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Die Linien im Wasser

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28.12.2009
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Die Linien im Wasser

Das Jahr war 1969. Nach einem schneereichen Winterbeginn veränderte sich Anfang Februar das Wetter. Warme, feuchte Luft brachte Dauerregen. Das große Tauen begann.

Ich träumte. Ich lag auf kaltem, feuchten Grund, es war dunkel, über mir der Himmel. Den Griff spürte ich zuerst im Nacken - große, grobe Finger, die kräftig zupackten und mich in die Dunkelheit schleiften, in eine absolute, tiefe Schwärze, von der ich ahnte, dass sie der Tod war, das Ende.

Als ich die Augen aufschlug, saß mein Großvater auf der Bettkante. Die Wärme seiner Hand, die ausgestreckt und schwer auf meiner Brust lag. Ich öffnete den Mund, aber mein Puls schlug so heftig gegen die Kehle, dass ich nicht sprechen konnte. Für einen Moment schloss ich wieder die Augen, schmeckte die kalte, feuchte Luft, die durch die geöffneten Fenster hereinwehte. Mein Großvater stand auf und blieb in der Tür stehen.
„Zieh dich an und komm nach unten.“

Alle Lichter im Haus brannten. Ich ging die Treppe hinunter, hörte Motorengeräusche und lautes Stimmengewirr von draußen; das gesamte Viertel schien in Bewegung zu sein. Mein Vater stand am Küchentisch und drehte die Griffe von seinen Walther-Taschenlampen, um sie mit neuen Batterien zu beladen. Er trug Wathosen, darüber eine Windjacke, die Haare standen ihm in dünnen, wirren Strähnen vom Kopf ab. Als er mich sah, nickte er und reichte mir eine der Lampen.
„Hier“, sagte er und zeigte auf das Regal in der Diele. „Und nimm dir meine Gummistiefel.“
„Was ist denn los?“
Ich habe seinen Blick bis heute nicht vergessen.
„Komm jetzt.“

In der Diele zog ich mir Jacke und Gummistiefel an. Die Stiefel waren in Frankreich von Hand gefertigt worden, mein Vater hatte sie sich extra für die Jagd zugelegt. Die Stiefel schmiegten sich eng um den Fuß, waren gerade schwer genug, um darin nicht den Stand zu verlieren.

Nachbarn standen auf der Straße, vor ihren Häusern. Sie sprachen aufgeregt miteinander, manche noch in ihren Morgenmänteln. Mein Großvater saß hinterm Steuer seines alten Taunus und öffnete mir die Beifahrertür.
„Der Damm“, sagte er und nahm einen tiefen Zug aus der Zigarette. „Das Wasser ist gekommen.“
Ich stieg auf den Rücksitz. Neben mir die Kiste mit den Sachen meines Vaters, die er für die rote Arbeit benötigte: Edelstahlhaken, Gekrösemesser, ordentlich zusammengelegte Seile und Karabiner. Im Fußraum lagen auseinandergeschraubte Teile von Angelruten, Rollen und die alte Köderbox aus blassgrünem Metall. Ich betrachtete diese Gegenstände, sie schienen sich verändert zu haben, wirkten seltsam neu, als sähe ich sie zum allerersten Mal.
„Hast du gehört, was ich gesagt habe?“
Ich hob den Kopf, blickte aus dem Seitenfenster, sah meinen Vater, wie er die Einfahrt herunterrannte.
„Ja“, sagte ich leise, und dann noch einmal: „Ja.“
Mein Vater ließ sich auf den Beifahrersitz fallen, ein großer, schwerer Mann, und da kam dieser Geruch mit ihm, der über die Jahre in das Material seiner Hose eingedrungen war. Nach Schlick, vertrockneten Algen, den Innereien gefangener Fische.

Wir fuhren bis zur großen Kreuzung. Die beleuchtete Uhr auf der Litfaßsäule zeigte 4:40. Weiter, vorbei an leeren Feldern, die Remisen und Scheunen grau und verlassen vor langsam heller werdendem Himmel. Die Wälder am Rande der Flur lagen noch im Halbdunkel, unberührt von allem. Das Tal sah ich in dieser Nacht das erste Mal, als wir über den Grat der Ville fuhren: eine geschlossene Fläche, die im Mondlicht schimmerte wie nasses Silber. Mein Großvater atmete aus, ein leises, hohes Pfeifen, die Zigarette hing immer noch in seinem Mundwinkel, die Glut längst erloschen.
„Der ganze Schnee und dann zu heiß“, sagte mein Vater. „Mitte April fünfunddreißig, fast vierzig Grad.“
Mein Großvater fuhr auf der schmalen, nicht asphaltierten Straße langsamer, schaltete das Fernlicht ein. Aus der Dämmerung vor uns sollte sich das Viadukt erheben. Nur die oberste Furt lag noch frei. Bogen und Tragwerk waren vollständig vom Wasser bedeckt.
Mein Vater lehnte sich im Sitz zurück, sein Kopf sank gegen die Stütze. „Der Steg ist überflutet …“
„Sind wir wegen dem Boot hier?“, fragte ich.
Mein Großvater schüttelte den Kopf. „Nein, nicht wegen dem Boot, wir sind nicht wegen dem Boot hier.“
„Der Regen, und dann hat irgendwas mit der Drainage nicht funktioniert.“ Mein Vater drehte sich zu mir, sein Gesicht weiß und hell über der Mittelkonsole. „Es gab eine Flutwelle, unten im Tal, eine große Flutwelle … und, du weißt doch, was das bedeutet, oder? Das weißt du doch?“
Ich nickte.
„Gut“, sagte er. „Dann ist ja gut.“

Mein Großvater wendete. Er behielt das gleiche Tempo bei, vielleicht 40 Stundenkilometer, die Karosserie vibrierte wegen der untertourigen Drehzahl, und als die Steigung zunahm und wir fast den höchsten Punkt der Ville erreicht hatten, soff der Motor ab. Ein kurzer, harter Ruck, danach erloschen die Scheinwerfer und der Wagen blieb stehen. Im nächsten Augenblick stieg ein Schwarm Rabenkrähen von einem der Felder auf. Ich hörte ihr Kra Kra über der Ebene verhallen, dann die kräftigen, schnellen Flügelschläge. Der Schwarm flog über das Dach hinweg und löste sich in kleine, schwarze Punkte am Himmel auf.
„Fahr runter ins Südend“, sagte mein Vater. „Die Feuerwehr schafft es nicht ins Tal, keiner von denen kennt sich da aus.“
Mein Großvater nickte und ließ den Motor an.

Eine eigenartige Stille lag über allem. Der Klang des Atmens so nah, als käme er aus der Mitte des Schädels. Das Geräusch des Motors monoton und wie gedämpft. Die Stimmen meines Vaters, meines Großvaters, die über Hohlräume an der Absperranlage und über ein Abrutschen der Dammwand sprachen, leise und weit entfernt.

Beide Männer verdienten ihren Lebensunterhalt seit jeher mit schwerem Gerät. Sie fuhren Sattelzüge, Tieflader, Spezialfahrzeuge für Langmaterial, bedienten Kräne, Betonmischer und Hublader. Kleine Kinder kamen zum Betriebshof der Familie, blieben vor dem Sicherheitszaun stehen, um ehrfürchtig die großen, mächtigen Maschinen dahinter zu bestaunen. Jede Unze davon gehört uns, sagte mein Vater immer, darauf war er stolz.

Das Südend war der niedrigste Punkt der Ville, eine weitläufige Trasse, die sich längs um den Hang erstreckte. Dort gab es die damals übliche, kleinteilige Landwirtschaft - Teppiche aus Feldern, Obstbaumwiesen und Totholzhecken. Wir fuhren den Höhenkamm entlang, auf einer einspurigen Straße voller Schlaglöcher. Über den Baumkronen dichter, weißer Nebel, bis sich schließlich das Tal öffnete, und wir über eine große, gerodete Fläche bis auf die Sohle blicken konnten. Kudekoven. Aldenrode. Vorselaer. Dörfer, Kerne der Besiedlung seit Jahrhunderten, verbunden durch Glauben, Sprache, Blut und Arbeit. Eine Ebene, so gelb wie Sand, keine Erhebung, Vertiefung, kein Gebäude, keine Straße.
„Mein Gott“, flüsterte mein Vater.

Hinter der nächsten Kurve stand ein Kleinlöschfahrzeug, Scheinwerfer und Blaulicht eingeschaltet, dahinter mehrere PKW, manche mit laufendem Motor. Abgase stiegen in dichten Schwaden in die Dämmerung. Menschen gingen auf der Fahrbahn auf und ab, lehnten an der Leitplanke, starrten ins Leere. Mein Großvater hielt am Straßenrand, stieg mit einem Ächzen aus dem Wagen und klopfte gegen die Seitenscheibe.
„Du bleibst sitzen.“
Mein Vater stieg ebenfalls aus. Dann gingen beide Männer zum Löschfahrzeug hinüber, die Hände tief in den Taschen ihrer Jacken vergraben. Ich erkannte einige Gesichter in der Menge wieder – der pensionierte Polizist, den wir alle Willi nannten und der in einer der besseren Straßen im Viertel wohnte. Dann Dr. Hammer, der Tierarzt, der sich um das Vieh der Bauern und nur selten um Hunde oder Katzen kümmerte. Es war mein Vater, der mit diesen Männern sprach, seine Gesten heftig und eindringlich. Großvater stand schweigend neben ihm, nickte ab und an mit dem Kopf, und da fiel mir die große Ähnlichkeit zwischen den beiden auf - wie sich ihre Gesichtszüge glichen, die wulstigen Brauen, der kleine Mund mit den schmalen Lippen, der immer aufrechte, gerade Oberkörper, eine Haltung, die Strenge und Härte ausstrahlte. Dann stoppte die Unterredung. Die Männer sahen alle gleichzeitig zum Wagen herüber, und ich hörte, wie mein Vater sagte: „Er ist alt genug.“ Nein, das stimmt nicht, ich hörte die Worte nicht, ich sah nur, wie sein Mund sie formte.

Als mein Großvater die Fahrertür aufzog, wehte eiskalte Luft in den Wagen und ich zog den Reißverschluss meiner Jacke zu. Für einen langen Moment betrachtete er mich, die Stirn in tiefen Falten, die Lider aufgequollen.
„Wie alt bist du?“
„Vierzehn.“
Er setzte sich hinter das Steuer. „Wir suchen“, sagte er und ließ den Motor an. „Wir fahren runter, bis es nicht mehr geht, dann sehen wir weiter.“
„Und was macht Vater?“ Er stand immer noch bei den Männern, sie sprachen miteinander, aber etwas hatte sich verändert, es herrschte Aufregung, Angst.
„Wir brauchen ein Boot“, war alles, was Großvater noch sagte. Danach legte er mir eine Hand aufs Knie und deutete mit einem Kopfnicken auf den Beifahrersitz.

Wir fuhren schweigend. Mein Großvater lenkte einhändig, kurbelte das Seitenfenster herunter, nahm ab dem Gefälle den Gang heraus. „Ich habe das immer schon gewusst“, sagt er und blickte kurz zu mir herüber. „Unten im Tal, um keinen Preis der Welt.“ Er hatte beim Bau des Damms mitgearbeitet, Grauwacke für die Schüttung aus den umliegenden Gemarkungen transportiert. Das war Jahrzehnte her. Ich beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. Er war kein großer Mann. Nicht sonderlich muskulös, mit kurzen Beinen und einem Bauch, der schon über dem Gürtel hing. Doch da war eine Sache, die ihn von anderen Männern unterschied. Seine Hände waren breit, mit Narben übersät, die Knöchel rau und weiß, unter der dicken, ledrigen Haut seiner Finger bewegten sich fortwährend Sehnen und Muskelstränge.

Hinter der nächsten Kurve stand ein Brandfuchs auf einem auseinandergefallenen Holzpolter. Die schmalen Raubtieraugen reflektierten das Scheinwerferlicht, Kehle und Bauch so dunkel wie Asche. Er stand reglos da, mit ausdruckslosem Blick, Fang in den Wind gerichtet, Läufe voller Schlamm. Da war dieser Geruch, den ich bis heute nicht vergessen kann: nach kalkhaltiger Erde, die das Wasser aus den tief liegenden Sedimenten gewaschen hatte, sauer und beißend. Wir atmeten ihn ein, mit ihm die Geschichten, die nie erzählt werden würden.

Bald darauf war die Straße nicht mehr passierbar - Schlamm hatte die Fahrbahn überflutet, eine tonnenschwere Decke, die über dem Asphalt lag. Aus der Masse ragten entwurzelte Bäume, Verkehrsschilder, Teile von Dächern. Die Lamellen eines Garagentors bewegten sich im Wind knarzend hin und her.
„Hast du deine Taschenlampe?“
„Ja“, sagte ich und holte die Walther aus der Innentasche meiner Jacke. Mein Großvater hielt auf der Fahrbahn und schaltete die Warnblinkanlage ein. „Lass mich vorgehen.“
Er stieg aus, schaltete seine Taschenlampe ein, der Lichtkegel wanderte langsam über den Asphalt. Nach ein paar Schritten blieb er stehen und hob einen langen, gerade gewachsenen Ast vom Boden auf. Damit stach er in die Schlammdecke, überprüfte die Trittfestigkeit, dann winkte er mir mit der Taschenlampe.

Ich ließ die Beifahrertür offen und schaltete meine Taschenlampe ein. Das Licht war gleißend, zeigte jeden abgerissenen Grashalm, jeden Kiesel, deutlich und scharf wie auf einer guten Photographie. Grobkörniger Dampf setzte sich vom Boden ab. Die Gummistiefel versanken nach den ersten Schritten bis zum Knöchel.
„Du gehst nur da, wo ich auch gehe, verstanden?“ Mein Großvater hielt den Stock in einer Hand, in der anderen die Taschenlampe.
„Nach was suchen wir?“
„Nach allem.“ Er blieb stehen, bewegte den Lichtkegel seiner Taschenlampe langsam und kreisförmig, verharrte einen Moment. „Einfach nach allem.“
Ich folgte seinen Spuren, Schritt für Schritt. Aus dem steilen Abhang, der das Südend begrenzt hatte, war ein flach abfallender Hügel geworden. Die Flutwelle hatte auf dem Weg ins Tal ein natürliches Becken passiert, dort seine größte Wucht verloren, doch die Schlammmassen hatten sich weiter vorwärts geschoben und alles unter sich begraben. Wir näherten uns von den Rändern, mein Großvater immer vor mir, unsere zwei Lichtkegel erhellten die Umgebung. Ein Telegrafenmast lag quer vor uns, die Isolatoren schwangen frei. „Nicht anfassen“, sagte mein Großvater und zeigte auf den grün schimmernden Holzstamm. „Giftig.“ Dann blieb er stehen, um mit der Taschenlampe über die Ebene zu leuchten. Tiefe, mit Wasser und Schlamm gefüllte Trassen durchzogen die Talsohle, überall Anhäufungen von Dingen, deren Form und Zweck fast nicht mehr wiederzuerkennen war; zerdrückt, verbogen, zerstört. Die Dachhälfte einer Scheune schwamm obenauf, Teile von Fahrrädern, Eisenstangen und Mülltonnen bildeten eine Insel, Fensterrahmen, von den Polen gerissene Briefkästen und Blumenkästen eine andere, überzogen mit einer Schicht aus Erde und Schlamm, Heu, Gras und Steinen. Dazwischen entwurzelte Bäume, Kiefern mit langen Stämmen, wie nebeneinanderliege Rippen, unterbrochen von Furten, in denen Wasser stand.

