Hallo @Henry K. ,
die Story ist von sevas und nicht FlicFlac, den du hier zitiert hast. (Okay, zwischenzeitlich schon geklärt.)
Womit ich indes ein grundsätzliches Problem habe, ist, wenn mir Autoren etwas von Dingen erzählen wollen, von denen sie selbst keine Ahnung haben. Vielleicht liege ich hier völlig falsch, aber die Story liest sich so, als sei sie im Lehnstuhl entstanden. Ich finde, dieses Karl-May-Hafte ist heutzutage nicht mehr glaubhaft und kitschig. Nun will ich natürlich nicht leugnen, dass es große, moderne Erzählungen gibt, deren Autoren das von ihnen geschilderte nicht selbst durchlebt haben. Damit das funktioniert, müssen aber meines Erachtens zwei Dinge zusammenkommen: Die Grundgeschichte muss von allgemeinen menschlichen Konflikten handeln, von denen die Autoren sehr wohl etwas verstehen. Und das Kleid muss penibel recherchiert sein, es müssen Experten befragt, Fachbücher gewälzt und vl Hospitationen unternommen worden sein, sodass echter Umgebungsgeruch am Autor haften geblieben ist.
Das hier finde ich einen super spannenden Punkt, über den ich in letzter Zeit viel nachgedacht habe. Das würde ich gerne aufgreifen, auch wenn es nur mittelbar was mit der Geschichte zu tun hat. Lieber
@Peeperkorn , irgendwie denke ich, das folgende Thema (mal wieder, weil sicher nicht zum ersten Mal geführt) wäre auch was für dich, der du dich ja auch intensiver mit historischen Wahrheitsdiskursen auseinandergesetzt hast – wenn ich mich recht erinnere. Falls ja, würde mich sehr interessieren, was du dazu für eine Haltung hast. Ich würde ggf. auch einen extra Thread eröffnen und gleich noch viele weitere Wortkrieger zur Diskussion einladen, falls das nicht nur für mich interessant ist (ich bin sicher, auch
@jimmysalaryman und andere hätten dazu was zu sagen, ohne mich zu weit aus dem Fenster lehnen zu wollen), mal sehen.
(Edelprokrastination, während ich eigentlich lernen sollte)
Du beschreibst hier einen großen, wichtigen Konflikt: In der Regel können sich Schreibende nur glaubhaft über das äußern, was ihnen emotional vertraut ist. Da kommt mein erster Kritikpunkt an deinem Statement. Was du kommentierst, ist ja sozusagen nur die Hülle – viel mehr wäre ja die Frage, ob das Innere 'glaubhaft', ob das 'wahrhaftig' ist. Darum geht es meiner Meinung nach – und wahrscheinlich meinst du das auch. Hier würde ich diese Einschränkung noch einmal deutlich machen wollen. Du schreibst:
Nun will ich natürlich nicht leugnen, dass es große, moderne Erzählungen gibt, deren Autoren das von ihnen geschilderte nicht selbst durchlebt haben.
Das würde ja sonst auch jegliche Fiktion unmöglich machen und die gesamte Literaturgeschichte Lügen strafen. Es geht, finde ich, nicht darum, ob jemand etwas äußerlich selbst durchlebt hat, sondern, ob er das Gefühl nachvollziehen kann – bzw. inwiefern er unzulässig Gefühle auf Situationen projiziert, die zu Unterstellungen bzw. historischen Falschbehauptungen führen. Also Beispiel: jemand macht einen Film über den Sklavenhandel und überwindet sein fehlendes Wissen mit der Unterstellung von selbsterlebten Emotionen, die er den Perspektiven der Betroffenen unterjubelt.
