreuz daraus. Der Priester hielt sich seinen Armstumpf, die Augen geschlossen und quasselte irgendetwas auf Latein. Kopernikus hatte diese Sprache schon immer gehasst.
„Danke für Ihre Hilfe, euer Heiligkeit“, spottete Kopernikus.
„ … aeternum“, beendete der Priester sein Gebet und umgriff dann mit seiner gesunden Hand Kopernikus Handgelenk. Die Berührung brannte unerträglich und Kopernikus schüttelte die Hand des Priesters ab.
„Was war das?“
„Das Siegel.“
„Was auch immer.“
Kopernikus sprang aus der Kutsche.
„Wir werden uns wieder sehen!“, rief ihm der Priester hinterher.
Der Räuber dachte sich nichts dabei und ging wieder den Hang hinauf zu seinem Pferd.
Dann machte er sich auf den Weg zum Fürst, um die Beute abzugeben und das Silber für den erfolgreichen Abschluss abzuholen. Bald hätte er genug angespart, um sich eine Bleibe zu kaufen, sich eine Frau zu suchen und bis zu seinem Tod ein ruhiges Leben zu führen. Vielleicht noch ein Jahr oder zwei. Dann könnte er das Kämpfen endlich hinter sich lassen.
In der Nacht des 12. Februar 1510, zog er sich schreiend einen Armbrustbolzen aus der Brust. Er hätte tot sein müssen. Kopernikus kannte solche Verletzungen. Stattdessen kniete er im Schlamm vor seinem Bauernhaus und der kalte Regen prasselte auf ihn herab. Drei Schritte entfernt lag seine Frau tot auf dem Boden. Durchbohrt von den Bolzen derselben Raubritter, die auch ihn umbringen wollten. Sie erwarteten ein Kind. Alles zunichte. Alles verloren.
Er sah auf seine Brust und mit Schrecken musste er feststellen, dass sich die Wunde bereits wieder schloss. Der Schmerz ließ nach. Hatte ihn Gott gerettet? Der selbe Gott, den er verabscheute? Unmöglich zu glauben. So ein Wunder hatte er wahrlich nicht verdient. Und wenn er mich gerettet hat, warum dann nicht sie?
Er stand auf, ging zu seiner Frau und wischte sich Tränen der Trauer aus seinen Augenhöhlen. Er würde sie begraben. Er konnte die Liebe seines Lebens nicht einfach im Schmutz verrotten lassen. Das hatte sie nicht verdient. Das hätte er verdient.
Er besorgte sich eine Schaufel aus dem Schuppen und fing an zu graben. Er würde ihr eine anständige Bestattung abhalten. Vielleicht würde sie dann ins Paradies einkehren. Das Schicksal, das ihm verwehrt blieb.
Wenn er diese Bürde hinter sich gebracht hatte, würde er überprüfen, was die Raubritter ihm gelassen hatten. In den Klostern in der Umgebung wird er schon Antworten finden, dachte er sich. An diesem Ort zu sein, würde er nie wieder ertragen können.
Am Morgen eines frischen Frühlingstages 1517 klopfte er an die schwere Pforte des Klosters. Nach einer scheinbar endlosen Reise, von einem Priester zum nächsten, könnte es nun tatsächlich sein, dass er an sein Ende gekommen war. Viele von ihnen konnten ihm keine Auskunft geben. Andere schickten ihn auf Spuren, die sich dann doch im Nichts verliefen. Und dann war es ausgerechnet ein Bettler, der ihm erzählte, dass in diesem Kloster der Phillipusorden ansässig war.
Er klopfte nochmals gegen die Pforte.
Er hörte ein Schloss quietschen.
Der Flügel öffnete sich und dahinter kam ein alter Mann zum Vorschein. In einer roten Robe. Und mit einem Stumpf an seinem rechten Arm.
„Kopernikus … das ging schneller als ich erwartet hatte. Tritt ein, denn du bist wahrlich von Gott verlassen.“
Am Osterfest des Jahres 1540 stand er vor einem schmutzigen Spiegel und betrachtete seinen kahlen Kopf. Seinen ersten Auftrag hatte er gerade hinter sich gebracht. Den ersten von fünftausend. Und danach hatte er seine erste Urkunde bei einem Priester des Ordens abgeholt. Die erste von fünftausend.
