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Intergalaktisch gammeln
Die Digitalanzeige über der Bar blinkte rastlos, halb neun Uhr morgens.
Captain Korwak saß an der Theke und schüttete sich sein drittes Space Jam in den Rachen. Neben ihm auf dem Tresen stand eine gläserne E-Shisha, in deren Bauch bei jedem Zug eine leuchtend blaue Flüssigkeit blubberte. Im Kopf steckte ein sorgfältig abgewägtes Verhältnis von Tabak und getrockneten Psilopilzen, seine Spezialmischung.
Aus der Kombination von Ethanol und Hydrolyse erhoffte er sich eine Linderung seines Weltraumkollers, der ihn seit unbestimmbarer Zeit mit einer hartnäckigen Schlaflosigkeit quälte und den Kortex mit nagenden Kopfschmerzen verkrümmte. Endlose Tage saß er schon hier, in seinen Hocker gedrückt von einem giftigen Cocktail aus Schuld und niederschmetternder Langeweile, bis die Erschöpfung ihn gnädigerweise in einen von sumpfigen Drogennebeln verklebten Dämmerzustand entließ. Mit jeder Stunde verlor er sich tiefer in einer abstrusen Weltraum-Manie, kämpfte sich durch alptraumhafte Gedankenwelten voller Irrwitz, suchte nach einem Ausweg auf dem Grund seines Verstandes, wo er stattdessen nur sein betäubtes und völlig verstörtes Ich vorfand. Die Zeit schien wie erstarrt in einer außer Kontrolle geratenen Kryostase.
Neben der Bar standen Töpfe an der Wand, in denen eine verdorrte und halb verhungerte Flora spross. Wenn er den Rauch in Richtung der violetten Tentakelpflanzen blies, schüttelten sie ihre Köpfe und würgten tote Fliegen hervor. Die letzte Stunde hatte er damit zugebracht, hinter dem gewölbten Panoramaglas zu verharren und mit Adleraugen Hunderte von Asteroiden zu beobachten, die von der Gravitation des Außenpostens B-357 angezogen wurden. Als kleine, lodernde Feuerbälle schossen sie aus der tiefen Schwärze des Alls, begingen Harakiri ganz allein für ihn. Dabei war ihm aufgefallen, dass einige den Gesetzen der Physik trotzten und nicht in der künstlichen Atmosphäre von B-357 verglühten, sondern in einer gewissen Distanz zitternd und beinahe atmend verharrten.
Eine unerforschte Form von intergalaktischer Rudelbildung, überlegte er. Wie Harpyien, die sich um einen verwesenden Kadaver zusammenrotten. Na, herzlich willkommen, da habt ihr euch den richtigen Ort ausgesucht. B-357 war nicht viel mehr als ein Wrack, ein hässlicher Klumpen aus Panzerglas, Titanplatten und zersplitterten Sonnenkollektoren, zusammengehalten nur von rostigen Verstrebungen und einem längst verblichenen Leuchtfarbenanstrich. Um den Außenposten grassierte ein Friedhof aus Elektroschrott, abgewrackten Raumschiffen und kaputten Satelliten.
Ein paar der größeren Asteroiden schienen von einer seltenen Art der Fäulnis befallen zu sein und strahlten ein kränklich grünes Licht aus. Weltall-Schimmel klebte an ihnen wie Kaugummis an den Pissställen dieser gottverlassenen Bar, die Captain Korwak zwangsmäßig sein Zuhause nannte. Er stellte sich vor, die Asteroiden besäßen eigene Persönlichkeiten, ihre öden Gesteinskörper bestünden aus lebendigem Gewebe. Hungrige Gestrandete oder hoffnungslose Herumtreiber fantasierte er sich zusammen und B-357 war das letzte schwarze Loch zwischen Alpha Centauri und dem Arsch des Universums, wo sie nochmal zünftig einen wegstecken konnten.
Hinter ihm glitten die Saloontüren zur Seite. Dabei verursachten sie ein unangenehmes, knarzendes Geräusch, das ihn aus seinen gedankenschweren Gewitterwolken herausriss und zurück an die Theke katapultierte.
Eine tiefe, röhrende Stimme erfüllte den Raum: „Viele Monde und zahlreiche Sonnen wünschen wir Euch. Wir brauchen dringend ein kühles Blondes! Barkeeper! Mein Riecher sagt mir, aus Eurem verbeulten Zapfhahn fließen ausgezeichnete Gerstensäfte. Das Zeug muss wahrhaft betäubend sein. Wie entzückend!“
Auf diese lärmbelästigende Tirade herrschte mehrere Sekunden Stille, nur das Radio musizierte leise vor sich hin. Jazz. Hubert Malbec, Roboter und Barkeeper, plärrte: „Ich grüße Euch und eure Kameraden. Doch wer seid Ihr? Meine Scanner schlagen Alarm! Ich muss eine Detailanalyse starten ... Mist, schon wieder Verbindungsprobleme ... Aha, die Auswertung läuft ... einen Moment, ich hab’s gleich.“
Captain Korwak glaubte, in seinem Schädel gähne ein Riese.
