Mitglied
- Beitritt
- 16.01.2021
- Beiträge
- 21
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 16
Genetics-Smoothie: Wenn Fische fliegen
„Mit großer Freude begrüßen wir unseren heutigen Stargast. Feil, wie fühlt es sich an, die neue Nummer eins aus der GSP-School zu sein?“
„Um ehrlich zu sein, hat sich in meinem Leben kaum was verändert ... Außer, dass ich jetzt eine Berühmtheit bin!“
„Oh ja, das sind Sie. Meine Damen und Herren. Das war Feil, unser fliegender Fisch.“ Die Menge tobte. „Du bist der größte, Feil. Wir lieben dich.“
Das bin ich, Feil, wie ich gerade am Frühstückstisch sitze und ein Selbstgespräch führe. Aber kein Witz, ich bin wirklich berühmt! Die ganze Welt kennt mich und alle lieben mich. Wie es dazu kam? Da müssen wir ein langes Stück in der Zeit zurückreisen, um genau zu sein, vierundzwanzig Stunden.
Es war ein normaler Tag, kaum zu unterscheiden von den anderen Langweiligen davor. Ich kletterte aus dem Bett, direkt hinein in den Rollstuhl und fuhr zum Frühstückstisch, wo ich dieselben Larven-Cornflakes aß, denselben Orangensaft trank und die immer gleiche Zeitung las. „Ach wie toll Victor und seine Freunde doch sind, oder die Pflanzenkinder, oder alle anderen, nur nicht Feil“, äffte ich die Journalisten nach.
„Guten Morgen! Warum ziehst du so ein langes Gesicht, Feil? Hast du es schon vergessen, Lapis kommt heute zu euch in die Schule“, erinnerte mich meine Mutter. Lapis. Sie war das schönste und intelligenteste Wesen, das auf dieser Erde je existierte und diese Aussage war keineswegs übertrieben. Sie wurde nämlich, wie jeder an meiner Schule, mit veränderten Genen gezeugt, denn wisst ihr, meine Schule ist völlig anders als die, die ihr kennt. Die GSP-School, oder ausgeschrieben Genetics-Smoothie-Project-School.
Jeder Schüler, mich eingeschlossen, wurde vor seiner Geburt mit einem Tier oder einer Pflanze kombiniert, ohne im Vorhinein zu wissen, was dabei rauskommt, aber natürlich wurde solch ein Experiment von der Öffentlichkeit nie bewilligt, doch die Eltern aller Schüler waren Wissenschaftler, die sich freiwillig an dem Projekt beteiligten und so konnte es heimlich und ungestört durchgeführt werden. Obwohl unsere Schule heute noch in der Schusslinie von vielen Kritikern steht, wird sie grundsätzlich von den meisten Menschen toleriert, da weltweit nur die Erfolgreichsten GSP bekannt sind, und davon gibt es glücklicherweise viele, zum Beispiel Victor. Wie es der Zufall will, wird er von den Medien „der König der GSP“ genannt und alle Mädchen fliegen auf seine Löwenmähne. Er und seine Gruppe der Raubtiere sind die Berühmtesten von uns, jedoch gibt es auch zahlreiche andere erwähnenswerte Projekte, wie Lilly, das Mädchen mit den Lianen-Händen oder Sunshine, sie braucht nur Sonne, Wasser und etwas Kohlenstoffdioxid, um überleben zu können.
Die GSP-School ist weltbekannt. Wir sind die erste Gruppe von genmanipulierten Menschen und vor uns gab es bisher nur ein erfolgreiches Projekt: Lapis. Sie war das erste GSP und zugleich die Einzige, welche nicht mit einer Pflanze oder einem Tier kombiniert wurde, sondern mit den Eigenschaften eines Steins, dem Lapislazuli. Ihre Augen, Haare und sogar ihre Haut strahlten in derselben wunderschönen blauen Farbe wie der Stein. Doch ihr wurde neben der Schönheit noch etwas anderes vererbt, nämlich die Kraft, Lebewesen zu heilen. Lange Zeit war die Heilkraft des Lapislazuli umstritten, aber nachdem sie geboren wurde, veränderte das die Sichtweise der Menschen.
