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Im Sande verlaufen

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20.01.2024
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Im Sande verlaufen

Stell dir vor, du läufst durch eine der trockensten, heißesten und größten Wüsten der Erde. Sieh dich um, riech die glühende, brennende Luft, spüre die sengende Sonne auf deiner dünn betuchten Haut. Du bist schon viel zu lang hier, seit Tagen suchst du nach deiner Reisegruppe. Du wolltest dir nur kurz eine der Sandwehen von oben anschauen, für kurze Zeit den Ausblick über die karge Landschaft in Ruhe genießen. Dann warst du auf einmal alleine, keine Kamele, kein Reiseführer und erst recht keine deiner Bekannten mehr in der Nähe. Seitdem hast du dich durchgeschlagen, das wenige Wasser, das du in dem dünnen Schlauch mit dir herumgetragen hast, ist so gut wie aufgebraucht. Außerdem hast du nichts zu essen, der Hunger hat schon ein saures Loch in deinen Magen gefressen, durch das nachts die kalten Wüstenwinde pfeifen. Du wunderst dich gerade, warum du noch niemanden von deinen Leuten gefunden hast, du hättest erwartet, dass sie alle ausgeschwärmt sind, dich zu suchen, da wäre man doch einander doch sicher längst begegnet. Langsam steigt eine Vorahnung in dir auf, ein ungutes Gefühl, eine fiese Stimme, die dir ins Ohr flüstert. "Niemand sucht dich, niemand wird dir Nahrung oder Wasser bringen, niemand zeigt dir den Weg", sagt die Stimme, wieder und wieder. Wie man eine lästige Fliege mit Blinzeln verscheucht versuchst du auch diese Stimme loszuwerden, aber hartnäckig hält sie sich in deinem Ohr, bohrt sich durch bis in die hintersten, von der Sonne bereits ausgetrockneten Windungen deines Gehirns.
Während sie an deinem Verstand nagt und langsam deine Gehirnzellen in grauen Brei verwandelt, taumelst du, dich verbissen an den letzten Rest Hoffnung klammernd, durch die scheinbar unendliche Weite dieser Wüste, ein Sandkasten, in dem du niemals wagen würdest, eine Burg zu bauen, geschweige denn sie zu bewohnen. Alles um dich herum beginnt größer zu werden, als es sein sollte, jedes Sandkorn ein Stein, jeder verdorrte Überrest einer dir unbekannten Pflanze ein Dornenbusch. Panik kommt in dir auf, du sagst dir selbst, du musst jetzt nur deine Ruhe bewahren und wirst endlich wieder nach Hause kommen. Nimm dir eine Pause, setz dich nieder, raste eine Weile. Oder lass das mit dem sitzen, ansonsten fangen deine Kleider bloß noch Feuer, sobald sie den glutgleichen Sand berühren. Suche dir einen schattigen Fleck. Wenn du ihn findest, wirst du es gut haben. Aber die einzigen Schatten, die du erblickst, sind Spiegelungen in der flimmernden Luft, die über dem sandigen Horizont auf und ab wabert, kleine Staubkörner, von deiner Vorstellung verzerrt zu Palmen, Seen, Wäldern, Meeren. Du bist verzweifelt, trinkst einen der letzten, so wertvollen Schlucke aus deinem Wasserschlauch, vorsichtig, keinen Tropfen vergeudend. Bald wirst du deinen eigenen, salzigen Schweiß auffangen und trinken müssen, um nicht einzugehen wie all die toten Gewächse. Immer weiter läufst du wie ein Automat, eine aufgezogene Spieluhr, stur geradeaus. Und wenn nicht geradeaus, dann immerhin in die Richtung, die du dafür hältst, es ist der einzige Weg, der dich wieder heim führen kann. Obwohl du dich bereits auf der verhängnisvollen Sandwehe an der Umgebung satt gesehen hast, wendest du deinen Kopf wieder und wieder nach links und rechts, drehst dich um, schaust zurück. Manchmal riskierst du einen kurzen Blick nach oben an den babyblauen Himmel, doch bevor deine Augen geblendet sind, vergehen selten mehr als einige Sekunden. Jede Perspektive hat ihren Platz in deiner Erinnerung verdient, begleitet dich nun für den Rest des Weges, wohin er auch führen mag. Trotz der einsetzenden Routine wirst du nun auf einmal stutzig.

