Was ist neu

James Frey: Tausend kleine Scherben

Mitglied
Beitritt
22.09.2006
Beiträge
106

James Frey: Tausend kleine Scherben

James Frey: Tausend kleine Scherben
Goldmann Verlag
ISBN: 3-442-15344-1

Im Klappentext der von mir gelesenen Taschenbuchausgabe ist von einem autobiographischen Roman die Rede, aber wenn man nach „James Frey“ googelt (nicht verwechseln mit James N. Frey), stößt man schnell auf einen Wikipedia-Artikel, in dem nachzulesen ist, dass große Teile des Romans frei erfunden sein sollen. Ich halte das Buch trotz dieser „Lüge“ auf dem Klappentext für absolut lesens- und empfehlenswert. Im Nachhinein muss ich sogar sagen, es nimmt Freys Geschichte ein wenig die Härte. Zu wissen, dass ganze Teile – und damit vermutlich auch einige der Figuren – frei erfunden sind, ist vielleicht ganz gut so, denn Freys Geschichte ist hart, verstörend und traurig, und im Kern ist sie sicher wirklich autobiographisch. Zartbesaitete sollten vielleicht lieber die Finger von diesem Buch lassen, denn Frey erzählt die Geschichte von seiner Alkohol- und Drogensucht und deren Überwindung absolut schonungslos. Nichts, aber auch wirklich gar nichts bleibt dem Leser erspart. Mit einer einfachen, klaren, aber sehr bildhaften Sprache, die oft auch vulgär ist, versteht Frey sich darauf, seine Geschichte fesselnd zu erzählen. Dabei schreibt er mit einer so beeindruckenden Intensität, dass es mir schwergefallen ist, das Buch aus der Hand zu legen. An einigen Stellen musste ich es allerdings aus der Hand legen, allein schon, um das Gelesene erst einmal zu verdauen.

Im Alter von einundzwanzig Jahren hat Frey bereits eine über zehnjährige Alkohol- und Drogenkarriere hinter sich, ist körperlich und psychisch ein Wrack. In einem letzten Versuch, ihn zu retten, liefern seine Eltern ihn in eine Entzugsklinik ein. Frey hat mit sich selbst zu kämpfen, denn obwohl er clean werden will, kann er die Regeln der Klinik nicht akzeptieren, da diese auf den Glauben an Gott oder einer höheren Macht aufbauen. Frey glaubt nicht an Gott, am Anfang hat man den Eindruck, er glaubt nicht einmal mehr an sich selbst und will einfach nur noch sterben. Im ständigen Konflikt mit sich selbst, den Ärzten, Psychologen, dem Klinikpersonal und anderen Patienten findet Frey schließlich seinen ganz eigenen Weg, die Sucht zu überwinden.
Das Buch handelt von Selbstzweifeln, von Angst, Wut, Schmerz Sucht und Schuldgefühlen. Frey beschönigt nichts, er gibt weder seinen Eltern, seiner Kindheit oder den Genen die Schuld an seiner Alkohol- und Drogensucht; er gibt nur sich selbst die Schuld, indem er schreibt, es sei immer seine Entscheidung gewesen, Alkohol und Drogen zu sich zu nehmen. Außer von seiner Sucht handelt das Buch aber auch von Freundschaft, Liebe und Mut. Frey findet unter den Patienten neue Freunde, er lernt Leonard kennen, einen Mann, der für die Mafia gearbeitet hat, und vor dem viele der Patienten deswegen Angst haben. Leonard wird zu seinem Mentor, sehr zum Ärger der Ärzte, die befürchten, dass er einen schlechten Einfluss auf Frey hat. Frey beschreibt auf bewegende Weise, wie er durch Leonard, aber auch durch andere neue Freundschaften, zu neuem Lebensmut gefunden hat, und er erzählt außerdem die Geschichte von sich und Lilly, einer ebenfalls stark drogenabhängigen Patientin. Lilly und Frey verlieben sich ineinander, aber die strengen Regeln in der Klinik erlauben keinen Kontakt zwischen männlichen und weiblichen Patienten. Natürlich halten die beiden sich nicht an diese Regel. Sie treffen sich heimlich, was auch eine ganze Weile gut geht, aber schließlich geschieht das, was man als Leser die ganze Zeit über befürchtet: sie werden erwischt, es droht der Rauswurf aus der Klinik und damit der Rückfall. Hier steuert der Roman auf seinen Höhepunkt zu, und mehr will ich an dieser Stelle auch nicht verraten. Nur so viel, dass ich ihn ab dieser Stelle wirklich nicht mehr aus der Hand legen konnte, und die letzten 130 Seiten in einem Rutsch durch gelesen habe.
Wer etwas rein Autobiographisches lesen möchte, sollte lieber zu einem anderen Buch greifen. Wer aber akzeptieren kann, dass Teile der Geschichte fiktional sind, findet hier ein Buch, das spannend und in einem mitreißendem Stil geschrieben, oft aber auch emotional aufwühlend und beklemmend ist.

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom