Was ist neu

H i e r

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26.08.2002
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H i e r

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Ich habe doch die Stühle gar nicht aus dem Fenster geworfen.
Sie will wissen, warum ich sie hinausgeworfen habe. Aber ich war das nicht. Aus welchem Grund sollte ich die hinauswerfen, frage ich sie zurück. Das weiß sie auch nicht, sagt sie.


Jetzt gehe ich zurück ins Schlafzimmer. Beide schauen zu mir.
»Hast du es nicht?«, fragt Franka. Meine Tochter.
Ich frage: »Was?«
»Du wolltest das Wasser bringen.«
»Nein«, sage ich. »Ich hole es jetzt.«

Ich laufe in die Küche, öffne die Schublade und nehme ein Messer raus, gleich darauf kommt meine Tochter und nimmt es mir aus der Hand.
Das wundert mich.
»Ich habe Hunger«, sage ich.
Niemand hier macht etwas zu essen. Es ist Marias Aufgabe. Maria. Meine Frau. Sie macht mir das Essen nicht.

Ich gehe ins Schlafzimmer. Da liegt sie faul herum. Warum steht sie nicht auf? Was liegt sie da herum, mitten am Tag?
Ich bin im Flur. Das Telefon klingelt. Ich gehe ran, sage hallo.
»Ich bin es, Rainer«, sagt die Stimme. »Bist du es, Papa?«
»Ja, hallo Rainer«, sage ich. »Wie geht es dir? Wo bist du?«
»In Kampala«, sagt er.
»Seit wann?«, frage ich.
Er lacht. »Seit sieben Jahren. Kann ich Mama sprechen? Ist sie wach?«
»Ja, ist sie. Sie steht aber nicht auf. Sie liegt im Bett.«
»Ist gut. Kann ich sie sprechen?«
»Ja. Und wie geht es dir? Was machst du jetzt beruflich?«
»Ich bin Dolmetscher«, sagt er.
»Und wie geht es dir?«
»Danke, ganz gut im Großen und Ganzen. Und wie geht es dir? Schaust du noch Fußball?«
Fußball? Da muss ich überlegen. Ich habe schon lange kein Spiel mehr gesehen. Ich kann es gar nicht sagen.

»Hallo?«, sagt die Stimme.
»Und wo bist du?«, frage ich.
»In Kampala«, sagt er.
»Ah, in Kampala bist du jetzt. Und wann kommst du zurück?«
Meine Tochter kommt aus dem Schlafzimmer. Franka.
»Wer ist dran?«, fragt sie.
»Der Rainer«, sage ich. »Mein Sohn.«
Sie nimmt mir das Telefon aus der Hand.
»Hallo Rainer. Es ist schlimm«, sagt sie ins Telefon. »Wann kannst du kommen? Nein. Ich … er hat gestern die Schläuche aus dem Sauerstoffgerät montiert und sie wäre beinahe erstickt. – Nein. – Ich kann nicht mehr. – Nein, das geht nicht. – Es geht nicht, Rainer.«

Ich gehe jetzt ins Schlafzimmer; sie soll das Essen machen; ich habe Hunger. Warum macht sie es nicht? Sie macht das sonst doch.
»Steh jetzt auf!« Ich warte vor dem fremden Bett. Da liegt sie. Sie hat die Augen nicht geöffnet. Sie bewegt sich nicht. Maria.

Da ist meine Tochter wieder. Sie heißt Franka. Sie zieht mich am Arm aus dem Zimmer.
»Papa, jetzt lass sie«, sagt sie. »Sie kann nicht aufstehen. Ich mach’ dir gleich was, warte noch kurz.« Dann ins Telefon: »Was? – Nein, das versteht er nicht. – Er weiß es nicht.«
Warum telefoniert sie so lange, frage ich mich. Mit wem telefoniert sie?


Ich laufe hier durch die Tür ins Wohnzimmer. Auf dem Tisch, die Blumenvase gefällt mir. Sie ist groß und bunt, ganz neu. Ich nehme sie mir. Grün, hellgrün mit gelben Kreisen und kleinen roten Punkten. Wie Blumen.


Hier stehe ich im Garten auf der Wiese mit einer Vase in den Händen. Aber ich will sie nicht; sie ist schwer, und ich weiß nicht, was ich mit ihr tun soll, also werfe ich sie über den Gartenzaun. Hier sind Blumen, ziemlich viele. Und der Baum. Ich könnte die Äste am Baum schneiden. Das ist der Birnbaum.
Die Säge hängt in der Garage. An der Wand, hinter dem Auto.


Jetzt sitze ich am Tisch, auf dem Balkon.
Franka kommt. »Du sollst die Herdplatten nicht anmachen. Das ist gefährlich! Ich habe gesagt, das darfst du nicht! Ich koche dann schon, verstanden?«, schreit sie mich an. Sie schaut zum Tisch. »Was macht die Säge da? Was willst du mit der Säge?«
Ich sehe die Säge. Aber ich will nichts mit ihr. Ich habe sie da nicht hingelegt. Ich merke mit einem Mal, ich muss pinkeln, sogar dringend.

Ich bin allein. Im Garten; hier höre ich meine Tochter von oben schreien.
»Papa!«, schreit sie. »Wo bist du?«
Ich rufe: im Garten.
Sie taucht auf dem Balkon auf.
»Der Teppich im Flur!«, schreit sie weiter. »Du hast schon wieder auf den Teppich gepisst!«
Aber das war ich nicht. Ich bin doch gar nicht im Flur. Sondern im Garten hier.
Der Zaun. Ich muss jetzt den Zaun streichen.

 

Wow. Ziemlich tolle Geschichte. Man ist sofort drin. Die Irritation, die sich bald einstellt, lässt mich weiterlesen, zieht rein, (ver-)stört mich nicht.
Die Auflösung gefällt mir auch sehr gut. Das ist eine für mich neue Perspektive, die der Text einnimmt.
Was mir ein bisschen fehlt ist ein runder Schluss. Sofort in eine Handlung einzutauchen, finde ich gut. Aber diese Geschichte taucht genauso abrupt wieder aus der Handlung auf, die permanent weiterzugehen scheint. Das gefällt mir nicht. Irgendeine Form von Abschluss, von Verabschiedung aus der Handlung würde es für mich rund machen.

Kleine Typo:

»Ich bin Domletscher«, sagt er.
Ist zwar ein hübsches Wort, aber das meinst du sicher nicht ;-)

 

Hallo @FlicFlac ,

jetzt, wo ich diese Geschichte lese fällt mir auf, dass ich einen solchen Text bisher vermisst hatte ohne es zu wissen. Demenz aus der Perspektive eines Betroffenen: Ich finde deine Umsetzung gut und schlüssig. Allerdings stimme ich @harvey37 zu, dass dem Ende noch etwas fehlt. So gefährlich wie sich der Alltag mittlerweile gestaltet wird vermutlich eine Einweisung ins Pflegeheim anstehen - es wäre spannend, auch diesen Schritt aus seiner Perspektive heraus zu schildern.

2024er Grüße
Eva

 
Zuletzt bearbeitet:

Moin @FlicFlac,

danke für Deine Geschichte.
Wie meine Vorredner:innen finde auch ich die Perspektive interessant und genau wie ihnen sagt mir das Ende (noch) nicht hundertprozentig zu.

H i e r .
Hast Du den Punkt bewusst an dieser Stelle gesetzt? Ich vermute mal, ja.
Generell finde ich die „zerschossene“ Form für diese Perspektive sehr clever gewählt. Wir springen mit dem Prota von Situation zu Situation, müssen uns wie er immer wieder neu orientieren.

»Ich bin Domletscher«, sagt er.
Wurde bereits angemerkt. Absicht?

»Wann kannst du kommen? Nein. Ich … er hat gestern die Schläuche aus dem Sauerstoffgerät montiert und sie wäre beinahe erstickt … nein ... Ich kann nicht mehr.«
Ans Ende der wörtlichen Rede könntest Du auch ein Ausrufezeichen setzten. Klingt so, als würde die Tochter das im Telefonat deutlich hervorheben.

Der Schluss ist so’ne Sache. Viel länger braucht die KG gar nicht sein, aber so wie es jetzt endet, wirkt es irgendwie … unfertig.
Vielleicht war aber auch das genau so von Dir beabsichtigt?