Etwas hat sich in dein Sichtfeld gedrängt, etwas, dass sich ebenso wankend und unsicher, dennoch zielstrebig wie du zu bewegen scheint. Spielen deine Augen dir wieder einen Streich? Ist es nur die flirrende Luft, die Spiegelung der Strahlen, die gebrochen bei dir ankommen? Nicht möglich, zu nah dran zu klar erkennbar, dieser Mensch, der da auf dich zu kommt. Hast du es endlich geschafft? Hast du deine Gruppe gefunden, deinen Test bestanden, die an deinem Verstand nagende Einsamkeit hinter dir gelassen? Euphorisiert sprintest du in die Richtung der Person, hektisch mit den Armen wedelnd, sie soll dich bloß nicht übersehen. Deine Beine sind schwer von den Märschen der vergangenen Tage, doch du läufst wie auf Wolken. Und wie ebendiese zerfällt auch die Blase freudiger Aufregung in deinem Herzen wenige Momente später. Noch erschöpfter als du, zerlumpt, entkräftet, ausgehungert, die von der zerfetzten Kleidung freigegebene Haut verborgen unter einer dicken Schicht aus Staub und Sand, ohne jegliches Gepäck, nicht einmal Wasser. So bleibt sie vor dir stehen, eine Frau, etwas älter als du. Sieht dich aus glasigen Augen an, bittet dich mit rauer Stimme um Flüssigkeit. Gibst du ihr einen Schluck ab? Es könnte der eine sein, der dir fehlt, wenn du wenige Meilen von der Rettung entfernt in der Wüste zusammenbrichst. Aber auch ihr könnte er das bedeuten, willst du diese Verantwortung mit dir herumtragen, deinen Gang noch weiter erschweren? Sie redet viel, die Einsamkeit hat sie noch bedeutend schwerer getroffen als dich. Auch sie ist auf einer geleiteten Tour von ihrer Gruppe getrennt worden, hat verschlafen, die anderen brachen ohne sie auf, sagt sie. Kannst du ihr glauben? Sie hat dieses Glänzen in den Augen, es irritiert dich, welche Bedeutung hat es? Irre Menschen haben es, aber fröhliche genauso. Was davon ist sie? Der rauschende Schwall ihrer Worte erinnert dich an das Plätschern eines Wasserfalls, dauerhaft, unregelmäßig und trotzdem auf eine wirre Weise melodisch. Ihr sprecht die gleiche Sprache, was für ein Glück, sonst wärt ihr womöglich aufeinander losgegangen. Reiche Welten, luxuriöse Restaurants, riesige Villen, Urlaub in allen erdenklichen Paradiesen der Erde, nun aber hier. Ein Lebensweg, der neidisch macht, aber hier, zivilisationsverlassen, materiell nackt, macht es keinen Unterschied, wer wer ist oder war oder vielleicht wieder sein wird. Phantastische Erlebnisse, eine heile Welt, wundersame Zufälle, Fügungen, die alle Fragmente des Lebens zu einem Meisterwerk verschmelzen lassen. Sieht dieses Werk aus wie ein spätes Werk Picassos oder erinnert es an Rembrandts Darstellungen? Kannst du es erkennen? Was bedeutet es dir? Verstehst du, was ich dir sagen will, fragst du dich, was die Dame dir erzählt? Warum es für dich wichtig ist? Oder ob sie es einfach nur von sich abwerfen, loslassen möchte?
Sicher sind schon mehrere Meilen an euch vorbeigezogen, die ihr nun zu zweit durch das wandlose Labyrinth wandelt. Abrupt bleibt sie stehen, winkt, sieht dich freudestrahlend aus ihren weit aufgerissenen Augen an, du siehst eine Träne in ihrem Augenwinkel glitzern, kostbar wie einen der Diamanten, die sie beschrieben hat. Was das wohl soll? Sie springt auf und ab, beinahe so erregt wie du es warst, als du sie aus der Ferne für deine Rettung gehalten hast. Ausgelassen packt sie dich mit einer ihrer knochigen Hände am Arm, instinktiv zuckst du zurück. "Siehst du ihn denn nicht? Mein Mann, er kommt immer näher! Er wird uns beide retten, mich zuerst, dann dich, wir beide kommen nach Hause, zurück in das Paradies, das keins ist, bis es zu einem wird, verstehst du? Und meine Geliebte hat er auch dabei, sieh nur, sie sind so stark, sie beide, unbesungene Helden in einer Geschichte ohne Rhythmus. Hierher ihr zwei!" Entgeistert schaust du sie an, sie springt auf der Stelle, beseelt von der Entdeckung der rettenden Engel, die sie zu sehen glaubt. Traust du dich, ihr zu sagen, dass da niemand ist? Lass es bleiben, sie wird sich bald selbst erschöpfen und ruhig sein, vergessen der Ausblick, sobald die Realität sie wieder eingeholt hat.
Die Wüste erstickt bald ihre Rufe, ihr Winken geht ins resignierte Pendeln über, die mageren Finger unverändert in dein Handgelenk gekrallt. Erneut vergehen Stunden, der Marsch durch die Trockenheit nimmt seinen Lauf. Mal schleppst du deine neue Bekannte hunderte Meter weiter, mal drängt sie dich, weiter zu laufen, nicht aufzugeben. Ihr pendelt euch ein, du gewöhnst dich langsam an die Gesellschaft. Die Hitze nimmt ab, doch immer noch brennt jeder Atemzug in der Lunge, staubig, körnig. Die Muskeln tun es der Lunge gleich, Schmerzen durchziehen stechend alle Gliedmaßen, deine zusammengekniffenen Augen mittlerweile starr nach vorn gerichtet, keine Ablenkung mehr. Bald zeigen sich meterhohe Dünen am Horizont, sie bildet man sich nicht ein, sie sind real. Die Frau hat noch nicht aufgehört zu reden, gerade schwärmt sie von alldem, was sie sich mit ihrem unzählbaren Reichtum schon gekauft hat und noch kaufen wird, wie sie beim nächsten Besuch in der Wüste so viel besser vorbereitet sein wird, weil sie sich eine eigene Kolonne samt Wasservorräten für ein Jahr und Nahrung zum Fettwerden, Sonnensegeln, die von ihren Bediensteten getragen würden, Zelten für die eisigen Nächte, die selbstverständlich vor ihrer Ankunft am Nachtlager aufgebaut werden und noch allerlei Kleinod gegen Langeweile gekauft haben wird. Ein müdes Lächeln macht sich auf deinen Lippen breit, mehr lösen ihre Phantasien in dir nicht aus. Oder lächelst du über ihre Naivität, zu denken, dass es einen nächsten Besuch in der Wüste geben wird? Falls ihr beide, vor allem du es wieder zurückschafft, würdest du dann noch einmal zurückkehren? Kannst du diese Antwort überhaupt geben oder schwebt sie unformuliert, undefiniert, noch unwahr im sich um dich her erstreckenden Nichts, sammelst du sie auf dem Weg noch ein? Wartet sie an einem anderen Ort, könntest du sie erkennen?
Über die Wüste ein wenig Bescheid zu wissen sollte jedem, der an diesem Ort landet, wohl als eine unabdingliche Voraussetzung erscheinen. So auch dir, du weißt, welche Tricks deine Augen dir spielen, wie du dich am besten vor der Hitze schützt, was nachts Kleintiere von dir fernhält und wie du dir deine Wasserration effektiv einteilst. Wie du dich orientieren solltest hast du auch einmal gelernt, doch ist es in der Praxis deutlich schwieriger als erwartet, obwohl du dein Bestes tust, es muss reichen. Hättest du geglaubt, dass diese fremde Frau, die zufällig dein Schicksal teilt, keinen blassen Schimmer von diesen ganzen Dingen zu haben scheint? Eigentlich sollte es doch unmöglich sein, dass sie trotzdem mehrere Tage und Nächte überdauert hat, wenn man beachtet, dass sie von Beginn an nur tagsüber gereist ist, nicht wie du erst seit heute. Du weißt, dass du so nur noch mehr Wasser verbrauchst, aber eine andere Wahl hast du nicht mehr, die Zeit läuft dir davon. Sie macht sich keine Gedanken darüber, redet weiter munter über dies und jenes, wer ihr alles helfen könnte, wenn sie diejenigen doch nur erreichen könnte, aber die Telefonanbieter halten es ja nicht für nötig, hier einmal Empfang einzurichten. Was man sich damit alles ersparen könnte, so viel Zeit und Mühe. Du nickst zustimmend, zeitgleich verschwimmt ihr Gesicht vor deinen Augen.

