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Hölderlin an der Waschmaschine

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10.04.2004
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Hölderlin an der Waschmaschine

Warum nur fragt man mich heute so oft nach ihm? Er las Bücher und versorgte seine Wäsche selbst. Noch heute, für mich ärgerlich, preist meine Frau Hölderlin als Vorbild, weil sie ihn einmal bei der Vorbeifahrt im Waschsalon sah. Er, der wolkige Poet, zeigte einer Türkin gerade, in welche Kammer über der Trommel sie das Pulver schütten muß.

Wie ich Hölderlin kennenlernte? Durch die Zeitung. Nach Jahren ohne Kunst hatte ich das Bedürfnis, Menschen zu treffen, die schreiben. Schon vor Jahren war ich total von der Kunst abgekommen. Früher war ich nämlich Tänzer. Drei Jahre Ausbildung (meine sexuellen Erfahrungen hatte ich in jener Zeit). Dann zwei Revuen in der Provinz. Noch heute mag ich Talkum nicht riechen. Und, huuh, dieses knirschendes Geräusch an der Balancierstange, wenn man sie fester faßt!

Sie fragen, ob ich Hölderlin unterstützt habe? Sie meinen, ich hätte doch für ihn Korrektur lesen können oder seine Sachen abschreiben, so wie Peter Gast für Nietzsche. Aber ich wußte doch gar nicht, daß er etwas Ähnliches wie Nietzsche war. Er konnte nicht mal gut Autofahren. Hölderlin war, das gebe ich zu, höflicher als ich. Ich ließ mir von ihm erklären, wo unser Treffpunkt lag. Meinen Stadtplan mochte ich dafür nicht extra hervorholen.

Einmal habe ich aber doch etwas für ihn getan. Ich bestand darauf, einige Gedichte unserer Literaturgruppe zusammenstellen. Da aber einige Buchstaben meiner Schreibmaschine "hängen", war Hölderlin mit dem Ergebnis nicht zufrieden. Einst saßen wir im Erfrischungsraum des Kaufhauses und ich wollte ihm, der sonst mich bedient hatte, dieses eine Mal Tee aus dem Automaten holen. Ich war dann so schusselig, daß ich uns beiden Kaffee brachte, wie immer für meine Frau und mich. Er wies den Kaffee zurück, so dass ich dann beide Becher trank. Mein Kreislauf, Sie können sich vorstellen, auf dem Weg zu seinem Auto, mit dem ich mich zur Station bringen ließ, mußte er mich stützen.

Manchmal lief ich Hölderlin davon. Das war anschließend an die Sitzung der Literaturgruppe. Ich schoß dann grußlos über den U-Bahnsteig, rannte, was meine kurzen Beine hergaben und sprang in meinen anfahrenden Zug. Es kam aber auch vor, dass ich ihn, ohne dass er es merkte, in "meiner Linie" mitfahren ließ. So konnte ich noch seine Unterhaltung genießen, wodurch er allerdings wesentlich später nachhauskam als ich, denn ich wohne nicht so stadtnah wie er.

Ich, als Freund Hölderlins, war ausdauernd. Wenn ich nach längerer Pause bei ihm anrief, sagte ich gewandt: "Hölderlin, ich will von dir einmal wieder Nutzen ziehen."- Voller Wärme, fragte er mich dann: "Was hast du auf dem Herzen?" Meine Antwort am Telefon (jedes Detail ist wichtig): „Weißt du, Hölderlin, darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht.“

Ich glaube, er mochte uns Literaten nicht sehr. Nicht in dieser Welt und auch drüben nicht. Ich glaube, er wollte in einen ganz entlegenen Teil des Himmels. Schon hier auf der Erde hat er immer das an sich gerissen, was schwer verdaulich war. Wenn Sie mich fragen: Ihm fehlte jene wasserdichte, bei einigen von uns im Kriege oder beim beruflichen Aufstieg zusammengelötete Selbstsicherheit. Die hätte ihn weitergebracht.

Hölderlin machte Fehler. Sein Stolz, seine unnahbare Art, wenn ich ihn zum Eisbeinessen abholen wollte. Der herablassende Blick, den er sacht, langsam, so unendlich kühl zum Fernseher schickte, wenn mir Frau Schreinemakers Anregungen gab für meine literarischen Pläne. Übrigens, ich schicke Ihnen gern meinen Entwurf zu. Richtig untergründig, wissen Sie.

 

:rolleyes:
Hast wohl schon festgestellt, dass man den Titel nicht formatieren kann. Ist auch rein von der Logik unsinnig, oder? Sonst würde das nämlich JEDER machen, also wäre die Funktion ansich schon völliger Humbug.

 

Verschoben von "Experimente" nach "Seltsam".

 

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