Gerne gelesen,
beste Grüße Seth

 

Hallo FlicFlac


... aus dem Nichts auftauchen, mitreißen und langsam dämmern lassen, was hier gespielt wird - und wieder raus. Zack. Ein Guss, ein Alltag, eine ziemlich abstrakte familiäre Situation und für mich gelungen, auch wenn ... ja, was soll da ein Schluss? Streifschuss, Blitzlicht, Episode, Ein Augenblick, aber voller Spannung und Tragik. Super, muss wohl noch mehr von Dir lesen.
Beste Grüße
Detlev

 

Lieber @FlicFlac ,

ein ziemlich schmerzender Text und deswegen gerade so gelungen!
Erst war ich drauf und dran, dir die wörtliche Rede anmerken zu wollen, dass es doch besser ist, sie zu kennzeichnen und so, aber im Laufe des Weiterlesens wurde mir klar, ja genau, so ist es, es ist so konfus, so durcheinandergewirbelt, diese Momente aus logischem Denken und dem Verrücktsein, wobei ich unsere deutsche Sprache mal wieder feiere, weil das Wort "verrückt" so wunderbar wiedergibt, was mit diesem Menschen passiert ist. Er ist nicht mehr am Ort, obwohl er am Ort ist.

Ich habe doch die Stühle gar nicht aus dem Fenster geworfen.
Das würde ich straffen: Ich habe die Stühle nicht aus dem Fenster geworfen.
e will wissen, warum ich sie hinausgeworfen habe.
das würde ich streichen
Aber ich war das nicht.
hier auch, ist gar nicht erforderlich
Beide schauen sie zu mir.
Ich steh hier ein wenig auf dem Schlauch: wer sind die beiden? Tochter und Ehefrau? Mir war aber da noch gar nicht bewusst, dass er bereits im Schlafzimmer steht.
Ich möchte sie aber nicht, sie ist schwer, und habe keine Ahnung, was ich mit ihr tun soll, also werfe ich sie über den Gartenzaun.
Ich würde das klarer fassen: Sie ist schwer (das ist das, was ihn stört), was soll ich mit ihr tun? (Ratlosigkeit) Weg damit! Ich werfe sie über den Gartenzaun. (Entschluss)
Bei dir steht der Entschluss vor der Ratlosigkeit und dann folgt wieder der Entschluss.

Meine Veränderungsvorschläge sind aber komplett Geschmackssache.
Was mich allerdings doch gestört hat, ist der Titel. Ich kann damit nichts anfangen, gerade weil er so allgemein ist und ich am Ende der Geschichte nicht verstehe, was er bedeuten soll.
Mir fällt als Gegenvorschlag nur der doppeldeutige Titel "merkwürdig" ein, weil es um die Merkfähigkeit geht und die Würde des Mannes. Es ginge auch eine Wortschöpfung "Merkwürde". Nur so als Denkanstoß. Oder "Merkwürdigkeit".

Eine gute kurze Geschichte, die nicht länger sein muss, weil du alles reingepackt hast, auch die Überforderung der Tochter, die Gefahr, in der die Ehefrau schwebt, die Aussenwelt (Vase im Nachbarsgarten).
Trotzdem bin ich mehr Fan deiner ironischen Satiren, aber die kann man halt auch nicht am Laufband anfertigen.


Lieben Gruß

lakita

 

Ja, der Text tut echt weh. Er kommt so locker, so selbstverständlich daher und dennoch spürt man, je mehr man liest, wie schmerzhaft das ist, so sehr im Hier festzustecken, dass die Orientierung verloren gegangen ist.
Insofern ging es mir nicht so, dass ich den Titel verwirrend oder unpassend finde. Er irritiert am Anfang, weil es ja immer so schön heißt, es ist gut, im Hier und Jetzt zu sein, aber im Text merkt man schnell, dass es nicht das positive Hier ist, sondern dein Protagonist ist wirklich nur noch im Hier, in einem, das ihn lähmt, das er nicht mehr im Griff hat, sondern umgekehrt, das ihn in seinen Klauen hält.
Wie @lakita hätte ich den ersten Satz verkürzt. Aber das ist eigentlich das einzig Korrigierende, das ich anzumerken hätte.
Sehr guter Text.
Novak

 

»Du sollst die Herdplatten nicht anmachen. Das ist gefährlich! Ich habe gesagt, das darfst du nicht! Ich koche dann schon, verstanden?«, schreit sie mich an. Sie schaut zum Tisch.

Ist so der Klassiker, der auf keinen Fall fehlen darf.

Die Frage ist: wie kann man das wirklich darstellen, so einen Menschen, bzw sein Bewußtsein, sein sprachliches Bewußtsein? Ist das noch so zusammenhängend, noch so teil-logisch oder doch eher vollkommen fragemtarisch, und wie würde das dann aussehen? Da fehlt mir hier auch der Mut: das ist alles schon noch recht zahm, man könnte das auch richtig zerfetzen, jegliche narrative Logik in sich auflösen, die Frage stellen, ob das nicht auch widersprüchlich ist, das so logisch aufzubauen. Und dann: du machst ja hier dieses Symptom zum Thema, zum alleinigen Gegenstand, das passiert sonst wenig mit, ich bekomme das vorgeführt.

»Hallo Rainer. Es ist schlimm«, sagt sie ins Telefon. »Wann kannst du kommen? Nein. Ich … er hat gestern die Schläuche aus dem Sauerstoffgerät montiert und sie wäre beinahe erstickt … nein ... Ich kann nicht mehr.«
Würde er das so mitschneiden? In dieser Klarheit? Das ist ja seine Perspektive. Er müsste fragen: Wie, wer war das mit den Schläuchen? Dann könnte man eine Geschichte draus machen, weg von der reinen Oberfläche kommen: er montiert tatsächlich die Schläuche ab und die Frau stirbt, und wenn man sozial-realistisch sein will, sagt man noch, dass der Pflegedienst unterbesetzt war. DAS ist die Konsequenz. Realistischerweise wäre aber eine solche Person doch schon im Heim, oder? Hätte eine Betreuerin. Das fehlt mir, eine Geschichte, die du erzählen möchtest.

Gruss, Jimmy

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo an alle und vielen Dank für die Anmerkungen!

Hallo @harvey37 @jimmysalaryman @Novak @lakita @Detlev @Seth Gecko @Eva Luise Groh !

Vorab, die Idee, das zu machen kam sehr spontan.
Es ist der Versuch -- ich betone das: Versuch -- eine demente Person nicht von außen zu zeigen (aus der Sicht der Angehörigen), sondern von innen. Die Frage war also: Wie könnte das aussehen, wie erlebt er das? Die Motivation: sich reinversetzen, das zeigen, Verständnis erreichen?
Es ist mir sehr wohl klar: Niemand kann sich wohl tatsächlich in eine demente Person versetzen (oder in sonst eine). Deshalb nenne ich es Versuch. Beobachtungen, die zu Vermutungen führen. Wie könnte das sein: Die Fragmentierung des Erlebens in beständiges Erwachen und Wieder-weg-sein, das stete Wegbrechen der jüngsten Vergangenheit? Sozusagen reduziert zu sein in ein Hier und Jetzt, zumindest in sehr hohem Ausmaß.

Des Weiteren kann ich sagen, ohne das näher auszuführen, dass ich betroffen bin und sowohl mit einem schwer dementen Menschen selbst regelmäßig spreche, ihn erlebe, als auch mit Menschen, die um ihn sind. Die Herdplatten, das Messer, die Sache mit dem Essen -- diese Teile sind authentisch, nur leicht geändert; die Personen sind selbstverständlich alle komplett fiktiv. Jetzt zu den Anmerkungen...

Was mir ein bisschen fehlt ist ein runder Schluss. Sofort in eine Handlung einzutauchen, finde ich gut. Aber diese Geschichte taucht genauso abrupt wieder aus der Handlung auf, die permanent weiterzugehen scheint. Das gefällt mir nicht. Irgendeine Form von Abschluss, von Verabschiedung aus der Handlung würde es für mich rund machen.
Darüber habe ich nachgedacht und es verworfen. Das Ganze sollte nach meinem Empfinden mittendrin enden, weil es nur einen kleinen Ausschnitt zeigt, vielleicht ein paar Stunden an einem Vormittag. Es ist mittendrin. Es gab vorher Hunderte dieser 'Hiers' und es wird danach noch viele geben. Es endet nicht. Zumindest nicht so schnell, zumindest an diesem Tag nicht.


»Ich bin Domletscher«, sagt er.
Ist zwar ein hübsches Wort, aber das meinst du sicher nicht ;-)
Eigentlich war das Absicht. Ich wollte da andeuten, dass der Protagonist das Wort nur phonetisch versteht (und dazu falsch), es keine Bedeutung hat -- und dass er außerdem an so eine Situation gewohnt ist, also sich damit abgefunden hat, dass dies vorkommt, sodass er nicht mehr nachfragt. (Vor 20 Jahren etwa hatte ich viel Kontakt zu jemand, der nach einem Hirnschlag große Teile seines Sprachspeichers verloren hatte, der beschrieb das so, für ihn waren mit einem Mal alle Sprachen weitgehend Fremdsprachen).

