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Die Unbelehrbaren

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14.10.2005
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Die Unbelehrbaren

Die Unbelehrbaren

Es war am Vorabend des Weltuntergangs. Es war alles wie immer. Nichts verdächtig. Nichts schien das Kommende anzudeuten; oberflächlich betrachtet.
In der Stadt ging alles seinen gewohnten Gang: Die Menschen liefen hektisch durch die Straßen, Autos hupten im Akkord, wilde Beschimpfungen an den Ampeln, Hunde verschmutzen die Gehwege, Radfahrer stießen die Fußgänger und Autofahrer vergaßen zu blinken; alles wie immer.
Im Schlachthof um die Ecke, in der Breitner-Straße wurde schon das Filet für den nächsten Tag ausgelöst; von den Schreien der kurz zuvor geschlachteten Tieren blieb nur ein müdes Lächeln des Metzgermeisters Hagen T; er freute sich schon auf den guten Schweinebraten; alles wie immer.
In der Bergstraße stand ein Tiertransporter: drei Schweine waren schon tot, die anderen schrieen vor Hunger, Durst und Quetschungen; Blut floß; alles wie immer.
Im Hinterhof des großen Einkaufszentrums schlugen sich zwei Banden tot: insgesamt vermerkte die Polizei vier Tote und drei Verletzte. Sie alle waren unterschiedlicher Nationalität; im Krankenhaus starben die drei Verletzen; alles wie immer.
Nur drei Straßen weiter lag ein sechsjähriges Mädchen auf einem Bett, nackt. Es war im Hotel B.-Hof. Draußen war es dunkel; das Mädchen war nicht tot, zumindest nicht körperlich. Ein alter Mann kam aus dem Badezimmer heraus, nackt, er machte weiter; alles wie immer.
Im Keller der Herrschaften Akkaquiwa tüftelten zwei Dreißigjährige mit Sprengstoff. Sie träumten von 30 Jungfrauen; im Himmel. Ehre trieb sie an, Übermut und falscher Stolz; alles wie immer.
Darüber stand eine kleine Bar: „Hansis Pub“ stand auf der Tafel. Ein Elfjähriger übergab sich über dem Gully und torkelte nach Hause; in der Bar tranken drei Abteilungsleiter einer Firma um die Wette, sie rauchten und spielten; alles wie immer.
Zu später Stunde sah man den Elfjährigen tot auf der Straße. Er wurde überfahren, der Täter fuhr in Schlangenlinien weiter; er fuhr nach Hause, legte sich zu seiner Frau ins Bett.
Die Abteilungschefs wurden von Landstreichern gesehen. In einer Kleinstraße vergingen sie sich an einer Nutte, um ihr später den Hals aufzuschlitzen; sie fuhren nach Hause; im Bett dachten sie über die Verträge mit den neuen Geschäftskunden nach; alles wie immer.
Vor der Haustüre von Emilie T. wartete schon Klaus S. Er liebte Emilie, er wollte ihr ein einmaliges Geschenk machen: ewige Liebe. Emilie kam. Mit ihr Hermann V.; ihr neuer Freund. Klaus zögerte nicht lange und bescherte sich und seiner Emilie ewige Liebe; im Himmel. Hermann V ließ er – so dachte er es sich – in der Hölle schmoren; Alles wie immer.
Im Krankenhaus starben heute unüblicherweise mehr Menschen als sonst; am Abend ließ der Chef eines Pharma-Konzerns sein neuestes Medikament zurückrufen; Nebenwirkungen unter anderem: Tod. Alles wie immer.
Im Fastfood-Restaurant um die Ecke feierte eine Familie den Geburtstag von Thomas; Er aß sechs Burger, drei Portionen Pommes-Fritte, dazu vier Liter Cola. Seine Eltern waren stolz; alles wie immer.
Kurz vor Zwölf stand Rita auf der Brücke; sie weinte. Ihr kamen die Gedanken: „Soll doch die Welt endlich untergehen.“ Doch dieses Ereignis konnte sie nicht mehr miterleben.
In der Firma E. erhielt Klaus F. eine Abmahnung wegen Mobbing; zusammen mit seinen Kollegen ärgerte er seinen Tischnachbarn Franz F ständig. Klaus war bestürzt, nicht jedoch wegen der Abmahnung, sondern weil er morgen auf eine Beerdigung mußte; Der Betrieb sollte Franz K die letzte Ehre erweisen; alles wie immer.
Klara lebt sein einigen Monaten in einem Haus mit mehreren Frauen und Kindern zusammen. Sie konnte nicht mehr nach Hause; zu gefährlich, sagte die Polizei. Klara lag die meiste Zeit ihres Lebens im Krankenhaus, sie hatte drei Kinder, eines von ihrem Vater, eines von ihrem Onkel und eines von ihrem Ex-Mann; alles wie immer.
Am Autobahnkreuz außerhalb der Stadt fand eine Polizeikontrolle statt. Timo S und seine Freundin Frieda wurden herausgezogen: Sie hatten Drogen dabei; zwar nicht viel, wohl zum Eigenbedarf, doch die Polizei ordnete Großrazzien an. Gleich hinter dem Wagen von Timo S fuhr ein Schwertransporter Richtung Norden; er belieferte den hiesigen Rüstungskonzern; alles wie immer.
In der Vorstadt stritt ein älteres Ehepaar. Das Geld fehlte. Die Frau wußte keinen Ausweg mehr. Als ihr Mann schlief rammte sie ihm ein Messer in den Bauch um sich schließlich noch selbst hinzurichten; alles wie immer.
Zur selben Zeit erhielt der Manager des hiesigen Energiekonzerns ein besonderes Packet: Für stattliche Preise ließ er sich die edelsten Huren kommen, dazu den besten Champagner, Kokain und Kaviar; alles wie immer.
Heinrich weinte. Er lag in seinem Bett, alleine. Er wußte nicht mehr was er tun sollte. Die Einsamkeit, die Depressionen, es fraß ihn auf. Heinrich wohnte im achten Stock eines Hochhauses in der Innenstadt. Er kannte niemanden. Niemand kannte ihn; alles wie immer.
Am See außerhalb der Stadt standen drei Lastwägen. Sie hatten Nahrungsmittel transportiert. Die Preise waren zu niedrig. Das Wasser war aufnahmefähig;
International konnte der Preis für Lebensmittel gehalten werden; alles wie immer.
Richard kam gerade aus seinem Urlaub in Thailand zurück. Er hatte viel gesehen und die Kultur hat ihm besonders gefallen; ja er war so beeindruckt, daß er sich ein Souvenir mitnahm: Su Tsing; 1,50, schlank, braune Haare; alles wie immer.
Und so ging langsam der Tag zu Ende und die Welt nahm ihren Lauf. Die letzten Selbstmörder stürzten sich über die Brücke, die Schlachthäuser wurden gereinigt, auf den Walstätten wurden die Leichen zusammengetragen und die Verwundeten ins Lazarett befördert. Die Energiekonzerne produzierten; die Pharmakonzerne produzierten; die Waffenkonzerne produzierten; die Kriegsplaner produzierten; Alle produzierten, obwohl doch die Menschen schon schliefen. In der Ferne hörte man die Kirchenglocken läuten, ja es war doch alles wie immer; trotzdem ging am nächsten Tag die Welt unter.

