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Europcar verification
Helmut war Gärtner. Zweimal die Woche arbeitete er bei den Gruhns. Die Gruhns wohnten am Stadtrand, in einem niedrigen Bungalow aus Beton. Der Garten hinter dem Haus war groß wie ein Fußballfeld und der Rasen bedurfte ständiger Pflege. Helmut war froh, bei den Gruhns zu arbeiten: Sie zahlten gut und sie waren freundlich.
Roswitha, seine Frau, hielt nicht viel davon. Überhaupt hatte sie die schlechte Angewohnheit, sich über dies und das zu beschweren. Vielleicht kam das daher, dass sie viel jünger als Helmut war. Oder vielleicht, weil sie mit dem Leben in Deutschland nicht zurechtkam. Oder, weil sie seit Kurzem ein Vorderzahn verloren hatte und die Krankenkasse die Rechnung nicht übernahm: Schneidezähne wurden widerspruchlos ersetzt. Nur eins daneben, der Zahn zwischen Schneide- und Eckzahn, dafür wollte die AOK nicht zahlen.
Die Gruhns waren Helmut wohlgesonnen. Herr Gruhn arbeitete in einer Agentur in der Stadt. Frau Gruhn war meist zuhause, wenn auch gut beschäftigt. Das Haus stand ihren Freunden zu jeder Zeit offen. Frau Gruhn mochte es, wenn Helmut in der Nähe war. Sie sagte, sie fühle sich sicherer.
Helmut sagte: „Die Gruhns suchen eine Haushaltshilfe. Ich dachte, das wäre etwas für dich.“
„Für mich?“, sagte Roswitha. „Was ist das, eine Haushaltshilfe?“
„Du weißt schon, putzen und so was.“
„Was ist dann hiermit?“
Sie machte eine ausladende Bewegung. Zeigte auf das Durcheinander in der Wohnung. Auf dem Teppich lag Spielzeug. Wäsche. Leere Flaschen.
„Das ändert sich sowieso kaum“, sagte Helmut. „Da kannst du genauso gut woanders arbeiten.“ Er nahm Nino auf den Arm und ging mit ihm in die Küche. Nino war oft erkältet und seine Nase lief. Er begann zu weinen und Helmut schaukelte den Sohn sachte: „Na, na, wird schon.“
„Von wegen ‚wird schon‘“, sagte Roswitha.
„Deine Schwester kann mal auf Nino aufpassen“, sagte Helmut, bekam aber keine Antwort. Er hörte Roswitha im Nachbarzimmer, wie sie wütend aufräumte.
Frau Gruhn schlürfte langsam ihren Oolong. Helmut und Roswitha saßen im Wohnzimmer der Gruhns. Helmut fühlte sich unwohl, er hatte seine Arbeitskleidung an. Die Füße steckten in groben Plastikschuhen mit Metallkappen an der Spitze. Er hatte sich gescheut, Platz zu nehmen. Er wollte das weiße Sofa nicht beschmutzen. Doch Frau Gruhn war sehr freundlich, hatte nur begütigend mit der Hand abgewinkt.
Helmut beobachtete seine Frau: Sie hatten sich im Auto schon gestritten. Es gefiel ihm nicht, dass sie derart viel Schminke aufgetragen hatte. Nicht, dass Roswitha dadurch nicht schön wurde. Es war nur unpassend für ein Bewerbungsgespräch. Und das war Frau Gruhn auch sofort aufgefallen, an ihren Augen hatte Helmut das erkannt. Dennoch war Frau Gruhn zuvorkommend, hatte sie ins Haus gebeten und ihnen taiwanesischen Tee vorgesetzt.
„Man trinkt ihn ohne Zucker“, sagte Frau Gruhn. „Der Tee ist kostbar, voller Antioxidantien.“
Roswitha rutschte unruhig hin und her. Sie trank ihren Tee auf eine eigentümlichen Weise, wie es bei ihr Zuhause Brauch war. Dafür nahm sie ein wenig Zucker zwischen die Zähne und goss eine kleine Menge des Getränks auf die Untertasse. Sie blies lange darauf und erst dann trank sie aus.
„Nur zu, probieren Sie“, sagte Frau Gruhn.
Roswitha nippte an der Tasse. Sie lächelte. Frau Gruhn sah den Schönheitsfehler. Helmut auch.
Frau Gruhns Gesichtszüge aber entspannten sich, sie nahm Roswitha bei der Hand und sagte: „Kommen Sie, meine Liebe, ich zeige Ihnen das Haus.“
Der Frühling kam, und Helmut legte Überstunden ein. Der Garten lebte auf, die Sonne glühte gütig. Im Haus standen alle Fenster offen und Helmut konnte hören, wie Roswitha im Schlafzimmer staubsaugte. Er war am Ende des Gartens, damit beschäftigt, den Zaun zu verstärken. Eine Rotte Wildschweine machte sich in der Nachbarschaft zu schaffen. Herr Gruhn hatte vorsorglich den Zaun erneuern lassen, aber mit Wildschweinen konnte man nie vorsichtig genug sein.