Ein Raunen kam von weiter hinten. Mein Großvater sah auf, lauschte einen Moment in die Dunkelheit und richtete den Strahl seiner Taschenlampe aus. Ich folgte dem Lichtkegel, der langsam über die Kiefern wanderte. Die Kuh lag auf einem der Stämme, der Hals durchbohrt von einem armdicken Ast, aber da war kaum Blut, nur ein schwaches Rinnsal im weißen Teil des Fells. Die Zunge hing ihr aus dem Maul, angeschwollen und dunkel glänzend, und immer wieder die Laute aus den Tiefen der Kehle – ein ersticktes Grölen, vor Erschöpfung ganz rau, unterbrochen vom Geräusch des Atemholens. Die feuchten Nüstern vibrierten bei jedem Zug, der Pansen und ein Teil des Labmagens lagen vor ihr im Dreck. Mein Großvater zeigte auf ein langes Stück Wellblech, das unterhalb des Bugs in ihren massigen Körper eingedrungen war und die Dünnung aufgerissen hatte. Der Bauchlappen hing lose über dem Metall, gelbgraue Organe quollen aus der Öffnung.
„Halt deine Lampe hier hin“, sagte mein Großvater und zeigte mir die Richtung an, „und dann sieh weg.“
Die Kuh senkte den Kopf, als das grelle Licht sie traf, die Augen schon matt und starr. Mein Großvater räusperte sich, atmete langsam und lange aus. Als er seine Messerscheide öffnete, hörte ich ein leises Klicken und drehte den Kopf weg. Der gegenüberliegende Hang lag hinter einem Schleier aus dichtem Nebel, und da waren Lichter, Lichter, die sich bewegten.

Es war, als wäre die Luft mit einem Mal dünn geworden, schwer zu atmen. Mein Herz schlug hart gegen die Brust, mir wurde schwindelig, da war ein Rauschen in meinen Ohren, und dann herrschte Stille. Ich wusste, was diese Stille bedeutete. Mein Großvater stand breitbeinig über eine Trift gebeugt und reinigte sein Messer im trüben Wasser. „Komm weiter“, sagte er, und ich folgte ihm schweigend, achtete auf die Abdrücke seiner Schuhsohlen, ich sah mich nicht mehr um.

Stehengebliebene Wände von Scheunen, Häusern, die umliegenden Mauern fortgerissen, Steine, Wurzeln, Erdreich, dichte Schaumflocken vom aufgetriebenen Wasser, und wir gehen Schritt für Schritt, nichts passiert. Die Luft wird kälter, der Wind schneidet mir ins Gesicht, am Horizont Lichter, kreisrund und hell, die Corona dehnt sich hinter dem Nebel aus, eine Kette aus Licht. Und da stehen wir, vor dieser grauen Einöde, die so endlos scheint, Schlamm und noch mehr Schlamm, der Schein des Mondes zieht sich bis zur Stirnseite des Tals, der Damm thront über allem, eine Kraft für sich, wir so klein, am Ende einer Kette von Ereignissen angelangt. Aufsteigender Dampf, die Dinge ihres Zwecks entledigt, Ruinen ohne Funktion, über allem der Geruch von Heu und Kanalisation, Dung und Nadelhölzern. Endloses Waten durch die Elemente, durch die Stille. Dann Stimmen aus dem Nichts, weit entfernt, Flüstern aus dem Nebel, langsam näher kommend, doch ich weiß, mir kann nichts geschehen, denn alles ist bereits geschehen.

Blaugraues, klares Wasser, nur eine dünne Schicht Schlick treibt dicht unter der Oberfläche, die Lichter kommen näher, blenden mich, das kalte, grelle Licht schmerzt in meinen Augen, alles löst sich in einem pulsierenden Weiß auf, irgendwann ist da mein Vater, er legt seine Hand auf meine Schulter, das ist sein Geruch, ich erkenne ihn am Geruch, Algen und Fischgedärme und Schweiß, es musste mein Vater sein.

Sie waren von der anderen Seite des Tals gekommen, hatten das Absperrbauwerk hinter sich gelassen, mit Booten der DLRG die überfluteten Dörfer durchkämmt. Ich starrte auf das Wasser, das vor uns lag - da waren Linien in der Tiefe, lange Geraden, so gleichmäßig, als wären sie mit sicherer Hand gezeichnet worden. Sie wurden von dunklen Bereichen unterbrochen, von großen, rechteckigen Formen mit scharfen Kanten. Die Krone einer Tanne ragte aus dem Wasser, ich streckte meine Hand aus, ließ sie an den Zweigen vorbeigleiten, die Stiche der Nadeln ein vertrautes Gefühl. Ein schwaches, kaum wahrnehmbares Glitzern kurz über der Wasseroberfläche. „Wir haben jemanden gefunden“, sagte mein Vater, seine Hand lag immer noch auf meiner Schulter, und während er sprach, wurde sein Griff fester und drängender. Es war die Art, wie er mich ansah. Er sah mich so an, wie er die anderen Männer angesehen hatte. Als gäbe es einen Bund zwischen ihnen, als wären sie Teil einer großen, gemeinsamen Sache. Das Geräusch der Außenbordmotoren; dumpfes, weit entferntes Brodeln. Es wurde langsam hell. Die Vögel sangen bereits.

Im lichteren Teil des Waldes, am Rand des Tals, bemerkte ich eine Bewegung zwischen den Bäumen. Etwas Helles flatterte zwischen den Ästen im Wind. Ich beschirmte meine Augen. Die Männer blieben abseits stehen, redeten in gedämpfter Lautstärke miteinander. Sie warteten auf weitere Hilfe, auf mehr Boote. Jemand sprach von einem Einsatz der Bundeswehr. Meine Schritte knirschten im verkrusteten Schlamm. Da war Spannung in mir, ich konnte die Muskeln spüren, wie Sehnen über Knochen rieben.

Ein Rascheln im Gebüsch. Zwei, drei, vier Krähen erhoben sich, ich hörte ihre Flügelschläge über mir, dann verschwanden sie aus meinem Blickfeld. Seine Haut war glatt wie ein Stein aus dem Fluss, ganz weiß, da war nur eine dünne, blaue Ader neben der Schläfe. Ein Strampler aus gestreifter Wolle, in dem sich ein paar Laubblätter verfangen hatten. Die Augen offen, ich blickte in starre, dunkle Pupillen und wollte meine Hand ausstrecken, um es zu berühren.
„Was ist da?“, fragte mein Vater und blieb neben mir stehen. „Ist da was?“
Ich ließ meine Hand sinken. Er nickte. Sein Atem dampfte.
„Das ist nichts", sagte er. „Komm weiter. Wir sammeln uns am Südend.“

In dieser Nacht verloren über dreihundert Menschen ihr Leben. Die Flutwelle überraschte sie in ihren Betten, und ich stelle mir vor, dass sie träumten, als das Wasser kam.
Unter den siebenundzwanzig Personen, die lebend im Tal geborgen wurden, befand sich ein achtundachtzigjähriger Mann, der letzte Stellmacher der Gegend. Seine drei Söhne hatte er in den Weltkriegen verloren und kannte den Tod. Trotzdem war er sich sicher, dass man seine vermisste Frau noch in den Trümmern finden würde. Als sie ihn aus dem Schlamm zogen, da habe er einen Distelfink am Himmel fliegen sehen, sagte er, und das bedeute Hoffnung. Am Morgen des nächstens Tages schlug einer der Hunde an. Sie fanden die Frau mit gebrochenem Schlüsselbein unter einer eingestürzten Häuserhälfte. Noch Monate später hörte ich die Geräusche der Staumauer – ein dunkles Knirschen, Stein auf Stein, sich biegendes Metall.

Eine Woche später tauchte ein Mann aus der Stadt vor unserer Einfahrt auf. Ich erkannte ihn an der Aktentasche aus Glattleder, die er in den Händen trug und an dem weißen Diplomat, den er auf der gegenüberliegenden Straßenseite parkte. Er stieg aus und wartete am Holztor, bis mein Vater ihn heranwinkte. Es war ein sonniger Tag. Wir hatten gerade das Fundament für einen neuen Räucherofen gelegt. Mein Vater schabte eine Kelle Spies aus dem Eimer, der vor ihm auf dem Boden stand. Der Mann blieb auf halbem Weg stehen. Dann öffnete mein Großvater die Haustür und trat auf die Veranda. Er hielt einen Becher Kaffee in der Hand, im Mundwinkel seine Savinelli.
„Ich weiß, wer Sie sind“, sagte mein Vater und legte einen Stein passgenau auf den anderen.
Der Mann nickte.
„Also was wollen Sie?“
„Nicht jeder hätte das gemacht“, sagte der Mann. „Einfach da raus …“
Mein Vater antwortete nicht.
„Dazu gehört `ne ganze Menge Mut, und …
„Mögen Sie gerne Fisch?“, unterbrach ihn mein Vater.
Der Mann legte die Stirn in Falten. „Was?“
„Wir alle hier mögen Fisch, die ganze Familie, Frau, Sohn, der Vatter … besonders Meerforellen, kann man unten an der Sieg gut angeln, wenn man genug gefangen hat, hängt man sie in einen Räucherofen …“ Er tippte mit der Kelle auf die kniehohe Mauer.
„Und danach `nen eiskalten Bismarck.“ Der Mann lächelte, aber mein Vater schüttelte den Kopf. „Nein, seit Jahren keinen Tropfen mehr angerührt.“
Sie sahen sich für einen Moment lang schweigend an, dann lehnte sich der Mann über die Mauer und sagte: „Sie wissen doch, wie das läuft. Wenn so was passiert, sucht die Öffentlichkeit sich einen Schuldigen, auch wenn es ein Unglück war …“
„Das war kein Unglück.“ Mein Großvater nahm die Pfeife aus dem Mund und stellte den Becher auf einen der Steine. „Sie wussten, das Material taugt nichts, zu nass, zu weich, Schüttung zu hoch. Frage der Zeit, bis das rutscht, hab ich schon immer gesagt.“
„Unsere Gutachter werden das eingehend prüfen, und ungeachtet der Ergebnisse werden wir natürlich die volle Verantwortung übernehmen.“
„Wenn Sie Verantwortung übernommen hätten“, sagte mein Vater, „wären diese Menschen jetzt nicht tot.“
„Wir wissen, was Sie geleistet haben, und, lassen Sie es mich so ausdrücken, wir würden uns gerne erkenntlich zeigen …“ Er umfasste die Seiten des Koffers mit beiden Händen und hob ihn auf Brusthöhe.
„Wag es nicht“, sagte mein Großvater. „Wag es ja nicht.“
Der Mann ignorierte ihn, nickte stattdessen meinem Vater zu und öffnete seinen Mund, um etwas zu sagen, den Koffer immer noch in den Händen.

Ich hörte das scharfe Zischen, spürte die Bewegung in der Luft. Der Koffer fiel hin, der Mann fasste sich verwirrt ins Gesicht, und mein Großvater schlug noch einmal zu, die Hand diesmal zur Faust geballt. Der Mann wankte, Blut rann ihm über die Finger, seine Knie wurden weich, er verlor das Gleichgewicht, glitt zu Boden, der Kopf neben dem Koffer im feuchten Dreck.
„Das reicht“, sagte mein Vater. „Der hat genug.“ Er bückte sich, um den Koffer aufzuheben, fuhr mit dem Daumen langsam über das vergoldete Zahlenschloss. „Nehmen Sie ihren Koffer und dann verschwinden Sie.“

In der Küche saß mein Großvater am langen Tischende und legte sich Eiswürfel auf die Knöchel. Meine Mutter sah aus dem Fenster auf die Einfahrt. „Wir hätten das Geld gut gebrauchen können“, sagte sie.
Mein Vater schüttelte den Kopf. „Schmutzig, und wenn du `s einmal genommen hast ...“
Mein Großvater nahm einen der Eiswürfel in den Mund, zerbiss ihn, kaute und sprach gleichzeitig weiter. „Darum geht’s, dass wir schön den Mund halten, die wissen ganz genau, was Sache ist ... ist alles eine Mischpoke da oben, die haben schön geschachert damals und beim Bau `ne Menge Geld verdient."
„Weißt du, was mit den anderen ist?“, fragte meine Mutter. „Hat einer von denen das Geld genommen?“
„Das hat uns nicht zu interessieren.“ Mein Vater zuckte mit der Schulter. „Was die anderen machen, ist denen ihre Sache.“
Meine Mutter wischte sich die Hände an einem Küchentuch ab. Sie nahm ihren Blick nicht von der Einfahrt. „Die Schmier dürfte jeden Moment hier sein.“

Aber die Schmier kam nicht. Auch von dem Mann mit dem Koffer hörten wir nie wieder etwas. Wir mauerten den Räucherofen fertig, fingen Forellen und Aale. Der Sommer ging, der Winter kam. Die Toten wurden beerdigt. Die Dörfer wieder aufgebaut. Keiner sprach über schlechtes Material. Keiner sprach mehr über Verantwortung. Die Reste der Talsperre stehen noch heute. Ich denke nicht mehr an den ertrunkenen Säugling. Erst Jahre später verstand ich, dass die Linien im Wasser Straßen und die dunklen Rechtecke die Umrisse der Häuser gewesen waren. Tief unten, eine stille, versunkene Welt. Mein Großvater ist längst gestorben, mein Vater ist jetzt so alt wie er es damals gewesen ist. Manchmal gehen wir noch gemeinsam auf die Jagd, aber ich spüre, wie müde er geworden ist. Einmal hat er mich gefragt, ob er das Geld hätte nehmen sollen. Nein, habe ich gesagt. Du hast alles richtig gemacht, aber er schüttelte den Kopf. Wir haben alles richtig gemacht, sagte er dann. Danach hat er nie wieder über diese Nacht gesprochen.

 

Guten Abend @jimmysalaryman,

meiner Einschätzung nach zeichnest du hier das Porträt von vermeintlich "einfachen" Leuten, die Verantwortung übernehmen und Leben retten. Sie zeichnen sich als Helden aus. Auf der gegenüberliegenden Seite steht der Geschäftsmann mit dem weißen Diplomat, der Geld über Menschenleben stellt.
Ich habe deinen Text zweimal gelesen und er entwickelt einen starken Sog auf mich, da du erst nach und nach mehr Informationen preisgibst. Darüber hinaus verwendest du sehr spezifische Worte, die dafür sorgen, dass die Geschichte realistisch wird. Jedoch musste ich einige Wörter nachschlagen und bin so etwas aus dem Lesefluss gekommen. So viel zu meinem Leseeindruck, auf den ich jetzt in der Textarbeit eingehen werde:

Das große Tauen begann.
Ich habe mich erst gefragt, ob diese Einleitung notwendig ist, oder ob ich es schöner gefunden hätte, wenn es mittendrin starten würde. Beim zweiten Lesen kann ich dann aber klar sagen, dass es für mich ein logischer Startpunkt ist. Denn davon ausgehend entfaltet sich die gesamte Geschichte, dieses Ereignis ist dann der Auslöser für den weiteren Handlungsverlauf.

„Was ist passiert?“
Mein Großvater blieb in der Tür stehen und drehte sich um. „Zieh dich an und komm nach unten.“
Das meinte ich oben damit, dass du die Informationen erst nach und nach preisgibst. Für mich hat das gut funktioniert, weil ich wissen wollte, was denn da genau vorgefallen ist. Das war maßgeblich für den Sog, der entstanden ist.

Er trug Wathosen, darüber eine Windjacke, die Haare standen ihm in dünnen, wirren Strähnen vom Kopf ab.
Das meinte ich mit der spezifischen Sprache. Nachdem ich Wathosen nachgeschlagen hatte, war das Bild glasklar. Ich hatte den Eindruck als Leser, dass du dich in dieser Welt genau auskennst und ich dir da voll vertrauen kann.

