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Ein Tag voller Absichten

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24.04.2003
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Ein Tag voller Absichten

Ein Strom sich ergebender, ausbreitender Gedanken, die sinnlos einerseits, beherrschend andererseits durch den Äther gleiten und die Kälte eines kontaminierten Luft-/Abgasgemisches zum Glühen bringen.
Frederick lächelt mich mit einem dümmlichen Ausdruck geistloser Stumpfheit an, als er den Zündschlüssel dreht und die Schreie des alten Motors durch die Stille hindurch nach Hilfe rufen. Schichtbeginn für Kolben und Reifenabnutzungsphase.
Die Autos, an denen wir vorbeifahren, die wir überholen und schneiden; sind vollbesetzte, mobile Kompanien eines fortwährenden Krieges, der - aus rationeller Sicht betrachtet - weder Anfang noch Ende kennt.
"Piss auf den Einhergang von Standard! Scheiss´ verdammt nochmal auf die korrumpierte Gesellschaftsklasse!"
Frederick verreisst das Steuer, während ich zum Seitenfenster herausbrülle und mich zeitgleich auf den nassen Asphalt übergebe.
Wir sind länger befreundet, als ein Tausendfüßler die tatsächliche Anzahl seiner Beine zählen kann. Was uns vom Rest der Welt unterscheidet ist der Widerstand; das Streben nach Höherem.
"Wie Thelma und Louise", brüllt er und steuert den Kombi auf den Abhang zu. Im letzten Augenblick lenkt er den stählernen Parasiten zurück auf die Fahrbahn. Ich kotze währenddessen noch immer.
"Aber nicht heute!"
Nein...denn es gibt Dinge zu erledigen. Work to do

Unser Ziel ist die verschwommene Teufelsvilla am Rande der Stadt. Außerhalb des Ameisenhügels menschlicher Siedlungskunst. Für einen Moment glaube ich, das verbrennende Öl zu riechen, das sich gen Umwelt ausbreitet und so lieblich ist. So lieblich.
Kilometer reisen wir; pilgern wir unserem Kreuzzug entgegen. Statt Schwert und Glauben zerrt ein nicht sichtbares Band an unseren vergifteten Mägen. Stränge des Schicksals, denen auch eine High-Tech Zivilisation nicht zu entkommen vermag. Irgendwann sind wir alle an der Reihe. Weiche nicht ab vom rechten Weg; sondern befolge die festgelegte Programmierung, die auf den ersten Blick logisch-arithmetisch korrekt erscheint . Wenn du an Gott glaubst, führt dich das ab von der Autobahn, auf freie Pfade des undenkbaren; wären da nicht die unzähligen Insekten, die an meiner Haut nagen und sie austrocknen.
Jedwege Konfrontation mit dem Bösen ist nicht vorzubereiten mit Hilfe eines Kruzifixes, weil das bestimmte Handeln verankert ist auf sandigem Boden. Loslösen bedeutet ein sich fallen lassen in einen Tunnel, dessen Ende theoretisch auch aus Marzipan und entkleideten Nymphomaninnen gezimmert sein könnte. Wer weiss schon, wieviele fehlgeleitete einer symbolischen Ordnung nachstreben, die im Endeffekt nicht mehr als ein Disneyland des Verstandes darstellt, wobei der Eintrittspreis Reue / saubere Motive darstellt, die von einer höheren Macht willkürlich auserwählt wurden und das Warten an einer der Schlangen - diese, mit den Schildern "Von hier ab noch 15 Minuten" - erträglicher machen.

Das gigantische Anwesen gehört dem Firmengründer und wohlhabendstem Mann der Stadt, der uns alle vergiftet hat. Eine Klapperschlange, mit den Zähnen einer Terrantel ausgerüstet und Granatwerfern an den Seiten des Schuppenpanzers; stets bereits, kontrollierten Aufstand niederzuschlagen, mit der Ausrede eines Hauptarbeitgebers.
Was er nicht wahrsagen kann, ist das Chaos.

"Wir sind da", flüstert Frederick in meine Wahrnehmung hinein. Tatsächlich hat er die Kontrolle über Stimmbänder und steuerungs bedürftige Hirnzentren verloren.

