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Die verhexten Münzautomaten
Ein kleiner Wanderzirkus schlägt in unserem beschaulichen Städtchen Bladem sein Lager auf. Argwöhnisch betrachten wir die Ankömmlinge. Auf den ersten Blick scheint es, als wenn es ein ganz gewöhnlicher Zirkus wäre.
Tage später gehe ich mit meinen Freunden, Christin, Jackie, David und Robb über das Gelände und wir sind fasziniert von den außergewöhnlichen Münzautomaten mit ihren skurrilen Figuren und Szenarien. Diese Glaskästen sind mit Silberbeschlägen versehen und stehen auf alten Holzblöcken, die mit reichlichen Schnitzereien verziert sind. Sie sind schon uralt und doch scheint es, als wären sie vor kurzem in Handarbeit und mit Liebe für das Detail bearbeitet worden.
Während in dem einen Automaten, ein Mann um sein Leben rennt, weil er von dem tollwütigen Hund verfolgt wird, sitzt in einem anderen Glaskasten eine Frau in der Gummizelle und schreit sich die Lunge aus dem Leib. Es sind so viele verschiedene gruslige Geschichten. Da gibt es einen Folterkeller, in dem eine Handvoll Gefangene gequält werden. Sie schreien, doch niemand vernimmt ihre Stimmen, es ist, als ob sie nur die Münder bewegen und ihre weit aufgerissenen Augen uns flehend anschauen. Diese Blicke gehen durch und durch. In einem weiteren Automaten steht ein Pärchen in einem Glasgefäß und ihre Füße sind am Boden fest gekettet. Langsam läuft Wasser herein und jedes Mal wenn sie verzweifelt nach Luft schnappen müssen, wird das Wasser wieder abgepumpt. Das Spielchen geht wieder von vorne los. Immer und immer wieder. Ein kleines Mädchen bindet sich eine Schleife ins Haar und schaut sich im Spiegel an. Sie fängt an zu weinen, löst die Schleife und bindet sie neu. Jedes Mal aufs Neue. Oder, diese alte Frau, deren kalten steifen Hände nach der Jugend gieren, sie verfolgt ein junges Mädchen, das vor ihr wegläuft. Ihr klägliches Rufen? Verstummt. Nur ihre Seele verrät ihre Pein. Alles wirkt so lebendig. Diese kleine Figuren sehen alle so echt aus.
Wir bleiben an jedem dieser Automaten stehen und drücken unsere Nasen an den Scheiben platt. Wir können gar nicht genug davon kriegen, obwohl es schauderhaft ist. Es zermürbt, es erdrückt und doch können wir nicht davon ablassen und werfen immer wieder Münzen nach. Es kostet nicht viel und der Tag hat erst angefangen. Ein Automat hat es mir angetan, es passiert rein gar nichts, außer, dass da eine Frau sitzt und ins Leere starrt. Hinter ihr ist es dunkel und doch habe ich das Gefühl, dass da jemand steht. Ich stiere auf diesen blöden Kasten und es fällt mir schwer meine Blicke davon zu lösen.
„Hey, komm! Wir wollen weiter!“, Hör ich Christin rufen. Nur widerwillig geh ich weiter und drehe mich noch einmal um. Und dann sehe ich diese dunkle Gestalt, ich sehe ihn, er gafft mir nach und es läuft mir kalt über den Rücken.
„Was ist denn mit dir los, Kate? Du bist ja kreidebleich!“ Meine Freundin Christin stupst mich an und ich lächle.
„Nein, alles in Ordnung.“ Warum lüge ich, nichts ist in Ordnung.
Die Sonne meint es heute besonders gut mit uns und die Temperaturen steigen stetig an, eigentlich ist der Sommer schon längst vorbei. Wir haben Halloween, warum also ist es so verdammt warm heute? Gestern hatten wir minus 15 Grad und auch heute Morgen als wir hier ankamen, war es noch bitterkalt. Wir beschließen unsere Jacken und Schals auszuziehen und legen alles auf einen Haufen, hier kommt nichts weg, unsere Sachen werden morgen früh noch genau so da liegen. Es ist ein kleiner Ort, in dem jeder jeden kennt. Überall duftet es nach frischen Mandeln, Zuckerwatte und würzigem Essen. Der Vormittag vergeht im Flug und unsere Mägen knurren. Wir steuern einen kleinen Wagen an und holen uns erstmal was zu Essen.
„Wir müssen unbedingt heute Nachmittag die Vorstellung sehen und wedelt mit einem Zettel“, David lacht und die Zahnlücke, von seinem Skatbord-Unfall, ist nicht zu übersehen.
