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Ein Ruder und noch ein Anker

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28.06.2003
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Ein Ruder und noch ein Anker

Ein Ruder und noch ein Anker

Vor gar nicht allzu langer Zeit. Sindbad saß des Abends vor seinem PC und betrat das Weltweite Web. Er fand sich auf www.kurzgeschichten.de wieder und las dort eine Geschichte seines Lieblingsautoren (der an dieser Stelle anonym bleiben möchte). Es war eine großartige Geschichte.
Sie brachte etwas zu ihm. Es schmeckte neu und las sich sehr bunt. Hinter abstrakten Formulierungen und exotischen Worten, die, einem Fließgewässer gleich, immer neue Wege in neue Sätze fanden, verbarg sich ein tieferer Sinn. Sindbad knobelte, verstand jedoch nicht. Die Geschichte nahm ihn aber gefangen und so erinnerte er sich an frühere Geschichten desselben unbekannten Meisters. Sindbad sinnte und ihm fiel eine kurze Geschichte ein, die ihm zwischen den Zeilen etwas verraten hatte.
Es ging um eine Frucht oder war es ein Schatz? Die Geschichte hatte mit Piraten zu tun, so viel war sicher. Dann wohl doch ein Schatz. Die Piraten, die im Laufe der Geschichte Obst gestohlen hatten, waren auf der Suche nach einer Truhe, soweit sich Sindbad erinnerte. Was sie auch taten, es gelang ihnen nicht, die famose Kiste zu öffnen, in der sich alles und nichts befinden konnte. Sindbad war damals ein wenig enttäuscht, weil die Geschichte so klanglos abebbte.
Warum hatten die Piraten nicht nach dem Schlüssel gesucht? Gab es keinen? Eine Truhe ohne Schlüssel ergibt doch keinen Sinn, dachte Sindbad. Also gab es wohl einen. Vielleicht aber auch nicht. Wenn ich einen Schlüssel verstecken wollte, wo würde ich ihn hintun? Sindbad sah sich in seinem Zimmer um. Ins Aquarium zu den Fischen? Nee, da wird er doch nass. Unters Bett? Zu staubig. Aufs Fensterbrett? Fällt er wahrscheinlich runter. Sindbad gab es auf und starrte wieder auf den Bildschirm und las noch einmal den Titel der Geschichte von links nach rechts. Ich denke, ich würde ihn dort verstecken, wo ihn jeder sehen, aber nicht sofort erkennen würde, dachte Sindbad. Als Kette würde ich ihn tragen, da würde ihn keiner suchen!
Ob es hier Avatare gibt? Aber Sindbad verwarf den Gedanken eines virtuellen Halses schnell und doch faszinierte ihn der Gedanke einer linguistischen Schatzsuche.
Die vielen kleinen Details der Geschichte, die Sindbad nicht verstand, mochten Hinweise sein, Spuren, die den Weg zum Schatz erhellten. Oder falsche Fährten. Was, wenn der Autor ein erfahrener Seemann war, mit allen Wassern gewaschen? Er würde nicht wollen, dass jede dahergelaufene Landratte seinen Schatz findet, oder? Sindbad wurde etwas mutlos.
Er hatte zweimal Urlaub an der Nordsee gemacht, aber ob das reichte? Auf einem Krabbenkutter hatte er zugesehen, wie zappelnde Schalentiere an Bord geholt wurden. Eine mysteriöse Kiste war jedoch nicht dabei gewesen und die Krabbenfischer sahen auch nicht wie alte Seeräuber aus. Einer hatte jedoch eine Augenklappe, er hieß Augenklappen-Jim und war ganz in Ordnung. Abends im Hotel hatte er Sindbad vom Geheimnis des Namens erzählt. Sindbad war sehr gespannt. Es überraschte ihn aber nicht, dass der Fischer seinen Namen von dem Fensterladen vor dem Bullauge seiner Koje hatte, das wie eine Augenklappe aussah.
Augenklappen-Jim beendete seine interessante Geschichte mit dem Rat, niemals einen Namen zu unterschätzen!
Es stecke oft mehr in ihm, als man meinen möchte.
Zutiefst nachdenklich kehrte Sindbad zurück an seinen PC und dachte über das Gespräch von vorhin nach. Ein Seemann, ein Geheimnis, ein Name, eine Geschichte ohne Schlüssel, ein Schatz oder doch keiner? Sindbad wusste nicht mehr, was los war.
Er bekam Hunger. Heute gab es Austern und frisches Wasser, das würde gut tun.
Vielleicht suchte er später weiter. Irgendwo in seiner Erinnerung war bestimmt eine Kleinigkeit, an die er noch nicht gedacht oder die er übersehen hatte.
So ein Schlüssel sieht bestimmt toll aus, dachte Sindbad noch, bevor er sein Zimmer verließ.
Sindbad wusste nicht, dass er den Schlüssel bereits in der Hand hielt. Er hätte nur noch die Truhe öffnen müssen.
An der Nordsee, in der Nähe eines Leuchtturms, schaute ein dunkles Auge in die Nacht. Dann schloss es sich.

 

Hi tropical-island,

ein sprachliches Experiment kann ich in deiner Geschichte absolut nicht erkennen. Eher eine Auseinandersetzung mit einer Haltung, wie wir sie hier, aber auch in ähnlichen Foren finden.
Über die Haltung lässt sich auf beiden Seiten vorzüglich streiten. Ist jeder Leser eine hergelaufene Landratte, nicht würdig die Geschichten eines Genies entschlüsseln zu können? Ist jeder Autor ein Genie, wie über den Köpfen des gewöhnlichen dummen Volks schwimmend? Und selbst, wenn er das nicht ist, muss er nicht seinen eigenen Ausdruck finden, die eigenen Perlen verstecken, um sich treu zu bleiben?
In diesem Spannungsfeld schreiben wir alle und kritisieren hier auch alle.
Bei dir scheint der Nick der Schlüssel zur Geschichte zu sein, funktioniert vielleicht bei einer, aber ja oft nicht bei jeder Geschichte eines Autors.

Bitte erkläre mir entweder, wo du das sprachliche Experiment siehst oder nenne mir eine Rubrik, in die die Geschichte verschoben werden kann.

Lieben Gruß, sim

 

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