An diesem Tag sollte sie zum ersten Mal unsere Schule besuchen. Ich war aufgeregt wie ein Kleinkind, dem man eine Tonne Süßigkeiten schenkt, denn nicht alle GSP sind erfolgreich verlaufen und sie werden deshalb vor der Öffentlichkeit, so gut wie möglich, verheimlicht. Damit meine ich nicht diese Freaks, die völlig verrückt aussehen, sogar über die gibt es Magazine und Blogs, doch es gibt ein Experiment, das so erfolglos verlief, dass man es vor der Welt verheimlichen musste. ICH. Es gab lediglich einen kleinen Eintrag von mir im Internet und es hatte Wochen gedauert, ihn zu finden.
„Feil: Er ist ein Genetics-Smoothie-Project, welches mit einem Fisch und einem Adler kombiniert wurde. Sein Name wurde vom englischen Wort „fail“ abgeleitet. Als einziges Experiment blieb er ohne Besonderheiten. Von den Fischen erhielt er die Fähigkeit nicht gehen zu können und eine besonderen Appetit auf Insektenlarven, während von einem Adler an ihm nichts zu finden ist. Auch sein Aussehen lässt sich von einem normalen Menschen nicht unterscheiden.“
Das war er. Der einzige Beitrag über meine Existenz und selbst der wurde wieder gelöscht, kurz nach dem ich ihn gefunden hatte.
„Wenigstens weiß niemand von deiner schuppigen Kopfhaut.“ Mit diesen Worten hatte meine Mutter versucht mich zu trösten. Nicht gerade ermutigend, wenn ihr mich fragt. Aus diesem Grund wollte ich Lapis unbedingt treffen, in der Hoffnung, sie könnte mir helfen auch eine coole Fähigkeit zu erhalte, zum Beispiel Gehen. Ich weiß, es klang alles andere als vielversprechend, doch einen Versuch war es Wert.
Ich war bereits eine Stunde vor Beginn der Rede in der Schule. Auf keinen Fall wollte ich in der letzten Reihe stehen, wo man sie kaum hören konnte und sie mich nicht bemerken würde. Solange ich wartete, beobachtete ich unsere Lehrer, wie sie die Soundanlage einrichteten und den Raum mit blauen Ballons und Postern von Lapis verzierten, während nach und nach Schüler in den Saal kamen und sich nach vorne drängelten. Wie zu erwarten wurde ich dabei nicht beachtet und so stießen mich zuerst die Raubtiere, auf ihrem Kampf nach ganz vorne, zurück. Voller Enttäuschung saß ich da und blickte in den Rücken dieser teilweise riesigen Gestalten. „Jetzt kann es nur noch besser werden“, dachte ich mir.
Falsch gedacht! Beim Ansturm der restlichen Jugendlichen wurde ich von Ranken und Lianen vor den Ausgang geschleudert und als wäre das nicht genug, stand ich noch hinter „Dig the Pig“. Dieser pinke Stinker hielt es keine fünf Minuten aus, ohne zu pupsen. Daraufhin rollte ich aus dem Turnsaal hinaus in den Schulhof, um einmal kräftig zu weinen. Dafür gab es bei uns einen tollen Ort: Ein kleiner Hügel, versteckt hinter Büschen und Bäumen. Dort wurde man von niemanden gesehen oder gestört, doch es war immer wieder eine Herausforderung für mich, diese drei Höhenmeter mit meinem Rollstuhl zurückzulegen, auch wenn es nicht sehr steil war.