„Drifter ... Ihr seid Drifter, das ist mal klar!“
Keine Reaktion, darauf wieder Malbec: „Drifter bedienen wir hier nicht. Ich zitiere die entsprechende Stelle aus den AGB ...“
„Wir sind Bohrspezialisten.“
„Die genetische Zusammensetzung Eurer Truppe ergibt eine 72%-ige Wahrscheinlichkeit, dass Ihr Gesetzlose seid, die Genauigkeit der Messwerte liegt bei 85,67%. Das ist verdammt hoch, wenn Ihr mich fragt.“
„Schwachsinn. In eurem Zentralrechner muss 'ne Prozessoreinheit ausgefallen sein.“
„Zum korrekten Bedienen eines Bohrers fehlen Euch eindeutig die intellektuellen und kognitiven Fähigkeiten, die Scanner melden ...“
„Wir haben Geld.“
„Ich will Eure dreckigen BioNits nicht in meinem Buchhaltungssystem. Wenn die Konföderation davon Wind kriegt, stufen sie meine Transaktionen runter oder verschlüsseln mir wieder das Trinkgeld. Das wäre mein Ruin!“
„Wir zahlen mit ehrlich verdienten Moneten, nicht gestohlenen. Nehmt es mir nicht krumm, aber wenn ich mich hier so umsehe, solltet Ihr Euch über jeden Beitrag freuen. Gab bestimmt schon bessere Zeiten.“
„Wir kommen nicht ins Geschäft, selbst wenn alle Sonnen erlöschen.“
„Hört endlich auf, uns vor den Leuten hier zu beleidigen und zu verunglimpfen! Beim schwarzen Loch, das müssen wir uns nicht anhören! Drifter, pah!“
„Ihr solltet dieses Lokal jetzt verlassen! Ich bitte Euch nicht zweimal so höflich. Sonst hetze ich Euch das Abwehrsystem auf den Hals.“
Hubert, krieg endlich den Sprach-Algorithmus in den Griff und defragmentiere deine Verhaltensdatenbank, dachte Captain Korwak und nahm einen Schluck Space Jam. Dabei rutschte ihm sein Monokel von Sun Ban vom Schnabel und platschte ins Glas. Es war ihm egal, er würde es später rausfischen.
„Ihr braucht Beweise? Mein Kapitänsabzeichen der Konföderation dürfte genügen.“
„Was soll ich mit dem Ding? Das ist ein Relikt! Euer Abzeichen ist keinen Pfifferling wert. Wie seid Ihr eigentlich hier reingekommen?“
„Ich nehme an, das Überwachungssystem von B-357 ist ausgefallen. Wir konnten einfach reinspazieren.“
„Achtung! Systemfehler. Diese Informationen können nicht verarbeitet werden.“
Hubert inszenierte sein Drifter-Spielchen mit allen Neuen, die auf B-357 eintrafen, was ihm bereits zahlreiche Schläge eingebracht hatte, die ihn aussehen ließen wie eine wandelnde Beule. Endstation der gescheiterten Existenzen, nannte Captain Korwak den Schrotthaufen insgeheim. B-357 lag vergessen irgendwo am Rande des bekannten Universums, fernab der frequentierten Handelsrouten. Westlich von hier begann das Niemandsland, unerforschte Tiefen, in denen sprichwörtliche Redewendungen wie verschluckt von der allumfassenden Leere eine ganz neue Dimension bekamen.
„Gebt uns drei erschöpften Reisenden endlich unseren wohlverdienten Feierabendtrunk, bevor ich wütend werde. Ihr geht mir gewaltig auf den Geist, verdammt!“
„Diese Unterhaltung ist beendet. Ich muss meine Akkus aufladen.“
„Verdammter Blechkasten! Wohl noch nie was von Gastfreundschaft gehört! Wir haben uns mit letzter Kraft hierher durchgeschlagen! Die letzte Strecke mussten wir mit den Schubdüsen unserer Raumanzüge zurücklegen und uns zum Schott hinüber katapultieren. Unsere Berta hängt tot in der Luft, keine zwanzig Kilometer entfernt! Eine himmelschreiende Scheiße ist das!“
Malbecs künstliche Intelligenz hatte entschieden, dem Geknurre kein Gehör mehr zu schenken und der Roboter wandte sich ab. Seine Modellbezeichnung lautete V-82, dessen Produktion bereits vor einem halben Jahrhundert eingestellt worden war. Angesammelter Datenmüll verstopfte seinen Zwischenspeicher, verkrüppelte zusehends seinen digitalen Intellekt, vermutete Captain Korwak. Malbecs komplex modellierter Kopf bestand aus mehrschichtigen, holografischen Abbildungen, die je nach seinem Gemütszustand ihr Aussehen veränderten. Meist zeigte er deshalb einen grätenlosen Fischschädel mit hängenden Mundwinkeln.
Captain Korwak tastete nach dem Inhalator, fand ihn auf dem Sessel neben sich und inhalierte eine Ladung pulverisiertes Aufputschmittel, um wieder einigermaßen auf die Spur zu kommen. Dann schwang er auf dem Drehsessel herum und musterte die drei Reisenden, die hinter seinem Rücken die Bar betreten hatten.
Der weitaus Größte und Breiteste unter ihnen, ein rothäutiges Krokodil mit Augen aus geschliffenem Obsidian, stellte offenbar den Anführer der Truppe. Sein Schuppenpanzer schimmerte geheimnisvoll im Licht der Deckenbeleuchtung, ein Kaleidoskop verirrter Sternschnuppen. Mit seinen messerscharfen Zähnen kaute er auf einem fußballgroßen Klumpen Tabak herum. Er spie einen Faden braunen Speichel auf den Boden und grunzte.