Ich sehe, das funktioniert nicht, haut wohl einfach aus dem Text, weil es für einen Tippfehler gehalten wird, daher ändere ich das.


jetzt, wo ich diese Geschichte lese fällt mir auf, dass ich einen solchen Text bisher vermisst hatte ohne es zu wissen. Demenz aus der Perspektive eines Betroffenen: Ich finde deine Umsetzung gut und schlüssig.
Ja, war sehr spontan. Ich habe versucht, mir vorzustellen, wie das für ihn sein könnte; erst ohne dran zu denken, das zu verschriftlichen; die Idee, so was zu schreiben kam dann ad hoc.

So gefährlich wie sich der Alltag mittlerweile gestaltet wird vermutlich eine Einweisung ins Pflegeheim anstehen - es wäre spannend, auch diesen Schritt aus seiner Perspektive heraus zu schildern.
Das stimmt, das ist unumgänglich; tatsächlich aber gibt es da viele Faktoren, die eine Rolle spielen. Die Schwere der Erkrankung ist im Text nicht übertrieben.

Generell finde ich die „zerschossene“ Form für diese Perspektive sehr clever gewählt. Wir springen mit dem Prota von Situation zu Situation, müssen uns wie er immer wieder neu orientieren.
Es freut mich, dass das 'funktioniert'. Danke für das Wort: zerschossen! Genau so stelle ich mir das vor. Die Erinnerung, selbst an eigene Handlungen und Absichten, beleuchtet nur noch einen kleinen Bereich, verlässt du den in ein neues 'Hier', verschwindet das Vorige im Dunkel und ist nicht mehr sichtbar.

Viel länger braucht die KG gar nicht sein, aber so wie es jetzt endet, wirkt es irgendwie … unfertig.
Vielleicht war aber auch das genau so von Dir beabsichtigt?
Ja, so war das dann für mich stimmig.

ja, was soll da ein Schluss? Streifschuss, Blitzlicht, Episode, Ein Augenblick, aber voller Spannung und Tragik. Super, muss wohl noch mehr von Dir lesen.
Danke! -- ja, so sehe ich das dann auch.

Er ist nicht mehr am Ort, obwohl er am Ort ist.
Weiß nicht, ob ich dich richtig verstehe. So wie ich das erlebe, ist er schon am Ort. Nur ist der Ort, an dem er jeweils ist, der einzige Ort, den es für ihn gibt. Daher der Titel :)
Die vorigen Orte inklusive seiner eigenen Gedanken dazu, verschwinden ständig sehr weitgehend.

Ich habe doch die Stühle gar nicht aus dem Fenster geworfen.
Das würde ich straffen: Ich habe die Stühle nicht aus dem Fenster geworfen.
Ehrlich: Auch darüber habe ich nachgedacht, weil mir dieser erste Satz ('eigentlich') zu lang ist. Ich habe meine Version stehen lassen, weil in meinem Satz die Verteidigung stärker zu spüren ist, die Empörung darüber, was man ihm 'unterstellt'; denn er hat all die Sachen, die er machte, nie gemacht -- weil er nichts darüber weiß. In echt reagiert er sogar sehr aggressiv auf solche 'unberechtigten Anschuldigungen'. Die kurze Version hat diese Emotion zu wenig. Dennoch bin auch nicht ganz zufrieden mit dem Satz.

Sie will wissen, warum ich sie hinausgeworfen habe.
das würde ich streichen
Nein, auch das ist mir wichtig; weil es tatsächlich immer wieder zu Reaktionen von Nahestehenden kommt, die verständlich, aber nicht mehr angemessen sind. Ihn zu fragen, warum in Gottes Namen er das immer macht, das kommt vor -- obwohl er das weder beantworten kann noch überhaupt weiß, dass er es gemacht hat.


Beide schauen sie zu mir.
Ich steh hier ein wenig auf dem Schlauch: wer sind die beiden? Tochter und Ehefrau? Mir war aber da noch gar nicht bewusst, dass er bereits im Schlafzimmer steht.
Ja, das ist sozusagen auch der Versuch, den Leser in diese Situationen einfach reinzuwerfen. Wie ich mir vorstelle, dass der demente Mensch reingeworfen ist.


Ich möchte sie aber nicht, sie ist schwer, und habe keine Ahnung, was ich mit ihr tun soll, also werfe ich sie über den Gartenzaun.
Ich würde das klarer fassen: Sie ist schwer (das ist das, was ihn stört), was soll ich mit ihr tun?
Nun, letztlich weiß ich nicht, wie das vor sich gehen könnte, aber ich stell es mir eben sehr unstrukturiert und sprunghaft vor, daher. Ich weiß nicht, was dann letztlich den Impuls darstellt, das Ding über den Zaun zu werfen. In echt macht er andere Sachen, die wirklich in keiner Weise nachzuvollziehen sind.


Was mich allerdings doch gestört hat, ist der Titel. Ich kann damit nichts anfangen, gerade weil er so allgemein ist und ich am Ende der Geschichte nicht verstehe, was er bedeuten soll.
Erst wollte ich es 'Jetzt' nennen, aber da gibt es ja dieses Buch von E. Tolle. Dann entdeckte ich, dass 'Hier' es auch trifft. Als zweite Hälfte eines 'Hier-und-Jetzt'-Zwingers.
Hier und Jetzt wäre zu abgegriffen.


Er kommt so locker, so selbstverständlich daher und dennoch spürt man, je mehr man liest, wie schmerzhaft das ist, so sehr im Hier festzustecken, dass die Orientierung verloren gegangen ist.
Danke dir, genau!

Insofern ging es mir nicht so, dass ich den Titel verwirrend oder unpassend finde. Er irritiert am Anfang, weil es ja immer so schön heißt, es ist gut, im Hier und Jetzt zu sein, aber im Text merkt man schnell, dass es nicht das positive Hier ist, sondern dein Protagonist ist wirklich nur noch im Hier, in einem, das ihn lähmt, das er nicht mehr im Griff hat, sondern umgekehrt, das ihn in seinen Klauen hält.
Ja, danke. Das ist, wie ich es wahrnehme und darstellen wollte! Immer schön, wenn das rüberzukommen scheint, was man wollte. Auch stilistisch, die ständigen Ich-Sätze und das Fragmentiert.

Die Frage ist: wie kann man das wirklich darstellen, so einen Menschen, bzw sein Bewußtsein, sein sprachliches Bewußtsein?
Da sage ich ganz klar: Nein. Wirklich darstellen, das glaube ich, kann man gar nicht. Was ich geschrieben habe, ist die auf meinen Erfahrungen (und teilweise auch einer Recherche zu Demenzsymptomen) basierte Version. Insofern eine Vermutung. Mein Versuch der Annäherung, wie es sein könnte.

das ist alles schon noch recht zahm, man könnte das auch richtig zerfetzen, jegliche narrative Logik in sich auflösen, die Frage stellen, ob das nicht auch widersprüchlich ist, das so logisch aufzubauen.
Ja, ich verstehe; das war aber nicht mein Anliegen. Vielleicht bin ich wenig 'literarisch' da rangegangen; es war zunächst ein innerer Vorgang, dann ein Aufschreiben für mich -- die Idee, das in eine Form zu bringen, die andere lesen könnten, kam recht spät. Insgesamt wollte ich in der Nähe dessen bleiben, was ich erlebe und mich nicht zu weit 'raus auf's Wasser' begeben.

Und dann: du machst ja hier dieses Symptom zum Thema, zum alleinigen Gegenstand, das passiert sonst wenig mit, ich bekomme das vorgeführt.
Ja. Genau. Das ist das, was ich wollte. Im Grunde eine Ahnung zu vermitteln, was es da zu verstehen gibt. Das überlasse ich dann jedoch lieber jedem Einzelnen. Oder verstehe ich dich falsch?

DAS ist die Konsequenz. Realistischerweise wäre aber eine solche Person doch schon im Heim, oder? Hätte eine Betreuerin. Das fehlt mir, eine Geschichte, die du erzählen möchtest.
Da liegst du richtig, es ist eine Folge von Episoden ohne den Anfang-Mittelteil-Schluss-Geschichtenaufbau -- siehe oben. Zu dem Punkt mit dem Heim: nein. Realistischerweise ist diese Person nicht in einem Heim.

So gefährlich wie sich der Alltag mittlerweile gestaltet wird vermutlich eine Einweisung ins Pflegeheim anstehen - es wäre spannend, auch diesen Schritt aus seiner Perspektive heraus zu schildern.
Allerdings wäre es das, was schnell passieren muss. Das ist jedoch von einigem abhängig.
Tatsächlich bewegt mich auch, wie das sein könnte, wenn die demente Person sich 'plötzlich' in einer unbekannten Umgebung befindet, mit unbekannten Menschen; möglicherweise ohne eine Ahnung, wie er da hin kam, ohne Idee, wo die anderen sind, die er kennt und ob und wann er sie wiedersehen wird. Das ist für mich unfasslich.

