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Eine wahre Geschichte
Eine wahre Geschichte
Er war bestimmt kein Einzelgänger. Nein, wenn er ging, dann ging er mit Tieren. Ich sage nicht „mit seinen Tieren“, denn er hatte sie nicht gekauft oder geschenkt bekommen, sie gehörten ihm nicht. Er war befreundet mit einem Hund, einer Katze und einem Eichhörnchen, denen er in seinem kleinen Haus am Waldrand, neben den Bahnlinien, Asyl gewährte. Der Hund schlief im Wohnzimmer, die Katze im Schlafzimmer und das Eichhörnchen in der Mikrowelle. Er selbst schlief meist in der Badewanne, denn die Katze teilte nicht gerne. Eigentlich hatten sie keine Namen, auch er selbst konnte sich nicht an seinen erinnern. Er nannte sich selbst Mensch, die Katze Katze, den Hund Hund und das Eichhörnchen Paul (aber eigentlich war es ein Weibchen). So nannte er sie, wenn er sie rief, um mit ihnen zu Pokern oder wenn das Essen fertig war. Beim Essen gab es bestimmte Rituale. Stets wurde eine Kerze angezündet und jeder musste eine Serviette benutzen. Der Hund hielt sich meist nicht daran. Gegessen wurde auf dem Boden, denn das Eichhörnchen war zu klein um auf dem Stuhl zu sitzen und es herrschte Gleichberechtigung für alle.
Manchmal fand der Mensch einen Igel im Wald, der im Herbst nicht einschlafen konnte (vielleicht lag ihm ein Regenwurm schlecht im Magen?) und ließ ihn in seinem Kühlschrank überwintern. Die Katze hatte einmal einen Igel, der sich zusammengerollt hatte, mit einem Wollknäuel verwechselt und verletzte sich unglücklicherweise die Pfote. Um ihr Leid zu demonstrieren humpelte sie drei Tage durchs Haus und miaute jämmerlich. Seither stellte sie den Temperaturregler des Kühlschranks, wenn ein Igel darin schlief, auf unter null Grad. Als der Mensch den Igel im Frühjahr herausholte, war dieser ganz steif gefroren. Er wünschte sich auch einmal so tief zu schlafen wie der steife Igel und legte ihn auf die Heizung. Als er aufgetaut war, war er schon tot.
Der Mensch verdiente sein Geld mit Drogen. Er dealte teilweise mit Pillen, aber sein Hauptverdienst war der Marihuanaanbau. Die Pflanzen gediehen in seiner Gartenhütte hinterm Haus. Die beste Ernte erzielte er im Frühjahr und Sommer. Das lag natürlich an der Temperatur, aber viel mehr an seiner Düngemethode. Er ließ sich die Fußnägel circa eins Komma zwei Zentimeter lang wachsen und spazierte dann quer durch den Wald und einmal durch das Moor. Die gesammelte Erde, die unter seinen Fußnägeln hängen geblieben war, reifte nun zwei Wochen in seinem Fußschweiß. Er trug dazu dicke Wollsocken und schwere Springerstiefel. Das gewonnene Düngemittel wurde unter den Nägeln hervor gekratzt und im Verhältnis drei zu eins mit Regenwasser verdünnt. Drei Teile Wasser, ein Teil Dünger. In jeden Blumentopf wurden am Tag genau drei Tropfen mit einer Pipette gegeben. Zwei morgens und einer abends. Nachdem er die Wirksamkeit jeder herangereiften Pflanze getestet hatte, wurde die Ware verkauft. Er packte sie am in kleine Filmdöschen, in jedem Döschen zwei Kaffeelöffel seiner Ernte. Verkauft wurde auch dem Wochenmarkt. Er stellte seine Filmdöschen auf seinen kleinen Klapptisch, geordnet nach Erntedatum. Das ganze Dorf kaufte bei ihm ein, vor allem der Pfarrer, der dann in seinem Beichtstuhl saß und sich mit Gott verbunden fühlte wie lange nicht mehr. Manchmal kam sogar ein Polizist vorbei. Dann löste sich die ganze lange Schlange vor dem kleinen Klapptisch auf. Der Polizist fuchtelte dem Menschen mit seinem Knüppel vor der Nase herum, zwinkerte mit nur einem Auge und sagte etwas von Sonderpreis und Mundhalten. Im Endeffekt zahlte er den gleichen Preis wie die anderen auch.