Zu seiner Linken hüpfte ein gedrungener, grüner Wicht auf und ab, der mit seinen Segelohren und der unproportionalen, spitz zulaufenden Nase an einen Kobold erinnerte. Über seine Fratze ergoss sich ein wahrer Wasserfall aus Pockennarben und langstieligen Warzen. Seine Präsenz verbreitete unruhige Schwingungen im Raum, zittrig und aufgekratzt trippelte er herum. Captain Korwak glaubte, er würde nächstens die Wände hochlaufen. Sicherheitshalber genehmigte er sich noch einen Zug von seinem Inhalator.
Zur anderen Hand des Krokodils stand ein korpulentes Wesen mit herunterhängenden Hasenohren, an denen schwere Klumpen aus Schrauben, Piercings und Ringen klebten, als würden sie von einem Magnetfeld angezogen. Eines der Augen hatte sich aus seiner Höhle gelöst und surrte ihm wie eine wütende Hornisse um den Kopf, scannte mit einem roten Lasernetz die Umgebung ab. Abgesehen von seinem knuffigen Schädel bestand der Leib komplett aus einem synthetischen Material, das an den wackligen Glibber eines lebendig gewordenen Astro-Puddings erinnerte.
Malbec begann, mit einem schmutzigen Lappen ein bereits auf Hochglanz poliertes Glas zu putzen. Dabei starrte er mit einem langen Windhundgesicht durch die Fremden hindurch, als läge irgendwo hinter ihnen der Ausweg aus seiner existenziellen Krise begraben. Captain Korwak ergriff die Chance nach etwas Abwechslung. Er erhob sich mit einem Ruck vom Barhocker und trat mit angedeutetem Knicks auf das ungewöhnliche Trio zu.
„Sie müssen Hubert entschuldigen. Seine KI neigt leider zu selbstzerstörerischen Tendenzen, aber das ist soweit auch kein Weltuntergang. Lasst mich doch das unangenehme Schweigen brechen. Ich lade Euch gerne ein, mit mir einen Humpen zu heben.“
Hubert strafte ihn mit seinem verbissensten Dobermanngesicht und verwarf drei seiner vier Greifhände. Mit der anderen schlug er sich durch seinen Holo-Schädel. Das Krokodil wandte Captain Korwak den Kopf zu und lächelte. Was wohl hätte versöhnend wirken sollen, hinterließ eher den Eindruck, als wolle es ihm mit seinen gewaltigen Kiefern den Hals aufreißen.
„Gepriesen seien die Sonnenwinde, es gibt noch anständige Leute“, donnerte es und streckte ihm die Hand hin. „Malpheus Kopernic, sehr angenehm.“
„Captain Korwak, die Freude ist ganz meinerseits. Viele Monde und zahlreiche Sonnen wünsche ich Euch und euren Gefährten.“
„Vielen Dank! Das ist Borlok vom Monoceros-Ring ...“ Er zeigte auf den Wicht und spuckte Kautabak über seinen Arm, während er Captain Korwaks Flügelspitze durchschüttelte. „... und die Dame hier ist Madame Slashlor, vom Gallert-Planeten Xeon 7-1-7. Vielleicht haben Sie schon davon gehört?“
Captain Korwak schüttelte den Kopf.
„Die Inkontinenz vieler Bewohner war erst kürzlich Thema im Planetarischen Beobachter.“
„Ah, jetzt wo Ihr es erwähnt ... Aber setzen wir unser Gespräch doch bei Tisch fort. Hubert, serviere uns eine Runde Space Jam. Und bring die großen Humpen.“
Sie setzten sich an den nächststehenden Tisch, an dem bereits ein dicker Erpel im fettfleckigen Matrosenhemd vor sich hin schnarchte. Der zappelnde Borlok schwang sich ungelenk auf einen der Sessel und stieß ihn an, was ein Feuerwerk an tief inhalierten, trompetenden Lauten nach sich zog. Dabei fiel ihm seine erloschene Zigarre aus dem Schnabel und rollte über den Boden auf ein Chamäleon in Lederjacke zu. Das war der alte Tattergreis John, der über telekinetische Fähigkeiten verfügte und den ganzen Tag nichts anderes tat, als heimlich Zigaretten zu schnorren.
Madame Slashlor schob einen Teller gammliges AstroFood beiseite und pflanzte ihre Masse neben Captain Korwak, wobei ihr Sessel fast komplett in ihrem wabbeligen Hintern verschwand. Malpheus setzte sich ihm gegenüber. Am nächsten Tisch unterhielten sich ein paar Echsen mit gedämpften Zischlauten, als planten sie eine Weltverschwörung.
Hubert brachte schwere, bis unter den Rand gefüllte Krüge. Bei dieser Aufgabe unterstützten ihn seine vier Greifarme, aber die Dinger waren ziemlich ungelenk und beim Absetzen schwappte jedes Mal Bier auf den Tisch. Captain Korwak musste wehmütig daran denken, wie der Barkeeper seiner Lieblingsbar auf Cepta Viserum mit den acht Hightech-Greifern in Rekordzeit eine ganze Herde durstiger Kamele besoffen kriegen konnte, ohne einen Tropfen zu verschütten.
„Darf ich Euch zum Bier eine E-Shisha offerieren? Meine Spezialmischung wird Euch gefallen. Von den Räucherbomben aus dem Automaten rate ich jedoch ab, die sind viel zu schwach auf der Brust.“
„Danke, ich rauche nicht mehr“, antwortete Malpheus. „Unser Borlok hier ist gerade daran, es sich abzugewöhnen. Morgens ist er immer etwas entzügig, was seine Nervosität erklärt.“
Borlok sagte nichts dazu, krähte stattdessen wie ein kastrierter Hahn, was wohl ein Lachen hätte ausdrücken sollen.