Ich habe seinen Blick bis heute nicht vergessen. Er wusste, diese Dinge würden bleiben.
„Komm jetzt.“
Das hat den Sog ungemein verstärkt! Finde ich eine ausgesprochen gelungene Stelle.

Das Tal sah ich in dieser Nacht das erste Mal, als wir über den Grat der Ville fuhren: eine geschlossene Fläche, die im Mondlicht schimmerte wie nasses Silber.
Ich hatte mit dieser Stelle beim ersten Lesen meine Schwierigkeiten. "Grat der Ville" konnte ich nicht direkt zuordnen. Ist das ein Eigenname? Handelt es sich da um einen französischen Ausdruck, den ich nicht verstehe? Habe dann Ville nachgeschaut und dann ist es klar geworden und dann hat das auch mit dem Tal für mich Sinn ergeben. Bin allerdings beim ersten Lesen über Ville gestolpert.

„Sind wir wegen dem Boot hier?“, fragte ich.
Mein Großvater schloss die Augen. „Nein, nicht wegen dem Boot, wir sind nicht wegen dem Boot hier.“
Die Stimmen meines Vaters, meines Großvaters, die über Hohlräume an der Absperranlage und über ein Abrutschen der Dammwand sprachen, nicht mehr als ein undeutliches Murmeln.
Ich möchte diese beiden Stellen hervorheben, weil sie sehr gut zeigen, wie du ganz behutsam Informationen enthüllst, aber nie so viel, dass ich direkt das ganze Bild vor mir habe. Das zieht sich durch deinen Text und hatte auf mich den Effekt, dass ich unbedingt weiterlesen wollte und das auch getan habe.

Beide Männer verdienten ihren Lebensunterhalt seit jeher mit schwerem Gerät. Sie fuhren Sattelzüge, Tieflader, Spezialfahrzeuge für Langmaterial, bedienten Kräne, Betonmischer und Hublader. Kleine Kinder kamen zum Betriebshof der Familie, blieben vor dem Sicherheitszaun stehen, um ehrfürchtig die großen, mächtigen Maschinen dahinter zu bestaunen. Jede Unze davon gehört uns, sagte mein Vater immer, darauf war er stolz. Sie liehen sich niemals Geld von der Bank. Sie arbeiteten hart, zahlten in bar und hatten bei keinem Schulden.
Du zeichnest sie als Männer, die im Vergleich zu Unternehmern eher als "einfach" bezeichnet werden könnten. Sie verrichten schwere Arbeit, auch körperlich und sind stolz auf ihre ehrliche und harte Arbeit. Ich finde das eine zentrale Passage für die Charakterisierung des Vaters und des Großvaters. Damit bereitest du dann auch schon die Stelle mit der Bestechungsszene vor.

Mein Großvater stand schweigend neben ihm, nickte ab und an mit dem Kopf, und da fiel mir die große Ähnlichkeit zwischen den beiden auf - wie sich ihre Gesichtszüge glichen, die wulstigen Brauen, der kleine Mund mit den schmalen Lippen, der immer aufrechte, gerade Oberkörper, eine Haltung, die Strenge und Härte ausstrahlte.
Es handelt sich um aufrechte Männer, die ihr Geld auf eine ehrlich Art und Weise verdienen, nicht ausschließlich auf den eigenen Vorteil bedacht.

„Ich habe das immer schon gewusst“, sagt er und blickte kurz zu mir herüber. „Unten im Tal, um keinen Preis der Welt.“ Er hatte beim Bau des Damms mitgearbeitet, Grauwacke für die Schüttung aus den umliegenden Gemarkungen transportiert. Das war Jahrzehnte her gewesen.
Hier die Andeutung, die beim zweiten Lesen noch klarer herausgekommen ist. Finde ich stark gemacht. Du bindest mir das als Leser nicht direkt auf, sondern ich baue mir nach und nach das ganze Bild zusammen und so wirkt es noch stärker und auch erschreckender.

Doch da war eine Sache, die ihn von allen anderen Männern unterschied. Seine Hände waren breit, mit Narben übersät, die Knöchel rau und weiß, unter der dicken, ledrigen Haut seiner Finger bewegten sich fortwährend Sehnen und Muskelstränge.
Finde ich eine gelungene Beschreibung. Da steckt für mich auch drin, dass es eben nicht das einfach und bequeme Leben eines Bürojobs beinhaltet, sondern sehr wohl fordert dieses Leben ihm einiges ab.

Die Lamellen eines durch die Wucht gefalteten Garagentor bewegte sich im Wind knarzend hin und her.
Beim ersten Lesen bin ich hier gestolpert. Wenn ich es richtig verstehe, dann müsste es "durch die Wucht gefalteten Garagentors bewegten sich im Wind" heißen, oder? Denn die Lamellen bewegen sich im Wind oder habe ich das falsch verstanden?
Ansonsten finde ich, dass dir hier mit wenigen Worten, sehr viel gelingt und das zur Atmosphäre der Geschichte beiträgt. Gekennzeichnet ist diese Atmosphäre durch den Rahmen, dass diese "Dinge bleiben werden" und etwas ganz Grässliches passiert ist.

Nach ein paar Schritten blieb er stehen und hob einen langen, gerade gewachsenen Ast vom Boden auf. Damit stach er in die Schlammdecke, überprüfte die Trittfestigkeit, dann winkte er mir mit der Taschenlampe.
Das verdeutlich für mich, dass er sich genau auskennt. Er ist ein Experte auf seinem Gebiet, weiß worauf es ankommt.

Die Flutwelle hatte auf dem Weg ins Tal ein natürliches Becken passiert, dort seine größte Wucht verloren, doch die Schlammmassen hatten sich weiter vorwärts geschoben und alles unter sich begraben.
Ein bedrückendes Bild, die Schlammassen, vor denen es kein Entkommen gibt.

Mein Großvater zeigte auf ein langes Stück Wellblech, das unterhalb des Bugs in ihren massigen Körper eingedrungen war und die Dünnung aufgerissen hatte. Der Bauchlappen hing lose über dem Metall, gelbgraue Organe quollen aus der Öffnung.
Ich kannte das Wort "Dünnung" nicht, finde es hier allerdings gut, dass du im nächsten Satz dann Bauchlappen sagst. So erschließt es sich durch den Kontext.

„Halt deine Lampe hier hin“, sagte mein Großvater und zeigte mir die Richtung an, „und dann sieh weg.“
Die Kuh senkte den Kopf, als das grelle Licht sie traf, die Augen schon matt und starr. Mein Großvater räusperte sich, atmete langsam und lange aus. Als er seine Messerscheide öffnete, hörte ich ein leises Klicken und drehte den Kopf weg.
Ich musste an einen Mann denken, der Verantwortung übernimmt und das Leiden beendet. Er wird selbst aktiv und ist jemand, der in die Handlung geht und nicht andere vorschickt.

Ich starrte auf das Wasser, das vor uns lag - da waren Linien in der Tiefe, lange Geraden, so gleichmäßig, als seien sie mit sicherer Hand gezeichnet worden. Sie wurden von dunklen Bereichen unterbrochen, von großen, rechteckigen Formen mit scharfen Kanten. Die Krone einer Tanne ragte aus dem Wasser, ich streckte meine Hand aus, ließ sie an den Zweigen vorbeigleiten, die Stiche der Nadeln ein vertrautes Gefühl.
Beim zweiten Lesen hat diese Stelle eine verstärkte Wirkung auf mich gehabt. Finde ich eine der besten Passagen.

Meine Schritte knirschten im verkrusteten Schlamm. Da war Spannung in mir, ich konnte die Muskeln spüren, wie Sehnen über Knochen rieben.
Ich finde es beeindruckend, wie du aus meiner Sicht jegliches Klischee vermeidest. Die Spannung liest sich als zu ihm passend, als wäre es eine ganz individuelle Reaktion.

In dieser Nacht verloren über dreihundert Menschen ihr Leben. Die Flutwelle überraschte sie in ihren Betten, und ich stelle mir vor, dass sie träumten, als das Wasser kam.
Diese Sätze wirken stark auf mich. Das liegt daran, dass du sie vorbereitet hast. Nach und nach komme ich zu dem Bild, dass eine Katastrophe eingetreten ist und dann kommt die Erklärung mit den Details. Wenn du das einfach so als ersten Satz geschrieben hättest, dann hätte es niemals eine so starke Wirkung entfalten können. Ich finde das ein gutes Beispiel, wie ein Text atmet und sich entfaltet, um dann zum Höhepunkt der Katastrophe zu kommen. Über dreihundert Menschen tot.

„Ich weiß, wer Sie sind“, sagte mein Vater und legte einen Stein passgenau auf den anderen.
Der Mann nickte.
„Also was wollen Sie?“
Geschickt gemacht, über den Dialog transportierst du viele Informationen, die du dann nicht langatmig erklären musst. Finde ich stark gemacht und hat für mich gut funktioniert.

„Und danach `nen eiskalten Bismarck.“ Der Mann lächelte, aber mein Vater schüttelte den Kopf. „Nein, seit Jahren keinen Tropfen mehr angerührt.“
Sie sahen sich für einen Moment lang schweigend an,
Das ist großartig. Der Mann lächelt und wirkt auf mich etwas arrogant und dann haut er ein Vorurteil raus. Doch das trifft eben nicht zu. Ich interpretiere das so, dass es eben nicht so geht, Menschen in "einfach" und "elitär" zu unterteilen. Einige Sätze, die so viel ausdrücken, gefällt mir.

„Das war kein Unglück.“ Mein Großvater nahm die Pfeife aus dem Mund und stellte den Becher auf einen der Steine. „Sie wussten, das Material taugt nichts, zu nass, zu weich, Schüttung zu hoch. Frage der Zeit, bis das rutscht.“
Die Andeutung wird wieder aufgegriffen und klar ausgesprochen.

„Wir wissen, was Sie geleistet haben, und, lassen Sie es mich so ausdrücken, wir würden uns gerne erkenntlich zeigen …“ Er umfasste die Seiten des Koffers mit beiden Händen und hob ihn auf Brusthöhe.
„Wag es nicht“, sagte mein Großvater. „Wag es ja nicht.“
Der Mann ignorierte ihn, nickte stattdessen meinem Vater zu und öffnete seinen Mund, um etwas zu sagen, den Koffer immer noch in den Händen.
Das passt zur Charakterisierung, er ist ein aufrechter und hart arbeitender Mann. Ihn bestechen zu wollen ist eine Beleidigung.

Das trockene, dumpfe Geräusch brechender Knochen, der Mann wankte, Blut rann ihm über die Finger, seine Knie wurden weich, dann verlor er das Gleichgewicht, glitt zu Boden, der Kopf gleich neben dem Koffer im feuchten Dreck.
Mit dieser Stelle bin ich nicht ganz einverstanden. Ich finde, dass das hier zu heftig ist. Knochen brechen ist mir zu viel gewesen. Denn in meinen Augen wäre der Mann dann nicht mehr ansprechbar oder ohnmächtig gewesen. Aber zumindest würde er schreien vor Schmerz, sich winden. Doch scheint er noch ansprechbar zu sein:
„Nehmen Sie ihren Koffer und dann verschwinden Sie.“

„Wir hätten das Geld gut gebrauchen können“, sagte sie.
Mein Vater schüttelte den Kopf. „Schmutzig, und das hört nie auf, wenn du `s einmal genommen hast, kommen die immer wieder, das nimmt ja kein Ende.“
Das fasst für mich die Zeichnung als Helden gut zusammen. Sie sind aufrechte Menschen, die sich nicht bestechen lassen und doch bereit sind, Leben anderer zu retten ganz ohne Geld.

Die Dörfer wurden aufgebaut. Die Toten beerdigt. Keiner sprach jemals über schlechtes Material. Keiner sprach über Verantwortung.
Das ist für mich das Hauptthema in deiner Geschichte - Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen. Und da sind die vermeintlich "einfachen" Leute dem reichen oder "elitären" Zirkel weit voraus, die nur abkassiert haben.

Insgesamt habe ich deine Geschichte gerne gelesen. Der Sog und die Spannung waren klasse und das Thema bestürzend. Ab und an musste ich Wörter nachschlagen und die Stelle mit dem Brechen der Knochen war mir etwas zu viel. Ansonsten ist das ein ganz feines Stück Literatur. Besten Dank für's Unterhalten, bin in deiner Geschichte versunken und genau so sollte es für mich auch sein. Und jetzt schnell ins Bett.


Beste Grüße
MRG

 

Abend @jimmysalaryman
Man merkt dass du schon lange dabei bist. An deinem Schreibstil gibt es nichts zu kritisieren. Ich fand die Atmospäre und das Setting perfekt. Du kannst dich sehr gewählt ausdrücken was dazu führt, dass sich die Geschichte schneller liest als erwartet. Man ist sehr nahe am Geschehen dran was ja immerhin das Ziel der meisten Texte ist. Was ich mich während des Lesens öfters gefragt habe ist, wie ein 14 jähriger so viele Begriffe weiß. Ich will der Altersgruppe keine Dummheit unterstellen, aber ich glaube du überschätzt deren Wortschatz. Wenn du aus der Sicht eines 14jähriges schreibst, dann erwartet man sich auch die Gedanken eines 14 jährigen. Das fängt schon an Krähen beim Wegfliegen als Krähen zu identifizieren.

Aus der Dämmerung vor uns sollte sich das das Viadukt erheben
Da ist ein Das zuviel. Auch hier, weiß ein 14jähriger was ein Viadukt ist?

Ich hörte ihr Kra Kra über der Ebene verhallen, die kräftigen, schnellen Flügelschläge.
Der Satz klingt irgendwie nicht fertig. Fehlt da was?

Blaugraues, klares Wasser, nur eine dünne Schicht feinster Schlick treibt dicht unter der Oberfläche, schwebt so leicht wie Blut in einem See, die Lichter kommen näher, blenden mich, das kalte, grelle Licht schmerzt in meinen Augen, alles löst sich ein einem pulsierenden Weiß auf, ich verliere die Orientierung, irgendwann ist da mein Vater, er legt seine Hand auf meine Schulter, das ist sein Geruch, ich erkenne ihn am Geruch, After shave und Schweiß, süßlich und herb, es musste mein Vater sein.
Ich denke, du wolltest damit das Gefühl vermitteln aufgebracht zu sein, etwas verloren in dem Trümmerhaufen mit Fluten von Wasser, aber ein Satz über fünf Zeilen ist für meinen Geschmack zu lang.
ein=in

sagte mein Vater, seine Hand lag immer noch auf meiner Schulter, und während er sprach, verkrampfte sie sich, wurde sein Griff fester und drängender wurde
Da ist ein wurde zu viel

Da war Spannung in mir, ich konnte die Muskeln spüren, wie Sehnen über Knochen rieben.
Kann man spüren wie Sehnen über Knochen reiben? Ich behaupte mal nein.

Was ist da?“, fragte mein Vater. „Ist da was?“
„Da ist nichts“, sagte ich und ließ meine Hand sinken. „Nur `ne alte Hemdchentüte.“
Da verstehe ich die Beweggründe des Jungen nicht. Das hört sich für mich fast schon psychopathisch an. Er sieht ein Babyleiche! und fühlt nichts? Erzählt es niemandem? Wieso nicht? Er hat keinen Vorteil oder Nachteil es niemandem zu erzählen und die natürlichere Reaktion wäre gewesen seinen Fund dem Vater zu zeigen. An der Stelle tappe ich noch etwas im Dunkeln.

In dieser Nacht verloren über dreihundert Menschen ihr Leben. Die Flutwelle überraschte sie in ihren Betten, und ich stelle mir vor, dass sie träumten, als das Wasser kam
Ein sichtlicher Gegenpart zum Baby. Die Leiche rührt ihn scheinbar(!) gar nicht, aber hier hat er seine kindlichen Emotionen wieder. Er wünscht sich, dass die Menschen friedlich (träumend) gestorben sind. Nichts von den gewaltigen Wassermassen mitbekommen haben.
Die Stelle fand ich gut, denn wie man weiß ist die Realität anders. Ein Tod durch ertrinken ist bestimmt nicht friedlich.