Die Grotte eines kleinen Dorfes von einem Dämon zu befreien schien ihm eigentlich nicht weiter schwierig. Hatte er doch viel gelernt in den Jahrzehnten der Ausbildung, die vor zwei Monaten endete. Aber anscheinend hatte er den Bannspruch falsch aufgesagt, denn er brauchte ein halbes Dutzend Anläufe, bevor das Biest vertrieben war. In dieser Zeit hatte es mit höllischen Flammen seinen kompletten Körper versengt. Die Haut heilte. Die Haare nicht.
Fünftausend Aufträge. Wie lange es wohl dauern würde, bis er seine Frau wieder treffen würde?
Das Feuer entzündete sich und die arme Magd wurde von derben Anfeindungen getroffen, während sie unter schlimmsten Qualen aus dem Leben schied. Kopernikus konnte nichts tun. Der Philippusorden hielt die Hexenverfolgung für eine der schlimmsten Dinge, die sich das Christentum jemals ausgedacht hatte, aber auch dieser musste sich den Anweisungen des Vatikan beugen. Der Orden beteiligte sich in keinster Weise an diesem Trauerspiel. Einschreiten konnte er jedoch nicht. Er war zu geheim, um wirkliche Macht ausüben zu können.
Und so stand Kopernikus inmitten der Meute und blickte mitfühlend auf die arme Frau. Es war der 17. Juli 1648, als er sich dachte, dass die Suche nach bösen Mächten, alleine Profis wie ihm überlassen bleiben sollte.
Kopernikus ritt mit seinem weißen Ross am Donauufer entlang und konnte im Hintergrund den Kampfeslärm hören. Er schätze, dass Ulm bald fallen würde. Es war der 10. Oktober 1805. Napoleons Truppen kämpfen sich durch Europa und brachten den Tod. Und wo der Tod war, da waren auch Dämonen.
„Feu libre!“
Er hörte den Ruf kurz bevor er und sein Pferd von Kugeln durchsiebt wurden. Das Duo stürzte ins Gras und Kopernikus spürte, wie sein Oberschenkelknochen unter dem Tier nachgab. Das muss der siebenunddreißigste Oberschenkelbruch gewesen sein. Er fing an sich unter dem Körper heraus zu kämpfen. Es waren zwölf. Zwölf Soldaten Frankreichs kamen aus dem Gebüsch und umringten ihn. Der Truppenführer richtete seine Pistole auf Kopernikus Stirn und drückte ab. Eine kurze Schwärze wurde abgelöst und verschwommener und dann klarer Sicht. Er hörte Männer aufschreien und ihre Waffen nachladen. Er selbst befreite sein Bein, zog sein Messer und grinste. Mit diesen hinterhältigen Schweinen würde er sich Zeit lassen.
Um ihn herum schlugen die russischen Granaten in die, bis zur Unkenntlichkeit zerbombten Gebäude. Von der Zigarette in seinem Mund verströmte grauer Qualm und mischte sich mit dem Betonstaub in der Luft. Irgendwo hier musste es sein.
Er sprang über eine Absperrung und spurtete in den Hinterhof, der angeblich der richtige Ort war. Die Informationen des Ordens waren sehr dürftig und die Lage in der Stadt machte die Suche nicht unbedingt einfacher.
Doch dann sah er es. Ein massiver Gang, der aus dem Boden ragte und nach zwei Metern von einer schweren Panzertür versperrt war. Dort drin waren sie. Alle samt von Gott verlassen. Es kümmerte ihn nicht weiter. Er suchte den Hinterhof ab und kam an einer Vertiefung an. Und dort drin lag die verbrannte Leiche.
„Keine sehr ordentliche Arbeit“, murmelte er.
Er kniete sich neben die Leiche, nahm sein Holzkreuz vom Hals, drückte es auf die verkohlte Stirn und sprach die heiligen, germanischen Worte.
Durch die alten Wurzeln der fremden Welt bereinigt sich das Leben. Wenn Schicksal und Glaube die Wirklichkeit verweben. Lass die dunklen Mächte in Schmerzen erbeben. Befreie diesen Körper von dem falschen Wesen.
Der Leichnam fing Feuer und zersetzte sich zu feiner Asche.
Keine Dämonen.
Der Führer war wohl doch nicht besessen. Er hatte dem Orden gesagt, dass es für solche Vermutungen keine Anzeichen gab. Doch der wollte auf Nummer sicher gehen. Nun wussten sie es. Dieser Mensch hatte es aus eigenen Stücken geschafft, so viel Leid zu bringen und sich selbst zum Monster zu machen.
Gegenwart.