„Nun denn, erzählt, was verschlägt eine fesche Truppe wie die Eure an einen solch trostlosen Ort?“
Captain Korwak genehmigte sich einen deftigen Schluck aus seinem frisch gezapften Humpen. In ihm schwammen zahlreiche kleine Fische, die Space Jams, welche das Volumenprozent langsam aber konstant in die Höhe trieben. Ihre zittrigen Körper wandelten sich in einem stark beschleunigten Gärprozess in reinen Alkohol um. Eine von Malbecs Spezialitäten. Hinter der Theke stand ein beachtliches, hellblau leuchtendes Aquarium.
„Sind Euch die Eigenschaften von Prostase vertraut?“
Captain Korwak nickte und nahm einen weiteren Schluck. „Die Wunderpilze.“
„Die haben wir gesucht. Schließlich auch gefunden, muss man dazu sagen, aber zu welchem Preis. Seit Jahren sind wir drei ein eingeschworenes Team, stets auf der Suche nach lukrativen Aufträgen. Leider sind die in letzter Zeit rar geworden, dank dieser verschissenen Weltraumdepression. Bestimmt habt Ihr auch von der neuen Antriebstechnik gehört, die ohne Prostase auskommen soll? Ich finde, der Stoff ist verdammt nochmal zu Unrecht als umweltschädlich verschrien. Haben wir doch alles nur den Lobbyisten zu verdanken. Diese scheiß Umweltschützer! Die tun doch nichts anderes, als Strategien zu entwickeln, wie sie dem ehrlichen Arbeiter das Geschäft vermiesen können.“
„Genau so sehe ich das auch“, säuselte Madame Slashlor. Ihre Stimme war eine zärtliche Melodie, gezupft auf sanft raunenden Stimmbändern und machte ihr glibbrig-feuchtes Erscheinungsbild fast wieder wett. „Meine Heimat steht in schwerwiegender Kritik, wegen den Methanverschmutzungen rund um das Xeon-Sternensystem. Die Vereinigung des Regenbogens findet immer mehr Anhänger, es ist eine Schande. Diese ewige Schwarzmalerei!“
Ihr fliegendes Drohnenauge zwinkerte.
„Wir haben das halbe Universum durchkämmt, Bohrungen von unvorstellbarer Tiefe durchgeführt“, fuhr Malpheus fort. „Ein Jahrzehnt lang geschürft und uns abgerackert, bis wir diesem stinkreichen Typen vom Pictoris-Ring über den Weg liefen. In einer Bar, um einiges komfortabler als diese hier, möchte ich betonen, unterbreitete er uns ein ebenso zwielichtiges wie vielversprechendes Angebot.“
„Der Pictoris-Ring. Eine düstere Gegend, wie ich gehört habe. Man soll ihn auch das Reich der Verführung nennen.“
„Zweifellos“, bemerkte Madame Slashlor. „Düstere Gestalten schleichen dort herum. Ein Bordell reiht sich an das nächste. Am meisten missfielen mir die Typen, die ständig versuchten, mich für einen ihrer Folterkeller zu begeistern.“
Malpheus hob grinsend seinen Humpen vor die Augen, beobachtete die Space Jams.
„Was für eine Art von Auftrag habt Ihr von diesem ominösen Geschäftsmann erhalten?“, fragte Captain Korwak an Malpheus gewandt.
„Sein Name war Barlabamm. Er gab uns einen Sternenplan, offenbar hatte er selbst schon zahlreiche Ausflüge in die weite Leere unternommen und begonnen, Teile von ihr zu kartographieren.“
„Eine Karte? Klingt altmodisch und unpräzise.“
„Nicht nur einfach eine Karte. Der Typ war eindeutig irre, aber Genie und Wahnsinn liegen bekanntlich nahe beieinander. Er hatte ein Meisterwerk erschaffen. Auf Pergament! Das muss man sich mal vorstellen! Rote Spritzer durchzogen das Bild, markierten das Aufkommen seltener Erden, graue Sprenkler Titanium durchnässten es wie ein Regenschauer, Edelmetalle zauberten Kometenschweife in gleißendem Orange, violette Linien Xionit durchzogen blütenhafte Tupfer der erlesensten Gasvorkommen. Die Karte schien eher wie ein psychedelisches Gemälde, als eine echte Navigationshilfe. Es zu lesen bereitete uns Kopfschmerzen, aber aus anderen Gründen, als Ihr jemals vermuten mögt“, sagte Malpheus und schnäuzte. Der streng nach Chemie riechende Kautabak begann auch Captain Korwaks Nase zu reizen, kitzelte ihn bis hinauf in die Stirnhöhlen.
„Ich muss zugeben, das klingt sehr außergewöhnlich.“
„In der Mitte des Gemäldes, der Sternenkarte ... was auch immer es war, prangte eine schwarze Wolke Prostase. Auch wenn unser kunstvolles Hilfsmittel in einem klitzekleinen Maßstab gefertigt worden war, so erkannten wir doch mit wachsendem Erstaunen, wie gigantisch groß diese Vorkommen sein mussten.“
„Und Ihr habt das einfach so gekauft?“
„Selbstverständlich“, warf Madame Slashlor ein. „Nichts zu hinterfragen ist eine von Malpheus Spezialitäten! Zumindest wenn’s um Geld geht, dann ist ihm alles andere egal. Da wird er gegenüber drohenden Gefahren blind wie ein Maulwurf.“
Captain Korwak verzog das Gesicht. Der Angesprochene rollte mit den Augen und fuhr fort: „Die eigentümliche Vorgehensweise Barlabamms bestärkte uns zusätzlich in unserer Entscheidung, denn er nahm die Sache offensichtlich sehr ernst und scheute keinerlei Mühen. Seine Rede, als er uns die Karte präsentierte, beim Jupiter, die hättet Ihr hören müssen! Poetische Verse waren das in meinen Ohren! Unser Anteil am Erlös der geernteten Prostase würde fünfzig Prozent betragen, das war der Deal. Trotzdem berieten wir uns tagelang, was in einem wüsten Streit endete, dem gar das Mobiliar unserer Unterkunft zum Opfer fiel.“
„Eingeschworenes Team, hä?“, gackerte Captain Korwak.