Draußen. Draußen ist es kalt. Nicht so angenehm warm wie im Wagen. Vorgekaulkelte Symphonie der Sinne, die uns an ein Weltbild angepasst haben, welches unter allen Umständen als normal zu rechtfertigen ist.

***

"Schatz, es hat geklingelt."
"Bin schon unterwegs, mein süßer Wirbelwind."
Jakob schlüpfte in seine Hausschluppen und schlürfte in Richtung Haustür.
"Ja bitte?", fragte er in das verborgene Mikrophon der Sprechanlage hinein.
"Ja, schönen guten Tag auch Herr Gindelfingen. Wir sind hier wegen des Durchlauferhitzers."
Jakob trat einen Schritt zurück in Richtung Treppe. Seine Frau lag oben in der Badewanne.
"Schatz, hast du Handwerker bestellt?"
"Nein, hab ich nicht!"
Jakob stellte sich wieder vor die Tür und betätigte den kleinen Schalter.
"Verschwindet!"
"Okay."
Irgendwer kicherte noch kurz im Hintergrund, als er die Anlage wieder ausschaltete und ins Wohnzimmer trottete.

***

"Diese Schlacht haben wir verloren. Aber eines tages wird er bezahlen."
Die beiden wandeln in ihre Zentrale ein.
Frederick lacht dümmlich, als er den Zündschlüssel umdreht und die Maschine aufheult.
Sie kehren ein im Rhythmus einer brummenden Weggewalt, die mit Stil ins Nirgendwo führt. Er lehnt sich aus dem Fenster und übergibt sich auf den allmählich trocknenden Asphalt. Die dunklen Wolken haben dem grauen Himmel inzwischen Platz gemacht.
"Wohin jetzt?"
"Zurück zur Arbeit...Baby!"

Eine der nebeneinanderstehenden Kuppeln ist in der Mitte durchgeschmolzen.
In den Arbeitsbereichen des AKW´s herrscht indess Hochbetrieb.

Kann die Welt untergehen, ohne das es jemand bemerkt?

 

Hallo,
eine gelungene Geschichte, muss ich schon sagen. Du benutzt geschickte eine schöne Sprache und erschaffst auch gleich die richtige Atmosphäre für den Plot, den du dann erzählst.
Inhaltlich ist deine Geschichte etwas kompliziert, ich werde wohl noch einmal nachdenken müssen.
Ich denke mal, das Jakob der Leiter des AKWs ist, und Frederick sowie der Erzähler sind seine Gegner, ich bin mir noch nicht sicher, ob aus ökologischem Fanatismus oder einem anderen Grund, vielleicht haben sie ja etwas mit dem Druchschmelzen der Kuppel zu tun, obwohl ich glaube, dass dies wohl eher ohne menschliche Beteiligung geschiecht. Wenn ich es richtig verstanden habe, kritisierst du hintergründig die Atomkraft, erzählst aber vordergründig die Geschichte von zwei halbherzigen Weltenverbesserern. Das mit dem Kotzen ist mir auch nicht ganz klar, es könnte natürlich für Alkoholismus stehen, könnte aber auch auf eine Krankheit zurückzuführen sein, deren Ursprung mit Gindelfingen zusammenhängt. Im ersten Fall wären sie berauschte Fanatiker, im zweiten auf Rache aus.

Gut gemachter Text, wie schon gesagt.
Gruß
Arthuriel
Hier noch ein paar Dinge, die mir aufgefallen sind:

Wir sind länger befreundet, als ein Tausendfüßler die tatsächliche Anzahl seiner Beine zählen kann
irgendwie passt der Vergleich nicht, als ein Tausendfüßler zählen kann zu länger? Das würde zu schneller oder so passen, aber nicht so herum.
Was uns vom Rest der Welt unterscheidet ist der Widerstand
unterscheidet, ist
auf freie Pfade des undenkbaren
des Undenkbaren
fehlgeleitete
groß
wobei der Eintrittspreis Reue / saubere Motive darstellt
das "darstellt" würde ich durch "verkörpert" oder etwas ähnliches ersetzen, da du im Satz davor schon "darstellt" benutzt hast.
eines tages
Tages
AKW´s
würde ich ausschreiben und dann ohne Apostroph

 

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