Auf die Eröffnungsmusik und die Begrüßung von Lapis folgten gefühlte Stunden, in denen ich dasaß, vertieft in Selbstmittleid und schluchzte wie ein Weltmeister. Abgelenkt von meiner Trauer bemerkte ich nicht, dass ich vergessen hatte die Handbremse zu ziehen, mein Rollstuhl begann sich langsam zu bewegen und noch bevor ich reagieren konnte, war ich bereits den Hügel hinuntergerollt und hing Kopfüber im Gebüsch, doch ich war hartnäckig und ließ mich durch diesen Vorfall nicht vom Trübsal blasen abhalten und so hing ich nun da, weinend. Ein Außenstehender konnte meine Trauer so wenigstens nicht mehr sehen, aber zu überhören war sie kaum.
Plötzlich fühlte ich regelmäßige Windstöße kombiniert mit dem Geräusch, das meine Mutter macht, wenn sie Staub aus dem Teppich klopft, nur langsamer. Die Blätter wehten mir um die Ohren. Ich versuchte einen Blick zu erhaschen, konnte aber nur weiblichen Umrisse erkennen ... Und einen Vogel? Ich war mir nicht sicher, aber nur die Flügel eines Adlers konnten derartige Schatten werfen. Da fiel mir ein, dass Lapis doch diesen Hausadler hatte. Den würde sie doch nie mit zu einer Rede bringen, oder etwa doch? Nun folgte ein Geräusch, als würde ein Kind vom Baum in das Gras springen und mit einem Schlag kehrte wieder Stille ein. Ich spürte, wie sich die unbekannte Person langsam näherte.
„Alles gut bei dir?“, fragte mich diese zärtliche und zugleich wundervolle Stimme.
„Alles bestens. Ich häng hier nur ein bisschen ab. Du weißt schon, die Natur genießen und so“, antwortete ich und versuchte dabei lässig zu wirken. Sie kicherte. Ich fühlte diese unausgesprochene Vertrautheit, obwohl ich noch immer nicht wusste, wer vor mir stand. Die Neugier hatte mich gepackt und ich versuchte meinen Körper aus dem Gebüsch zu stemmen, aber die Schwerkraft war ein unbezwingbarer Gegner. Bemüht kämpfte ich gegen die brechenden Äste an, die mich immer tiefer in das Gestrüpp zogen.
„Warte, ich helfe dir.“ Noch bevor ich etwas sagen konnte, wurde ich zurück in meinen Rollstuhl gezogen und über das Gebüsch gehoben. Das Mädchen setzte vor mir zu Landung an und legte ihre locker zwei Meter breiten Flügel an ihren Rücken. „Hi, ich bin Eagle.“ Ein wunderschönes Lächeln zog sich über ihr ganzes Gesicht. „Wir kennen uns noch nicht. Bist du neu hier?“
Ich wurde leicht rot im Gesicht, denn ich wusste genau wer sie war. Eagle, dass Mädchen mit den Adlerflügeln. „Hi, ich bin Feil und ich gehe in deine Parallelklasse, aber wir sind uns noch nie begegnet.“
Sie wirkte etwas verblüfft. „Was hast du für Gene in dir?“
„Die eines Fisches und eines Adlers“, antwortete ich stolz, denn niemand sonst wurde mit mehreren Tieren oder Pflanzen kombiniert und ich bin der lebende Beweis dafür, dass das ein großer Fehler war.
„Wie cool, ich habe auch etwas von einem Adler, aber wo sind deine Flügel?“
Eigentlich bin ich nicht der Typ, der mit Mädchen über seine Gefühle redet, aber in diesem Moment flossen die Worte aus mir heraus. „Mir sind nie welche gewachsen. Deshalb kam ich heute voller Vorfreude in die Schule und hoffte, Lapis würde mir helfen. Noch bevor ich die Gelegenheit bekam, sie zu treffen, wurde ich aus dem Turnsaal gedrängt. Daraufhin fuhr ich hier her, um zu weinen.“ Kaum waren die Worte draußen, hätte ich sie am liebsten wieder zurückgenommen.