„Ist man schon so lange gemeinsam unterwegs, wie wir es sind, verhält sich‘s mit guten Freundschaften oft so wie bei alten Ehepaaren.“
„Das kann ich unterschreib‘n“, warf Borlok seine ersten Worte ins Gespräch, als wären es klebrige Teerklumpen. Seine Stimme ächzte und krächzte schlimmer als die eines kranken Raben. „Mein‘ Alte ist schon sechs Jahr‘ tot. Die konnt‘ kläff’n, schlimm’r als sieben Höllenhunde! Ach, ich werd‘ ganz sentimental, wenn ich nur dran denk‘.“
Borlok schnupperte an seinem Bierhumpen herum, er hatte bisher noch keinen einzigen Schluck getrunken. Captain Korwak verstand ihn, die Space Jams waren nicht jedermanns Sache. Bevor er ihm ein anderes Getränk offerieren konnte, erhob sich Madame Slashlor mit einem Ruck. Auf ihrer durchscheinenden Haut öffneten sich tausende atmende Löchlein, wie übergroße Poren. Aus ihnen sonderte sie einen nach Fäulnis und Abwasser stinkenden Geruch ab, den Captain Korwak an den Atem der Kommodowaranprostituierten erinnerte, die ihm mehrmals das Angebot gemacht hatte, mit ihr Bonnie und Clyde-mäßig durch das All zu düsen.
„Entschuldigen Sie mich für einen Moment, ich muss mich frischmachen“, flötete sie und verschwand in Richtung der Toiletten. Der Sessel zeichnete sich als dunkler Schemen in ihrem massiven Hinterteil ab, wie es schien, hatte sie ihn bereits zur Hälfte absorbiert.
„Habt Ihr eure Prostase-Pilz-Wolke gefunden?“
„Das war gar nicht so schwer wie vermutet. Barlabamm hatte das Gemälde mit einer psychotropen Substanz behandelt, die bei Berührung Halluzinationen hervorrief. Durch diese Visionen breitete sich die weite Leere wie von Zauberhand vor dem inneren Auge aus. Jemand von uns machte fortan den Navigator, wobei wir uns in einem intensiv ausdiskutierten Zyklus abwechselten, da die Prozedur nie allzu lange am Stück ausgeführt werden konnte. Irgendetwas schlug uns während dieser transzendentalen Erfahrungen auf den Magen. Barlabamm war wohl nicht dazu gekommen, unerwünschte Nebenwirkungen in der verwendeten Tinktur vollständig auszumerzen. Wir fanden die Wolke trotzdem.“
Captain Korwak nickte finster. „Das habe ich vermutet.“
„Wir landeten auf einem Trabanten, inmitten einer Steinwüste. Die Scanner hatten wie erwartet eine unglaubliche Dichte an Prostase festgestellt und schlugen aus wie vom Stier getreten. Erst dachten wir, der Zentralrechner unserer Berta hätte einen Fehler produziert, denn die Arme war selbst nach einem simplen Oberflächenscan ganz schön aus der Puste. Überflüssig zu erwähnen, dass uns das Wasser im Mund zusammenlief.“
„Die Landung wäre um‘n Haar schiefgegang‘n“, warf Borlok ein. „Durch die verdammt‘n Sturmwinde auf‘m Ding zu navigier‘n war die reinste Tortur, da flog’n Gesteinsklump’n durch die Gegend, wie von’ner Schleuder geschoss‘n. Da braucht’s Augen wie’n Adler.“
„Ihr wärt uns bestimmt eine größere Hilfe gewesen als Borlok“, schniefte Malpheus und grinste hämisch. „Dieser Trottel hätte unsere Berta beinahe im Kugelhagel zersemmelt!“
Captain Korwak faltete seine Flügel zusammen.
„Fang nicht wied’r damit an“, beschwerte sich Borlok heiser. „Ich hab die olle Berta an ein’m Stück runtergekriegt un‘ das ist alles, was zählt!“
„Sie war demoliert von oben bis unten und wir hatten verflucht nochmal ein riesen Glück, dass die Triebwerke nicht getroffen wurden! Darüber haben wir uns natürlich erstmal gestritten, bis Madame Slashlor uns mit einer dezenten Wolke ihres Dufts darauf aufmerksam machte, dass Bertas Sensoren immer noch verrücktspielten.“
„Ihr führtet eine Testbohrung durch?“
„Ja, erst nicht tief, nur kurz reingesteckt. Die Probe ergab, dass dieser Trabant zu Dreivierteln aus Prostase bestand. Der Rest war ein Beigemisch biochemischer Abfallprodukte unbekannter Zusammensetzung.“
„Eine Müllansammlung? Vielleicht konnten die Prostase-Pilze deshalb so gut gedeihen? Chemische Reaktionen, die ihr Wachstum begünstigten?“
„Durchaus denkbar. Mit freudigem Elan bohrten wir länger und tiefer.“
„Es muss ein’ne Art Schutzmechanismus gewese’n sein“, führte Borlok aus. „Wir stieß’n kurz nach Beginn der Bohrung’n auf Widerstand. Irgendwas hatt’n wir getroff’n und der Bohrkopf war nur noch’n unbrauchbarer Klumpen Schrott.“
„Jetzt fängt die ganze Sache an, interessant zu werden“, seufzte Captain Korwak und setzte den Humpen an seinen Schnabel, mit einem kräftigen Zug leerte er die Hälfte des Glases. Wo war sein Inhalator? Vielleicht war er auf den Boden gefallen. Nein, nichts zu sehen. Wieso verlegte er das vermaledeite Teil jedes Mal?