Schwerer Weihrauch ummantelte sein Gesicht, waberte vor seinen dunkelgrünen Brillengläsern umher und lag ihm beißend in der Nase. Es war heiliger Rauch, gesegnet vom Bischof in der nächstgelegenen Stadt, den er mit seiner, in Gold gefassten, Autorisierungsmarke davon überzeugen konnte, die alten Worte auf Latein zu sprechen.. Philippus, einer der zwölf Jünger Jesu, erschuf das Ritual höchst persönlich.
Dem Zeitgeist entsprechend trug er unter einem schweren, schwarzen Stoffmantel einfarbige, meist dunkle Shirts. Und da wo seine blaue Jeans endete, fingen die Ränder seiner weißen Sneaker an. Seine Sonnenbrille trug er bei Tag und bei Nacht, denn die verhexten Gläser ließen ihn durch die Dunkelheit sehen. Und sie ließen ihn auch Dinge sehen, die den meisten Menschen verwehrt blieben. Jedenfalls, wenn sie direkt vor ihm erschienen. Diese Aufmachung schützte ihn zwar nicht mehr vor Scharmützeln mit Raubrittern, aber dafür vor neugierigen Sterblichen oder besser noch, quasselnden Kindern.
Der neugierige Sterbliche, der hinter der Theke stand und ihm gerade sein neuntes Bier zapfte, ließ sich jedoch nicht von seinem Äußeren einschüchtern. Anscheinend hatte der Wirt dieses Gasthauses, an der Pforte zum Spessartwald, schon ein bisschen was in seinem Leben gesehen. Er blickte Kopernikus die ganze Zeit verächtlich an und war offensichtlich nicht begeistert davon, ihm ein Gästezimmer vermietet zu haben. Vielleicht lag es an den Weihrauchzigaretten, die er durchgängig zwischen seinem Zeige- und Mittelfinger hielt. An letzterem befand sich ein silberner Siegelring mit dem Ordenssymbol.
Der Wirt selbst trank gerade sein fünftes Bier und diskutierte nebenbei mit den beiden anderen Gestalten an der Theke über die hohen Steuern und darüber, dass ein gewisser Bernd Völker mit Spitznamen BierVölker, neulich einen halben Giggel durch ein Festzelt geschleudert hatte.
„Bittschön, Ihr Neuntes. In Sie geht ja ganz schön was nei.“
„Mit der Zeit wird man trinkfest.“
„Ja, aber neun Bier und Sie sitzen da, wie nach keinem.“
„Das ist der Preis, den man zahlt, wenn es kein Ende für einen gibt.“
„Ja, wir haben hier öfters Leut sitzen, die kein Ende finden. Und zum Schluss muss ich dann die Sauerei wieder aufwischen.“
Kopernikus griff nach seinem Bier und nahm einen kräftigen Schluck. Er hatte sich bereits vor einer Stunde dazu entschieden, dass es hier nichts Außergewöhnliches gab. Der Priester hatte Mist erzählt. Nichts Neues. Er berichtete etwas von schwarzer Magie und Kopernikus hatte danach Ausschau gehalten. Aber keine Anzeichen. Keine unerklärlichen Luftzüge. Keine auffälligen Änderungen am brennenden Holz in dem Ofen, den der Wirt regelmäßig anfeuerte. Alles normal. Vielleicht waren die Berichte der letzten Wochen nur Dorfgeschwätz. Es gab keine kleinen Hinweise, nach denen er noch Ausschau halten könnte, mit der Brille und ohne. Also blieb ihm nur noch der kleine, unbefriedigende Suff, den ihm der Fluch noch gewährte.
„Wie seh'n Sie eigentlich aus? Sie sind doch keiner von den Zeugen Jehovas, oder“, machte ihn der Wirt herablassend an.
„Weder so gläubig, noch so penetrant.“
„Und'n Perverser sind Sie auch nicht?“
„Nicht so, wie Sie sich das vielleicht vorstellen.“
„Nicht, dass du mir das Zimmer versaust. Ich musste schon so einige Schweinereien wegmachen.“
„Sind Sie immer so misstrauisch zu neuen Kunden? Zapf mir mal lieber noch ein Bier und frag nicht so viel.“
Der Wirt nahm mürrisch das leere Bierglas und verschwand um die Ecke.
An zwei Tischen im Gastraum saßen noch ein paar Gestalten. Keine von ihnen war einen Gedanken wert. Alles ganz normale Leute, die sich an einem ganz normal Freitagabend einen ganz normalen Schoppen gönnten. Kopernikus langweilte sich. Genau genommen langweilte er sich immer. Wenn man schon so viel gesehen hatte wie er, dann hatte einem das Leben nichts mehr zu bieten.