Schüttel dich! Werd nicht unaufmerksam, das kannst du dir nicht leisten! Die Sonne geht bald unter, sei vorbereitet. Auch die Frau bemerkt die nahende Nacht, sie gähnt herzhaft. Träge räkelt sie sich, dich aus müden Augen anschauend fragt sie dich: "Wo schläfst du heute Nacht?" Du bist überrascht, sie scheint sich wirklich nicht mit Notfallsituationen auseinandergesetzt zu haben. "Schlafen? das werde ich erst wieder, wenn ich neues Wasser habe. Bis dahin muss ich alles tun, jede Sekunde nutzen, jeden Meter, den ich hinter mich bringen kann, gehen. Wir können uns nicht leisten zu schlafen, aber immerhin wird es nachts kühl und wir verlieren weniger Wasser auf dem Weg", sagst du ihr. "Ich kann mir Wasser kaufen, so viel ich trinken kann, die auserlesensten Delikatessen und vor allem Ausrüstung für jede, wirklich jede Situation, wenn ich wieder unter Menschen bin. Ich gehe davon aus, dass du nicht weißt, wo oder wie ich Schlaf erwerben kann, richtig?" Ihre Entgegnung schockiert dich, wie kann sie solche Prioritäten setzen. Du wirst weitergehen, du musst es tun, das sagst du ihr auch so. Sie akzeptiert es. Ob sie deine Hilfe nicht braucht, willst du wissen. Sie käme klar, meint sie, sie würde morgen sicherlich von ihrer Familie abgeholt werden. Und wenn nicht, dann wäre die nächste Oase wohl nicht weit entfernt. Dir ist klar, dass sie tatsächlich dieser Überzeugung ist, also gibst du es auf, sie belehren zu wollen. Du weißt, dass du nicht für sie verantwortlich bist, wäre es nicht falsch, ihr die Fähigkeit, selbst zurückzufinden, abzusprechen? Dir traust du es doch auch zu.