„Giftgrüner Schimmel begann aus den Löchern zu wuchern, ein parasitärer Organismus der sich rasend schnell ausbreitete. Das Zeug zerfraß unsere Bohrköpfe, die allesamt zu Staub zerfielen. Alles was der Schimmel vereinnahmte, schien ein paar Sekunden später einfach nicht mehr zu existieren. Ein unheimliches Spektakel. Wir aktivierten schleunigst die Reparaturdrohnen, um unsere Berta wieder flott zu kriegen. Dem Schimmel fiel einer ihrer Schwenkarme zum Opfer, bevor das Triebwerk endlich zündete.“
„Du hast Tworlucec vergess‘n“, knurrte Borlok und schlug mit der Faust auf den Tisch. Captain Korwak glaubte ein Glitzern in seinen rubinroten Schlitzaugen zu erkennen.
„Tworlucec?“
„Sein Schoßhündchen“, antwortete Malpheus. „Eine abscheuliche Kreatur ...“
„Sie war zu nah dran. Nachdem der Schimmel den Schwenkarm aufgefress‘n hatte, griff er aufs Schott über ...“
„Wie dem auch sei, möge Tworlucec in den ewigen Paralelluniversen ruhen. Wir sahen zu, dass wir schleunigst von dem Trabanten verschwanden, sei es auch mit leeren Händen. Wir riegelten Bertas Kommandobrücke ab und flogen mit allem, was ihre Triebwerke hergaben, hierher. Unterwegs verloren wir eine der drei Hauptdüsen, einen halben Stabilisierungsflügel und sieben Sonnenkollektoren. Kurz bevor wir B-357 erreichten, mussten wir das Schiff verlassen, weil der Schimmel sich durch die Navigationsinstrumente gefressen hatte. Unsere arme Berta ist immer noch dort draußen und verrottet.“
„Aber lass’n wir das“, fügte Borlok an und kratzte sich am Zinken. „Was’n Ihre Geschichte? Was tun Sie hier?“
Captain Korwak lächelte müde. „Ich weiß nicht, ob Sie das wirklich wissen wollen.“
„Natürlich wollen wir’s wissen“, rief Malpheus aus.
„Ich möchte Ihnen keine Angst machen.“
„Angst mach’n? Uns?“
Borlok stieß ein Blöken aus, das jedes Schaf neidisch gemacht hätte, und kratzte sich intensiver an seinem Riechorgan. Irgendetwas schien ihn wie wahnsinnig zu jucken.
„Nun, wenn Ihr darauf besteht, werde ich Euch erzählen, wieso ich hier auf diesem Schrotthaufen festsitze. Ich denke, das ist nur fair“, gab Captain Korwak nach und nahm den letzten Schluck aus seinem Humpen. „Hubert! Bring noch eine Runde, aber ein bisschen plötzlich! Ich habe das ungute Gefühl, wir werden uns nicht mehr allzu lange unterhalten können.“
„Was zum Geier wollt Ihr damit sagen?“, knurrte Malpheus und beäugte ihn mit argwöhnischem Blick, immer noch unablässig auf seinem Chemietabak rumkauend.
„Diesen Schimmel, den Ihr freigesetzt habt, ich vermute, es handelt sich dabei um ein mir bekanntes Phänomen. Ich nenne es den Realitätengammel. Dieser tritt zwar in allen möglichen Formen und Farben auf, aber was eure Schilderungen anbetrifft, so befürchte ich ...“
„Ihr kennt die Substanz? Ihr wisst, was mit unserer Berta passiert ist?“
Borlok wandte sich ab, nahm nun beide Hände zu Hilfe, kratzte sich fieberhafter, zügelloser. In seinem Wahn stieß er den dösenden Erpel mehrmals mit seinem Ellenbogen in die Seite und dieser ließ jedes Mal einen seiner lauten Schnarcher hören.
„Ja. Meine Heimat, Cepta Viserum, wurde durch ihn zerstört.“
„Beim heiligen Planetarium! Das tut mir leid. Wie das?“
„Ich muss etwas ausholen, damit die Zusammenhänge klarer werden. Auf Cepta Viserum lebte es sich bescheiden, aber die meisten waren glücklich, mit dem Wenigen, was sie besaßen. Nur bei mir wurde eine depressive Störung festgestellt.“
„Das kann ich gar nicht glauben. Ihr scheint mir soweit zwar keine Frohnatur zu sein, aber den Selbstmörder hätte ich euch keineswegs zugetraut.“
„Freut mich, wenn Ihr das so auffasst“, sagte Captain Korwak und beobachtete Borlok dabei, wie dieser seinen Kopf hin und her warf, als wäre der Juckreiz unter seine Schädeldecke gekrochen. “Doch leider trifft das nur in dieser Realität zu.“
„Ich verstehe kein Wort.“
„Auf Cepta Viserum waren die religiösen Gepflogenheiten äußerst ausgeprägt. Mit der Vollendung des achtzehnten Lebensjahres, trat jeder unseres Stammes vor die hochgepriesene, weissagende Gottheit, um seine persönliche Prüfung abzulegen. So war es Brauch seit Jahrtausenden. Auch ich begegnete unserem heiligen Gott, oder besser gesagt, er besuchte mich eines Nachts in einem Fiebertraum.“
„Wie sah diese Prüfung aus?“
„Er stellte mir eine Frage.“
Malpheus nieste und spuckte ein weiteres Mal auf den Boden, wo seine Tabakfäden bereits ein wildes Strichmuster gezeichnet hatten. Kräuselnder Rauch stieg davon auf, wie Bremsspuren ätzten sie sich durch die oxidierten Stahlplatten.