Helmut hob den Blick und schaute auf das Haus. Er konnte Roswitha sehen, vorm Spiegel. Sie trug ein enges, weißes Seidenkleid mit grünen Rosen. Das Kleid hatte ein Kragen, kurze Ärmel. Sie trat auf den Balkon hinaus, ließ den Staubsauger einfach weiter laufen. Sie lehnte sich an die Balustrade, kreuzte die Beine .
„Und“, sagte sie, „wie sehe ich aus?“
Helmut schluckte trocken.
„Zieh das aus“, sagte er. „Zieh’s aus, oder ich komme rein.“
„Komm doch“, sagte Roswitha.
Sie öffnete die Lippen, ein Goldzahn blinzelte in der Sonne. Sie sah nicht schlecht aus. Das Kleid passte hervorragend, ließ ihre dunkle Haut hervortreten. Sie war schlanker und jünger als Frau Gruhn und Helmut wusste, ihre Innenschenkel schmeckten unentwegt nach Zimt. Er spürte sein Geschlecht, trat unruhig von einem Bein auf das andere.
„Ich erwürge dich“, sagte Helmut.
Roswitha lachte. Sie hob das Kleid, zeigte die Rundung des Gesäßes. Ging wieder ins Haus.
Wenn sie bei den Gruhns waren, benahmen sie sich wie Fremde. Er war draußen, sie im Haus. Er wollte das Haus nie betreten. Besonders aber nicht, wenn die Gruhns nicht da waren.
Roswitha lebte im Haus auf. Sie redete unentwegt mit Frau Gruhn. Redete über dies, über das. Was das für ein Bild sei, was das für eine Vase. Und wenn die Dame des Hauses das Haus verließ, dann lebte Roswitha noch mehr auf.
Helmut hatte an ihrem zweiten Arbeitstag das Parfüm an ihr gerochen.
„Was ist das an dir?“, sagte er.
„An mir?“
„Ja, du riechst anders.“
„Nein“, sagte sie, „du irrst dich.“
„Ich bitte dich, hör damit auf. Wo hast du das her?“
„Gekauft“, sagte sie.
„Was glaubst du, wie Frau Gruhn reagiert, wenn sie das an dir riecht?“
„Sie hat es mir gegeben, okay?“
„Zeig mir die Flasche“, sagte Helmut.
Es gab keine Flasche, aber dafür Geschenke. Ein Teppich am Anfang, Kleidung für Nino. Und als sie den Keller ausräumten, da schenkte Frau Gruhn Roswitha ein altes Kandelaber aus Messing. Es hing jetzt in Wohnzimmer und Helmut ging immer gebückt daran vorbei.
„Hör auf, Dinge anzunehmen“, sagte Helmut.
„Sie werfen sie sonst weg, spinnst du?“, sagte Roswitha. „Die haben schon genug, mach‘ du dir keine Sorgen.“
„Sie sind nicht deine Freunde.“
Helmut machte sich Sorgen. Er arbeitete wortkarg im Garten, spionierte immer aus den Augenwinkeln. Alles, was sie im Haus machte, sah er. Und sie machte es stets so, dass er sie dabei sehen musste.
Sie öffnete die Fenster, schaltete überall das Licht an. Sie grinste manchmal auch und blickte immer trotzig zu Helmut rüber. Und dann lachte sie, verspielt wie ein Welpe.
Helmut stand vor dem neuen Zaun und seine Gedanken bewegten sich torkelnd durch das Haus der Gruhns. Er suchte Roswitha. Fand sie in weißem Seidenkleid. Er nahm sie an der Gurgel, warf sie auf den Boden. Biss an ihr wie ein Tier. Und weinte dann, ihr wehgetan zu haben. Er träumte davon, sie im Haus zu lieben. Auf dem Boden, in der Küche oder vor dem Bücherregal der Gruhns.
Er fand ihren neuen Goldzahn am Anfang vulgär. Vulgär und abstoßend. Das gelbe Aufblitzen des Metalls, wenn sie lachte. Der Zahn begann ihn bald zu faszinieren. Es verlieh Roswitha Tiefe, machte sie besonders. Er sah das, liebte sie dafür nur mehr.
Das, was er im Garten für Roswitha spürte, das war Zuhause anders. Da war das Kind, Roswithas Schwester. Und Geldsorgen, viel Streit im Fernsehen. Und das war immer zwischen ihnen, wenn er sie heimfuhr, sie zur Arbeit brachte. Kaum stieg sie in sein Auto ein, schon war die Schwere da.
