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Kleiner Alex

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21.06.2001
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Kleiner Alex

Alex war ein kleiner Mann, 1 Meter 70 und keinen Zentimeter mehr und das war wirklich traurig, denn klein zu sein bedeutete, dass die anderen größer waren, und wer wollte das schon. Vor allem die Frauen bereiteten ihm Sorgen, denn seine Körpergröße nötigte ihn, zum Hinaufküsser zu werden, und hinaufzuküssen war so ziemlich die größte Beleidigung, die Mutter Natur einem Mann in den Schoß bzw. Mund legen konnte. Aber Alex haderte nicht mit seinem Schicksal, nur ab und zu fluchte und tobte er, dann flogen Dinge gegen Wände, die da einfach nicht hingehörten und seine Schreie hätten die Nachbarn aufgeschreckt, wenn diese nicht schon alt und schwerhörig gewesen wären. Meistens beruhigte sich Alex schnell wieder, außer es dauerte länger. So war er, der Alex.
Seine letzte Flamme, die er zu einem sündhaft ausgedehnten Abendessen eingeladen hatte, besser gesagt, dass er für sie zubereitet hatte, weil Alex nicht nur klein war, sondern auch kochen konnte, verließ dieses mit weihevollen Worten, in dem sie ihm Komplimente für das Essen, das Haus und überhaupt alles machte, aber als sie sich verabschiedeten und sie vom „schönen Abend“ und vom „Wiedersehen“ sprach, bemerkte er in ihren Augen das „Bloß weg von hier“ und als er tags darauf bei ihr anrief und sie sich verleugnen ließ und auch kein weiterer Anruf von ihr kam, da war er wütend. So wütend, dass er im Wohnzimmer herumstapfte, die Nachrichtensprecherin beschimpfte und dann, einem plötzlichen Einfall folgend in die Küche lief, wo noch immer ‚ihr’ ungespültes Weinglas stand, über welches sie ihn an jenem Abend fast drei Stunden lang angelogen hatte. Alex nahm dieses Glas, betrachtete es kurz, weil sich das Licht so schön darin brach und warf es dann auf den Boden, wo es mit einem schrillen Aufschrei in viele Teile zersplitterte. Dann ging er zurück ins Wohnzimmer, wo er sich vor den Fernseher setzte, um die Nachrichtensprecherin erneut zu beschimpfen, ganz laut als säße sie neben ihm und lese nur für ihn. Als ihm das langweilig wurde, lief er zurück in die Küche und begann die Scherben aufzukehren, wobei ihm einfiel, dass wohl die nervigsten, sinnlosesten und hassenswertesten Menschen auf diesem Planeten die Weinkenner waren, also Leute, die das blöde Gesöff im Mund spülten, bevor sie es schluckten, und die dann damit begannen, französische Namen und Rebstocksorten aufzuzählen. Diese Menschen waren ein Plage, eine wahrhaft biblische Plage, die sich Gott in seiner nicht zu verleugnenden Hinterlist für das 21. Jahrhundert aufgehoben hatte. Heuschreckengleich vermehrten sie sich, fielen über Restaurants her, sogar über die drittklassigen, um jeden verschimmelten Ladenhüter aus dem hintersten Kellerwinkel fachgerecht zu beurteilen. Ein Weinkenner zu sein, war fast schlimmer als klein zu sein, dachte Alex, als er die Scherben in den Mülleimer kippte.
Alex war Programmierer und das wäre ein schöner Beruf gewesen, wäre man nicht – wie er – dazu verurteilt gewesen, lustige Lernspiele für Plagen ab sechs Jahren zu programmieren, in denen blöde Bären dazu aufforderten, doch bitte zwei und zwei zu addieren. Manchmal hasste er sogar den Quelltext, weil er wusste, dass sich dahinter das freudestrahlende Gesicht des Bären verbarg, das lachte, wenn die Aufgabe richtig gelöst wurde. Und wenn er sich hineingeredet hatte in das deprimierende Tragödiendrama, das sein Leben war, dann dachte er oft an Selbstmord oder an den Film „Hannibal“, und wie gern er nicht Anthony Hopkins wäre, nicht der Schauspieler, sondern seine Rolle.