„Hm …“, machte Eagle und legte ihre Hand nachdenklich an ihr Kinn, dann packte sie meinen Rollstuhl von hinten und sprintete los mit mir. „Lapis ist gerade auf dem Weg zu ihrem Wagen, wenn wir schnell sind, erwischen wir sie.“
Wir konnten sie schon von weitem sehen, wie sie in die schwarze Limousine einstieg. Der Pfad zum Parkplatz war von Steinen überhäuft, deshalb packte mich Eagle samt Rollstuhl und wir flogen mit der doppelten Geschwindigkeit, allerdings mussten wir kurz vor unserem Ziel feststellen, dass wir nicht schnell genug waren und Lapis fuhr uns vor der Nase davon. Wir riefen ihr laut hinterher, aber sie schien uns nicht bemerkt zu haben.
Hoffnungslos machte ich kehrt und rollte los in Richtung Hügel. Da hörte ich Eagle hinter mir rufen: „Sieh mal!“ Und sie zeigte entlang der Straße. Wie aus dem Nichts tauchte das schwarze Auto wieder auf und hielt neben uns an. Das Fenster fuhr nach unten und zwei meeresblaue Augen funkelten aus dem Fahrzeug. „Na, ihr beiden hattet es wohl nötig mich zu treffen. Mein Fahrer wollte sofort umdrehen, als er euch gesehen hat, aber ich hatte gerade telefoniert und er weiß was geschieht, wenn er ohne Erlaubnis die Fahrtrichtung ändert. Stimmts?“, fragte Lapis den Mann auf dem Fahrersitz und er lächelte nervös nach hinten. „Wie kann ich euch helfen?“
„Wir … also ich … wollte ähm …“ Mehr brachte ich nicht hervor.
„Mein Freund Feil hier“, begann Eagle zu erklären „wollte fragen, ob du ihm helfen könntest, gehen zu lernen. Ich meine, du hast doch diese Heilkräfte.“ Sie wirkte wie das Gegenteil von mir – selbstbewusst, provokant und respektlos – so als würde plötzlich ein ganz anderer Mensch neben mir stehen, nicht der, der mir vorhin geholfen hatte.
Lapis öffnete die Fahrzeugtür und stieg aus, ohne dabei ein Wort zu sagen. Sie kniete sich zu mir, legte ihre Hände auf meine Oberschenkel und schloss die Augen. Ich war aufgeregt. „Gleich beginnt ein neues Leben“, dachte ich.
Meine Augen waren noch immer vom Anblick ihrer Schönheit gefesselt. Haare, blau und gewellt, wie der Ozean, ihre Haut leuchtete in der Farbe des Lapislazuli und … Was war das? Unter ihrem rechten Ärmel schien ein hautfarbener Fleck hervor.
Ich hatte keine Zeit, weitere Gedanken dafür zu verschwenden, denn nun stand sie wieder auf und ich war bereit, es ihr gleich zu tun.
„Nanu? Meine Beine … Ich kann sie noch immer nicht bewegen“
„Es tut mir leid Kleiner, ich kann nichts für dich tun. Du wurdest nicht zum gehen geschaffen“, entgegnete mir Lapis. Sie tätschelte meine Schulter, danach stieg sie in das Auto, verabschiedete sich und fuhr davon, da sie noch einen weiteren Auftritt hatte.
In meinem Nacken machte sich die Schwere meines Kopfes deutlich spürbar. Ich war drauf und dran erneut los zu heulen.
„Das zahlen wir ihr heim“, meinte Eagle und blickte starr an mir vorbei. Wieso heimzahlen? Sie hatte es doch versucht. Ich war irritiert und wusste ihren Gesichtsausdruck nicht richtig zu deuten. Gab es einen Grund sich zu rächen oder war sie bloß verrückt?
Stunden später am Abend stellte ich fest: Es musst sich um zweiteres handeln. Nachdem sie mich von zu Hause abgeholt hatte, flog sie mit mir zur Villa von Lapis. Ich wusste nicht, was sie vorhatte, doch ich mochte Eagle und wollte unbedingt Zeit mit ihr verbringen.