Letztlich habe ich entschlossen, mich da nicht mehr hinzubewegen. Auch denke ich, dass der Text nicht deutlich länger sein sollte. Klar, ich könnte eskalieren, ihn seine Frau wirklich töten oder das Haus abfackeln lassen, aber darum ging es mir nicht.

Super, muss wohl noch mehr von Dir lesen.
Lakita:
Trotzdem bin ich mehr Fan deiner ironischen Satiren, aber die kann man halt auch nicht am Laufband anfertigen.
So was direkt nah an meinem persönlichen Leben Liegendes -- schreibe ich selten. Zumindest veröffentliche ich es selten, wenn ich es schreibe.
Die nächsten Sachen in Planung sind wieder viel 'konstruierter', humoristischer und mit etwas größerer Distanz.

Danke noch mal für die Auseinandersetzung mit dem Text!

Gruß von Flac

 

Hey @FlicFlac


Eine echte Kurzgeschichte, sauber und flüssig geschrieben. Vielen Dank dafür. Dein Text ist im Verhältnis zu seiner Länge schon sehr oft kommentiert worden:). Ich werde mich deshalb kurz fassen: Ich finde die Form interessant und dem Thema angemessen. Das einzige, was ich kritisieren möchte, ist der Titel.

Genau so stelle ich mir das vor. Die Erinnerung, selbst an eigene Handlungen und Absichten, beleuchtet nur noch einen kleinen Bereich, verlässt du den in ein neues 'Hier', verschwindet das Vorige im Dunkel und ist nicht mehr sichtbar.
Deine Beschreibung ist absolut zutreffend, aber das Wort „Hier“ bleibt zu allgemein. Als ich vor 2 Jahren meine KG ( Also bin ich) zum gleichen Thema schrieb, hätte ich sie fast Anosognosie genannt. Es könnte ein slawischer Mädchenname sein, fand ich. Tatsächlich ist es der Name der Störung, die du beschreibst. Menschen mit Anosognosie sind sich ihrer kognitiven Defizite nicht bewusst.
Nur ein Gedanke.
Sehr gerne gelesen.
Alles Gute für das neue Jahr.
Liebe Grüße
Eraclito

 

@Henry K. @Eraclito, Dank auch euch für die Kommentare!

Eine echte Kurzgeschichte, sauber und flüssig geschrieben.
Danke!
Deine Beschreibung ist absolut zutreffend, aber das Wort „Hier“ bleibt zu allgemein.
Ich weiß nicht, was dein 'zu allgemein' bedeutet, was du damit meinst.
Warum ich das mit dem 'hier' gewählt habe, erläuterte ich weiter oben. Es ging mir nicht, das sei noch hinzugefügt, um eine Symptomstudie einer spezifischen Erkrankung, sondern um den Versuch, diese des Vorigen beraubte Erlebnisqualität erahnbar zu machen.

Da wir ja alle nicht wissen, was in Alzheimerhirnen los ist, lässt sich meiner Meinung nach nichts dazu sagen, was du hier anders machen solltest.
Genau.

Es wurde angemerkt, dass alles noch zerfaserter sein sollte, aber das denke ich nicht.
Genau. Es könnte noch zerfahrener sein, muss aber nicht; so teilt es sich mir mit, das ist meine Erfahrung.

Von daher finde ich deine Darstellung plausibel, wo sehr wohl hergestellte Zusammenhänge einfach immer wieder ins Leere laufen.
Wieder: genau. Ich hatte mit psychosekranken Menschen Gespräche, das ist etwas anderes, da spielt die Verzerrung des Erfahrenen eine große Rolle oder Wahnhaftes (zum Beispiel Halluzinationen) --


Gruß von Flac

 

Hallo @FlicFlac,

Der Vater ist einer meiner Top-Ten-Filme der vergangenen Jahre und als ich beim Überfliegen der Kommentare las, dass du Demenz aus Sicht eines Erkrankten beschreibst, war ich sofort neugierig, wie deine Version aussieht. Falls du ihn nicht kennst: Der Film basiert auf einem Theaterstück, Anthony Hopkins lebt allein und eines Morgens sitzt ein wildfremder Typ am Wohnzimmertisch und sagt, er sei sein Schwiegersohn und sie wohnten dort schon seit Jahren gemeinsam. Die Tochter lebt im Ausland, dann wieder nicht, ist verheiratet, dann wieder nicht, und die neu eingestellte Pflegefrau geht nach Hause und am nächsten Morgen ist es eine völlig andere Person. Das geht die ganze Zeit so, bis du genau wie der Protagonist nicht mehr weißt, wo oben und unten ist. Das hat mich sehr beeindruckt, wie da die Möglichkeiten dieser Erzählform genutzt werden, um dich die Demenz erleben zu lassen. Klar: Nur so weit, wie du sie dir auf medizinischem oder sonstigem Wissen (Demenzkranker Mensch im Umfeld) fußend als Nicht-Betroffener überhaupt vorstellen kannst.

Muss der Text also „wirrer“ sein, um sein Ziel („Wie könnte das aussehen, wie erlebt er das?“) zu erreichen? Das ist ja im Grunde die Debatte, die sich hier entwickelt hat. Hat der immer noch zu viel Struktur, um den Leser Demenz wirklich fühlen zu lassen? Die Gegenposition, Nicht-Erkrankte wüssten ohnehin nicht, was in einem Demenz-Kopf vor sich geht, finde ich nur auf den ersten Blick schlüssig: Gilt ja im Grunde für alles, was nicht Autobiografie ist. Ohne zu googeln: Der Forschungsstand muss dir da doch mit Sicherheit eine Idee liefern, wie demente Gedankengänge aussehen könnten.

Dass Erkrankte noch sehr lange „funktional“ (Henry K.) seien und logische oder relativ logisch anmutende Gedanken sich so erklären ließen … Gilt das noch an dem Punkt, an dem jemand Stühle aus dem Fenster wirft und auf den Teppich pinkelt? Und bei „So teilt es sich mir mit, das ist meine Erfahrung“ würde ich zu bedenken geben, dass du genau die Perspektive hast, die du im Text nicht einnehmen möchtest: von außen.

Das liest sich wie ein Plädoyer dafür, die Geschichte auf links zu krempeln, soll’s aber nicht sein. Tim Towdi, there’s more than one way to do it. Ich finde nur den von Jimmys Kritik angestoßenen Diskurs sehr interessant und wollte mit dem Vater einen dir vielleicht noch unbekannten Weg aufzeigen, an dieses Thema heranzugehen.

Mit gefällt der Titel. Für mich täuscht er Objektivität vor, aber Hier ist für den Protagonisten da, wo jemand anders auf den Teppich gepinkelt hat, wenn überhaupt. Und das offene Ende hat mir gerade gefallen. Es trägt zum Gefühl bei, in diesen Kopf rein- und wieder rausgeschmissen zu werden. Zumindest so nach Lehrbuch zählt es außerdem zu den Merkmalen einer Kurzgeschichte.

Apropos pinkeln: Das war so die eine Stelle, mit der ich persönlich ein Problem hatte. Da habe ich mich einfach gefragt, ob dieses Drastische sein muss oder ob das nicht auch ein bisschen Schockeffekt ist. Sicherlich mit dem noblen Ansinnen, zu zeigen, wie es ist, und ich bezweifele auch nicht, dass das noch zu den harmloseren Dingen gehört, die es da zu erleiden gibt, aber für mich bräuchte es diese finale Demütigung des Ich-Erzählers nicht. Da ich mit einem Film eingestiegen bin, gehe ich mal auch mit einem raus: Der schmale Grat zeigt Krieg, ohne dass ein einziges Mal jemand seine abgeschossen Gliedmaßen einsammelt oder sich die Eingeweide zurück in den offenen Bauch steckt.