„Wir müssen mal ausgehen, richtig feiern“, sagte Roswitha.
Helmut schwieg, hielt mit eine Hand die Spur. Der Wagen fuhr über Pflastersteine, es wurde laut. Roswitha schrie: „Das ist kein Leben Helmut, das ist Scheiße!“
Darauf konnte Helmut auch nicht viel sagen.
Herr Gruhn begutachtete den Zaun. Er rüttelte an den Pfosten, nickte zufrieden.
„Drüben bei Kübke sind sie durchgebrochen.“
„Ich hab’s gesehen“, sagte Helmut, „eine Schweinerei war das.“
„Die haben ihm die Gasleitung ausgegraben. Die Leitung führt hier durch den Garten“, sagte Herr Gruhn.
„Ich habe gehört, ein Wildschwein ist dabei draufgegangen.“
„Wirklich?“
„Ja, ein Stromschlag hat ihn erwischt. Kabel im Garten, was soll man da nur machen?“
„Hmm“, sagte Herr Gruhn, „gut, dass wir draußen keine Geräte haben. Helfen Sie mir noch mit den Eiern?“
„Natürlich, Herr Gruhn.“
Sie legten bunte Eier im Garten aus. Für Ostern. Gruhns Kinder waren schon lange ausgezogen. Die Eier waren für die Nachbarskinder, für Kinder von Arbeitskollegen, für Freunde.
„Kommen Sie auch mit Ihren Kleinen?“, sagte Herr Gruhn.
„Nein“, sagte Helmut, „Nino ist krank. Wir danken für die Einladung.“
Gruhn hob die Hände: „Ich kenne das, die Kinder. Von jetzt auf nachher krank. Man steht permanent unter Strom.“
„Ja“, sagte Helmut, „immer auf Zack.“
Zum Eiersuchen ging sie alleine mit Nino. Danach sprachen sie eine Weile nicht mehr miteinander. Er war verletzt, fühlte sich hintergangen. Roswitha gab sich ahnungslos.
Dann kam der Sommer, damit weniger Arbeit. Und eines Tages, stand sie ihm im Weg: „Wir gehen heute feiern, wie versprochen.“
„Womit denn?“, sagte Helmut. “Wir sind pleite.“
„Ich nicht“, sagte Roswitha.
„Hat dir dein Vater Geld geschickt?“
Sie hob die Schultern.
„Angespart?“
Sie sagte nichts, zog an seinem Ärmel. „Komm mit, ich zahle einfach.“
Sie gingen in ein Museum, danach ins Theater. Helmut war linkisch, konnte sich nicht entspannen. Er war Gärtner, mit der Natur vertraut. Kulturbetrieb machte ihn schwindlig: überall Augen, überall Meinungen. Da fühlte er sich hilflos wie ein Kind.
Roswitha aber, war nicht wiederzuerkennen. Sie klammerte sich an Helmut, sah zu ihm auf. Und plapperte auf ihn ein, lachte und scherzte. Dann landeten sie bei einem Italiener. Das Restaurant war teuer, die Weingläser filigran. Sie sagte:
„Lass dir doch mal ein Schnurrbart wachsen. Wie Django Reinhardt. Ich wette, das steht dir gut.“
Helmut war glücklich, suchte ihre Augen. Sie gingen eng umschlungen den Kudamm entlang. Sie blieben vor Vitrinen stehen, beschauten die teuren Waren. Helmuts Adamsapfel begann zu zittern. Er drückte Roswitha an sich, streichelte ihr über die Hüfte. Er sah auch andere Männer sich nach ihr umdrehen. Roswitha hatte nur für ihn Augen. Sie blickte zu ihm hoch und der Goldzahn leuchtete auf.
Der Sommer verlief schlecht, es gab kaum Aufträge. Helmut verbachte immer mehr Zeit zu Hause. Da war Roswithas Schwester, da war Nino. Und ein Verwandter der beiden Schwestern, Viktor. Er war über den Sommer bei ihnen abgestiegen, wollte Arbeit finden. Wie Helmut auch, landete Viktor dann vor dem Fernseher auf der Couch.
Es gab eine Sprachbarriere zwischen ihnen, die Männer konnten sich nicht miteinander unterhalten. Sie hatten sich aber nur kurz in die Augen gesehen, und Helmut hatte dabei das Meiste schon gesagt.
Roswitha arbeitete vormittags bei den Gruhns und nachmittags in der Wohnung. Sie war etwas müder geworden, zänkischer im Umgang. Sie stritt mit ihrer Schwester, mit Viktor und auch viel mit Helmut. Sie knallte immer Türen zu, und manchmal, da weinte sie erstickt im Bad.