„Er fragte mich nach meinem geheimsten Wunsch. Wohl aufgrund meiner sogenannten depressiven Verstimmung, konnte ich nicht klar denken. Ich wünschte mich in eine andere Dimension, ja gar eine abweichende Realität, im Endeffekt in eine Welt, die mir lebenswerter erschien.“
„Ah, das Erwachsenwerden! Drückt es uns nicht alle aufs Gemüt? Erst kann man es kaum erwarten, dann wünscht man sich nichts sehnlicher, als die sorglose Kindheit wieder in die Arme zu schließen.“
„Ich saß in meiner Lieblingsbar und schlürfte Honigwein. Ein seltenes Vergnügen, wir lebten meist abstinent, streng nach Vorschriften. Nur einmal pro Halbjahr durften wir richtig einen drauf machen, um etwas Dampf abzulassen, wie es die Urältesten nannten. Ich hatte gerade meine Schicht in den heiligen Betsälen hinter mich gebracht, als es begann.“
„Der Schimmel zerlegte euren Planeten?“
„So ungefähr. In meinem Fall war es kein Schimmelpilz, sondern eine Art biblische Apokalypse, mit Dürren, Sturmwinden und flammenden Infernos. Mein Volk wurde dahingerafft und nur ich allein trage die Schuld daran.“
„Ich verstehe, das Space Jam hilft, diese erdrückende Last besser ertragen zu können ...“
„Ja, das ist meine Verdammnis! In nüchternem Zustand bin ich kaum noch auszuhalten. Wahrscheinlich würde ich mir irgendein Schiff stehlen und es direkt in die nächste Sonne steuern.“
„Wie habt Ihr diese schrecklichen Plagen überlebt?“
„Das ist mein Kreuz, welches ich zu tragen habe“, antwortete Captain Korwak. „Ich reise durch die Realitäten, von Bar zu Bar, sitze einfach hier und lasse mich jedes Mal von neuem verschlingen. Das Schlimmste ist, ich kann nichts dagegen tun.“
„Euer Gott bestraft Euch mit Unsterblichkeit? Interessant. Sein Wesen muss unergründlich sein. Von eurem Volk hat niemand überlebt?“
„Ich wüsste von niemandem.“
Hubert schwirrte herbei und brachte endlich die neu bestellten Humpen, die er mit Schmackes auf dem Tisch absetzte, sodass kleine Wasserfälle aus Bier an den Gläsern entlang flossen. Ein paar Space Jams zappelten in Pfützen auf dem Tisch. Der Erpel schnarchte weiter. In diesem Moment kam Madame Slashlor von der Toilette zurück. Sie schien komplett aus dem Häuschen zu sein, sie fächelte sich mit einer Hand Luft zu und mit der anderen kratzte sie sich an ihrem Glibberleib. Dabei stieß sie Laute aus, „Uh! Oh! Ih!“, die sehr besorgt klangen. Eine Art waberndes Ekzem hatte sich auf ihr ausgebreitet.
„Sie waren nicht immer Captain Korwak, der drogensüchtige Weißkopfseeadler. Welchem Volksstamm gehörten Sie auf Cepta Viserum an?“
„Maulwürfe.“
„Jetzt kann ich Eure depressiven Neigungen nachvollziehen.“
Madame Slashlor begann wie verrückt um den Tisch herumzutänzeln, ihr fliegendes Auge setzte sich in seine Höhle, löste und verankerte sich wieder, als wollte es das Kopfloch begatten. Dann surrte es zum Panoramafenster hinüber und schlug immer wieder dagegen, scheinbar auf der Flucht vor irgendetwas.
„Wie oft habt Ihr eure Identität schon gewechselt?“
„Ich habe aufgehört zu zählen. Jede Realität ist instabil geworden. Ich habe das Gefühl, die Paralleluniversen stehen kurz vor einem gewaltigen Kollaps. Ich fürchte, in dieser hier hat eure Truppe erheblich zu diesem Prozess beigetragen und ihn ungünstigerweise beschleunigt.“
„Ihr schiebt uns nicht die Schuld für eure Misere in die Schuhe!“
„Eure Gier brachte diese Welt aus dem Gleichgewicht. Euer ungezügeltes Verlangen nach diesen scheiß Prostase-Pilzen! Ich ahnte es bereits, als ich euer eingespieltes Team zum ersten Mal zu Gesicht bekam.“
„Beim schwarzen Loch, das ist eine ungeheuerliche Unterstellung ...“
Borlok nieste heftig und ein mächtiger Strahl Pilzschimmel schoss aus seinem Zinken und platschte auf den Boden. Dort wucherte er sofort weiter, griff großflächig um sich, wanderte und spross, tausende zitternde Köpflein zurücklassend. Ein schwefliger Gestank breitete sich aus und giftgrüner Nebel zog sich unter den Tischen hindurch. Madame Slashlor vollführte weiter ihren ulkigen Tanz, kratzte sich nun mit beiden Händen und stieß immer wieder spitze Schreie aus, die ohne den wuchernden Pilz auf ihrem immensen Leib auch für Lustschreie hätten gehalten werden können. In Malpheus Augen stand die nackte Panik.