Also verabschiedest du dich von ihr und durchwanderst auch die Nacht, diese denkwürdige, unwahrscheinliche Begegnung überdenkend. Du fragst dich wie es ihr wohl ergehen wird, ob sie es lebend aus der Wüste schaffen wird. Dich plagt ein merkwürdig schlechtes Gewissen, denn eigentlich wolltest du sie nicht zurücklassen, das ist doch gegen deine Natur, oder? Andererseits musst du dir helfen, das sagst du dir immer wieder. Die hohe, fiese Stimme in deinem Kopf hat ihren Text mittlerweile geändert, sie versichert dir höhnisch, dass du das Richtige getan hast, aber auch, dass die Frau nicht ankommen wird, wo sie hinwill. Als das Morgengrauen naht erhebt sich vor dir eine Stadt aus dem Sand. Ihre Mauern glänzen rötlich im Licht der aufgehenden Sonne, sie thront anmutig vor dem Meer aus Sand, Ödnis und Trockenheit. Du fällst vor Erleichterung auf die Knie, Freudentränen überströmen deine Wangen. Du lässt es passieren, musst keine Träne mehr unterdrücken, denn du weißt, dass du innerhalb der Stadt findest, was du brauchst, dass man dich aufnehmen wird, das spürst du.
Die letzten Schritte sind keine taumelnden mehr, sondern ein energiegeladener Tanz, mit vielen Kurven und Schlenkern, aber einer spürbaren Eleganz. Hinter den Toren der Stadt wartet schon deine Reisegruppe, gerade auf dem Weg, die Suche nach dir wieder aufzunehmen. Ihr umarmt euch, du wirst verpflegt, es ist, als wärest du im Himmel. Dann fällt dir die Frau wieder ein und du bittest deine Gruppe, sie mit dir suchen zu gehen. Ihr macht euch auf den Weg, durchquert die Wüste erneut, bis du vor dem Ort stehst, wo ihr euch getrennt habt. Es ist der Richtige, das weißt du, du hast dir die Anordnung der Dünen, das Muster der Pflanzen eingeprägt. Aber sie ist nicht mehr da, kein Zeichen deutet auf sie hin oder darauf, dass sie jemals da war. Nur deine Fußspuren führen von hier fort, parallel zum Pfad deiner Gruppe. Sieh genau hin, hier bist du langgelaufen, was hat sie wohl getan? Und in genau diesem Moment der Verwirrung spürst du eine kristallklare Gewissheit tief in deinem Herzen und die Antwort offenbart sich dir.