Seine drei Söhne hatte er in den Weltkriegen verloren und kannte den Tod
...verloren. Er kannte den Tod.
Der Satz ist glaub ich nicht richtig. Ich würde einen Punkt machen.
Die Geschichte mit dem alten Mann und seiner Frau war ein nettes Detail. Eine Art Wunder und stand im Kontrast zu den 300 Toten.
Persönlich hat es mich aber aus der Geschichte ziemlich herausgerissen. Es kommt so plötzlich und ist dann auch wieder zu Ende. Trägt auch nicht wirklich etwas zur Story bei.

Mein Vater schüttelte den Kopf. „Schmutzig, und das hört nie auf, wenn du `s einmal genommen hast, kommen die immer wieder, das nimmt ja kein Ende.“
„Schweigen.“ Mein Großvater nahm einen der Eiswürfel in den Mund, zerbiss ihn, kaute und sprach gleichzeitig weiter. „Darum geht’s, dass wir schön den Mund halten, die wissen ganz genau, was Sache ist, wenn da einer redet … ist doch alles eine Mischpoke da oben, die haben schön geschachert damals und beim Bau `ne Menge Geld verdient, wenn da jetzt einer anfängt, quer zu schießen …“
Ich würde das Schweigen weglassen. Es ist klar, dass es Schweigegeld gewesen wäre. Da fühlt man sich als Leser eher nicht erst genommen, weil einem erklärt werden muss, dass es Schweigegeld war.
Den ersten Satz verstehe ich im Sinn nicht ganz. Wieso sollten sie immer wieder kommen? Um für dein Scheigen noch mehr zu bezahlen? Ist doch gut! Es ist für gewöhnlich doch eher umgekehrt, dass der, der das Geld entgegennimmt, immer wieder kommt, um mehr zu verlangen.

Ich bin jetzt nicht so sehr auf den Inhalt eingegangen. Den Hauptteil fand ich perfekt geschrieben. Das Ende trägt eine Moral mit. Wer viel Geld hat, steht über dem Gesetz. Keine Konsequenzen. Es wird angedeutet, dass genau das passiert. Es wird verschwiegen, niemand redet mehr darüber. Könnte implizieren, dass die anderen das Schweigegeld angenommen haben.
Eine Frage, die ich mir noch gestellt habe ist: Warum reden sie nicht? Der Großvater, der Vater und der Sohn. In der Geschichte scheinen sie alle einen starken Charakter mit Durchsetzungskraft zu besitzen. Wie oben selbst steht. Das Image der Reichen bekommt schon Kratzer, wenn nur einer redet und sie sind zu Dritt. Wieso also Schweigen?
Lg Corvi

 

Ich habe deinen Text zweimal gelesen und er entwickelt einen starken Sog auf mich, da du erst nach und nach mehr Informationen preisgibst.

Hallo @MRG,

ist natürlich schon auch ein Effekt. Das kann man mal machen, aber wenn du in einem Storyband drei solcher Texte liest, dann merkt du das schon. Ich glaube ja, es gibt da kein richtig oder falsch, sondern nur verschiedene Wege. Hier bot es sich eben an. Spannung ist eben so eine Sache. Ich denke, man sollte da behutsam mit umgehen, weil es sonst in einer Art Voyeurismus endet. Es gibt einen ethischen Umgang mit solchen Themen, und man hat als Autor schon auch die Verantwortung, das nichts zum reinen Ausverkauf gerät. Das ist leider eine Sache, die man schnell aus den Augen verliert, und die man oft selbst am eigenen Text nicht so ganz beurteilen kann, so geht es mir jedenfalls.

"Grat der Ville" konnte ich nicht direkt zuordnen. Ist das ein Eigenname?

Man hat natürlich Autorität über seinen Text, vor allem was Inventar und Geologie angeht. Ich bin da vielleicht oft zu genau, ein richtiger kleiner Korinthenkacker, aber ich würde da nicht: Gebirgskamm oder so schreiben, sondern eben den Eigennamen. Dieses Wissen, diese Erzählung an sich liegt ja in seiner Erfahrungswelt, und in der wollte ich bleiben. Mir ist klar, dass dadurch manche Leser etwas rauskommen, aber ich muss es dann in Kauf nehmen.

Das ist großartig. Der Mann lächelt und wirkt auf mich etwas arrogant und dann haut er ein Vorurteil raus. Doch das trifft eben nicht zu. Ich interpretiere das so, dass es eben nicht so geht, Menschen in "einfach" und "elitär" zu unterteilen.

Ja, das ist schön, wenn du es so liest. Da steckt natürlich auch ein sozialer Kontrast drin, ein Vorurteil, das sich dann aber eben nicht erfüllt. Ich denke, man sollte als Leser auf so etwas viel mehr achten, das ist oft versteckt in Texten, und beim ersten Lesen wirkt es erstmal nicht, wann wundert sich nur, warum sagt er das so oder gerade jetzt, in dieser Situation?, aber oft hat es eben einen wirklichen Sinn, es demonstriert uns etwas, ohne es direkt auszusprechen. Ich mag selber gerne Texte, die dahingehend gut gemacht sind, die uns nicht alles direkt vor den Latz knallen, wo man etwas investieren muss.
Ich musste an einen Mann denken, der Verantwortung übernimmt und das Leiden beendet. Er wird selbst aktiv und ist jemand, der in die Handlung geht und nicht andere vorschickt.

So sollte es wirken. Ich lese den Text auch ein wenig als Initiation. Es wird ja retrospektiv erzählt, aber ich denke, da sind auch schon einige unausgesprochene Konflikte drin: Der Junge wird ja nie gefragt, es wird einfach beschlossen, der ist alt genug dafür. Als er nachher den toten Säugling findet, wird aber klar, im Grunde ist er so geschockt, dass er vollkommen ausweichend reagiert. Da sind schon auch zwei Seiten dabei, einmal diese aktiven Männer, die Verantwortung übernehmen, aber auf der anderen Seite vielleicht auch ein wenig übergriffig sind. Ich denke, in der heutigen Zeit wäre so etwas nicht mehr möglich, weil sich das niemand mehr so richtig zutraut, weil niemand eine solche Entscheidung treffen will. Diese Verantwortung wird gerne abgegeben, an den Staat oder an irgendwen anders, Hauptsache nicht man selbst. Man würde das auch viel kritischer hinterfragen: Haben die nicht sogar etwas verschlimmert? Hätten die den Jungen einfach mitnehmen dürfen oder haben die den nachhaltig traumatisiert? Das sind eben zwei verschiedene Haltungen, die man da einnehmen kann. Da, finde ich, steckt auch nochmal eine andere, eine eigene Tragik drin.
Mit dieser Stelle bin ich nicht ganz einverstanden. Ich finde, dass das hier zu heftig ist.
Ja, das mag sein, ich warte mal ab, was andere sagen. Ich habe das eben mit den Händen vorbereitet, und um die Tschechow'sche Pistole sozusagen einzulösen, musste da eben noch mehr mit passieren. Vielleicht zu viel, kann gut sein.

Insgesamt habe ich deine Geschichte gerne gelesen. Der Sog und die Spannung waren klasse und das Thema bestürzend. Ab und an musste ich Wörter nachschlagen und die Stelle mit dem Brechen der Knochen war mir etwas zu viel. Ansonsten ist das ein ganz feines Stück Literatur. Besten Dank für's Unterhalten, bin in deiner Geschichte versunken und genau so sollte es für mich auch sein. Und jetzt schnell ins Bett.

Danke dir, MRG, für deinen sehr guten Kommentar und deine Zeit. Ich denke, ich werde nach und nach noch mehr dazu schreiben, ich muss gerade meine Gedanken noch was sammeln.

wird fortgesetzt ...

Gruss, Jimmy

 

..., doch ich weiß, mir kann nichts geschehen, denn alles ist bereits geschehen.

Gerade erst ein paar Wochen - der Dammbruch von Brumadinho (Brasilien), da kommt die Erinnerung, dass dergleichen auch unter ähnlichen Bedingungen aus Korruption und Habgier direkt vor der Haustür geschehen kann oder, wenn wir von 1969 satte 50 Jahre zurückgehen, dass alliierte Flugzeuge Edertal- und Möhnetalsperre bombardieren, um durch Terror ein terroristisches System, das Nazisystem zu erschüttern. Was Feuer nicht schafft, schafft das Wasser. Jeder, der mal einen Hausbrand mitgemacht hat, wird es bestätigen. Die Bewohner von Atlantis kann man schwerlich nach ihren Erfahrungen fragen.

Über Deine Kunst zu erzählen ist müßig, ein Wort zu verlieren. Was mir gleichwohl zuerst auffällt,

lieber Jimmy,

ist der exzessive Ge-, oder besser Missbrauch des Possessivpronomens für den Großvater und den Vater. Ich hoffe, dass unser Erzähler auch Opa oder Pappa (oder so …) sagt und nicht „mein“ Opa …

Und nun zur Flusenlese – sicherheitshalber ist der Stand „Gestern um 21:43“ anzugeben.

Die Hand spürte ich zuerst im Nacken - große, grobe Finger, die kräftig zupackten und mich in die Dunkelheit schleiften, in eine absolute, tiefe Schwärze, von der ich ahnte, dass sie der Tod war, das Ende.
Komma weg, es sei denn, Du verrätst mir die Regel, die ich noch nicht kenn …

Dann schmeckte ich die Luft, die durch die geöffneten Fenster hereinwehte, kalt und feucht, als kaue man auf frischem Eis, und da wusste ich, etwas war geschehen.
Warum Konj. I bei dem irrealsten, was es überhaupt gibt – einer als-ob-Situation. Da muss der Leser halt durch, dass das Prät. Von „kauen“ idntisch ist mit dem Konj. II (da „würd’ ich sogar“ die würde-Konstruktion hinnehmen) hier
… sie schienen sich verändert zu haben, wirkten seltsam neu, als sähe ich sie zum allerersten Mal.
gehts doch!

Mein Großvater blieb in der Tür stehen und drehte sich um. „Zieh dich an und komm nach unten.“
Auch das fällt mir auf, dass der Imperativ hierorts in einem schlichten Aussagesatz versteckt wird!
(solltestu noch mal alles abklopfen ...)

In der Diele zog ich mir Jacke und Gummstiefel an.
kommentirlos

Neben mir die Kiste mit den Sachen meines Vaters, die er für die rote Arbeit benötigte: …
Dachte erst an die KPD, pardon, DKP – aber der nachfolgende Satz hieß mich, mich zu korrigieren

Kudekoven. Aldenrode. Vorselaer. Dörfer, Kerne der Besiedlung seit Jahrhunderten, verbunden durch Glauben, Sprache, Blut und Arbeit. Eine Ebene, so gelb wie Sand, keine Erhebung, Vertiefung, kein Gebäude, keine Straße.
„Mein Gott“, flüsterte mein Vater.
Zwischen Glauben und Glaube als Religion sollte da doch unterschieden werden, erst Recht, seit in unserer Zeit Meinung und nacktes Glauben als identisch angesehen werden

Dann stoppte die Unterredung, und als die Männer alle gleichzeitig zum Wagen herübersahen, …
Weg mit dem Komma, die Konjunktion und vertritt es ganz hervorragend

Er hatte beim Bau des Damms mitgearbeitet, Grauwacke für die Schüttung aus den umliegenden Gemarkungen transportiert. Das war Jahrzehnte her gewesen.
Nicht falsch – aber es geht auch ohne Gewese …, wo mir immer mehr Verwesung durchscheint

Wir atmeten ihn ein, mit ihm die Geschichten, die nie erzählt werden würden..
warum das gedoppelte „werden“? Futur I ist doch unbestimmt genug – entweder es wird oder eben nicht … da braucht’s keiner Würde, keines Konjunktivs

Die Lamellen eines durch die Wucht gefalteten Garagentor bewegte sich im Wind knarzend hin und her
Genitiv! ...tors

Und da stehen wir, vor dieser grauen Einöde, die so endlos scheint, Schlamm und …
oben gelingt Dir die scheinen-Konstruktion – mit „zu sein scheinen“, optional möglich „… endlos erscheint“, vor allem aber kürzer

Aufsteigender Dampf, die Dinge ihrem Zweck entledigt, Ruinen ohne Funktion, …
Genitiv „ihres Zwecks“

... und während er sprach, verkrampfte sie sich, wurde sein Griff fester und drängender wurde.

Er sah mich so an, wie er die anderen Männer angesehen hatte, als gäbe es da einen Bund zwischen ihnen, als seien sie alle Teil einer großen, gemeinsamen Sache.
Warum auf einmal Konj. I?

„Dazu gehört `ne ganze Menge Mut, und[...]…

Mein Großvater ist längst gestorben, mein Vater ist jetzt so alt wie er es damals gewesen ist.
Manchmal gehen wir noch gemeinsam auf die Jagd, aber ich spüre, wie müde er […] ist.
statt des Hilfsverbs vielleicht ein "inzwischen"? Aber dem Leser sollte an sich schon am Gezeitenwechsel der Zeitsprung in die Gegenwart klar werden ...

Trotz des Themas, nicht ungern gelesen vom

Friedel

 

Als ich die Augen aufschlug, saß mein Großvater auf der Bettkante, ich erkannte ihn an der Silhouette. Ich öffnete den Mund, aber mein Puls schlug so heftig gegen die Kehle, dass ich nicht sprechen konnte. Da war die Wärme seiner Hand, die ausgestreckt und schwer auf meiner Brust lag. „Du musst helfen“, sagte er, und ich nickte und atmete aus.
„Du musst uns helfen“, wiederholte mein Großvater.
Für einen kurzen Moment schloss ich wieder die Augen. Dann schmeckte ich die (kühle?) Luft, die durch die geöffneten Fenster hereinwehte, kalt und feucht, als kaue man auf frischem Eis, und da wusste ich, etwas war geschehen.
„Was ist passiert?“
Mein Großvater blieb in der Tür stehen und drehte sich um.
„Zieh dich an (Junge?) und komm nach unten.“
Ungewohnt poetisch, dachte ich nach den ersten Sätzen. Fingerübung in Sachen Landschafts- und Szenenbeschreibung? War für etwa 10 Sekunden positiv überrascht( :D), zitierter Absatz hat mich aber gleich zu Beginn rausgehauen. Da ist der Wurm drin. Alles mit Strich hat mich genervt.

Ansonsten handwerklich sauber. Atmosphärisch. Kannste ausbauen.

Gruß,
Analog

 

Was ich mich während des Lesens öfters gefragt habe ist, wie ein 14 jähriger so viele Begriffe weiß. Ich will der Altersgruppe keine Dummheit unterstellen, aber ich glaube du überschätzt deren Wortschatz. Wenn du aus der Sicht eines 14jähriges schreibst, dann erwartet man sich auch die Gedanken eines 14 jährigen. Das fängt schon an Krähen beim Wegfliegen als Krähen zu identifizieren.

Hallo @Corvi,

danke dir für deinen Kommentar und deine Zeit. Nein, ich schreibe nicht aus der Sicht eines 14 Jährigen, sondern retrospektiv, der Erzähler ist also schon wesentlich älter und berichtet das im Nachgang, er ist also nicht vierzehn, während er das erzählt, sondern er berichtet über Erlebnisse seines vierzehnjährigen Selbst. Deswegen darf da auch eine gewisse sprachliche Seriösität sein, eine gewisse reflektierte Distanz.