Ohne den Rollstuhl und mit einem Gurt zusammengeschnürt, glitten wir durch die Lüfte, bis aus der Ferne ein Licht in einem Zimmer im zweiten Stock zu vernehmen war und Eagle mich auf einem Baum vor dessen Fenster absetzte, um den Raum zu beobachten, während sie die Gegend bei einem Rundflug erspähte.
Obwohl mein Körper dem eines Adlers kaum unterschiedlicher hätte sein können, fühlte ich mich so hoch oben ziemlich wohl. Es war bereits dunkel und der Wind raschelte durch die Blätter, daher musste ich mich mit den Händen auf zwei seitlich gelegenen Ästen abstützen, um das Gleichwicht zu halten, als sich auf einmal etwas im Zimmer bewegte. Eine Frau mit blauem Bademantel und blauen Haaren. Sie ging zum Spiegel, der gegenüber des Fensters an der Wand hing und setzte ein Abschminktuch an ihre Wange. Zuerst dachte ich, meine Augen würden mir etwas Vorspielen, denn ich war bereits ziemlich müde und wollte es nicht wahrhaben, was dort, nur wenige Meter von mir entfernt, geschah. Als Eagle zurückkam, bemerkte sie meinen erstarrten Blick, der noch immer auf die Frau gerichtet war.
„Was ist denn los mit dir? Das ist doch nur eine Putzfrau oder so etwas“, sagte sie, aber ich antwortete nicht. Eagle sah sich die Frau ebenfalls genauer an. Sie wirkte, bis auf ihre blauen Haare, völlig normal. „Das ist doch nicht etwa …“
„Ja ist sie!“, unterbrach ich sie.
Eagle schien begeistert zu sein und machte sofort ein paar Fotos. „Jetzt haben wir, was wir wollten“, sagte sie zufrieden.
Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und stellte ihr die Frage, die mich schon seit Beginn der Aktion quälte. „Eagle, jetzt ganz ehrlich: Wofür willst du dich rächen? Doch nicht nur, weil sie mir nicht helfen konnte … und wo wir schon dabei sind, warum wolltest du mir eigentlich helfen?“
„Weißt du, Feil, ich war nicht ganz ehrlich zu dir.“
„Ach was.“
„Es ist so: Als ich dich beim Abhängen gesehen hatte, war ich gerade auf dem Weg, um Lapis zu verfolgen, denn weißt du, sie ist meine biologische Mutter. Sie wollte sich nie um mich kümmern, weil ihr falscher Ruhm wichtiger für sie war und so wuchs ich bei Pflegeeltern auf. Dein umgeworfener Rollstuhl weckte meine Aufmerksamkeit und ich konnte dich nicht einfach da hängen lassen, da ich weiß, wie es sich anfühlt alleine gelassen zu werden. Danach wollte ich direkt weiter, doch dann hast du mir erzählt, was mit dir geschehen war. Ich beschloss dich mit zu nehmen, weil … naja, wie soll ich sagen, ich fühlte mich direkt wohl in deiner Gesellschaft.“ Für einen kurzen Moment unterbrach sie unseren Augenkontakt und fuhr sich unsicher durch ihre Haare. Dann erzählte sie weiter. „Während die vermeintliche Lapis ihre Hände auf deinen Schoß gelegt hatte, hatte ich auf ihrem Arm einen hellen Fleck entdeckt.“
„Den hab ich auch gesehen.“
„Leider konnte ich sie nicht fotografieren und deshalb nutzte ich die Situation, damit ich nicht alleine hierherkommen musste.“
„Also hat Lapis gar keine Heilkräfte?“
„Doch! Nur, dass meine Mutter nicht die richtige Lapis ist.“
Mein Kopf drehte sich und mir wurde etwas übel. Eine falsche Lapis? Eagle bemerkte meinen Zustand und nahm mich in den Arm. Da merkte ich, dass sie weinte.