 
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Hallo @thesaintq ,

herzlich willkommen im Forum, schön, dass du zu uns gefunden hast. :gelb:

Wenn jemand wie du mit einem eigenen Text und nicht mit einem Komm zu einem Fremdtext einsteigt, ist immer schwer abzuschätzen, wie der-/diejenige auf konstruktive Kritik reagiert.

Daher gehe ich nicht ins Detail, sondern gebe ein paar Stichpunkte rein. Bitte nimm alles unbedingt als Ansporn, und es geht immer um den Text, nicht um dich persönlich. :)

Ehrlich gesagt bin ich schlecht in deine Geschichte gekommen und habe auch sehr schnell begonnen, querzulesen. Hast du mal überlegt, hier einen Erzähler in der 3. Person (oder 1.) zu probieren? Eine Du-Ansprache geht in den allerseltensten Fällen gut, und dann eher, wenn offensichtlich zu einer imaginären weiteren Figur gesprochen wird, und eben nicht direkt zum Leser.

Letztlich provoziert das sehr leicht eine opportunistische Lesehaltung - du schreibst:

Stell dir vor, du läufst durch eine der trockensten, heißesten und größten Wüsten der Erde. Sieh dich um, riech die glühende, brennende Luft, spüre die sengende Sonne auf deiner dünn betuchten Haut.
Und ich denke: Nee. Ich sitz im Sessel, draußen sind -13 Grad C, es liegt ein halber Meter Schnee und ich spüre nix von dem, was du Autor mir 'aufschwatzen' willst.

Es ist ja so, dass ich mir als Leser schon von selbst etwas vorstelle (durchaus alles durch die Augen des Erzählers oder einer Figur sehe), wenn ich eine Geschichte lese. Eine direkte Ansprache finde ich extrem nervig, ich fühle mich da plump vertraulich von der Seite angesprochen, mir wird etwas aufgedrängt, bevor ich mich selbst entscheiden kann, ob und wie ich diese Bilder sehe. Bzw. lasse ich mir ungern die Vorstellungskraft & Phantasie abnehmen, denn das macht imA Literatur eigentlich erst spannend.
Ist jetzt auch nicht nur mein persönlicher Tick: Es gibt eine Menge Ausschreibungen, die die 2. Person als Erzählstimme verbieten (bei englischsprachigen ist das bereits die Norm).

Du bist schon viel zu lang hier,
Verwechslung: lang hat mit räumlichem Maß zu tun, lange mit einem zeitlichen.
Sandwehen
Lieber Dünen?
Dann warst du auf einmal alleine,
allein (existiert nicht mit -e, das kannst du nur in wörtlicher Rede so schreiben, weil viele - mich eingeschlossen - es so sprechen).
Dann warst du auf einmal allein, keine Kamele, kein Reiseführer und erst recht keine deiner Bekannten mehr in der Nähe. Seitdem hast du dich durchgeschlagen, das wenige Wasser, das du in dem dünnen Schlauch mit dir herumgetragen hast, ist so gut wie aufgebraucht. Außerdem hast du nichts zu essen, der Hunger hat schon ein saures Loch in deinen Magen gefressen, durch das nachts die kalten Wüstenwinde pfeifen.
Durch die gewählte Zeitform bekommst du ne Menge Hilfsverben, die zu Wortwiederholungen führen und langweilig sind. Dabei bringst du durchaus starke Verben an, das fällt deswegen aber nicht auf. Vielleicht Präsens wählen? Letztlich forderst du mich ja auch auf, mir das jetzt, in diesem Moment so vorzustellen und nicht als Rückblick (der funzt eh nicht, weil ich Leser nicht in der Lage bin, deine Geschichte - deren Fortgang / Entwicklung ich ja nicht kenne, sondern erst Wort für Wort erfahre - rückblickend als Erinnerung zu denken).

Der letzte Satzteil (die Metapher) ist zwar originell, aber imA auch einen Tick zu weit hergeholt, vor allem sagst du in fünf Zeilen ziemlich viel dasselbe. Also: Ein paar Mal direkt und dann als Metapher. Für eines von beiden entscheiden, vielleicht?