Viele Grüße
JC

 
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Hey @FlicFlac,
ich fands so aus meiner persönlichen Erfahrung heraus gut getroffen. Das einzige was mich irritiert hat, war, das ein Ich-Erzähler erzählt. Hast du auch über 3.Person Präsens überlegt? Das wäre immer noch sehr unmittelbar und nah dran.
Statt Hier, könnte der Titel auch Jetzt sein. Jetzt mache ich das und jetzt das. Aber Hier funktioniert natürlich auch, und ja, vielleicht sogar besser als das Jetzt, weil der Ort ja auch immer Handlungsimpulse gibt.
Aus meiner Erfahrung (hab ein FSJ in einem Altersheim und ein einjähriges Praktikum auf einer geschützten gerontopsychiatrischen Station gemacht und meine Schwiegeroma erlebt) stellt sich das genauso dar (von außen), wie du es beschreibst. Ich würde sagen, dass es fast eine Art Symptom bei Alzheimer ist, dass es kaum zu wirklichen Irritationen kommt, wie auch in deinem Text deutlich wird.
Neurologische Störungen sind einfach schwer zu verstehen. Also, warum stellt "man" die dreckige Tasse in den Kleiderschrank oder pinkelt auf den Teppich? Ohne Alzheimer fragt man sich: Was ist da los? Und warum kommt es nicht zu Irritationen? Stehen noch andere Tassen im Schrank? Nein, es ist doch nur Kleidung drin, die Personen sind ja nicht blind und wirken ja auch insgesamt irgendwie aufgeräumt und durchaus kohärent. Sie antworten sinnvoll und angemessen auf eine Frage. Und oft gibt es so Gespräche wie: Du weißt ja, der Rainer? Nein, wer soll das sein? Dein Sohn. Ach so, ja der Rainer. Wo ist der noch mal gerade? In Kampala! Ach ja, genau in Kampala.
Da taucht fast nie eine Frage/Irritation auf: Warum weiß ich eigentlich nicht, wo der Rainer ist oder das ich überhaupt einen Sohn habe? Irritation gibt es nur im Hinblick auf die eigenen Bedürfnisse: Warum kocht die Frau eigentlich nicht? Ich habe Hunger. Es ist irgendwie eine eigene Art der Informationsverarbeitung, nicht nur eine Gedächtnisstörung (und so wie die Tasse im Schrank landet, verarbeitet er die Situation mit der kranken Frau).
Meine Schwiegeroma ist mit Alzheimer in dem Haus gestorben, in dem sie geboren wurde, ich glaube, dass es nur darum gut geklappt hat, weil sie immer zu Hause war und darum nie dorthin wollte. Aber wenn man vielleicht mit 50 oder 60 oder so nochmal umzieht, dann ist es vielleicht schwieriger. Aus dem Grund gibt es ja für manche Demenzstationen auch Scheinbushaltestellen.
Jedenfalls, ich fand die Geschichte als kurzen Einblick gelungen und aus meiner Erfahrung von außen auch authentisch.

Viele Grüße
Katta

PS Da fällt mir auch ein, dass ich immer noch mal Arno Geiger Der alte König in seinem Exil lesen wollte. Falls es für dich auch interessant ist ...

 
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Moin @FlicFlac,

erinnerte mich direkt an meinen lieben Opa, der nach einem ausgetrunkenen Kaffee steif und fest behauptete, keinen Kaffee getrunken zu haben, mit der Tasse noch vor ihm stehend.

Die Geschichte las ich erst spät, da mir rein der Titel nicht viel sagte. Aber, nach dem Lesen, yep, passt. Ist mir schlüssig, aber ich verstand den Titel erst nach dem Lesen. Manchmal geistert in meinem Kopf statt dem "H i e r" ein "I c h" durch. Sagt schlussendlich das Gleiche aus, und da es ein Ich-Erzähler ist, finde ich es bisschen besser. Ist aber meine persönliche Meinung. H i e r, ist auch passend für mich.

Die Kommentare las ich alle. Ich verstehe Deinen Ansatz und es ist absolut valide. Der Nebeneffekt ist aber, dass es sich teilweise wie eine Aufzählung liest. Die einzelnen Abschnitte sind alle sehr interessant, gerade wenn der Leser selbst vielleicht noch nicht so viel persönliche Erfahrung mit dem Thema hatte.

Ich habe doch die Stühle gar nicht aus dem Fenster geworfen.
Sie will wissen, warum ich sie hinausgeworfen habe.
Aber ich war das nicht. Aus welchem Grund sollte ich die hinauswerfen, frage ich sie zurück.
Das weiß sie auch nicht, sagt sie.
Als Einstieg für mich fast zu heftig. Es erlaubt auch keine wirkliche Steigerung der Handlungen mehr. Allgemein kommen viele krasse Situation vor, was auch in Ordnung ist. Mir fehlen ein bisschen die alltäglichen Situationen, sprich die ein bisschen präsenter im Text hervorheben. Beispiele nanntest du ja. Meine "Kaffee" Erfahrung wäre so ein sanfter Einstieg.

Ich habe meine Version stehen lassen, weil in meinem Satz die Verteidigung stärker zu spüren ist, die Empörung darüber, was man ihm 'unterstellt'; denn er hat all die Sachen, die machte, nie gemacht -- weil er nichts darüber weiß. In echt reagiert er sogar sehr aggressiv auf solche 'unberechtigten Anschuldigungen'.
Das hat mir in den Reaktionen gefehlt. Die können schon bissig, gemein, herablassend und aggressiv werden. Für die Angehörigen und Bekannten eine zusätzliche Belastung.

Meine Tochter kommt aus dem Schlafzimmer. Franka.
»Wer ist dran?«, fragt sie.
»Der Rainer«, sage ich. »Mein Sohn.«
Interessanter hätte ich gefunden, wenn er nicht mehr gewusst hätte, dass er einen Sohn hat. Also: "Ein Herr Rainer", sage ich.

Für meine Tanten war es das Schlimmste, dass mein Opa sie nicht erkannte, nicht mal wusste, dass er zwei Töchter hatte.

Ich könnte die Äste am Baum schneiden.
Das ist der Birnbaum.
Die Säge hängt in der Garage. An der Wand.
Hier frage ich mich, warum die Familie denn keine Vorsichtsmaßnahmen getroffen hat. Ein neues Schloss mit dem Schlüssel an einem für ihn unbekannten Ort. Da sie im "hier" leben, erledigt sich das Thema immer sehr schnell.

@Katta Das einzige was mich irritiert hat, war, das ein Ich-Erzähler erzählt. Hast du auch über 3.Person Präsens überlegt? Das wäre immer noch sehr unmittelbar und nah dran.
Das fragte ich mich auch. Den Blickwinkel über den Ich-Erzähler finde ich sehr interessant, auch wie Du mit seinen Fragmenten arbeitest. Schlussendlich, wissen wir aber nicht, wie solche Menschen wirklich denken und da hapert es dann auch. Der Ich-Erzähler gibt keinen Einblick in sein Denken sondern er beschreibt häufig die Situation, bzw. Entscheidung. Sein Antrieb bleibt unklar.
Ich könnte die Äste am Baum schneiden.
Ich sitze hier auf dem Balkon.
Ich merke mit einem Mal, ich muss pinkeln, sogar dringend.
Ich bin allein im Garten; hier höre ich meine Tochter von oben schreien.
Ich muss den Zaun streichen.
Daher fragte ich mich auch, ob die Geschichte in der 3. Person nicht vielleicht ansprechender wäre. Aber, ich bin froh, dass Du die Ich-Erzähler Perspektive gewählt hast. Irgendwie musste ich da mehr mitdenken und beschäftigte mich dann intensiver mit dem Thema.

Sehr gerne gelesen.

Beste Grüße
Kroko

 

Hallo @FlicFlac,

ich finde, das ist ein sehr mutiger Text. Es muss schwer sein, aus der Ich-Perspektive eines an Alzheimer Erkrankten zu schreiben. Da muss man als Leser die Verwirrtheit spüren, und der Autor muss hier echt arbeiten, um das adäquat zu vermitteln. Da müssen Szenen springen, Gedanken hin und her, auch viele gedankliche Sprünge von Gegenwart zu Vergangenheit, auch innerhalb der Vergangenheit. Gedankensprünge und Empfindungen, die der Protagonist zeitlich gar nicht verorten kann, die aus dem Nichts einfach da sind. Da kommt viel zusammen, das auch viel vom Leser fordert. Ich denke, in einem langen Text kann das nicht gutgehen, irgendwann steigt der Leser dann aus. Daher finde ich die Länge hier super gewählt.

Dennoch finde ich, dass du noch einen Schritt weiter hättest gehen können. Ein bisschen experimentieren. Wie weit kann ich mit dem Springen zwischen Szenen, Orten, Gedanken, Zeiten gehen, eventuell sogar etwas mit Sprache und Syntax spielen; in der Kürze könntest du noch mehr von der schrecklichen Krankheit zeigen, den Leser richtig spüren lassen, wie sich das anfühlt, wenn irgendwie gar nichts mehr zusammenpasst. Der Text bleibt insgesamt da noch etwas brav, obgleich ich ihn trotzdem stark finde. Gut geschrieben, ein mutiger Einblick in diese Welt, die man sich als Gesunder so schwer vorstellen kann.