Die Nachmittagsvorstellung im Zelt lassen wir uns nicht entgehen und diese werden wir auch so schnell nicht vergessen. Die Zirkusleute sind genauso skurril und unheimlich wie die Figuren in den Automaten. Sie jagen uns Gänsehaut über den Rücken und ihre von Irrsinn durchtränkten Blicke verfolgen uns auf Schritt und Tritt. Irgendwie erinnern sie mich an die Figuren aus diesen Münzautomaten. Da ist der Henker, dessen zerlumpte Lederschürze nur noch das aller nötigste verdeckt und die große Axt schwingt. Jedes mal, wenn wir und der Rest der Zuschauer denken, er hackt jetzt der blonden Frau den Kopf ab, hält er kurz vor ihrem Nacken inne. Oder der Messerwerfer mit seinen verrosteten, krummen Messern, nicht eins bleibt in der drehenden Holzscheibe stecken, zumal eh keine Person auf der Drehscheibe ist. Die Trapezkünstler, die hoch über unseren Köpfen hinweg schaukeln. Einmal verfehlt der junge Mann die Hände seiner Partnerin und sie stürzt zu Boden. Alle schreien auf, weil ja kein Netz gespannt ist. Und was macht sie? Steht auf, biegt sich gerade und klettert die Strickleiter wieder hoch, als wenn nichts gewesen wäre. Die Seiltänzer, nur wir sehen kein Seil. Irgendwie sind die doch alle bekloppt hier, denke ich so bei mir und schüttele den Kopf. Und diese Musik. Diese schrägen Töne dringen durch Mark und Knochen.
Es ist schon dunkel als wir aus dem Zelt kommen und bemerken, dass wir die Letzten sind, auf diesem mittlerweile eingezäunten Gelände. Schnell laufen wir zu der Stelle, an der wir unsere Jacken und Schals auf einen Haufen geworfen hatten, doch unsere Sachen sind weg.
„Bleibt doch noch eine Weile, ich schenke euch Münzen für unsere Automaten. Ich weiß, dass Ihr noch hier bleiben wollt. Bitte bleibt doch noch, lasst mich nicht alleine. Bitte.“ Ein Clown steht plötzlich, wie aus dem Nichts, vor uns und grinst uns breit an. Er streckt seine Hand aus und lässt fünf Beutel voll Münzen vor uns hin und her pendeln. Sie sind aus schwarzem Samt und jeder Beutel ist in glänzender verschnörkelter Schrift mit unserm Namen verziert. Und ja, wir können diesem magischen Geklimper der Münzen nicht widerstehen und reißen die Beutel an uns. Unaufhörlich werfen wir Münzen ein, immer und immer wieder. Unsere Samtsäckchen werden einfach nicht leer.
„Kommt hier hin, hier sind noch andere Automaten, die ihr noch gar nicht gesehen habt. Kommt!“ Es ist wieder diese freundliche und doch widerwärtige Stimme des Clowns. Sein Grinsen wird immer schwachsinniger.
Aufgeregt rennen wir zu ihm hin und sind gespannt auf die neuen Automaten, die abseits in einem heruntergekommen Zirkuswagen stehen. Wir gehen hinein, es ist stickig hier drin und schummriges Licht macht sich breit. Eher wir uns versehen, fällt die Tür hinter uns ins Schloss und wird verriegelt. Erschrocken drehen wir uns um und mit aufgerissenen Augen schauen wir uns an. Musik aus einem Leierkasten und Gekicher dringen in den Zirkuswagen. Erst jetzt bemerken wir, dass diese Automaten keine Figuren enthalten. Zu spät dämmert es uns, dass wir diejenigen sind, die diese mit Leben füllen werden. Als es mir bewusst wird, ist es bereits zu spät und ich soll die Erste sein, die hineingezogen wird. Ich blicke in die ungläubigen Augen meiner Freunde und ich muss mit ansehen, wie sie das gleiche Schicksal ereilt. Egal wie laut wir schreien, egal wie wir uns auch wehren, es ist umsonst. Der Sog, der von diesen Automaten ausgeht ist zu stark. Was in diesem Moment in uns vorgeht, kann sich niemand vorstellen. Es ist Wut, es ist diese unbeschreibliche, grenzenlose Angst, zu wissen, dass wir hier für alle Ewigkeit gefangen sind. Zu wissen, dass wir nur weitere Akteure sind in einem Gruselkabinett auf Wanderschaft. Was uns erwartet wissen wir nicht! Doch endlose Qualen sind uns sicher! Dieses Geschenk des Clowns sollte uns zum Verhängnis werden und besiegelte unser aller Schicksal. In dieser Nacht werden wir nicht mehr zu Hause kommen. Wir werden nie wieder nach Hause kommen.
Tage vergehen und eine fette Schlagzeile ziert die Zeitung des Städtchens Bladem:
>NOCH IMMER VERMISST! KEINE SPUR DER 5 JUGENDLICHEN!<
>Das einzige was gefunden wurde, sind Jacken und Schals der vermissten Jugendlichen.<
>Es fehlt weiterhin jede Spur! Die Suchtrupps haben ihre tagelange Suche eingestellt.<
>Es ist davon auszugehen, dass die Jugendlichen entführt wurden oder einem Gewaltverbrechen zum Opfer fielen!<
Der kleine Wanderzirkus hatte schon längst sein Lager abgebaut und ist weiter gezogen.