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Heute trinke ich nicht!
Heute trinke ich nicht!
Oh, welcher Trinker kennt es nicht? Die beinharten Kopfkriege mit dem König (der Sucht) und dem Teufel. Welcher Trinker hat sich noch nicht konfrontiert gesehen, die schweißnassen Hände fest ans Autolenkrad geklammert, mit seiner bröckelnden Selbstbeherrschung, die ihn schmerzlich erkennen lässt, dass er krank ist. Welch körperlicher und seelischer Schmerz kann einhergehen mit dem Moment, wo vier banale Worte, eine eigentlich simple Entscheidung, für den Moment über Sieg oder Niederlage entscheiden.
Heute trinke ich nicht!
Der Feierabend rückt näher, das Wochenende ruft, das Wetter ist perfekt und außer mir ist niemand zu Hause. Die idealen Bedingungen für einen kräftigen Vollrausch. Doch ich habe mich dazu entschlossen heute nicht zu trinken. Und was ich mir vornehme, das ziehe ich auch durch, da bin ich ein Fels in der Brandung, da gibt es kein Zögern oder Einknicken, so sage ich mir. Doch alleine, dass ich mir das selbst einreden muss, sagt schon alles. Und wem muss ich denn etwas beweisen? Wem muss ich Rechenschaft ablegen? Wem bin ich es schuldig standhaft zu bleiben? Niemandem. Ich bin ein Mann, der seine eigenen Entscheidungen trifft. Und welcher Mann lässt sich davon abhalten, das zu tun wonach ihm beliebt? Kein echter Mann. Zum Teufel mit meinem sinnlosen Vorhaben mich selbst in meinem freien Spaß einzuschränken. Ja, zum Teufel damit will ich sagen doch ich bin vernünftig und schiebe diese gehäuchelten, selbstzerstörerischen Gedanken beiseite.
Heute trinke ich nicht!
Die Entscheidung ist gefallen und nun nicht weiter darüber nachgedacht. Bis zum Feierabend ist es nicht mehr lange. Was stelle ich mit diesem Freitagabend an? Mit diesem Freitagabend, an dem ich alleine zu Hause bin, an dem das Wetter perfekt ist, an dem man sich theoretisch richtig schön besaufen und dann unbemerkt durch den Flur torkeln könnte. Theoretisch wäre dafür heute der perfekte Abend, aber ich trinke ja heute nichts. Nach Feierabend noch mal schnell in den Supermarkt, leckeres Essen kaufen und dann ein gemütlicher Abend vor dem Fernseher. So ein Freitagabend wird das.
Ich würde gerne die Gedankengänge noch genauer beschreiben, die sich an so einem Abend in dem Kopf des Trinkers abspielen, während er wie in Trance gefangen mit sich selber ringt. Doch mir wird bewusst, dass man das nicht authentisch niederschreiben kann was da passiert, denn es handelt sich vielmehr um ein Gefühl, um einen Zustand. Das Verlangen nach dem Alkohol ist so stark, dass ich die Erfahrung von beinahe physisch wahrnehmbaren Schmerzen gemacht habe, während diesen beinharten Gefechten, die sich Willenskraft und König Alkohol in seinem Kopf liefern. Diese Schmerzen sind nicht zu verwechseln mit denen einer Entzugserscheinung, bei denen die Ursache wohl ziemlich klar ist. Die Schmerzen von denen ich rede entstehen im Kopf und fühlen sich wie eine Art Krampf der Gedanken an, während man ständig an etwas denken muss, obwohl man alles daran setzt es zu vergessen. Während diesen Kämpfen bin ich in einer Art Trance gefangen, so dass ich um mich herum nicht mehr viel wahrnehme, außer den Eindrücken die der Sucht in die Karten spielen. Ein Getränkeladen hier, eine Tankstelle dort. Das Schild B14 wird zu BIA, wird ausgesprochen zu Bier!
Ich finde mich vor dem Schnapsregal wieder, eine Chipstüte in der Hand, die die Ausrede für den Abstecher in den Supermarkt darstellt und starre mit Feuer in den Augen auf die reichliche Auswahl. Ich greife nach einer Flasche Wodka, doch auf dem Weg zum Orangensaft stelle ich sie wieder irgendwo ab und hole stattdessen Hähnchengeschnetzeltes und Gummibärchen. Auf dem Rückweg komme ich doch noch an den Säften vorbei. Das Geschnetzelte tauscht seinen Platz mit dem O-Saft, während ich wie ferngesteuert Richtung Schnaps laufe. Das Schnapsregal schon in bedrohlicher Sichtweite biege ich kurzerhand in den nächstbesten Gang und... stehe in der Weinabteilung. 2 Minuten auf und abgehen, Bart kratzen und vor mich hin murmeln später, machen Orangensaft, Chips und Gummibärchen Platz für drei Flaschen Weißwein. Auf dem Weg zur Kasse meldet sich das Gewissen und ich stelle eine Flasche weg. Um an der Kasse nicht aufzufallen, denn man kennt mich hier mittlerweile, lege ich noch zwei Packungen Kaugummi dazu. In Gedanken rede ich mit mir selbst:
"Noch zwei Kunden bis ich dran bin. Zwei Flaschen Wein sind ja auch nicht allzu viel, immerhin kein Schnaps."
Das Stichwort ist gefallen und ich verlasse die Schlange kurz bevor ich dran bin Richtung Schnapsregal.
"Ganz oder gar nicht!"
Der Teufel und der König, ein Dreamteam. Einer zieht die Fäden an meinen willenlosen Gliedmaßen, der andere säuselt Befehle, ich bin beinahe machtlos. Aber nur beinahe. Denn da ist ja auch noch die Willenskraft. Langer Rede kurzer Sinn. Noch zweimal anstellen und weggehen, ein gespieltes Telefonat mit erfundenen Kollegen, die auch noch eine Flasche Schnaps wollen und insgesamt 40 Minuten Kampf mit der Sucht später, tu ich an der Kasse so als hätte ich meinen Geldbeutel vergessen. Ich lasse die zwei Flaschen Schnaps, den Kasten Bier und den Weißwein bei der genervten Kassiererin stehen und fliehe regelrecht aus dem Supermarkt in mein Auto. Irgendwie erleichtert und ein wenig stolz starte ich den Wagen und fahre selbstsicher nach Hause. Diesen Kampf habe ich gewonnen!
Heute trinke ich nicht!
Ach, wie schön wäre dieses Ende der Geschichte. Doch leider spielt das Leben nicht so gutherzige und romantische Lieder. Kurz bevor ich es nach Hause geschafft habe, hat es mich an der Tanke erwischt. Schnaps, Bier, Wein, Tabak. Die nächsten Stunden bin ich nicht mehr ich selbst. Wie im Wahn fröne ich dem Rausche, diene ich dem König, bis zur Bewusstlosigkeit folge ich den Stimmen der Sirenen ins Dunkel. Den Suff in der Hand und den Teufel im Ohr stolpere ich in die Nacht.
Oh, mein König, ich tu wie Ihr mir befiehlt!