Zwei Kleinigkeiten:

Aus welchem Grund sollte ich die hinauswerfen, frage ich sie zurück.
Das weiß sie auch nicht, sagt sie.
Bei so indirekter Rede finde ich den Konjunktiv immer schöner. Ansonsten könntest du ja gleich Anführungszeichen setzen. :D


Beide schauen sie zu mir.
Das sie würde ich rausnehmen, liest sich etwas besser.


Vielen Dank für diesen sehr interessanten Text und liebe Grüße
gibberish

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Proof @Katta @Kroko @gibberish !

Ich bin sehr bewegt und beschäftigt mit all den Sachen, die ihr zu meinem Text sagt; da ist solche Fülle an Gedanken und Ideen -- und das gilt auch für die Kommentatoren vor euch, und zwar alle -- dass das Wichtigste jetzt erst mal ist, mich zu bedanken.
Ich habe da einiges aufgenommen und das Gefühl, da wird es noch eine Weile brauchen. Eine Weile der Verarbeitung, eine Weile, um Antworten auf die Spur zu kommen. Ich werde eure Ideen zu dem Text gewiss noch mehrfach lesen.
Daher ist das, was ich jetzt antworte, sehr wahrscheinlich noch nicht 'fertig'.

Der Vater ist einer meiner Top-Ten-Filme der vergangenen Jahre und als ich beim Überfliegen der Kommentare las, dass du Demenz aus Sicht eines Erkrankten beschreibst, war ich sofort neugierig, wie deine Version aussieht.
Hi Proof, schön, dich mal wieder zu lesen! Den Film kenne ich nicht, habe mir ihn 'gegoogelt' und finde ihn interessant, danke für den Tipp. Klingt sehr innovativ und passend, im Grunde wollte ich auch einen Hauch eines solchen Effekts erzeugen.

Muss der Text also „wirrer“ sein, um sein Ziel („Wie könnte das aussehen, wie erlebt er das?“) zu erreichen? Das ist ja im Grunde die Debatte, die sich hier entwickelt hat. Hat der immer noch zu viel Struktur, um den Leser Demenz wirklich fühlen zu lassen?
Ob es wirrer sein muss, kann ich nicht sagen. Es ist meine Version. Es könnte wirrer sein. Ich hatte die Idee, mich in ein Erleben hineinzuversetzen, war mir allerdings der Grenzen eines solchen Vorgehens bewusst. Da ich ja auf Erfahrungen zurückgriff (Gespräche mit der dementen Person und deren Angehörige), konnte ich Gedanken, die sich auf nicht-erinnerbare Ereignisse beziehen und die selbst nicht erinnerbar sind (mitteilbar ist nur, was ohne den vergangenen Moment, ohne den eben verlassenen oder lange verlassenen Ort auskommt), nicht stimmig für mich herstellen.
Das stellst du an einer Stelle weiter unten in deinem Kommentar zu recht fest.
Daher war ich fokussiert auf diese eine Sache: Was ist, wenn jegliche Zeit, kurz nach dem sie war, in die Dunkelheit, die Nicht-Existenz, das Nicht-Gewesensein verschwindet: Wie erlebe ich die Welt und mich? Das ist für mich ein wichtiger Teil, wenn man einen dementen Menschen zu verstehen versucht, einen Menschen, für den unkontrollierbar und permanent Teile der Vergangenheit hinter ihm wegbrechen. Der also permanent in Situationen ist, von denen er nicht weiß, wie er hineingeraten ist, nicht weiß, was er mit ihnen zu tun hat.

Die Gegenposition, Nicht-Erkrankte wüssten ohnehin nicht, was in einem Demenz-Kopf vor sich geht, finde ich nur auf den ersten Blick schlüssig: Gilt ja im Grunde für alles, was nicht Autobiografie ist.
Danke, das habe ich mir auch gedacht bei einigen der Kommentare ... im Grunde ist die einzige tatsächlich mögliche authentische Geschichte: die eigene. Also autobiografisch.
(Und selbst da könnte ein Psychologe noch sagen, dass Rationalisierungen oft wahre, aber unbewusste Motive und Handlungen verzerren).

Der Forschungsstand muss dir da doch mit Sicherheit eine Idee liefern, wie demente Gedankengänge aussehen könnten.
Das zum Teil, aber die Basis waren vor allem die Gespräche mit einer dementen Person. Die, Katta sagte es, sehr 'normal' wirken können, bis auf die Tatsache, dass eben Gesagte nie gesagt worden ist, eine eben beantwortete Frage neu gestellt wird, als würde sie spontan zum ersten Mal gestellt, und Sachen betreffen kann, die der demente Mensch schon 100-mal gesagt bekommen hat oder/und seit Jahren wissen müsste.
Da aber ein Mensch über Dinge, die er nie erlebt hat, nichts sagen kann, und über für Dinge, die er nie getan hat, auch seine Gründe/Motive nicht kennen kann, war das für mich zu viel der Spekulation; daher die Zurückhaltung beim inneren Monolog. Und daher, wenn ich den Text wieder und wieder lese, sehe ich auch, das ist ein Punkt, an dem es schwierig ist mit der Ich-Perspektive. Denn was ist mit einem Ich, das sich selbst permanent verliert und sozusagen im Nachhinein nur unbewusst agiert(e), weil die bewussten Vorgänge, die eigenes Erleben begleitet haben, einfach vollkommen unerreichbar sind? Und das betrifft auch die Gedanken.

Dass Erkrankte noch sehr lange „funktional“ (Henry K.) seien und logische oder relativ logisch anmutende Gedanken sich so erklären ließen … Gilt das noch an dem Punkt, an dem jemand Stühle aus dem Fenster wirft und auf den Teppich pinkelt?
Ja, das ist das Komische, bei den Gedankengängen ja.
@Katta sagte dazu, teilweise laufen die Gespräche ohne Irritationen. Die Welt ist aus seiner Sicht völlig normal. Wenn ich nur eine Minute reden mit ihm würde und nicht von einem nahen Angehörigen wissen würde, was er wieder alles angestellt hat, gäbe es keine echten Hinweise. Natürlich bezieht sich das auf die subjektive Welt, objektiv ist die Funktionalität extrem abhanden gekommen.

Tim Towdi, there’s more than one way to do it.
Yes

Mit gefällt der Titel. Für mich täuscht er Objektivität vor, aber Hier ist für den Protagonisten da, wo jemand anders auf den Teppich gepinkelt hat, wenn überhaupt. Und das offene Ende hat mir gerade gefallen. Es trägt zum Gefühl bei, in diesen Kopf rein- und wieder rausgeschmissen zu werden.
Ja, das war auch mein Gefühl.

Apropos pinkeln: Das war so die eine Stelle, mit der ich persönlich ein Problem hatte. Da habe ich mich einfach gefragt, ob dieses Drastische sein muss oder ob das nicht auch ein bisschen Schockeffekt ist. Sicherlich mit dem noblen Ansinnen, zu zeigen, wie es ist, und ich bezweifele auch nicht, dass das noch zu den harmloseren Dingen gehört, die es da zu erleiden gibt, aber für mich bräuchte es diese finale Demütigung des Ich-Erzählers nicht.
Ein Schockeffekt war nicht gewollt, ebenso wenig die Demütigung der Figur. Solche Sachen gehören allerdings dazu, und ich zeige sie, weil sie zu den Dingen gehören, die die Umwelt aggressiv werden lässt, obwohl, subjektiv gesprochen, die Figur gar nichts gemacht hat.
Daran nicht beteiligt ist. Und man sie nicht erziehen kann. 'Natürlich pinkele ich nur ins Klo, wohin sonst?'

ich fands so aus meiner persönlichen Erfahrung heraus gut getroffen. Das einzige was mich irritiert hat, war, das ein Ich-Erzähler erzählt. Hast du auch über 3.Person Präsens überlegt? Das wäre immer noch sehr unmittelbar und nah dran.
Ich hatte sofort die Idee, das mache ich jetzt als Ich-Erzähler. Ich versuche mich da hineinzubegeben, mir vorzustellen: Wie könnte das sein? Wenn ich im Garten stehe mit irgendwas in der Hand, keine Ahnung, wie ich da hingekommen bin, warum ich da hingegangen bin und was ich mit der Sache in meiner Hand überhaupt wollte oder wollen könnte. Als wäre ich im Garten eben stehend aufgewacht, mit zum Beispiel einer Vase oder Säge in der Hand. Und dazu wollte ich den Leser einladen: selbst da im Garten zu stehen. Letztlich um zu zeigen, dass das eine gravierend unheimliche Welterfahrung sein muss, letztlich um Verständnis zu ermöglichen. Über die Probleme dieser Perspektive bin ich mir im Klaren, die Grenzen sind mir bewusst, aber das 'Ich' nimmt den Leser (und mich als Autor) einfach mehr mit hinein, als ein personales Erzählen es könnte.