Im Übrigen ist das nicht leicht zu enttarnen/zu bestimmen, was die Sache ja gerade so pikant und spannend macht. Hier wirds thesenhaft: Es bleibt zum Glück, finde ich, eben dieses gewisse Gespür für Wahrhaftigkeit, ein flüchtiges Gefühl des Authentischen – wer dieses Gefühl bzw. diese Deutungskompetenz kultiviert, wird m. M. n. in der Lage sein, unwahre/falsche emotionale Darstellungen aufzuspüren; die daraus entstehen mögen, dass der Autor sich auf klischeegewordene Gefühlsmuster verlassen hat, um sein eigenes emotionales Unverständnis einer Situation zu überbrücken. Umgekehrt dürfte die äußere Geschichte (ob Hardboiled oder Fantasy-Schinken) keine Wichtigkeit (außerhalb von den Wünschen und Zielgruppenorientierungen der Verlage) haben, wenn es dem Autor darum geht, einen emotionalen Gehalt, der sich an große Fragen und deren Beantwortung nach bestem Wissen und Gewissen knüpft, darzustellen – dann mag sein Text schlecht sein, weil er die Fähigkeit, das Selbsterkannte Lesenden nahezubringen, nicht besitzt; oder noch einfacher: weil seine Erkenntnisse für die Leser schlicht irrelevant sind, platt oder von geringem geistigen Erkenntniswert (so hart das klingt). Als eine Art Beleg und auch Versuch der Auflösung dieses hochnervigen, oft zitierten Paradox zwischen Hochliteratur und Unterhaltung sehe ich die (für mich) logische Klischeelastigkeit in Unterhaltungsgeschichten. Die nämlich zielen oft auf spekulative Fragen, die weniger praktisch als einfach interessant sind. Wie verhalte ich mich in lebensgefährlichen Situationen? Wie gehe ich mit einem brutalen übermächtigen Feind um? Wie gehe ich mit dem Gefühl absoluter Auswegslosigkeit, Geworfenheit und der Aussicht auf den sicheren Tod um? Oder im Kontrast: Wie gewinne ich den Partner meiner Träume? Wie leiste ich einen wichtigen Beitrag für die Menschheit? Wie werde ich zu einem Helden?
– klischierte Antworten lauten nicht selten auf Gemeinplätze wie Freundschaft, Aufrichtigkeit, Mut, Disziplin etc. letztlich bürgerliche Moralvorstellungen/Tugenden (vielleicht). Ich glaube, die wenigsten können wirklich Antworten auf solche Fragen geben. Entweder sie können tatsächlich aus eigenen Erfahrungen schöpfen, haben Krieg erlebt oder dergleichen schauerliche Akkumulationen von Elend und existenziellen Fragen, sind furchtbar weise ODER sie schöpfen aus dem Pool des Vorhandenen, der Klischees (frz.
cliché – Abklatschbild). Deshalb gibt es in der Unterhaltung so viel Kitsch und deshalb gibt es in der Unterhaltung so viele Meisterwerke, die die wirklich großen Fragen anpacken (weil sie sie wirklich verstanden haben oder irgendwie durchlebt). Damit sei noch eine weitere Möglichkeit der Kompensation angesprochen: Recherche und intensive Auseinandersetzung mit Themen, um zu 'den besseren Klischees' vorzustoßen, also zu sehr feingliedrigen Abziehbildern – ein Weg, es nicht selbst durchleben zu müssen; ein weiterer Grund auch, weshalb wirklich
die allermeisten zwar sauber recherchiert erscheinenden Historienschinken doch immer auch wie fein ziselierte Lügen wirken.
Und um zu guter Letzt noch einmal richtig Verwirrung zu stiften: Wie überall gibt es Ausnahmen. In den Künsten ist das für mich die Musik – die nach eigenen Regeln spielt und sich über die anderen Künste erhebt oder abseits davon steht. In der Bildenden Kunst und Literatur bleibt als Trostpreis gegen die Musik die Ästhetik. Und darin als besondere Spielart der Humor. Deswegen entziehen sich ironische und überhaupt humorige Text so gut all diesen Kategorienbildungen oder der Suche nach der Wahrhaftigkeit von Emotionenen, die ja hier nur als Kippbilder zum Einsatz kommen.