H.R.R. v. H.

 

Interessant, eine Geschichte die der Realität sehr nahe liegt.
Ich freue mich auf neue Geschichten.


Boqué

 

Von Hutten schrieb:
Hallo! Dies ist mein erster Artikel bzw. meine erste "Geschichte". Ich weiß nicht ob es sich hier um eine Kurzgeschichte handelt, es ist einfach ein Text, der mir eingefallen ist und den ich eingedenk dieser Internetseite veröffentlichen wollte.
Ich möchte erst einmal alle Benutzer dieses Forums begrüßen und hoffe auf "Feedback" zu dieser "Kurzgeschichte".

Solche Kommentare bitte in ein extra Posting.

 

Boqué schrieb:
Interessant, eine Geschichte die der Realität sehr nahe liegt.
Ich freue mich auf neue Geschichten.


Boqué


Danke für Deinen Kommentar. Freue mich auch schon auf neue Geschichten :D

Gruß

 

Ungewöhnlich im Stil, gefällt mir.
Nach dem Lesen dachte ich: eigentlich muss es nicht mal der Weltuntergang sein.
In Gedanken habe ich die Story auf Hiroshima und andere Schauplätze verlegt wo die Menschen in einem Moment noch ganz normal Leben, im nächsten ausgelöscht werden.
Ich mag Geschichten die nachdenklich machen :)

Zwei Dinge habe ich allerdings noch:

Am See außerhalb der Stadt standen drei Lastwägen.

Lastwagen - auch in der Mehrzahl :) (ausser nach der neuen Rechtschreibung wäre das jetzt anders, weis ich aber nicht)

Und:

Was sind Walstätten?

Fehlt da ein h?


.... jaddi

 

trotzdem ging am nächsten Tag die Welt unter.
Wenn du hier auch noch ein "alles wie immer" angehängt hättest, hätte ich dir die Tastatur weggenommen.

Nein, im Ernst, nach dem dritten "alles wie immer" war das Experiment erkannt und es folgten nur noch Wiederholungen von Schlagzeilen, Schlaglichter der dunklen Seite unserer westlichen Wohlstandsgesellschaft.

Ein nettes Experiment, leider etwas arg plakativ umgesetzt, wobei die heutigen Nachrichtensendungen, (News - kürzer, dadurch schneller), ja im gleichen Muster über den Sender gehen.

Unlogisch: Du hüpfst im Text frisch fröhlich in den Zeiten herum, aber dann geht der Tag zu Ende.

Der Schluss bietet nichts überraschendes, im Gegenteil, es ist einfach zu Ende, weil die Welt untergeht.

Lieben Gruss ./

 

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