„Es wird Zeit.“ Sie wischte sich ihre Tränen aus den Augen. „Wir sollten schnellstens von hier weg.“
Ich hatte den ganzen Flug vor mich hin geschwiegen. In meinem Gehirn ratterten die Gedanken wie eine alte Dampflock und ich glaubte fest daran, jeden Moment wach zu werden, damit sich alles nur als Traum herausstellte. Als wir den Anflug an mein Haus begannen, musste ich mich mit der Tatsache abfinden, dass dies nicht geschah.
„Danke, Eagle“, sagte ich, als sie mich in meinen Rollstuhl setzte. Wir umarmten uns noch einmal und ich wollte, es würde nie aufhören.
„Bis bald, Feil!“
„Bis bald, Eagle!“ Und wir lächelten beide. Dann ging ich ohne Abendessen in mein Bett und schlief.
Am nächste Morgen stürmte meine Mutter in mein Zimmer. „Feil, wach auf! Das musst du sehen!“, weckte sie mich aufgeregt und legte mir die Tageszeitung auf den Schoß.
WENN FISCHE FLIEGEN
Eine Mischung aus Adler, Fisch und Mensch. Klingt großartig! Gestern Abend wurde ein Jugendlicher bei einem Rundflug gesichtet, der von den Leiter der Genetics-Smoothie-Project-School als ein Junge namens Feil identifiziert wurde. Das Besondere: er wurde bis Dato von der Menschheit verheimlicht, obwohl er der einzige GSP war, der mit mehr als einem Tier kombiniert wurde, wie man uns berichtete. Was war der Grund dafür? Bisher gab es von den Wissenschaftlern keine weiteren Informationen.
Noch bevor ich weiterlesen konnte, sprang mir das daneben positionierte Bild ins Auge. Es sah so aus, als würde ich Fliegen. Unmöglich hatte ich Eagle vollkommen verdeckt. Jemand musste das Foto bearbeitet haben, jemand der nicht wollte, dass sich die Menschen Fragen über einen Jungen stellen, der sich von einem Adlermädchen herumfliegen lässt. Früher oder später wäre man dahintergekommen, wer und was ich wirklich war. Ich konnte es nicht glauben. Endlich war ich nicht mehr Niemand.
„Dein Direktor hat vorhin angerufen und gefragt, ob du Interesse daran hättest Flügel zu bekommen. Du sollst ihn so bald wie möglich zurückrufen“, erzählte meine Mutter.
„DAS IST MÖGLICH? Warum hatte mir das zuvor noch niemand angeboten?“
„War wohl bisher nicht nötig gewesen.“ Sie lächelte und ging aus dem Zimmer. So glücklich hatte sie mich schon lange nicht mehr gesehen.
Danach blätterte ich zur nächsten Seite.
DAS MYSTERIUM UM UNSERE HEILERIN
Die große Lapis als Laborrate? Gestern Abend wurden zwei Jugendliche Zeuge, wie sich eine Frau in der Villa von Lapis ihre blaue Haut abschminkte, dieselbe Frau, die früher an diesem Tag einen Vortrag in ihrer Schule als Lapis gehalten hatte. Des Weiteren erhielt die Polizei einen Hinweis auf den Standort der echten Heilerin. Sie wurde im Keller der leitenden GSP-Wissenschaftler gefunden, wo sie die letzten zehn Jahren festgehalten wurde, um an ihr Experimente durchführen zu können. Lapis wurde lediglich für ein paar Heilaktionen aus dem Käfig gelassen, um den Schein aufrecht zu erhalten, während ihr Double uns die restliche Zeit etwas vortäuschte. Zwischen den Leitern der GSP-School und diesem Vorfall konnte keine Verbindung hergestellt werden. „Ich bin empört. Nie hätte ich mir erträumt, dass so etwas passieren könnte, als ich damals begann mein Leben der Schule zu widmen“, berichtet Direktor Poulsen. Auf die Wissenschaftler wartet ein Verfahren wegen Körperverletzung und Freiheitsberaubung.