Sie hatte ihn mit „Hi, ich bin die Inge“ begrüßt, was ihr gleich mal drei Punkte Abzug brachte, weil Frauen Mitte Dreißig nicht mit „Hi“ zu grüßen hatten, und wenn sie schon meinten dieses blöde, verstümmelte Wort benutzen zu müssen, dann bitte nicht „Inge“ zu heißen hatten, sondern „Yvonne“, „Scarlett“ oder zumindest „Faye“. Inge schrie förmlich nach „Hallo“ oder „Guten Abend“. Für Inge hatte er nicht gekocht, weil er kein weiteres Glas riskieren wollte. Sie trafen sich „Chez Louis“, was Alex nur widerwillig akzeptierte, weil jedes Restaurant der Klasse „Chez Louis“, „Chez Louis“ zu heißen schien, und daher „Chez Louis“ schon allein für seine Einfallslosigkeit hätte abgestraft gehört, aber es war das einzige Restaurant, dass auch sie kannte, und was machte man nicht alles für die Frauen.
Inge sah schön aus, was eben noch so möglich war mit sechsundreißig. Als Frau mit sechsundreißig. Er schätzte sie auf 1 Meter 66, bestimmt nicht mehr. Nach der Begrüßung am Tisch lächelte sie aufgeregt und etwas atemlos, um gleich, nachdem sie sich gesetzt hatten, zu bekunden, dass sie ‚so etwas’ zum ersten Mal mache, und Alex bemerkte ihren Versuch, die Worte ‚so etwas’ ganz natürlich klingen zu lassen. Die peinliche Pause, die mit Sicherheit entstanden wäre, wurde durch den Ober verhindert, der herbeigeeilt kam und im Großen und Ganzen sehr homosexuell aussah. Aber das taten Ober immer, vor allem wenn sie in Restaurants, die „Chez Louis“ hießen, arbeiteten – fand jedenfalls Alex, und niemand hatte ihm bis jetzt widersprochen.
Würdevoll und mit ein paar warmen Worten, die Alex völlig ignorierte, überreichte er beiden die Weinkarte, und als Alex die seine aufschlug, beobachtete er über den Rand hinweg Inge, die mit ihrer das gleiche machte. Ihr Gesicht verlor für einen kurzen Moment das Lächeln und bekam etwas Sorgenvolles, als müsste sie nun darangehen, altassyrische Keilschrifttafeln zu transkribieren, natürlich ohne Altassyrisch zu beherrschen. Alex ließ eine halbe Minute verstreichen, dann fragte er, ob sie schon gewählt hatte, was aber ohnehin ohne Belang war, weil der Mann zu wählen hatte, in Absprache mit seiner holden Maid, vor allem wenn diese kein Altassyrisch verstand. Sie meinte nein, und fügte dann lächelnd hinzu, dass sie ein wenig überfordert sei, die vielen Namen, deren Anzahl nur durch ihre Unaussprechlichkeit übertroffen werde. Alex entschloss sich den Unaussprechlichsten vorzuschlagen, was sie mit einem erleichterten Nicken quittierte.
Sie ist ‚ne blöde Ku-uh und manchmal macht sie Mu-uh, dachte Alex, während er ihr einige belanglose Fragen stellte, die sie eilfertig und gütig lächelnd beantwortete. Als der Ober mit dem Wein ankam, um Alex das obligatorische Quotenschlückchen anzubieten, nahm er das Glas, kippte den mageren Inhalt in sich hinein und sagte kurz angebunden „Gut“, was der homosexuelle Pinguin mit einem pikierten Gesichtsausdruck quittierte.
Beim Essen langweilte Inge ihn mit irgendwelchen Erlebnissen aus ihrem erlebnislosen Leben, und Alex Gedanken schweiften ab. Er dachte darüber nach, ob es homosexuelle Pinguine gab, und, sollte es so sein, ob man ein solches Motiv nicht in ein lustiges Lernspiel für Plagen ab sechs Jahren einbauen könnte. Auf dem Teller befand sich Kalbsteak Soundso im Soundsomantel, mit Soundsosoße und Soundsogemüse.
Als sie von ihrem aufregenden Job als Chefsekretärin erzählte, dachte Alex „Inge, ich denke ernsthaft daran ihren Mann zu verspeisen“, was natürlich Blödsinn war, weil Inge gar keinen Mann hatte, höchstens einen Ex-Mann, und einen Ex-Mann zu fressen, war wohl der Gipfel an Unsinnigkeit und … Perversion. Man fraß einfach keine Ex-Ehemänner, mit so etwas schockierte man nicht, sondern machte sich höchstens Lächerlich. Und die nächste Frage, die in ihm auftauchte, nämlich ob Männer eigentlich anders schmeckten als Frauen, blieb glücklicherweise unausgesprochen, stattdessen platzte er mit dem anderen Rätsel heraus, das ihn beschäftigte:
„Inge, denken sie, es gibt homosexuelle Pinguine?“
Sie starrte ihn an, nur mehr ihre Augen lächelten weiter und für einen kurzen Moment schien sie das Atmen zu vergessen.
„Ich denke … ja. Ich glaube sogar ganz sicher“, sagte sie und ihr Blick wurde schärfer. „Aber wie kommen sie auf eine solche Frage.“
„Warum sind sie sich so sicher?“
„Warum stellen sie eine Gegenfrage.“
Sie lachte plötzlich auf, lauter als eigentlich schicklich war in einem „Chez Louis“, und er nahm sein Glas und nippte, verhalten lachend, am Unaussprechlichen. Wein natürlich.
Als sie ihre Lachsalve beendet hatte, schlug sie etwas verschämt die Augen nieder – nicht wegen ihm, sondern wegen der anderen Gäste – und beäugte ihn interessiert, aber kein bisschen irritiert.
„Das ist mir wirklich noch nie passiert“, sagte sie heiter.
„Was denn?“
„So eine Frage. Beim ersten Treffen. In dieser Umgebung.“
„Habe ich sie denn … schockiert?“
„Und wie“, sagte sie, ohne es tatsächlich zu meinen.
„Wollen wir gehen?“ fragte er.
„Wohin?“
„Tanzen.“