Dann ging Helmut nach draußen, fuhr mit dem Fahrstuhl in die Tiefe. Suchte die Kneipe auf, die er von seinem Vater kannte. Die Kneipe war unverändert: ein kleiner Raum, eine hohe Theke. Zwei Automaten nahe dem Fenster. Davor saß Helmut, klimperte mit Silbermünzen. Die Zylinder der Automaten drehten sich, Musik spielte fröhlich. Und Helmut warf wie selbstvergessen Geld rein: Manchmal gewann er, manchmal auch nicht.
Er sah aus dem Fenster. Er kannte die meisten aus der Siedlung. Er sah welche vorbeilaufen, alt jetzt, wo sie doch einst jung waren. Dann sah er junge Mädchen, die bald Kinder kriegen würden. Und trotzige Halbstarke, die noch die Autorität anzweifelten. Er fuhr sich mit der Hand über den Schnurrbart. Trank vorsichtig aus seinem Pils.
Er kam am Montag früh an, die Gruhns waren noch im Urlaub. Er öffnete das Tor, dafür besaß er eine Fernbedienung. Noch war er nicht im Garten, da sah er schon den Schaden. Die Wildschweine waren durchgebrochen, hatten den Zaun platt gedrückt. Sie hatten den Rasen aufgewühlt, die Ginsterbüsche rausgerissen. Der Wasserschlauch war durchgebissen, das Wasser lief immer noch in einer trüben Lache. Darin hatten sich die Schweine auch gesuhlt.
Dann sah Helmut die Terassentür, ein gähnender Rahmen. Glassplitter lagen glitzernd auf dem Boden. Wie selbstvergessen trat Helmut durch die Öffnung. Er bemühte sich, die Einbruchspuren nicht zu verwischen. Und als Kriegsgerät führte er die Harke an der Hand.
Das Haus war menschenleer, das Mobiliar zertrümmert. Helmut lief die Treppen rauf, betrat das Schlafzimmer. Auch hier fand er Unordnung, der Schrank durchwühlt, die Schubladen aufgerissen. Da fiel sein Blick auf das weiße Seidenkleid mit grünen Rosen. Sein Herz blieb stehen, pochte dann nur noch wilder auf.
Er hob das Kleid auf, führte es an der Nase. Das Kleid war kühl, die Seide glatt. Der Stoff entwand sich seinen Fingern. Er griff danach und doch war es, als hielte er kaum etwas in der Hand. Er stopfte sich das Kleid in seine Latzhose. Und dann sah er das Geld.
Die Diebe waren zügig vorgegangen. Wahrscheinlich auch noch in der Nacht. Jetzt konnte man den Schuhkarton sehen, der Deckel etwas seitlich verschoben. Darin das Purpur großer Banknoten, gebündelt und fein säuberlich sortiert. Er setzte sich aufs Bett, begann, grob zu zählen. Ihm wurde schwindlig. Seine Hände zitterten. Er schob den Karton beiseite. Strich sich über den Schnurrbart. Zwang sich nachzudenken. Dann nahm er das Geld und verließ damit das Haus.
„Europcar verification“, sagte die Frau am Schalter, „it takes just a minute“.
Helmut sah auf die blonde Frau herab, sah ihr freundliches Lächeln. Die Schweden waren nette Leute, davon war er mittlerweile überzeugt. Roswitha hatte sich in der Wildnis gelangweilt, sie fand die Öde der Landschaft unerträglich. Er aber war ständig draußen, war fischen und jagen. Und manchmal lag er unter den Nordlichtern ausgestreckt im Boot.
Es lief nicht mehr so gut mit Roswitha. Sie hatte sich verändert, vermied geflissentlich seinen Blick. Er spürte, wie sie begann, sich von ihn zu lösen. Sie zuckte leicht, wenn er sie jetzt berührte.
Das Auto war geräumig, ein Volvo erster Klasse. Die Fahrt aber war qualvoll, sie sprachen kaum ein Wort. Roswitha hielt die Lippen zusammengepresst, saß hinten mit Nino. Und Helmut, er zählte nur die Ausfahrten. Ein Wort von ihr und er hätte sofort umgedreht.
Den Urlaub hatten ihnen die Gruhns gespendet. Es war ihr Haus in Schweden, die Holzhütte am See. Der Einbruch hatte sie noch milder gestimmt. Sie waren gute Menschen, die Gruhns, daran bestand kein Zweifel. Anstatt sich zu verbarrikadieren, öffneten sie ihr Herz. Sie wollten Gutes tun, dachten an Helmut und Roswitha. An Nino, der gerade anfing, die ersten Schritte zu gehen.
„Schau mal, die Lichter“, sagte Helmut. Er blickte nach oben. Über ihren Köpfen, da tanzte grün-weiß das Nordlicht, tanzte verspielt und in einer Weise, die kaum in Worte zu fassen war.