Ich denke, du wolltest damit das Gefühl vermitteln aufgebracht zu sein, etwas verloren in dem Trümmerhaufen mit Fluten von Wasser, aber ein Satz über fünf Zeilen ist für meinen Geschmack zu lang.

Das ist ja eine Art Stream of consciousness, er verliert die Orientierung, es ist ein Taumeln, und das sollte eben auch sprachlich dargestellt werden, als Stilmittel.

Die Geschichte mit dem alten Mann und seiner Frau war ein nettes Detail. Eine Art Wunder und stand im Kontrast zu den 300 Toten.
Persönlich hat es mich aber aus der Geschichte ziemlich herausgerissen. Es kommt so plötzlich und ist dann auch wieder zu Ende. Trägt auch nicht wirklich etwas zur Story bei.

Ein Wunder pro Geschichte muss drin sein, oder? Und ich finde schon, dass es etwas zur Story beiträgt, es erzählt eben genau davon: Menschen überleben eben auch das.
Da verstehe ich die Beweggründe des Jungen nicht. Das hört sich für mich fast schon psychopathisch an. Er sieht ein Babyleiche! und fühlt nichts? Erzählt es niemandem? Wieso nicht? Er hat keinen Vorteil oder Nachteil es niemandem zu erzählen und die natürlichere Reaktion wäre gewesen seinen Fund dem Vater zu zeigen. An der Stelle tappe ich noch etwas im Dunkeln.

Ich denke, er ist darauf nicht vorbereitet, es ist ein Schock. Ich finde das überhaupt nicht psychotisch. Im Grunde will er das gar nicht wahrhaben, weil die Kette an Ereignissen, die sich nach dieser Entdeckung anschließen würde, etwas ist, von dem er instinktiv weiß, dass er dieser Wucht vielleicht nicht gewachsen wäre. Er tut lieber so, als sei da nichts. Der Junge ist eben nicht so wie sein Vater oder sein Großvater. Das ist ja einer der wichtigsten Punkte auch in der Geschichte. Er wird nach dieser Nacht zu jemand anderem. Das ist seine Entwicklung.

Den ersten Satz verstehe ich im Sinn nicht ganz. Wieso sollten sie immer wieder kommen? Um für dein Scheigen noch mehr zu bezahlen? Ist doch gut! Es ist für gewöhnlich doch eher umgekehrt, dass der, der das Geld entgegennimmt, immer wieder kommt, um mehr zu verlangen.
Ich glaube, was ich sagen wollte: Wenn man sich einmal auf so eine Sache einlässt, man sich also öffentlich als korrumpierbar zeigt, dann wird das kein Ende nehmen, dann kommen auch andere und wollen etwas von dir, weil du eben gezeigt hast, dass du das Geld nimmst, dass du dich kaufen lässt. Muss ich dann nochmal anders, deutlicher zeigen.
Eine Frage, die ich mir noch gestellt habe ist: Warum reden sie nicht? Der Großvater, der Vater und der Sohn. In der Geschichte scheinen sie alle einen starken Charakter mit Durchsetzungskraft zu besitzen. Wie oben selbst steht. Das Image der Reichen bekommt schon Kratzer, wenn nur einer redet und sie sind zu Dritt. Wieso also Schweigen?
Die Stärke der beiden Männer liegt ja eben genau darin: Dass sie jegliche Kooperation ablehnen. Sie sind solitär, stehen für sich. Sie wissen wahrscheinlich auch, dass Reden gar keinen Sinn hat. Aber sie wollen im Grunde einfach in Ruhe gelassen werden. Sie haben sich ihrer Verantwortung gestellt, sie haben da gar nicht drüber nachgedacht, sondern haben sofort geholfen, und das ist es, was für sie zählt.

Also, sehr guter Kommentar, da steckt einiges drin für eine Überarbeitung. Ich kaue da noch was drauf rum.

Gruss, Jimmy

wird fortgesetzt ...

 

Und nun zur Flusenlese – sicherheitshalber ist der Stand „Gestern um 21:43“ anzugeben.

Dear @Friedrichard

Die Flusen werden bei der nächsten Bearbeitung getilgt. Aufgesaugt. Oder wie auch immer. Vielen Dank für deine intensive Suche nach diesen.

Moin @Analog

zitierter Absatz hat mich aber gleich zu Beginn rausgehauen. Da ist der Wurm drin. Alles mit Strich hat mich genervt.

Hast Recht, da ist kürzer besser. Ich hau den nicht ganz raus, aber ich werde den überarbeiten.

Ansonsten handwerklich sauber. Atmosphärisch. Kannste ausbauen.
Was meinste hier mit ausbauen? Inwiefern?

Danke dir für deine Zeit und deinen Kommentar.

wird fortgesetzt ...

 
Zuletzt bearbeitet:

Ach, warum nicht :D Es hat jetzt eben Spaß gemacht, so viel Einzelnes rauszupicken.

Das Jahr war 1969.

Finde ich einen guten Einstieg. Kurz, bündig und genug Information.

Nach einem schneereichen Winterbeginn veränderte sich Anfang Februar das Wetter. Warme, feuchte Luft brachte Dauerregen und ließ den Schnee immer weiter schmelzen. Das große Tauen begann.

Gleich zu Anfang denke ich mir: diese Geschichte kann man eigentlich auch im historischen Präsens erzählen. Ich denke mal, dass du da kein großes Interesse dran haben wirst. Mir kommt es meistens komisch vor im Präsens zu schreiben. Aber bei deinem 1969 Einstieg würde dieser Sprung rein in das Lebendige passen.

Als ich die Augen aufschlug, saß mein Großvater auf der Bettkante

Der Übergang hat mir gefallen. Es hat etwas Traumhaftes.

kalt und feucht, als kaue man auf frischem Eis

Das ist ein sehr spezifischer Geschmack und ich denke nicht, dass diese Luft so schmeckt, es sei denn, es ist eisig kalt. Aber davon habe ich an der Stelle noch nichts gelesen.

„Zieh dich an und komm nach unten.“

Pointiert, finde ich. Und es trägt in den nächsten Absatz. Jeder Absatz sollte so enden :)

lautes Stimmengewirr; das gesamte Viertel schien in Bewegung zu sein

Ich finde das noch unpräzise. Mein erster Gedanke: er hört doch schon, welche Stimmen da übereinanderliegen und kann sich das, an dem Ort, den er kennt, räumlich vorstellen, selbst wenn er es nur akustisch wahrnimmt.

grau und verlassen vor heller werdendem Himmel

das 'verlassen' verwirrt dieses Bild für mich. Das ist eine andere Kategorie. Nicht Farbe oder Kontrast Hell-Dunkel. Ich würde das rausnehmen und vorher einbauen.

Die Remisen und verlassenen Scheunen ...

„Der ganze Schnee und dann zu heiß“

vielleicht stand hier vorher in der Dialogzeile noch 'und dann wieder zu heiß'. Der Satz wirkt schon sehr elliptisch. Ich würde es reinnehmen.

Mein Großvater schloss die Augen.

Er lenkt doch. Das klingt, als ob er lange die Augen schließt. Vielleicht kann der Vater eher so reagieren. Sie sind auch beide recht streng mit ihm. Wahrscheinlich wolltest du das so.

du weißt doch, was das bedeutet, oder? Das weißt du doch?“

Vielleicht kann man das kürzen und auch nicht als Frage, damit es nicht so repetitiv/tautologisch klingt und noch etwas zugespitzer vielleicht, ohne ihm das Mündliche zu nehmen.

... du weißt doch, was das bedeutet, oder? Das weißt du.“

„Gut“, sagte er. „Dann ist ja gut.“

Und hier wiederholt er sich nochmal auf ähnliche Weise. Ich merke, dass du das manchmal so machst, das so eine Dialogform ist. Ich würde trotzdem zum Pointierten greifen. Einfach, weil es wie im Beispiel weiter oben mehr Spannung erzeugt.

„Gut“, sagte er. „Dann ist ja gut.“

Würde kürzen zu machen: "Dann ist ja gut."

Ein kurzer, harter Ruck

schön. Als wären das die erlesenen vier Wörter, um das Motorabwürgen zu beschreiben.

nickte und startete den Wagen.

das 'starten' finde ich hier nicht das richtige Verb. Er hat den Wagen ja eben abgewürgt und das fehlt mir dort. Es ist ja ein wieder starten. Vielleicht findest du da ja etwas, dass das mitausdrückt. Vielleicht einfach Fokus auf die Zündung oder den Zündschlüssel legen.

Eine eigenartige Stille lag über allem. Der Klang des Atmens so nah, als käme er aus der Mitte des Schädels. Das Geräusch des Motors dumpf und weit entfernt. Die Stimmen meines Vaters, meines Großvaters, die über Hohlräume an der Absperranlage und über ein Abrutschen der Dammwand sprachen, nicht mehr als ein undeutliches Murmeln.

Ich würde sagen, das ist keine Stille, sondern eine Ruhe. Dieser Absatz ist sehr poetisch. Ich finde so etwas immer schön zwischendrin; wenn es sprachlich einen anderen Drive bekommt. man könnte jetzt anfangen, zu fragen, wie das gehen soll, aus der Mitte des Schädels. Aber nur, wenn man das Poetische ignoriert. Die Satzanfänge mit Artikel + Subjekt erzeugen eine Parallelität, die aber auch unentschlossen wirkt, weil die Sätze dann doch sehr verschieden sind.

Sie arbeiteten hart, zahlten in bar und hatten bei keinem Schulden.

Das ist deine Handschrift. Dieses Orca-Bild von Männern, Sitten, Gebräuchen. Auf jeden Fall stark in einem Satz zusammengefasst.

verbunden durch Glauben, Sprache, Blut und Arbeit

Mit dem Blut und der Arbeit bekommt das schon einen etwas seltsamen Touch, das muss ich gestehen. Aber deswegen solltest du so etwas nicht nicht schreiben. Im Gegenteil. Da bist du beim Erfahrungshorizont deines Erzählers. Vielleicht bräuchte es sogar noch mehr davon. Eine Distanz ist da für mich immer spürbar, sonst würde ich das nicht fordern.

„Mein Gott“, flüsterte mein Vater.

Das wirkt sehr konsterniert. Vielleicht könnte er etwas gefasster sein. Ich meine, diese Kerle zahlen in bar :D
So was wie "Da vorn", flüsterte mein Vater.

Hinter der nächsten Kurve stand ein Kleinlöschfahrzeug, Scheinwerfer und Blaulicht eingeschaltet, dahinter mehrere PKW, manche mit laufendem Motor, die Abgase stiegen in dichten Schwaden in die Dämmerung.

Würde nach Motor einen Punkt machen und dann ohne Artikel mit 'Abgase' weiter.

der pensionierte Polizist, den alle Willi nannten

habe mich gefragt, warum er den nicht kennt. Das schafft eine Distanz zwischen ihm und 'allen'

wie sich ihre Gesichtszüge glichen, die wulstigen Brauen, der kleine Mund mit den schmalen Lippen

fand ich eine gute Stelle analog zu dem weiter oben.

begann mein Herz zu pochen

klingt zu profan, finde ich. (Habe das selbst im letzten Text geschrieben :D aber der war auch nicht sehr konzentriert)

Nein, das stimmt nicht, ich hörte die Worte nicht, ich sah nur, wie sein Mund sie formte.

finde es komisch, dass er sich da nochmal selbst berichtigt und dafür aus der Rolle fällt. Wozu braucht die Stelle diese Aufmerksamkeit?

„Wir suchen“, sagte er und ließ den Motor an. „Wir fahren runter, bis es nicht mehr geht, dann sehen wir weiter.“

Die Sätze beginnen gleich. Außerdem fehlt da doch was im ersten Satz. "Wir fahren suchen" oder so. Klar, dann passt es mit dem anderen Satz nicht. Aber ließe sich bestimmt was finden.

Er stand immer noch bei den Männern, sie standen

eins würde ich ersetzen.

es herrschte eine andere Energie

das fand ich nicht so gut formuliert. Es ist unpräzise. Klar, geht es da um etwas schwer Greifbares. Aber mit seinen Fähigkeiten kommt der Erzähler da näher ran. 'Energie' klingt für mich immer so esoterisch.

„Wir brauchen ein Boot“, war alles, was mein Großvater sagte. Danach legte er mir eine Hand aufs Knie und bedeutete mir mit einem Kopfnicken, dass ich mich neben ihn setzen solle.

Wir fuhren schweigend.


Wie geil, dass man einfach immer noch nicht weiß, was sie da eigentlich genau machen, aber die Spannung konstant oben bleibt. Hat mich an Carver erinnert, sollte mich das wundern? :D
Ich würde nur überlegen, ob du nicht nach "Wir brauchen ein Boot" Satz und Absatz beendest.

„Ich habe das immer schon gewusst“, sagt er und blickte kurz zu mir herüber. „Unten im Tal, um keinen Preis der Welt.“

Untem im Tal, um keinen Preis der Welt.

Sollte das heißen, unten im Tal zu leben?
Ich würde das auf jeden Fall dazu schreiben. Das klingt einfach nur fremd an der Stelle. Und trotz des geteilten Wissens würde er das sicher auch vor seinem Enkel so formulieren. Ich würde das nicht zu elliptisch machen.

Ich beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. Er war kein großer Mann. Er wirkte auch nicht besonders muskulös, eher untersetzt, mit kurzen Beinen und Bauchansatz.

Ich sehe ihn da sitzen und finde diese Beobachtungen da schon sehr weitführend. Vielleicht kann man das mehr in der Szene verankern. Dass der Anschnallgurt sich da oberhalb des Bauches ins Fleisch drückt oder so.

Da war dieser Geruch, den ich bis heute nicht vergessen kann: nach kalkhaltiger Erde, den das Wasser aus den tief liegenden Sedimenten gewaschen hatte, sauer und beißend.

hat mir gut gefallen

Wir atmeten ihn ein, mit ihm die Geschichten, die nie erzählt werden würden.

Das mit der Geschichte war mir zu viel. Das bewusste Einatmen finde ich gut.

„Ja“, sagte ich und holte die Walther

Witzig, wie hier selbst die Taschenlampe nach Handfeuerwaffe klingt :D

Grobkörniger Dampf setzte sich vom Boden ab

Ich glaube, ich weiß, welches Bild du beschreiben wolltest. Solche feinen, fast sichtbaren Tröpfchen. Aber grobkörnig ist eine andere Stofflichkeit für mich.

Meine Gummistiefel versanken bis zum Knöchel, als ich den ersten Schritt machte.

das ist unklar. Welcher Schuh versinkt denn da jetzt. Es sind 'meine Gummistiefel', aber ein Fuß macht ja gerade einen Schritt.

„Nach was suchen wir?“
„Nach allem.“

herrlich. Da ist wieder der doppelte Boden dieser Geschichte.

Die Dachhälfte einer Scheune schwamm obenauf, Teile von Fahrrädern, Eisenstangen und Mülltonnen bildeten eine Insel, Fensterrahmen, von den Polen gerissene Briefkästen und Blumenkästen eine andere, überzogen mit einer Schicht aus Erde und Schlamm, Heu, Gras und Steinen. Dazwischen entwurzelte Bäume, Kiefern mit langen Stämmen, wie nebeneinanderliege Rippen, unterbrochen von Furten, in denen Wasser stand.

Fand ich bisher die beste Stelle.

der gegenüberliegenden Hang lag

der gegenüberliegende Hang ..