Kleiner Tipp: auf auf- oder absteigende Linien bzw. Gruppierungen nach Arten achten, wenn du aufzählst. Vllt. vom Wichtigsten zum Unwichtigsten: kein Reiseführer, keine Bekannten und auch keine Kamele. Oder eben umgekehrt als Steigerung, wie du magst.

Stell dir vor, du läufst durch eine der trockensten, heißesten und größten Wüsten der Erde.
Würde ich gar nicht über so einen Superlativ aufziehen. Auch, weil das einen Adjektiv-Overkill gibt. Klar, im Winter können Wüsten kühl oder kalt sein (ich war mal im Januar in Death Valley und da brauchte ich mal ein T-Shirt, mal Pulli, mal aber auch gefütterte Jacke). In der angrenzenden Mojave liegt sogar fett Schnee, auch auf den Kakteen. Und ja, es kann regnen und richtige Sturzbäche geben.

Andererseits lege ich meine Hand dafür ins Feuer, dass deine Leser zuallererst an einen heißen Wüstentag denken, wenn du nix weiter sagst. Und sie sich die eh spontan heiß und trocken vorstellen. Und wenn dem dem nicht traust, nenn die Jahreszeit: Es ist Sommer / Sonne knallt und (Figur) läuft durch eine Wüste, die sich bis an den Horizont erstreckt. Okay, das klingt nicht, aber so als Info-Vorschlag. Dann brauchst du ggfs. gar kein Adjektiv.

versuchst du auch diese Stimme loszuwerden, aber hartnäckig hält sie sich in deinem Ohr, bohrt sich durch bis in die hintersten, von der Sonne bereits ausgetrockneten Windungen deines Gehirns.
Versuch doch mal, mir genau das zu vermitteln, ohne mich direkt aufzufordern, das so zu sehen. Erzähle etwas, ohne mich Leser anzusprechen, und schaue, wie sich damit deine Geschichte, die Dynamik verändert. Der Witz ist doch nicht zu sagen: Hier Leser, das ist soundso, wörtlich vorformuliert. Sondern, etwas auszubreiten, in das der Leser aus einer Distanz raus einsteigen kann. D.h aber auch, du müsstest Bilder finden, die dieses Gefühl / Bild indirekt auslösen.

Soweit erst mal diese Anmerkungen. Trau dich ruhig und kommentiere Fremdtexte - man sieht Fehler immer leichter, wenn man sie nicht selbst macht, man muss nicht alle Fehler selbst machen und lernt vor allem dabei selbst.

Ich wünsche dir noch ganz viel Spaß bei uns, herzlichst,
Katla

 

Hallo @Katla,
erst einmal vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast, zu lesen und mir darüber hinaus auch noch Feedback zu geben!
Deine Anmerkungen kann ich gut nachvollziehen, vor allem was das "Wüstensetting" angeht, da werde ich in Zukunft ein wenig dezenter vorgehen:)
Die Erzählperspektive war ein Versuch, meistes schreibe ich anders. Ich kann verstehen, was du damit meinst, dass die Perspektive die Leser:innen "bevormundet", allerdings sehe ich es persönlich ein wenig anders, mir gefällt die direkte Ansprache.
aber vielleicht warte ich mit der nächsten Geschichte in dem Stil erst einmal ein wenig und verbessere die Technik.
Danke auch für deinen Tipp, andere Texte durchzuschauen:)
Liebe Grüße,
Q

 

Hallo thessaintq,
starke Story. Ein Gleichnis auf das Leben und die Liebe, fast so wie "Der alte Mann und das Meer" von Hemingway. Ich finde es interessant den täglichen Existenzkampf mit einem Gang durch die Wüste zu vergleichen, und die Gefährtin, die Du zurückgelassen hast, mit jemand, der Dir inmitten der Hitze und der Sanddünen über den Weg gelaufen ist, und mit der zusammen man sich durchkämpft. Eine Lebensabschnittsbegleiterin. Die Reisegruppe, die Dich vergessen hat, ist wohl die Gesellschaft, die einen aus ihrer Mitte rausdrängt. Ständig bewegt man sich im Leben auf Oasen zu, die sich beim Näherkommen nur als Fata Morgana entpuppen, und man ist so durstig, oder noch durstiger, wie vorher. Alles sehr philosophisch. Kann man mehrmals lesen, und findet immer wieder neues.
Gruß Frieda

 

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