Der Wirt stellte das gefüllte Glas vor ihm auf den Bierdeckel und kritzelte einen weiteren Strich an dessen Rand.
„So ... Nummer Zehn.“
Kopernikus antwortete nicht und nahm stattdessen einen ordentlichen Schluck.
„Was ist das eigentlich für'n Kreuz, das da um Ihr'n Hals hängt? Sieht net sehr schön aus. Ziemlich plump.“
„Das ,was sie plump nennen, ist eines der mächtigsten Relikte auf diesem Kontinent.“
„Sieht eher aus, als wär's ein schlecht geschnitztes Holzkreuz.“
„Wissen Sie, schlecht geschnitzte Kreuze sind meine Spezialität.“
„Sie sind wohl Antiquitätenhändler oder so was.“
„So ähnlich.“
„Ich kannte mal so einen. Kein schönes Leben, das kann ich Ihnen sagen. Suchen Sie sich lieber 'ne hübsche Frau und 'nen anständigen Beruf.“
Kopernikus leerte sein Bier mit einem einzigen großen Schluck, zog einen Fünfzig-Euro-Schein aus seiner Hosentasche und legte ihn auf den hölzernen Tresen.
„Das passt.“
„Sehr großzügig.“
„Was Sie nicht sagen.“
Der Krieger stand auf und ging durch die Tür neben dem Ofen und die Treppe dahinter hinauf zu seinem Zimmer. Er hatte keine versteckten, bösen Mächte entdeckt. Alles war ganz normal, wenn man mal von dem nervigen Geschwurbel des Wirts absah. Er würde morgen früh zum Priester zurückkehren und ihm dies mitteilen. Danach müsste er sich wieder einen neuen Auftrag suchen.
In seiner kleinen Kammer angekommen legte er sich in das Bett, schaltete das Licht aus, schloss die Augen und fiel in einen friedlichen Schlaf.
Keine Luft. Ein Druck an der Kehle. Das Schlucken unmöglich. Augen aufgerissen. Eine wuchtige Gestalt über ihm.
Er lag im Bett und umgriff die beiden Handgelenke, deren Finger sich um seinen Hals schnürten und ihm die Luft abdrückten. Ein Lichtschein drang durch die offene Tür in seine Kammer und der Angreifer zeichnete vor dieser eine bedrohliche Silhouette.
Kopernikus schlängelte sich in seinem Bett, die Handgelenke immer noch fest gepackt. Würgte. Er umfasste mit seinem rechten Fuß die Bettkante und zog seinen Unterkörper so zurecht, dass er den Boden berühren konnte. Unter einem Kraftakt richtete er sich auf. Mit dem nun besseren Hebel gelang es ihm die Arme des Angreifers auseinander zu drücken, weg von seinem Hals, um daraufhin dem Eindringling einen massiven Kopfstoß in dessen Gesicht zu verpassen.
Sein Gegenüber taumelte und Kopernikus konnte nun erkennen, dass der Angreifer der Wirt war. Es musste einen Grund geben. Seine verhexte Brille zeigte ihm dann einen aggressiven, flackernden roten Schein in dessen Augen – Der Wirt war besessen. Das war er vorhin noch nicht.
Der Körper des Wirtes stürzte sich auf Kopernikus und nahm ihn in den Schwitzkasten. Er hatte jedoch schnell genug seinen eigenen Arm zwischen sich und den Arm des Monstrums bringen können und verhinderte, dass dieser ihm wieder die Luft abschnürte. Lächerlich, dass er sich das gefallen ließ. Mit den Kundschaftern Napoleons, die ihn am Donauufer in einen Hinterhalt lockten, hatte er auch keine Nachsicht. Er griff mit seiner freien Hand in seine linke Hosentasche und zog sein kleines Messer.
„Gladius Dei“, flüsterte er und die Klinge begann golden zu leuchten.
Er rammte sie in die Hand des Angreifers. Der jauchzte, als das glühende Eisen in das Gewebe eintauchte. Kopernikus befreite sich aus dem Griff und wich an das andere Ende des Zimmers zurück. Er riss sich sein klobiges Holzkreuz vom Hals und hielt es zwischen sich und den Wirt.
In germanischer Sprache predigte er das alte Ritual.
Durch die alten Wurzeln der fremden Welt bereinigt sich das Leben. Wenn Schicksal und Glaube die Wirklichkeit verweben. Lass die dunklen Mächte in Schmerzen erbeben. Befreie diesen Körper von dem falschen Wesen.
Er sprang auf den Wirt zu, schnell und entschlossen, drückte ihm das Kreuz auf die Brust, direkt über dem Herzen. Grauer Rauch stieg auf und das heilige Holz brannte sich auf der Haut ein. Der Geruch war erstaunlich mild, wenn man das verkokelte Gewebe bedachte. Das sollte wohl reichen. Der Eindringling stöhnte und Kopernikus konnte mit seiner Brille sehen, wie der dämonische Geist aus dem Mund des Körpers quoll und zu Boden sank, durch die Dielen kroch und schließlich verschwand.
Sein Gegenüber verstummte und Kopernikus nahm das Artefakt von dessen Brust. Ein kreuzförmiger Querschnitt seines Hemdes war weggebrannt und die Haut darunter warf feuerrote Blasen. Der Wirt war kurz davor, nach vorne umzukippen, kam dann aber zu sich und fing sich ab. Das Flackern in seinen Augen war verschwunden.
„Was is'n hier los“, brachte dieser hervor.
„Ein Dämon hat heute Nacht von dir Besitz ergriffen.“
„Und du hast mir geholfen?“
„Ja, aber gegen deine Gequassel kann ich nur das hier machen.“
Er schlug den Wirt mit einem Hieb bewusstlos, fing diesen auf und legte ihn auf das Bett. Es hatte sich einiges an Wut aufgestaut.
Dann kniete er sich vor seine schwarze Sporttasche in der Ecke des Zimmers. Sein weniges Hab und Gut befand sich darin, das meiste davon benötigte er für seine Aufträge. Ampullen, Schriften, Waffen, mächtige Gegenstände – er hatte die geballte Macht von zweitausend Jahren Okkultismus hinter sich.
Er nahm einen hellbraunen Briefumschlag heraus und steckte ihn sich in die Manteltasche. Sein Holzkreuz band er sich wieder um den Hals. Danach ging es in schnellem Schritt die Treppe hinunter in den Gastraum. Sein Blick, durch die Brille verstärkt, schwang über die Tische, Stühle und Bänke. Irgendwelche kleinsten Wirkungen, die ohne eine Ursache abliefen, waren sein Ziel. Er fand nichts. Alles war wie am vergangenen Abend. Kein Anfänger, dachte er sich.
Kopernikus griff in die Innentasche seines Mantels, holte eine seiner Weihrauchzigaretten heraus, steckte sie sich in den Mund und zündete sie an.
„Zeige dich“, sprach er, während der Rauch in seiner Lunge verblieb.
Dann blies er ihn hinaus. Der Dunst verteilte sich im Raum. Ein Geruch von Ehrfurcht. Ein kleine Schwade wurde in den Ofen gezogen und dieser fing an wild zu flackern und verfärbte sich ins eisig Blaue. Verdammt, dachte sich der Krieger, das hätte ich bemerken müssen.
Der zweite Zug an der Zigarette war kräftiger und er pustete den Rauch über den Tresen. Dieser verfärbte sich genauso ins bläuliche und verschwand vor den Zapfanlage im schweren Holzboden. Kopernikus ging an die Stelle und fand dort eine Falltür, die in den Keller führen musste. Er zog sein Messer, schwang die Luke auf und sprang ins Dunkel.
Die Landung war schwer. Er stand inmitten eines Kreises aus Kerzen. Die Luft war erfüllt von weltfremder Energie. Kopernikus rückte die Brille zurecht und sah sich um. Niemand war zu sehen aber dennoch - dies war der Ursprung. Wie viele dieser Plätze hatte er schon gefunden und gesäubert. Mystische Aura und alle Elemente von schwarzer Beschwörung waren vorhanden. Ein verwunschenes Symbol auf dem Boden. Ein Hölzerner Altar stand davor. Er ging zu ihm, während er sein Messer wieder in der Hose verstaute.
Auf diesem lag ein Buch. Er schlug es zu und las den Titel.
Daemones autem tertio huius ordinis.
Dämonen der dritten Kaste.
Der Beschwörer war wohl wirklich kein Anfänger. Für solche Lektüre und deren Anwendung waren Begabung und ein tiefes Verständnis des Fünften-, sowie des Sechsten Zirkel erforderlich. Das Ziel musste gezielt ausgebildet worden sein. Vermutlich trainiert er hier, im dunklen Keller jede Nacht seine Fähigkeiten.