Ein Raunen kam von weiter hinten. Mein Großvater sah auf, lauschte einen Moment in die Dunkelheit und richtete den Strahl seiner Taschenlampe aus. Ich folgte dem Lichtkegel, der langsam über die Kiefern wanderte. Die Kuh lag auf einem der Stämme, der Hals durchbohrt von einem armdicken Ast, aber da war kaum Blut, nur ein schwaches Rinnsal im weißen Teil des Fells. Die Zunge hing ihr aus dem Maul, angeschwollen und dunkel glänzend, und immer wieder die Laute aus den Tiefen der Kehle – ein ersticktes Grölen, vor Erschöpfung ganz rau, unterbrochen vom Geräusch des Atemholens. Die feuchten Nüstern vibrierten bei jedem Zug, der Pansen und ein Teil des Labmagens lagen vor ihr im Dreck. Mein Großvater zeigte auf ein langes Stück Wellblech, das unterhalb des Bugs in ihren massigen Körper eingedrungen war und die Dünnung aufgerissen hatte. Der Bauchlappen hing lose über dem Metall, gelbgraue Organe quollen aus der Öffnung.
„Halt deine Lampe hier hin“, sagte mein Großvater und zeigte mir die Richtung an, „und dann sieh weg.“

Dann fand ich diese Stelle sehr stark. Allerdings wirkte das auf mich (vielleicht, weil ich da nicht drinstecke) auch ein bisschen konstruiert. Dass er da so innehält und dann das Tier erlöst. Obwohl sie da vielleicht erstmal alles sichten müssten. Das ist sehr geistesgegenwärtig auf jeden Fall.

Scheunen, Häusern, die umliegenden Mauern fortgerissen, Steine, Wurzeln, Erdreich, dichte Schaumflocken vom aufgetriebenen Wasser, und wir gehen Schritt für Schritt,

witzigerweise hast du hier dann doch einmal ein historisches Präsens verbaut

eine Kraft für sich, wir so klein, am Ende einer Kette von Ereignissen angelangt

an die Stelle würde ich nochmal ran.

doch ich weiß, mir kann nichts geschehen, denn alles ist bereits geschehen.

sehr gut


Ich sollte jetzt mal eine Pause machen. Mein Kopf ist leer. Viele gute Stellen bisher. Viel Spannung und satte, jimmyeske Beschreibungen :-)

 

Was meinste hier mit ausbauen? Inwiefern?
Poesie. Auch mal ein bisschen was fürs Herz. Sowas hier:

Nach einem schneereichen Winterbeginn veränderte sich Anfang Februar das Wetter. Warme, feuchte Luft brachte Dauerregen

Ich lag auf kaltem, feuchten Grund, es war dunkel, über mir der Himmel, den ich wie durch ein zu starkes Brennglas sah.

Als ich die Augen aufschlug, saß mein Großvater auf der Bettkante. Ich öffnete den Mund, aber mein Puls schlug so heftig gegen die Kehle, dass ich nicht sprechen konnte.

Weiter, vorbei an leeren Feldern, die Remisen und Scheunen grau und verlassen vor heller werdendem Himmel.

Die Wälder am Rande der Flur lagen noch im Halbdunkel, unberührt von allem. Das Tal sah ich in dieser Nacht das erste Mal (...) eine geschlossene Fläche, die im Mondlicht schimmerte wie nasses Silber.

Im nächsten Moment stieg ein Schwarm Rabenkrähen von einem der Felder auf. Ich hörte ihr Kra Kra über der Ebene verhallen, die kräftigen, schnellen Flügelschläge. Der Schwarm flog über das Dach hinweg und löste sich in kleine, schwarze Punkte am Himmel auf.

Damit biste auf dem richtigen Weg. Wenn du das so in deinen ansonsten radikalen Minimalismus einbettest, werden große Dinge passieren :D

Fluss und Melodie von Sprache. Ist wichtig für Literatur. Wichtiger als der Inhalt. Ich weiß, dass wir da unterschiedlicher Meinung sind. Und nagel mich nicht darauf fest, dass ich sage, dass der Inhalt nebensächlich ist. So habe ich das nicht gemeint.

 

die Dinge ihrem Zweck entledigt, Ruinen ohne Funktion

Den ersten Teilsatz finde ich zu ungenau. Du lieferst ja dann auch ein Beispiel nach. Aber 'Ruinen ohne Funktion'? Das sind Ruinen doch immer. Da würde ich nochmal ran.

so leicht wie Blut in einem See

komischer Vergleich, finde ich. Verstehe nicht, wie das gemeint ist oder um welches Bild es geht.

pulsierenden Weiß auf, ich verliere die Orientierung, irgendwann ist da mein Vater, er legt seine Hand

den mittleren Satz würde ich streichen. Das Bild entsteht bei mir zumindest auch so. Wenn sich alles in Weiß auflöst, braucht er nicht noch die Orientierung zu verlieren, das hat er ja dann eigentlich bereits schon.

das ist sein Geruch, ich erkenne ihn am Geruch, Algen, Fischgedärme und Schweiß, organisch und herb, es musste mein Vater sein.

Ich denke, du könntest hier gut auch nach 'ich erkenne ihn am Geruch' schließen. Die Parallele ist sonst so etwas offensichtlich. Das mit dem Geruch hast du ja vorher schon sehr eindringlich beschrieben.

„Wir haben jemanden gefunden“, sagte mein Vater, seine Hand lag immer noch auf meiner Schulter, und während er sprach, verkrampfte sie sich, wurde sein Griff fester und drängender.

den letzten Satz finde ich noch nicht optimal angeschlossen, weil es erst um die Hand und dann um den Griff geht.

Vorschlag:
„Wir haben jemanden gefunden“, sagte mein Vater, seine Hand lag immer noch auf meiner Schulter; während er sprach, verkrampfte sie sich und sein Griff wurde fester und drängender.

Vögel begannen zu singen.

sie beginnen ja nicht in dem Moment zu singen oder? Er nimmt es vielleicht in diesem Moment wahr.

Sie warteten auf weitere Hilfe, auf mehr Boote.

Kürzer würde der Satz für mich gewinnen:

Sie warteten auf mehr Boote.

das mit der weiteren Hilfe finde ich überflüssig.

Jemand sprach von einem Einsatz der Bundeswehr.

So klingt es, als würde es sich bei dem Einsatz um etwas anderes handeln. Wahrscheinlich wegen des unbestimmten Artikels. Ich würde es grundsätzlich etwas kürzer machen, dann wäre das schon mal weg.

Jemand sprach von Bundeswehreinsatz.

Seine Haut war glatt wie ein Stein

hmm. Glatt wie ein Stein. Steine sind ja nicht unbedingt glatt. Wenn sie im Fluss liegen werden sie glatt geschliffen. Da geht noch was.

Die Augen offen, ich blickte in starre, dunkle Pupillen und wollte meine Hand ausstrecken, um es zu berühren.

um 'es' zu berühren? Das (eingebildete) Kind?

Das 'und' würde ich durch ein Komma ersetzen.

Er nickte. Sein Atem dampfte.

Der Atem dampft ja eigentlich nicht, oder? Der Atem ist ja vielmehr eine Art Dampf.

Hemdchentüte

was ist das für ein Begriff? Nur aus Interesse.

Er sah mich so an, wie er die anderen Männer angesehen hatte

Das ist eine wichtige Stelle, weil sein Vater ihn da initiiert in gewisser Weise. Die Frage, die ich mir Stelle, was hat er (der Sohn) dafür geleistet. Ich finde es dennoch eine gute Stelle; er musste immerhin mit und außerdem ist es ja auch seine Wahrnehmung der Dinge.

Wir wollen uns am Südend sammeln, und dann weitersehen.

Einfach: "Wir sammeln uns am Südend und sehen dann weiter" ?
Das mit 'wollen' klingt für mich merkwürdig.

Letzter Durchlauf (denke ich) folgt. Die anderen hat die Moderation ja schon freundlicherweise zusammengefügt. Da nochmal eine kleine Rechtfertigung: Ich hatte das einzeln geschrieben, weil ich nicht wusste, wie viel da noch kommt und die einzelnen Kommentare für sich ja auch schon recht lang sind und man auch manchmal nicht weiß, ob jemand, wenn es keinen rotblinkenden Hinweis gibt, merkt, dass da noch was hinzugekommen ist (zumindest meine Erfahrung). Und wenn es deshalb untergeht, finde ich es schade. Das alles offline zusammenzuschreiben, um dann den super fetten Kommentar zu droppen, finde ich einfach nicht so übersichtlich, außerdem funktioniert das mit der Formatierung manchmal nicht. Klar, man muss jetzt eine Story nicht ständig hochpushen in der Anzeige, aber ist ja schon in einem engen zeitlichen Rahmen gewesen und es kommentieren ja jetzt auch nicht so viele Leute in so einem größeren Umfang. Aber kann das, wie gesagt, schon auch verstehen.

 

Hallo @AWM,

danke dir für deinen Kommentar und deine Zeit.

Ich habe einiges übernommen aus deinem Kommentar (vor allem die Szene mit dem Säugling, die habe ich um 180 Grad gedreht) anderes bin ich mir noch nicht sicher, es soll ja immer noch mein Text bleiben, mit all seinen kleinen Eigenarten und auch dem Pathos.

Ich habe aber zwei Punkte, die mich stören. Zum einen ist da die Lichtsituation. Da habe ich das Gefühl, dass ich nie weiß, wie hell es jetzt schon ist, was man sehen kann und was unwahrscheinlich ist, zu sehen. Habe deine Geschichte nur einmal gelesen. Aber ich habe das Gefühl, dass es da häufiger mal hell oder fast hell wird etc.

Sehe ich ein. Der Zeitablauf ist da noch nicht ganz sauber, muss ich ran. Ich müsste mir wirklich da mal was überlegen, weil mir das öfter passiert, das die Chronologie etwas durcheinander kommt. Gehe ich nochmal ran.

Das empfinde ich auch nicht so. Sie haben sich ihrer Verantwortung ja schon entzogen, als sie nichts getan haben, obwohl sie wussten, dass das irgendwann passieren muss. Dann reagieren sie ja schon sehr emotional auf den Typ aus der Stadt.
Verstehe ich, sehe ich aber anders. Der Großvater hat damals beim Bau des Absperrbauwerks mitgearbeitet, und seiner Ansicht nach war es minderwertiges Material. Natürlich steht seine Stimme gegen die der anderen, wahrscheinlich gesellschaftlich höher Positionierten. Das findest du auf der jeder Arbeitsstelle, das der Chef immer Recht hat, auch wenn keinerlei Ahnung vorhanden ist, das ist eine Frage der sozialen Stellung. Selbst wenn er da widersprochen hätte, hätte das mit Sicherheit nicht das erhoffte Echo gegeben - vielleicht hat er das ja auch schon getan, darüber sagt die Geschichte nichts. Ich könnte das noch einfügen, so dass er sagt: "Ich hab das damals schon gesagt, und keiner hat mir zugehört." Kann man machen, ist natürlich etwas offensichtlich, so eine Art Zirkelschluss, damit es passt. Oder im letzten Absatz sagt der Sohn dann, sie hätten etwas gesagt, die Presse wäre gekommen und hätte berichtet, aber das sei alles im Sande verlaufen. Ich glaube, die Leute in der Geschichte sind welche, die das System kennen und im Grunde damit abgeschlossen haben. Sie wissen, dass niemand Verantwortung übernehmen wird, das einige eben unberührbar bleiben.

Ich bin gerade am überarbeiten, deswegen gib mir mal ein bisschen Zeit, ich melde mich auf jeden Fall noch dazu.

Fluss und Melodie von Sprache. Ist wichtig für Literatur. Wichtiger als der Inhalt. Ich weiß, dass wir da unterschiedlicher Meinung sind. Und nagel mich nicht darauf fest, dass ich sage, dass der Inhalt nebensächlich ist. So habe ich das nicht gemeint.
@Analog, danke für deine Rückmeldung. Ja, verstehe, ich hab hier mal versucht, auch etwas bildlicher zu schreiben, ist mir wohl nur teilweise gelungen. Ich finde Stil auch sehr wichtig, aber er darf eben nicht zu einem Selbstzweck werden. Das ist natürlich als Autor immer so eine Sache, weil du da schnell dir selbst aufsitzt, weil es oft keiner kontrolliert, ob du über die Stränge schlägst. Peer review ist deswegen umso wichtiger.

@Carlo Zwei

danke auch dir für deinen Kommentar bis jetzt. Ist alles sehr lang und auch kleinteilig. Mit einigem bin ich einverstanden, mit anderem nicht. Ich bin, wie gesagt, am Überarbeiten. Lass mir ein bißchen Zeit, dann melde ich mich ausführlich.

Gruss, Jimmy

 

In dieser Nacht verloren über dreihundert Menschen ihr Leben. Die Flutwelle überraschte sie in ihren Betten, und ich stelle mir vor, dass sie träumten, als das Wasser kam.

Das ist wichtige Info, aber sie kommt schon etwas unvermittelt, etwas eingeschoben. Das könntest du aus der Story entwickeln.

Seine drei Söhne hatte er in den Weltkriegen verloren und kannte den Tod.

ich bin etwas ratlos, was diese Stelle angeht. Das kriegt viel viel Gewicht und da wird nochmal eine Lebensgeschichte erzählt. Ich glaube, ich würde da beim Protagonisten bleiben. Woher weiß er das so genau? Man kann das ja sehen und auch über Reaktionen eines Menschen vermuten, dass er dem Tod ins Auge ... Aber hier ist es Tell.

Seine drei Söhne hatte er in den Weltkriegen verloren und kannte den Tod. Aber er war sich trotzdem sicher, dass man seine vermisste Frau in den Trümmern finden würde.

Ich würde mit 'Trotzdem' in den zweiten Satz starten. Dieses Wort bringt den Charakter des Verwunderlichen zum Ausdruck. Das 'aber' ist überflüssig.

... kannte den Tod. Trotzdem war er sich sicher, dass man seine vermisste Frau in den Trümmern finden würde.

weißen Diplomat

schönes Detail, was ja auch diesen Charakter auf den Punkt bringt.

Er umfasste die Seiten des Koffers mit beiden Händen und hob ihn auf Brusthöhe.

Ein Koffer voller Geld? Nicht lieber so ein Briefumschlag (vielleicht auch einer von den großen, braunen?). Ich meine, wieviele Scheinbündel sollen da drin sein?

Ich hörte das scharfe Zischen, spürte die Bewegung in der Luft.

Das bezweifle ich, dass man das hört. Er kann meinen, die Bewegung in der Luft zu spüren. Aber so finde ich es übertrieben.

„Schmutzig, und wenn du `s einmal genommen hast, das nimmt kein Ende.“
Mein Großvater nahm einen der Eiswürfel in den Mund,

Ich finde den Satz , "das nimmt kein Ende" okay. Aber weil es dann diese Dopplung mit 'nehmen' gibt, würde ich das als Anlass sehen, den Teilsatz noch etwas ausdrücklicher zu gestalten.

quer zu schießen

querzuschießen, oder?

„Das hat uns nicht zu interessieren.“

sehr gut. Da wird er mit seinen Beliefs für mich greifbar. Und es fügt sich wieder in diese von dir in vielen deiner neueren Geschichten umrissene Haltung.

Du hast alles richtig gemacht, aber er schüttelte den Kopf. Wir haben alles richtig gemacht, sagte er dann. Danach hat er nie wieder über diese Nacht gesprochen.

Das Ende finde ich gut, aber noch nicht optimal. Ich würde den Fokus auf 'Du hast alles richtig gemacht' legen. Dort fängt der Sohn an, Rechenschaft über das Handeln seines Vaters abzulegen, die Initiation ist abgeschlossen. Und das würde ich bekräftigen.
So in etwa:

Einmal hat er mich gefragt, ob er das Geld hätte nehmen sollen. Nein, habe ich gesagt. Du hast alles richtig gemacht.

Und dann so etwas wie: 'Und an nichts anderes glaubte ich.' oder '... glaube ich' oder 'Und daran glaube ich' etc.