Statt Hier, könnte der Titel auch Jetzt sein.
Ja, könnte er. Zuerst hieß er 'Nun'. Es sind der Ort und die Zeit, die keinen Zusammenhang mehr mit dem Vorigen haben. Das ist die absolute Version von 'Im Hier und Jetzt leben'. Und als solche eine Art Gefängnis.

Also, warum stellt "man" die dreckige Tasse in den Kleiderschrank oder pinkelt auf den Teppich? Ohne Alzheimer fragt man sich: Was ist da los? Und warum kommt es nicht zu Irritationen? Stehen noch andere Tassen im Schrank? Nein, es ist doch nur Kleidung drin, die Personen sind ja nicht blind und wirken ja auch insgesamt irgendwie aufgeräumt und durchaus kohärent. Sie antworten sinnvoll und angemessen auf eine Frage. Und oft gibt es so Gespräche wie: Du weißt ja, der Rainer? Nein, wer soll das sein? Dein Sohn. Ach so, ja der Rainer. Wo ist der noch mal gerade? In Kampala! Ach ja, genau in Kampala.
Da taucht fast nie eine Frage/Irritation auf: Warum weiß ich eigentlich nicht, wo der Rainer ist oder das ich überhaupt einen Sohn habe? Irritation gibt es nur im Hinblick auf die eigenen Bedürfnisse: Warum kocht die Frau eigentlich nicht? Ich habe Hunger. Es ist irgendwie eine eigene Art der Informationsverarbeitung, nicht nur eine Gedächtnisstörung (und so wie die Tasse im Schrank landet, verarbeitet er die Situation mit der kranken Frau).
Ja. Und man kann auch keine Antwort bekommen: Was ging da in dir vor, als du die Tassen in den Schrank stelltest? Weil es nicht gewesen ist. Und wenn man ihm die Tassen zeigt, weiß er auch nicht, wer die da reingestellt hat. Er selbst würde so etwas Dämliches nicht machen. Natürlich gehören die Tassen nicht in den Kleiderschrank.

PS Da fällt mir auch ein, dass ich immer noch mal Arno Geiger Der alte König in seinem Exil lesen wollte. Falls es für dich auch interessant ist ...
Notiert.

Die Geschichte las ich erst spät, da mir rein der Titel nicht viel sagte. Aber, nach dem Lesen, yep, passt. Ist mir schlüssig, aber ich verstand den Titel erst nach dem Lesen. Manchmal geistert in meinem Kopf statt dem "H i e r" ein "I c h" durch. Sagt schlussendlich das Gleiche aus, und da es ein Ich-Erzähler ist, finde ich es bisschen besser. Ist aber meine persönliche Meinung. H i e r, ist auch passend für mich.
Ja, verstehe. Im Grunde ist nur ein kleiner Teil um das Ich herum beleuchtet, örtlich und zeitlich, sodass 'Ich' das einzig vermeintlich Konstante ist. Andere Personen tauchen auf, verschwinden und sind nicht da gewesen.

Ich verstehe Deinen Ansatz und es ist absolut valide. Der Nebeneffekt ist aber, dass es sich teilweise wie eine Aufzählung liest. Die einzelnen Abschnitte sind alle sehr interessant, gerade wenn der Leser selbst vielleicht noch nicht so viel persönliche Erfahrung mit dem Thema hatte.
Ja, ich habe das Geschehen fragmentiert. Die Zusammenhänge, zeitlich und logisch, ergeben sich fast ausscließlich aus den Aussagen der Umgebung (in der Geschichte: die Schwester Karla). Wenn du die aus dem Text subtrahierst, was ist dann noch übrig an Kohärenz? Dann könnte sich alles auch statt an einem Tag innerhalb einer Woche abgespielt haben -- oder eines Monats -- oder Jahrs? Was war wie lange her?


Ich habe doch die Stühle gar nicht aus dem Fenster geworfen.
Sie will wissen, warum ich sie hinausgeworfen habe.
Aber ich war das nicht. Aus welchem Grund sollte ich die hinauswerfen, frage ich sie zurück.
Das weiß sie auch nicht, sagt sie.
Als Einstieg für mich fast zu heftig. Es erlaubt auch keine wirkliche Steigerung der Handlungen mehr.
Eine Steigerung war für mich unwichtig, weil ich keine 'spannende Story' erzählen wollte. Was ich aber am Anfang wollte: Ein völlig unverständliches Ereignis. Es kann ja gar nicht anders sein, als dass der Ich-Erzähler weiß, was passiert ist. Ich wollte ein Rätsel am Anfang, dessen Auflösung sich erst allmählich ermöglicht.
Übrigens ist das Ereignis in der Geschichte keinesfalls zu ungewöhnlich konstruiert, solche Sachen passieren laufend.

Meine "Kaffee" Erfahrung wäre so ein sanfter Einstieg.
Ja, aber es wäre nicht so rätselhaft wie meine Stühle, denke ich. Ist aber eine schöne Szene; im Grunde habe ich das später mit der Säge gemacht, weil man ja Zeuge ist, dass er sie aus der Garage holt, sogar mit Motiv -- und später hat er sie nicht da auf den Tisch gelegt.


Ich habe meine Version stehen lassen, weil in meinem Satz die Verteidigung stärker zu spüren ist, die Empörung darüber, was man ihm 'unterstellt'; denn er hat all die Sachen, die machte, nie gemacht -- weil er nichts darüber weiß. In echt reagiert er sogar sehr aggressiv auf solche 'unberechtigten Anschuldigungen'.
Das hat mir in den Reaktionen gefehlt. Die können schon bissig, gemein, herablassend und aggressiv werden. Für die Angehörigen und Bekannten eine zusätzliche Belastung.
Ja, das ist richtig. Ich kann nur sagen, dass das irgendwie nicht zu meinem Anliegen passte. Im Fokus sollte das Erleben des Erkrankten stehen, weniger die Belastung für die anderen, obwohl die natürlich auch nicht weggelassen werden konnte. Er ist ja gefährlich und bringt die anderen ja auch an ihre Grenzen. Aber ihn noch aggressiver zu zeigen, das wollte ich nicht.

Meine Tochter kommt aus dem Schlafzimmer. Franka.
»Wer ist dran?«, fragt sie.
»Der Rainer«, sage ich. »Mein Sohn.«
Interessanter hätte ich gefunden, wenn er nicht mehr gewusst hätte, dass er einen Sohn hat. Also: "Ein Herr Rainer", sage ich.
Ja, auch das wäre möglich. Allerdings muss das nicht passieren. Immerhin weiß er aber wenig später nicht mehr, wer am Apparat ist, mit wem Karla da spricht.

@Katta Das einzige was mich irritiert hat, war, das ein Ich-Erzähler erzählt. Hast du auch über 3.Person Präsens überlegt? Das wäre immer noch sehr unmittelbar und nah dran.
Das fragte ich mich auch. Den Blickwinkel über den Ich-Erzähler finde ich sehr interessant, auch wie Du mit seinen Fragmenten arbeitest. Schlussendlich, wissen wir aber nicht, wie solche Menschen wirklich denken und da hapert es dann auch. Der Ich-Erzähler gibt keinen Einblick in sein Denken sondern er beschreibt häufig die Situation, bzw. Entscheidung. Sein Antrieb bleibt unklar.
Ja, das ist ein Punkt. Und der ist der Schwachpunkt für die Ich-Perspektive. Da musste ich mich sehr einschränken, wollte nicht zu weit in die Spekulation. Die Gedanken der Figur sind rudimentär und reflexiv. Ich weiß ganz einfach nicht, mit welcher Idee die Person plötzlich die Schläuche am Sauerstoffgerät abzumontieren beginnt, was zum Tod der Gattin führen kann. Will er sie ermorden? Weiß er nicht, wie wichtig sie sind? Oder braucht er nur die Schläuche für was Wichtigeres? Oder hält er die für gefährlich? Oder passen sie farblich nicht zu den Möbeln? Keine Ahnung, und er selbst weiß es eben auch nicht zu beantworten, er hat es ja nicht einmal gemacht.
Also wäre jeder Gedanke der Figur dabei eine Spekulation, nicht mehr und nicht weniger stichhaltig wie jede andere.

Warum ich das dennoch gemacht habe, dazu habe ich weiter oben was gesagt.


Ich könnte die Äste am Baum schneiden.
Ich sitze hier auf dem Balkon.
Ich merke mit einem Mal, ich muss pinkeln, sogar dringend.
Ich bin allein im Garten; hier höre ich meine Tochter von oben schreien.
Ich muss den Zaun streichen.
Daher fragte ich mich auch, ob die Geschichte in der 3. Person nicht vielleicht ansprechender wäre.
Ich glaube nicht. Gerade die vielen kurzen Ich-Sätze, dieses Fragmentierte und Eingeschränkte -- kommt dem recht nahe, wie ich es mir vorstelle.