„Was passiert mit uns?!“
Auf diese Frage war es einen Moment lang seltsam still und jemand versuchte, seine scheinbar außer Rand und Band geratene Flatulenz in den Griff zu kriegen. Da dies nicht vollends gelang, klang es, als gäbe sich ein fetter, nasser Arsch Mühe dabei, die Tonleiter möglichst leise auf einer kaputten Quetschkommode zu furzen. Der Pilz hat nicht nur Borlok, sondern auch bereits die Innereien der anderen Gäste befallen, schlussfolgerte Captain Korwak. Nun kann es nicht mehr lange dauern.
„Wenn ich Euch diese Frage nur beantworten könnte. Ich weiß lediglich, was mit mir geschehen wird.“
„Was ...“
„Ich werde einfach weiter transformieren. Irgendwo in einem neuen Leben aufwachen. Nein, vielleicht drücke ich mich jetzt zu ungenau aus, ich kann mich ja stets an alles Vergangene erinnern. Ich werde in einem neuen Körper wiedergeboren. Wenn Ihr Glück habt, geht es allen Lebewesen so und Ihr könnt euch freuen. Vielleicht werdet Ihr als Nashorn oder Gepard das Licht der Welt erblicken?“
„Himmel und Hölle! Und hier ist alles verloren?“
„Ich vermute es.“
Borloks Schädel öffnete sich mit einem hässlichen, reißenden Geräusch und ein Schwall Pilze ergoss sich aus seinen beiden Kopfhälften. Er knallte wie ein Sack Kartoffeln auf den Boden und sein Körper explodierte in einer grünlichen Schimmelwolke.
„Scheiße!“, kreischte Malpheus, blieb aber wie angewurzelt sitzen. Der Erpel quittierte die Geschehnisse mit einer weiteren Schnarchtirade. Madame Slashlors Bewegungen wurden schwerfälliger, ihre Glibbermasse blähte sich grotesk, Captain Korwak konnte den Pilzen unter ihrer Haut beim Wachsen zusehen. Ein wahres Sporeninferno stand bevor.
„Man muss das doch irgendwie aufhalten können!“
„Sie können leider nichts dagegen unternehmen, das ist aussichtslos. Ich habe schon alles versucht“, erwiderte Captain Korwak ganz ruhig. „Lasst es einfach geschehen. Ich hoffe, Ihr kommt an einen besseren Ort. War sehr nett, sich mit Euch zu unterhalten, trotz unserer Differenzen, was eure Schuldlage in dieser Realität anbelangt. Lebt wohl!“
Huberts Stimme war zu hören: „Festplatte eins ausgefallen!“, plärrte sie. „Warnung! Festplatte zwei fehlerhaft.“
Bevor noch jemand etwas sagen konnte, zerplatzte Madame Slashlor in einer gewaltigen Pilzexplosion und die Sporen fraßen sich rasend schnell durch den gesamten Raum. Der halbverdaute Sessel in ihrem Hintern flog Captain Korwak um die Ohren und blies seine Lichter aus. Das letzte, was er hörte, waren die gepeinigten Schreie der Anwesenden, eine grässliche Kakophonie, die den Realitätswechsel begleitete.
Seine Wahrnehmung hatte sich komplett verändert, das Sichtfeld war eingeschränkt, irgendwie zusammengeschrumpft und unscharf.
In der Luft lag der Geruch von gebratenem Fleisch, leise Musik spielte aus einer Jukebox, schon wieder Jazz. Gab es eigentlich nichts anderes mehr? Um ihn herum unterhielten sich gedämpfte Stimmen und Gläser klirrten. Eine Bar, was sonst, dachte er. Verflucht nochmal, wann hört das endlich auf?
Er erhob sich und machte die ersten Schritte in seinem neuen Körper. Er trug ein kurzärmliges Hemd aus Baumwollstoff am Leib, kleine Härchen sprossen auf seinen kräftigen Armen, die in fünfgliedrigen Extremitäten endeten. Er konnte jede davon individuell bewegen. Seltsam, die sahen fast so aus wie Huberts Roboterhände.
Er verließ die Bar und trat nach draußen. In seiner Hemdtasche fand er eine Packung Glimmstängel. Er zündete sich einen davon an und las das Schild, welches vor dem Eingang der Bar aufgestellt worden war: Autogrill. Viereckige Transporter aus Blech rauschten über eine breite Straße. Aus ihren Hinterteilen stießen sie schwarze Abgase aus. Am Horizont reckten sich hohe Fabrikschlote in den Himmel, pusteten weiße Dampfwolken vor die untergehende Sonne. Diese Realität ist ganz schön rückständig, befand er trocken. So eine Scheiße, wo bin ich denn hier gelandet?
Er senkte den Blick und studierte seinen neuen Körper, betastete ihn von oben bis unten. Ein Junges, das neben einem Blechmobil stand und an einem seiner Finger lutschte, schaute ihm dabei aufmerksam zu.
„Was gibt’s da zu glotzen, Kleines?“
Ohne eine Antwort abzuwarten, zertrat er die Zigarette auf dem Asphalt und ging wieder rein, um sich ein neues Bier zu bestellen.