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Ich finde deine Story gut und bin gespannt auf den Erzählband, den das sicher mal gibt :D
Dass ich so viele Stellen kritisiere, liegt nur daran, dass ich mir Mühe gegeben hab, sehr konzentriert zu lesen. Du weißt ja, dass deine Texte gut sind und du da an etwas dran bist, dass dich beschäftigt und zu guten Ergebnissen führt. Bin gespannt, wie es weitergeht.

Beste Grüße
Carlo

 

Das Ende finde ich gut, aber noch nicht optimal. Ich würde den Fokus auf 'Du hast alles richtig gemacht' legen. Dort fängt der Sohn an, Rechenschaft über das Handeln seines Vaters abzulegen, die Initiation ist abgeschlossen. Und das würde ich bekräftigen.

Nur mal kurz vorweggegriffen. Das sehe ich anders. Es ist insgesamt ein zweischneidiges Schwert,d die ganze Angelegenheit. Und indem der Vater ihn inkludiert, in dem er ihn so mit in die Geschehnisse dieser Nacht einbindet, zollt er ihm Respekt, auch wenn das nachträglich passiert, das wissen wir ja nicht, was da vorher drüber geredet wurde. Wenn ich es jetzt umdrehe, und der Sohn da seinen Vater bekräftigt, also wie du es nennst, Rechenschaft ablegt, dann habe ich nur eine Verlängerung des Vaters, aber keinen mündigen Charakter. Das ist jedenfalls meine Meinung.

Das kriegt viel viel Gewicht und da wird nochmal eine Lebensgeschichte erzählt. Ich glaube, ich würde da beim Protagonisten bleiben. Woher weiß er das so genau? Man kann das ja sehen und auch über Reaktionen eines Menschen vermuten, dass er dem Tod ins Auge ... Aber hier ist es Tell.

Ich finde nicht, dass dieser eine Absatz jetzt gegenüber dem gesamten restlichen Text sehr viel Showtime bekommt. Das ist eine Zusammenfassung der Ereignisse, ein Resümee. Und woher er das so genau weiß? Ich würde mal vermuten, eine solche Geschichte wird nach einer solchen Katastrophe relativ schnell zu einer Legende, die oft erzählt und auch oft auseinandergenommen wird; jeder Ort kennt doch solche Geschichten, Mythen fast. Und dieser Mann ist ja im Grunde auch schon so etwas wie ein Mythos im Text, eine Verkörperung des Überlebenswillens, gemeinsam mit der Frau und dem Distelfink, der ja ein christliches Symbol ist, da wird das zu einer mystischen Legierung, der ich nicht widerstehen konnte. Und ja, ist ausnahmsweise mal etwas mehr Tell, aber hey, ich finde das jetzt nicht übertrieben. Man erlaube mir das auch mal.

Ich habe die Dialoge noch mal etwas geändert, die sind in ihrer Wirkung etwas uneindeutiger, ich glaube, das nimmt dem Ganzen diese scharfen Kanten. Mal sehen, Text ist in Bewegung.

Gruss, Jimmy

 

Hallo @jimmysalaryman ,

ich habe deine beeindruckende Geschichte jetzt das zweite Mal gelesen, um meine ersten Eindrücke, die ich da hatte, nochmals zu überprüfen und auch, weil ich nun an einem bequemen Computer zum Tippen hänge, um etwas Recherche zu betreiben.
Was auch immer bei mir schief gelaufen ist, ich habe nichts über eine damalige Katastrophe im Jahre 1969 gefunden. Auch "die Ville" oder "der Ville" zu finden, war anfangs nicht so einfach, weil natürlich zunächst Willy de Ville aufploppte, der meiner Meinung nach zu früh gestorben ist.

Wie auch immer, ich habe ein paar Dinge dazu gelernt während dieser Geschichte und ich gehe jetzt einfach mal Punkt für Punkt das Ganze durch, nachfolgend also eine bunte Mischung aus Lob, Fragen, Verbesserungsvorschlägen und so weiter, grad so wie es kommt:

Das Jahr war 1969. Nach einem schneereichen Winterbeginn veränderte sich Anfang Februar das Wetter. Warme, feuchte Luft brachte Dauerregen und ließ den Schnee immer weiter schmelzen. Das große Tauen begann.
Ich denke, das kann noch gerafft werden, zu z.B.: Nach einem schneereichen Winterbeginn 1969 veränderte sich Anfang Februar das Wetter radikal. Warme, feuchte Luft brachte Dauerregen und ließ den Schnee immer weiter schmelzen.

Du weißt, das gilt auch für alles noch Folgende, dass dies wirklich nur Vorschläge sind, die auch gut und gerne verworfen werden dürfen. Und ich möchte jetzt schon betonen, dass es eine Kritik auf sehr hohem Niveau ist, damit meine ich nicht, dass meine Kritik ein hohes Niveau hat, sondern deine Geschichte. Sie könnte gut und gerne auch schon so wie sie ist gedruckt werden.

Ich träumte. Ich lag auf kaltem, feuchten Grund, es war dunkel, über mir der Himmel, den ich wie durch ein zu starkes Brennglas sah. Die Hand spürte ich zuerst im Nacken - große, grobe Finger, die kräftig zupackten und mich in die Dunkelheit schleiften, in eine absolute, tiefe Schwärze, von der ich ahnte, dass sie der Tod war, das Ende.

Ich bin mir selbst beim zweiten Lesen immer noch nicht darüber im Klaren, ob hier nicht viel zu viel Erwartungsdruck aufgebaut wird. Das war damals ein 14jähriger, der hat die Dinge sehr wahrscheinlich nicht mit dieser belastenden Wucht erlebt. Eher vielleicht bruchstückhaft, wie du es ganz wunderbar innerhalb der Geschichte so hie und da eingeflochten hast.
Ich glaube, mir wäre es angenehmer, wenn der Großvater einfach nur den Jungen weckt.
Es ist mir hier ein bisschen zu dick, verstehst du wie ich das meine?


Er trug Wathosen, darüber eine Windjacke,
Ach ja, beim ersten Mal dachte ich: Tippfehler, der meint Watthosen, dann hab ichs jetzt gegoogelt und siehe da, die Watthosen heißen tatsächlich Wathosen. Dazu gelernt.
Ein bisschen ziehen mich solche Dinge aus der Geschichte raus. Aber alles an Fachausdrücken weglassen wäre auch wiederum eine Beleidigung des Lesers, weil dann ja alles plattgemacht würde in die einfachste Sprache. Dürfen also durchaus auch Begriffe drunter sein, die man nicht so ganz versteht und wenn, dann sowieso nur aus dem Sachzusammenhang. Ist schon ok so.


Ich habe seinen Blick bis heute nicht vergessen. Er wusste, diese Dinge würden bleiben.
Nein, das ist zu sehr der Adlerblick. Was war das für ein Blick und der zweite Satz hat zu viel Dramatik in narrativer Form. Ich denke, es würde gut passen, wenn du einfach versuchst, diesen Blick besser für den Leser einzufangen, ohne Bewertung. Vielleicht blickt er einfach so blicklos als könnte er die Zukunft sehen. Er weiß, dass da jede Menge Furchtbares ihn erwartet im Tal und er wappnet sich dagegen mit Akzeptanz.
Ich weiß, dass darzustellen, ist irre schwierig. Ich könnte es grad nicht.
Die Stiefel schmiegten sich eng um den Fuß, waren gerade schwer genug, um darin nicht den Stand zu verlieren.
Hier fragte ich mich, da es ja die Stiefel des Vaters sind, wieso sie so gut dem Sohn passen.
Beim ersten Lesen dachte ich, dass du da too much Gefühl reinschreibst. Aber beim 2. Mal ist es in Ordnung, der Sohn verehrt seinen Vater (auch den Großvater) und dementsprechend äussert sich das an den Stiefeln, nein am Wort "schmiegten".
Das mag ich an deinen Texten, dass du oft mit verflucht wenig auskommst, um viel darzustellen.

Mein Großvater wartete draußen im Wagen mit laufendem Motor. Nachbarn standen auf der Straße, vor den Häusern, manche in ihren Morgenmänteln. Sie sprachen aufgeregt miteinander, wussten offenbar nicht, was zu tun war. Mein Großvater saß hinter dem Steuer und öffnete mir die Beifahrertür.
Zum einen hat mich gestört, dass er im Wagen draußen wartet und du dann nochmals ansetzt und mitteilst, dass er hinter dem Steuer sitzt. Könnte man das nicht schlanker machen? Und dann ist mir zuviel tell in der Schilderung der Nachbarn. Aufgeregt, woran erkennt der Junge das? Nicht wissen, was zu tun ist, woran erkennt man das?

die er für die rote Arbeit
naja...hier ist so ein Begriff, den hab ich mir vermutlich falsch zusammen gereimt, aber er stört auch nicht sehr...als dann von Gekrösemesser die Rede ist, dachte ich an Jagd und gestehe, dass ich erst sehr spät erkannt habe, dass es ums Angeln geht. Meine Blödheit?

. Ich betrachtete diese Gegenstände, sie schienen sich verändert zu haben, wirkten seltsam neu, als sähe ich sie zum allerersten Mal.
Hier schindest du Zeit, aber warum?
den Grat der Ville fuhren:
Dazu hab ich ja schon in der Einleitung etwas geschrieben.
Der ganze Schnee und dann zu heiß“, sagte mein Vater. „Mitte April fünfunddreißig, fast vierzig Grad.“
Echt jetzt? Im April? Mir erscheint es unglaubwürdig, dass es sooo heiß wurde. Aber ich unterstelle, dass es recherchiert ist.

Ich nickte.
„Gut“, sagte er. „Dann ist ja gut.“
Das ist diese wortkarge verkürzte Art, wie in der Familie geredet wird unter Männern.
Es bleibt offen, ob dieses "dann ist ja gut" einen leichten Tadel enthält und gerade deswegen macht es das spannend.

Beide Männer verdienten ihren Lebensunterhalt seit jeher mit schwerem Gerät. Sie fuhren Sattelzüge, Tieflader, Spezialfahrzeuge für Langmaterial, bedienten Kräne, Betonmischer und Hublader. Kleine Kinder kamen zum Betriebshof der Familie, blieben vor dem Sicherheitszaun stehen, um ehrfürchtig die großen, mächtigen Maschinen dahinter zu bestaunen. Jede Unze davon gehört uns, sagte mein Vater immer, darauf war er stolz. Sie liehen sich niemals Geld von der Bank. Sie arbeiteten hart, zahlten in bar und hatten bei keinem Schulden.
Hier schwingt Heldenverehrung mit. Mir ist es zu viel davon an dieser Stelle. Oder möchtest du damit erreichen, dass dem Leser klar wird, dass der Junge nicht nur von damals berichten möchte, sondern auch gleichsam neben dem Bericht, seinem Vater und dem Großvater ein kleines Erinnerungsdenkmal errichten möchte? Ich bin da nicht ganz sicher, was die Intention ist. Man könnte eigentlich alles weglassen und sie wären trotzdem noch Helden, solide Männer, die das Wort Hilfsbereitschaft und Hilfe live kennen.
Das müsstest du nicht mit diesem Absatz noch untermauern.

Dann stoppte die Unterredung. Die Männer sahen alle gleichzeitig zum Wagen herüber, und ich hörte, wie mein Vater sagte: „Er ist alt genug.“ Nein, das stimmt nicht, ich hörte die Worte nicht, ich sah nur, wie sein Mund sie formte.
Spannung pur. Man denkt sofort: oh je, was kommt jetzt.
Für einen langen Moment betrachtete er mich, die Stirn in tiefen Falten, die Lider aufgequollen.
„Wie alt bist du?“
„Vierzehn.“
Hm....du willst natürlich an einer guten Stelle das Alter des Jungen unterbringen, sehe ich ein. Und ich weiß selbst, wie schwierig das ist, dass zu tun, ohne aufgesetzt zu wirken. Aber hier wirkt es leider aufgesetzt.
aber etwas hatte sich verändert, es herrschte Aufregung, Angst.
show...please...egal, wie lang der Text wird.
„Unten im Tal, um keinen Preis der Welt.“
Perfekt. Ein Satz und eine ganze Welt ist erklärt.
Grauwacke für die Schüttung
Hier ist so ein Ausdruck, da muss ich nicht nachgucken, ich muss es nicht genau wissen, es reicht, dass ich erfahre, dass es mit dem Dammbau zu tun hat.
Seine Hände waren breit, mit Narben übersät, die Knöchel rau und weiß, unter der dicken, ledrigen Haut seiner Finger bewegten sich fortwährend Sehnen und Muskelstränge.
Super gemacht. Der Großvater wird plastisch, indem du seine Hände schilderst.
Hinter der nächsten Kurve stand ein Brandfuchs auf einem auseinandergefallenen Holzpolter. Die schmalen Raubtieraugen reflektierten das Scheinwerferlicht, Kehle und Bauch so dunkel wie Asche. Er stand reglos da, mit ausdruckslosem Blick, Fang in den Wind gerichtet, Läufe voller Schlamm. Da war dieser Geruch, den ich bis heute nicht vergessen kann: nach kalkhaltiger Erde, den das Wasser aus den tief liegenden Sedimenten gewaschen hatte, sauer und beißend. Wir atmeten ihn ein, mit ihm die Geschichten, die nie erzählt werden würden.
Erst dachte ich beim ersten Lesen, och nöööö, jetzt fängt er mit Jagdmotiven an. Aber jetzt würd ich sagen, doch, doch, gehört exakt so und nicht anders hier rein. Es ist dieser krasse Gegensatz Mensch zu Tier. Er, der Fuchs hat nichts verbrochen, er sieht die Katastrophe und kann sich abwenden, die Menschen sehen die Katastrophe und müssen nun handeln, weil sie ihre eigenen Fehler beseitigen müssen. Die Szene gefällt mir gut.
Und die Schilderung des Geruchs, so klug eingebettet in die Tragik, besser kann man das an dieser Stelle nicht formulieren.
Ich bin da mittendrin mit den Männern in diesem Film.
„Nach was suchen wir?“
Ja, genau, so etwas fragt ein 14jähriger, der selbst noch nicht so gepeilt hat, was genau die Männer wollen. Gute Frage. Und an dieser Stelle könnte ich mir vorstellen, dass als Antwort gefragt wird, wie alt er ist, um ihn für die kommenden Momente ein kleines bisschen erwachsener zu machen. Verstehst du, wie ich es meine? Du könntest es dann da oben weglassen.
Ich dachte es mir in etwa so:
"Nach was suchen wir?"
Antwort:
"Stellt ein 14jähriger noch solche Fragen?"
Ein Telegrafenmast lag quer vor uns, die Isolatoren schwangen frei. „Nicht anfassen“, sagte mein Großvater und zeigte auf den grün schimmernden Holzstamm. „Giftig.“ Dann blieb er stehen, um mit der Taschenlampe über die Ebene zu leuchten. Tiefe, mit Wasser und Schlamm gefüllte Trassen durchzogen die Talsohle, überall Anhäufungen von Dingen, deren Form und Zweck fast nicht mehr wiederzuerkennen war; zerdrückt, verbogen, zerstört. Die Dachhälfte einer Scheune schwamm obenauf, Teile von Fahrrädern, Eisenstangen und Mülltonnen bildeten eine Insel, Fensterrahmen, von den Polen gerissene Briefkästen und Blumenkästen eine andere, überzogen mit einer Schicht aus Erde und Schlamm, Heu, Gras und Steinen. Dazwischen entwurzelte Bäume, Kiefern mit langen Stämmen, wie nebeneinanderliege Rippen, unterbrochen von Furten, in denen Wasser stand.
Was für eine beeindruckende Schilderung. Das ganze Chaos und Grauen ist da dargestellt, kein Wort zuviel, irgendwie wie voll die Kamera drauf gehalten.