Daher fragte ich mich auch, ob die Geschichte in der 3. Person nicht vielleicht ansprechender wäre. Aber, ich bin froh, dass Du die Ich-Erzähler Perspektive gewählt hast. Irgendwie musste ich da mehr mitdenken und beschäftigte mich dann intensiver mit dem Thema.
Ja, den Effekt hatte ich auch beim Schreiben. Einfach mental intensiver in das reinversetzt zu sein, wie bei einer 'Fantasiereise'. Auch wenn es nur Fantasie war, nur ein Versuch, ein Experiment.
Das überhaupt zu schreiben, war sehr spontan, aus persönlichem Anlass -- aber es war sofort so, dass 'Ich' das aus der Perspektive des Betroffenen versuchen will.


Da muss man als Leser die Verwirrtheit spüren, und der Autor muss hier echt arbeiten, um das adäquat zu vermitteln. Da müssen Szenen springen, Gedanken hin und her, auch viele gedankliche Sprünge von Gegenwart zu Vergangenheit, auch innerhalb der Vergangenheit. Gedankensprünge und Empfindungen, die der Protagonist zeitlich gar nicht verorten kann, die aus dem Nichts einfach da sind.

Dennoch finde ich, dass du noch einen Schritt weiter hättest gehen können. Ein bisschen experimentieren. Wie weit kann ich mit dem Springen zwischen Szenen, Orten, Gedanken, Zeiten gehen, eventuell sogar etwas mit Sprache und Syntax spielen; in der Kürze könntest du noch mehr von der schrecklichen Krankheit zeigen, den Leser richtig spüren lassen, wie sich das anfühlt, wenn irgendwie gar nichts mehr zusammenpasst. Der Text bleibt insgesamt da noch etwas brav, obgleich ich ihn trotzdem stark finde. Gut geschrieben, ein mutiger Einblick in diese Welt, die man sich als Gesunder so schwer vorstellen kann.
Ja, das alles wäre möglich; nur war ich auf die Wahrnehmung der Person fokussiert. Weil ich mir den vorstellen konnte? Aber @Proof hat oben von einem Film erzählt, der das offensichtlich recht gekonnt macht.

:D
Beide schauen sie zu mir.
Das sie würde ich rausnehmen, liest sich etwas besser.
Ja. Das stimmt, das werde ich machen.

Gruß von Flac

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo FlicFlac,

dir ist gelungen in Kürze viel auszudrücken: Hilflosigkeit, Leid, Überlastung. Vor allem die seltsam anmutende kindliche Selbsvergessenheit des Kranken wird gut dargestellt. Die kurzen Sätze passen gut zu den geschilderten Situationen, dem H I E R - man hangelt sich von Situation zu Situation, will einfach nur mit den Gegebenheiten zurechtkommen.

Besonders gefallen hat mir der Wendepunkt der Geschichte: Bis hier hin (s. Zitat), könnte der Text noch auf etwas ganz anderes hinauslaufen, der Protagonist könnte z.B. einfach nur etwas skurril oder exzentrisch sein ("Seit wann" kann man - noch - als Scherz auffassen).


»Ja, hallo Rainer«, sage ich. »Wie geht es dir? Wo bist du?«
»In Kampala«, sagt er.
»Seit wann?«, frage ich.
Er lacht. »Seit sieben Jahren. Kann ich Mama sprechen? Ist sie wach?«

Eigentlich bin ich immer etwas skeptisch, was die Qualität von Texten angeht, die starke Emotionstrigger verarbeiten - aber H I E R wurde (für meinen Geschmack) die Gefühlslage der Beteiligten und die sich aus den Umständen ergebenden Schwierigkeiten gut dosiert skizziert.

Mein Notizzettel behauptet, dass es noch einen Kritikpunkt gibt: Bei der Unberechenbarkeit des Kranken würde man nicht riskieren, dass er lebenswichtige Schläuche entfernt.


Beste Grüße,

Woltochinon

 

Hallo @Woltochinon,

ich danke dir für deinen Kommentar!

dir ist gelungen in Kürze viel auszudrücken: Hilflosigkeit, Leid, Überlastung. Vor allem die seltsam anmutende kindliche Selbsvergessenheit des Kranken wird gut dargestellt. Die kurzen Sätze passen gut zu den geschilderten Situationen, dem H I E R - man hangelt sich von Situation zu Situation, will einfach nur mit den Gegebenheiten zurechtkommen.
Vor allem das freut mich. Weil es das ist, was ich mit dem Text (zeigen, darstellen, fühlbar machen) wollte.

Mein Notizzettel behauptet, dass es noch einen Kritikpunkt gibt: Bei der Unberechenbarkeit des Kranken würde man nicht riskieren, dass er lebenswichtige Schläuche entfernt.
Hier irrst du. Ich habe den Text nicht aus dem Stehgreif geschrieben, sondern einige Schilderungen von Ereignissen/Erlebnissen von Betroffenen gehört und gelesen. Diese Geschichten liegen da drunter. Solche Sachen passieren tatsächlich. Ich vermute, dass die meisten Menschen ihre Einschätzungen (zum Beispiel der Unberechenbarkeit) erst korrigieren, wenn die ersten Erfahrungen das implizieren, also etwas passiert, das zeigt, dass es 'wieder schlimmer geworden ist'.
So sind viele Menschen auf einem veralteten Level, bis sie "aus Schaden klug werden".
Könnte dazu noch mehr schreiben, weil auch in meinem Berufsleben habe ich oft genug erfahren, dass erst 'etwas passieren muss', bevor Maßnahmen ergriffen werden.
Das nur am Rande.

Vielen Dank!

Gruß von Flac

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Flic Flac,

auch in meinem Berufsleben habe ich oft genug erfahren, dass erst 'etwas passieren muss', bevor Maßnahmen ergriffen werden.
Das ist leider (immer noch wahr). Zeigt das Setting deiner Geschichte nicht, dass die Krankheit und die damit einhergehenden Unwägbarkeiten schon länger bestehen? Ich kenne nicht viele Fälle solcher Familiensituationen aber es hieß immer: 'Der erste Ratschlag an uns - alles potentiell Gefährliche aus der Reichweite des Patienten entfernen und alle potentiellen Gefahren für den Patienten bedenken.' Wobei 'alles' bedenken schon eine Herkulesaufgabe ist. Aber vielleicht willst du genau das darstellen, diese Unmöglichkeit die Situation zu meistern. Falls dies deine Intension ist, könntest an der Stelle, an der von dem Schlauchentfernen gesprochen etwas deutlicher werden:

"aus dem Sauerstoffgerät montiert und sie wäre beinahe erstickt", dabei habe ich ihn nur eine Sekunde aus den Augen gelassen. (Dann müsste an Stelle von "montiert" wohl 'gerissen' stehen. Ich will mich da aber auch nicht zu sehr in deinen Text einmischen ...:D

Jedenfalls ein Text, den man nicht nur einfach liest und dann vergisst.

LG,

Woltochinon

 

Hallo @Woltochinon,

danke für deine weitere Beschäftigung mit dem Text!

Aber vielleicht willst du genau das darstellen, diese Unmöglichkeit die Situation zu meistern.
Ja, darum geht es, die Situation beginnt 'untragbar' zu werden.

"aus dem Sauerstoffgerät montiert und sie wäre beinahe erstickt", dabei habe ich ihn nur eine Sekunde aus den Augen gelassen. (Dann müsste an Stelle von "montiert" wohl 'gerissen' stehen. Ich will mich da aber auch nicht zu sehr in deinen Text einmischen ..
Wie ich schon erwähnte, hab ich viele Geschichten gehört, und es ist interessant für mich zu hören, dass 'man' bzw. du -- das für unrealistisch hält. Ich kann dir aber ohne lange nachzudenken ein Dutzend solcher Geschichten erzählen -- die du vielleicht alle nicht für möglich halten würdest; da ist das, was ich darstelle, stellenweise sogar verharmlost, damit mir niemand erklärt, das wäre übertrieben konstruiert. Das ist der Witz -- oder auch lieber nicht.
Oft hörte ich zu dem Text oben: So jemand wäre doch schon längst in einem Pflegeheim.
Ja, von wegen.
Erst mal n Platz für jemanden bekommen, erst mal die Finanzierung klären/möglich machen, erst mal jemand finden, der einem in einem Verhau aus Bürokratie bei den Formularen hilft, erst mal die Kraft haben, überhaupt was zu machen. Die Realität ist weit von dem weg, 'wie sein sollte' bzw wie es sich ein Unbeteiligter vorstellt. Der Grad, in dem Leute in diesem 'Sozialstaat' allein gelassen werden, das wär das nächste Thema.

Gruß von Flac

 

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