Gegen zwei Uhr morgens hing sie in seinen Armen. Sie tanzten langsam und der Duft ihres Parfüms strömte von ihrem Hals in seine Nase. Die Lämmer, Agent Starling, was machen die Lämmer? Sie schreien. Tsfff…tsffff…tsfff.
Eine knappe Stunde später brachte er sie nach Hause, und als er selbst, alleine aber voller Wonne, in seinem Bett lag, und gerade dabei war, einzuschlafen, stand er doch noch einmal auf, ging zum Kühlschrank und machte sich ein Schinkensandwich. Das viele Tanzen hatte hungrig gemacht.

 

Hallo Martin,

deine Geschichte gefällt mir gut. Sie ist sprachlich locker geschrieben, sodass es Spaß gemacht hat, sie zu lesen, und ich habe mit großen Interesse bis zum Ende gelesen, um zu erfahren, wie das Date zwischen Alex und seiner neuen Flamme verläuft. Den Schluss hast du dann ja recht offen gelassen (hätte gerne noch gewusst, wie es weitergeht), trotzdem denke ich, dass sich bei beiden nach anfänglicher Skepsis von Alex' Seite sehr gut anfreunden und näherkommen werden. Sonst hätte dein Protagonist sie zum einen ja nicht gefragt, ob sie mit ihm Tanzen gehen möchte, zum anderen spielt ja die Körpergröße eine wichtige Rolle für Alex, und dass Inge vier Zentimeter kleiner ist als er, wirkt sich sicherlich auch positiv auf die Beziehung der beiden aus.
Alex' Gedankengänge über sein Leben und seine Umwelt fand ich originell, und deine Geschichte hat mich gut unterhalten.

Seine letzte Flamme, die er zu einem sündhaft ausgedehnten Abendessen eingeladen hatte, besser gesagt, dass er für sie zubereitet hatte
das
aber es war das einzige Restaurant, dass auch sie kannte, und was machte man nicht alles für die Frauen
das

Viele Grüße,

Michael :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Martin,
was mir gleich mal drei Punkte Abzug bringt, weil Kritiker um die ... nicht mit „Hi“ zu grüßen hatten, und wenn sie schon meinten dieses blöde, verstümmelte Wort benutzen zu müssen, dann bitte nicht „Dreimeier“ zu heißen hatten, sondern „Yvonne“, „Scarlett“ oder zumindest „Faye“.

Das ist aber nicht alles, denn meine Kritik fällt leider nicht besonders positiv aus.
.........
Alex war ein kleiner Mann, 1 Meter 70 und keinen Zentimeter mehr und das war wirklich traurig, den klein zu sein bedeutete, dass die anderen größer waren, und wer wollte das schon.
.........“denn“
Tja, ich bin 1,73 und hatte mir vorgenommen diesen Aspekt in meiner Kritik nicht zu beachten, so schwachsinnig er auch ist. Ich bin nicht sicher, daß es mir gelungen ist.

............
Seine letzte Flamme, die er zu einem sündhaft ausgedehnten Abendessen eingeladen hatte, besser gesagt, dass er für sie zubereitet hatte, weil Alex nicht nur klein war, sondern auch kochen konnte, verließ dieses mit weihevollen Worten, in dem sie ihm Komplimente für das Essen, das Haus und überhaupt alles machte, aber als sie sich verabschiedeten und sie vom „schönen Abend“ und vom „Wiedersehen“ sprach, bemerkte er in ihren Augen das „Bloß weg von hier“ und als er tags darauf bei ihr anrief und sie sich verleugnen ließ und auch kein weiterer Anruf von ihr kam, da war er wütend.
...............Schau doch mal nach...hast Du noch irgendwo einen Punkt übrig, der diesen Satz lesbar macht?
Dies ist aber nur ein Beispiel. Andere Sätze könnten auch Kürzungen vertragen.

................
...eine wahrhaft biblische Plage, die sich Gott in seiner nicht zu verleugnenden Hinterlist für das 21. Jahrhundert aufgehoben hatte.
..............die gab es auch schon früher

..............
Inge sah schön aus, was eben noch so möglich war mit sechsundreißig. Als Frau mit sechsundreißig.
.............überleg Dir mal, was Du schreibst...Dies ist wirklich eine heftige Beleidigung, die Deine Leserschaft merklich reduziert.

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nachdem sie sich gesetzt hatten, zu bekunden, dass sie ‚so etwas’ zum ersten Mal mache,
...............was? Essen?

...............
was der homosexuelle Pinguin mit einem pikierten Gesichtsausdruck quittierte.
..............Geschmackssache. Für mich daneben.

.............
„Warum stellen sie eine Gegenfrage.“
.............?


Bleibt mir noch die Frage:
Was ist abgesehen vom handwerklichen und vom Geschmack seltsam an dieser Geschichte?

 

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