Ein Kreischen hinter ihm. Er drehte sich um und sah eine kleine Gestalt, eingepackt in eine schwere Robe. Sie hielt ihm ihre Handflächen entgegen und zwischen Kopernikus und dem Beschwörer verdichtete sich die bläulich Energie zu einem Dunst, der so stark konzentriert auch ohne seine Brille sichtbar war. Die unförmige Gestalt wirbelte in sich selbst umher. Unnatürliche Gebilde waren im Inneren zu sehen. Nichts, was man mit Naturwissenschaft erklären könnte. Dann bildeten die Ausläufer die Form von kleinen Krallen. Unzählige von ihnen.
Kopernikus sank auf die Knie und faltete die Hände zum Gebet. Das Wesen umschlang ihn blitzschnell, wirbelte wild um ihn und riss dabei blutende Wunden in seine Haut; die sich jedoch nach einigen Momenten wieder verschlossen und heilten. Sein Fluch schütze ihn vor dem sicheren Tod. Kopernikus schloss seine Augen und betete den lateinischen Bannspruch.
Diese Welt ist den Lebenden vorbehalten. Du hast kein Recht hier zu wandeln. Du kehrst zurück in deine Dimension. Bist hier nur noch eine Illusion. Du wirst gebannt! Du bist gebannt!
Er wiederholte diese Worte monoton, während der Dämon noch immer Wunden in seinen Köprer schnitt. Mit geschlossenen Augen und betend, holte er den Briefumschlag aus seiner Manteltasche und hielt ihn vor sich. Das Wesen ließ nach. Wurde immer schwächer. Riss kaum noch neue Wunden. Verklumpte sich vor ihm. Kaum ein Dämon hielt den Bannsprüchen des Ordens stand. Der Dunst formte sich zu einer kleinen Kugel, kaum größer als ein Daumennagel.
Kopernikus stülpte den Briefumschlag darüber, schloss ihn, tropfte mit einer der Kerzen weißes Wachs auf diesen und drückte seinen Siegelring hinein. Der Dämon war gefangen.
Er steckte den Umschlag in die Innentasche seinen Mantels und blickte in Richtung seines Gegners. Der Beschwörer war inzwischen auf dem Boden zusammengesunken. Er musst seine letzten Kräfte aufgebracht haben, bei dem lächerlichen Versuch seine Schöpfung zu retten. Kopernikus kniete sich neben ihn und warf die Kapuze zurück. Das Gesicht einer Frau kam zum Vorschein, mit schwarzem Haar und dünnen Lippen.
„Wirst du mich töten“, fragte sie schwach und ängstlich.
„Nein, ich richte nicht. Ich bekämpfe nur.“
„Was wirst du mit mir tun?“
„Dich festsetzen, bis die Leute vom Orden hier sind. Diese werden dann über dich richten.“
Er drückte ihr seinen Siegelring an die Stirn.
„Mutus.“
Sie schluckte kurz, wollte etwas sagen, doch konnte nicht, rang damit ihren Mund zu öffnen.
„Damit du nicht nochmal ein Wesen aus den anderen Welten beschwörst. Ich rate dir hier zu bleiben, bis der Orden eintrifft. Sonst wirst du den Rest deines Lebens kein Wort mehr sprechen … Glaube mir, wenn das jüngste Gericht kommen sollte, dann wirst du dich verteidigen wollen.“
Er ließ sie im Keller zurück und stieg durch die Falltür zurück in den Gastraum. Er nahm das Telefon an der Wand und rief den Bischof an. Dieser schickte sofort die Ordensbrüder zu dem Vorfall. Kopernikus' Arbeit war getan. Er holte seine Tasche aus dem Gästezimmer, schwang sie sich über die Schulter, nahm sich fünfzig Euro aus dem Geldbeutel des bewusstlosen Wirts und verließ das Wirtshaus.
Er machte sich auf den Weg zum Bischof, um die Urkunde für den erfolgreichen Abschluss abzuholen. Bald würde er sein Soll erfüllt haben und er kann sich von einem Kardinal des Ordens von dem Fluch befreien lassen. Vielleicht noch hundert Jahre. Vielleicht weniger. Dann würde er endlich aus dieser Welt entschwinden und in die Nächste gehen. Ob seine Frau und sein Kind noch auf ihn warteten?
- Verwendete Wörter
- 133 - Von Träumerle: Herz, Orden, anfeuern, Recht, Element