Die Zunge hing ihr aus dem Maul, angeschwollen und dunkel glänzend, und immer wieder die Laute aus den Tiefen der Kehle – ein ersticktes Grölen, vor Erschöpfung ganz rau, unterbrochen vom Geräusch des Atemholens. Die feuchten Nüstern vibrierten bei jedem Zug, der Pansen und ein Teil des Labmagens lagen vor ihr im Dreck. Mein Großvater zeigte auf ein langes Stück Wellblech, das unterhalb des Bugs in ihren massigen Körper eingedrungen war und die Dünnung aufgerissen hatte. Der Bauchlappen hing lose über dem Metall,
Sehr gute Darstellung. In diesen Passagen sieht man einfach ganz viel Schreiberfahrung.
Chapeau!

und ich folgte ihm schweigend, achtete auf die Abdrücke seiner Schuhsohlen, ich sah mich nicht mehr um.
Konnte er Abdrücke schaffen? Für mich ist da immer noch knöcheltiefer Schlamm. Vielleicht einfach nur ein winziger Hinweis darauf, dass es nur noch ein paar Zentimeter sind?
Denn:
Die Beschreibung selbst ist wieder mal eine Punktlandung, weil du mit einem Satz beschreibst, dass der Junge Schutz sucht und das geht sogar so weit, dass er ihm in den Fußstapfen folgt. Der 14jährige, der zwischen kleiner und großer Junge hin und herpendelt.
Stehengebliebene Wände von Scheunen, Häusern, die umliegenden Mauern fortgerissen, Steine, Wurzeln, Erdreich, dichte Schaumflocken vom aufgetriebenen Wasser, und wir gehen Schritt für Schritt, nichts passiert. Die Luft wird kälter, der Wind schneidet mir ins Gesicht, am Horizont Lichter, kreisrund und hell, die Corona dehnt sich hinter dem Nebel aus, eine Kette aus Licht. Und da stehen wir, vor dieser grauen Einöde, die so endlos scheint, Schlamm und noch mehr Schlamm, der Schein des Mondes zieht sich bis zur Stirnseite des Tals, der Damm thront über allem, eine Kraft für sich, wir so klein, am Ende einer Kette von Ereignissen angelangt. Aufsteigender Dampf, die Dinge ihrem Zweck entledigt, Ruinen ohne Funktion, über allem der Geruch von Heu und Kanalisation, Dung und Nadelhölzern. Endloses Waten durch die Elemente, durch die Stille.
Starker Absatz.
Sie waren von der anderen Seite des Tals gekommen, hatten das Absperrbauwerk hinter sich gelassen, mit Booten der DLRG die überfluteten Dörfer durchkämmt. Ich starrte auf das Wasser, das vor uns lag - da waren Linien in der Tiefe, lange Geraden, so gleichmäßig, als seien sie mit sicherer Hand gezeichnet worden. Sie wurden von dunklen Bereichen unterbrochen, von großen, rechteckigen Formen mit scharfen Kanten.
Gefällt mir, dass er erst später begreift, was er da gesehen hat und übrigens ist der Titel auch sehr treffend gewählt.
Die Krone einer Tanne ragte aus dem Wasser, ich streckte meine Hand aus, ließ sie an den Zweigen vorbeigleiten, die Stiche der Nadeln ein vertrautes Gefühl.
Traurig schönes Bild und wieder beschreibst du so immens viel in einem Satz. Sehr gekonnt.
Ein Strampler aus gestreifter Wolle, in dem sich ein paar Laubblätter verfangen hatten. Die Augen offen, ich blickte in starre, dunkle Pupillen und wollte meine Hand ausstrecken, um es zu berühren.
Mir gefällt es, dass du da nicht auf Emotionen aus bist, es klingt nüchtern und damit so sehr tragisch. Das Wenige macht daraus das Mehr.
Es war die Art, wie er mich ansah. Er sah mich so an, wie er die anderen Männer angesehen hatte, als gäbe es da einen Bund zwischen ihnen, als seien sie alle Teil einer großen, gemeinsamen Sache.
„Komm weiter. Wir wollen uns am Südend sammeln, und dann weitersehen.“
Hier wieder dieses Pendeln, eben noch Junge, jetzt wieder auf dem Weg zum Mann, diese Wechselbäder des Jungen hast du gut dargestellt.
Als sie ihn aus dem Schlamm zogen, da habe er einen Distelfink am Himmel fliegen sehen, sagte er, und das bedeute Hoffnung.
Bei Distelfink musste ich an das Buch/den Film mit gleichnamigem Titel denken. Du auch?
Du lockerst das Grauen damit auf. Wie du das machst, dass sich das alles so nahtlos einfügt, bewundere ich sehr. Denn im Grunde ist es ja ein Bruch mit der Stimmung, nicht wahr. Aber es passt sauber hier hin.
Noch Monate später hörte ich die Geräusche der Staumauer – ein dunkles Knirschen, Stein auf Stein, sich biegendes Metall. Es klang wie das Klagen eines verwundeten Tieres.
Ja, da ist er wieder Junge und nur vierzehn. Ich bin froh, dass du keine Albträume reingeschrieben hast. Das wäre für mich zu klischeehaft gewesen.
Eine Woche später tauchte ein Mann aus der Stadt vor unserer Einfahrt auf. Ich erkannte ihn an der Aktentasche aus Glattleder, die er in den Händen trug und an dem weißen Diplomat, den er auf der Straße gegenüber parkte.
Eigentlich würde ich hier gerne rufen: Achtung! Vorurteilealarm. Aber leider kann ich nur dazu sagen, dass ich wie du der Meinung bin, dass die Leute und ihre Gegenstände damals irgendwie eine Satire ihres Selbst gewesen sind. Das Klischee lebte damals. Vielleicht werden unsere Nachfahren es über uns auch einmal behaupten. Aber dann werden wir nicht mehr widersprechen können.
Und danach `nen eiskalten Bismarck.“ Der Mann lächelte, aber mein Vater schüttelte den Kopf. „Nein, seit Jahren keinen Tropfen mehr angerührt.“
Mir gehen langsam die Vokabeln aus, die Lob ausdrücken sollen. Dieser Verbrüderungsversuch des Schmierlappens und sein grandioses Scheitern an der Frage Alkohol ja oder nein, besser kann man Gegensätze nicht darstellen. Gelungener Schachzug.
„Unsere Gutachter werden das eingehend prüfen, und ungeachtet der Ergebnisse werden wir natürlich die volle Verantwortung übernehmen.“
Ja, so reden sie alle, damals heute und morgen...irgendwie stirbt diese Spezies nicht aus.
Ich hörte das scharfe Zischen, spürte die Bewegung in der Luft. Der Koffer fiel hin, der Mann fasste sich verwirrt ins Gesicht, und mein Großvater schlug noch einmal zu, die Hand diesmal zur Faust geballt. Das trockene, dumpfe Geräusch brechender Knochen, der Mann wankte, Blut rann ihm über die Finger, seine Knie wurden weich, dann verlor er das Gleichgewicht, glitt zu Boden, der Kopf gleich neben dem Koffer im feuchten Dreck.
Und hier noch eine Überraschung am Ende. Damit hätte ich nicht gerechnet, dass der Großvater so ein Heißsporn ist. Und ganz ehrlich, so ganz kaufe ich dem älteren Herrn das auch nicht ab, dass er jetzt sogar so wütend wird, dass er gewalttätig wird. Aber ich will dir die Szene auch nicht ausreden. Vielleicht irgendwo an passender Stelle dem Großvater eine Ecke Wut zuschreiben? Den Leser auf diese Charakterseite von ihm etwas vorbereiten?


. „Wir hätten das Geld gut gebrauchen können“, sagte sie.
Mein Vater schüttelte den Kopf. „Schmutzig, und wenn du `s einmal genommen hast ...“
Klasse, dass genau dieser Einwand kommt, denn mal ehrlich, an dieser Geldnehmenwirnicht-Stelle schrappst du mächtig dicht an der Kitschgrenze der über allen Dingen stehenden Helden entlang und genau das hast du nicht nötig, du hast die Figuren so plastisch geschildert, die müssen jetzt nicht dahin abrutschen. Diese kritische Bemerkung der Mutter und auch die dann am Ende des Vaters selbst, verhindern das Schlimmste in puncto Heldenverehrung.
ist alles eine Mischpoke da oben, die haben schön geschachert damals und beim Bau `ne Menge Geld verdient."
Hier habe ich mittlerweile, ich gestehe früher hätte ich es nicht erwähnt, so meine Sorgen, was deine Wortwahl anbelangt. Die damalige Sprache war tatsächlich deutlich mehr mit judenfeindlichen Bemerkungen/Worten durchsetzt als es heute der Fall ist. Genau deswegen, weil es in diese Zeit gehört, würde ich es auch so stehen lassen als etwas Authentisches. Aber es dürfte wohl auch eine ganze Gruppe geben, die das anders sieht, nicht wahr?

Der Sommer ging, der Winter kam. Die Dörfer wurden aufgebaut. Die Toten beerdigt.
Ich würde die Reihenfolge ändern. "Der Sommer ging, der Winter kam. Die Toten wurden beerdigt. Die Dörfer aufgebaut."
Erst Jahre später verstand ich, dass die Linien im Wasser Straßen und die dunklen Rechtecke die Umrisse der Häuser gewesen waren. Tief unten, eine stille, versunkene Welt.
Genau, hier muss es jetzt stehen, welche Nachwirkungen der 14jährige noch von damals hat.
Manchmal gehen wir noch gemeinsam auf die Jagd, aber ich spüre, wie müde er geworden ist.
Was würde passieren, wenn du diese Sätze ganz weglässt?

Gute Geschichte mit sehr viel, wie mir scheint historischem Hintergrund. Korrigiere mich bitte, aber ich werte sie auch als eine Art Zeitdokument. Deine Schilderungen sind so, dass ich mich immer unter den Leuten stehend gesehen habe. Du weißt gut den Leser mitzunehmen.
Es ist eine dieser unangenehmen Geschichten, die man eigentlich nicht lesen will, weil darin so viel Schlimmes passiert. Aber natürlich käme ich nicht auf die Idee, sie deswegen auch nur ein Quentchen negativ zu sehen. War bestimmt nicht so einfach, sich auf das einzulassen. Da hast du all meinen Respekt erschrieben.

Lieben Gruß

lakita

 

Hier habe ich mittlerweile, ich gestehe früher hätte ich es nicht erwähnt, so meine Sorgen, was deine Wortwahl anbelangt. Die damalige Sprache war tatsächlich deutlich mehr mit judenfeindlichen Bemerkungen/Worten durchsetzt als es heute der Fall ist. Genau deswegen, weil es in diese Zeit gehört, würde ich es auch so stehen lassen als etwas Authentisches. Aber es dürfte wohl auch eine ganze Gruppe geben, die das anders sieht, nicht wahr

Zu deinem Kommentar schreibe ich gleich noch was. Nur hierzu erstmal,@lakita, weil ich das doch recht brisant finde. Erstens, so etwas zu behaupten, und zweitens, es einfach so unkommentiert stehen zu lassen. Wo ist das denn bitteschön judenfeindlich? Das ist, wenn überhaupt, jiddisch. Mein Großvater ist in Lemburg, Galizien geboren und unter Juden aufgewachsen. Mischpoke und schachern sind jiddische Worte, die, zumindest in meiner Familie, in der Alltagssprache aufgegangen sind. Malochen, Schmusen, mauscheln, etwas dufte finden - alles jiddisch. Es sind aber keine anti-semitischen Begriffe per se, außer du argumentierst so, dass du meinst, nur Juden dürfen auch die jiddische Sprache verwenden. Natürlich kann man jiddisch auch im anti-semitischen Kontext gebrauchen, aber der ist doch in meinem Text gar nicht gegeben. Deswegen frage ich, warum du dem Text diese Gesinnung unterstellst?

Gruss, Jimmy

 

@jimmysalaryman ,

zunächst erstmal was vorneweg, weil du etwas zu kitzelig reagierst: ich habe NICHT und zwar an keiner Stelle behauptet, dass du judenfeindlich bist und dich entsprechend so ausdrückst.

Vielleicht gehört meine Bemerkung auch eher in eine allgemeine Diskussion, denn mir geht es um die Frage, ab wann die Verwendung von jiddisch, wie du es nennst, nicht mehr erfolgen sollte, weil eben der Verdacht des Judenfeindlichen darauf lastet.

Übrigens für deine Geschichte habe ich sogleich die Antwort mitgeliefert und geschrieben, dass ich es aus Gründen der Authentizität für angemessen halte, es so zu schreiben.

Und klar sind diese und viele andere Begriffe/Worte per se nicht judenfeindlich.
Deine Protas verwenden sie aber in einem negativen Kontext, sie beschweren sich über die Machenschaften der Staudammerbauer und betiteln das dann mit diesen jiddischen Ausdrücken.

Und auch wenn in deiner Familie vielleicht das Jiddische ein Teil der Sprache gewesen ist, so befinde ich mich in einer anderen Position bei der Verwendung diese Worte. Wenn in meiner Familie, Freunden, Bekannten schachern gesagt wurde, dann war das immer ein negativer Ausdruck und Mischpoke ebenfalls. Das wurde immer in einem abfälligen Kontext verwendet, genau wie in deiner Geschichte geschehen. Dass mit diesen Äusserungen nie Juden gemeint waren und auch in deiner Geschichte sie nicht gemeint sind, darüber dürfte wohl zwischen uns Einigkeit herrschen.

Meine Frage, meine Zweifel gelten der grundsätzlichen Verwendung dieser Worte. Darf man das heutzutage noch tun und führt es nicht dazu, dass man der durchaus in unserer Bevölkerung noch vorhandenen Judenfeindlichkeit damit Vorschub leistet, denn dort wird es natürlich als aus ihrer Sicht berechtigten Angriff gegen die Juden gewertet.
Insoweit bitte ich dich, mich nicht misszuverstehen.

Ich selbst habe ja, das betone ich nochmals, bereits meine persönliche Antwort darauf gegeben: ja, ich finde, in einer Geschichte, die 1969 spielt, darf das sein, denn damals hat man viel öfter so gesprochen.

Lieben Gruß
lakita

 
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Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:

@jimmysalaryman ,
ich habe deine Geschichte gestern gelesen, sacken lassen, und heute morgen dann noch einmal gelesen. Sie hat mich sofort mitgenommen, ich hatte Bilder im Kopf. Hier die Punkte, die mir aufgefallen sind oder an denen ich "gestolpert" bin.

Warme, feuchte Luft brachte Dauerregen und ließ den Schnee immer weiter schmelzen. Das große Tauen begann.
Du ziehst den Leser hier direkt in die Geschichte rein. Ich würde noch mehr komprimieren.
"Warme, feuchte Luft brachte Dauerregen. Das große Tauen begann."
Als ich die Augen aufschlug, saß mein Großvater auf der Bettkante. Ich öffnete den Mund, aber mein Puls schlug so heftig gegen die Kehle, dass ich nicht sprechen konnte. Da war die Wärme seiner Hand, die ausgestreckt und schwer auf meiner Brust lag. Für einen Moment schloss ich wieder die Augen, schmeckte die kalte, feuchte Luft, die durch die geöffneten Fenster hereinwehte. Mein Großvater blieb in der Tür stehen und drehte sich um.
Hier war ich beim Lesen irritiert, weil der Großvater plötzlich an der Tür steht. Ich würde die Sätze tauschen: "Als ich die Augen aufschlug ,saß mein Großvater auf der Bettkante. Da war die Wärme seiner Hand, die aufgestreckt und schwer auf meiner Brust lag. Ich öffnete den Mund, aber mein Puls schlug so heftig gegen die Kehle, dass ich nicht sprechen konnte (...) "
Würde für mich eher passen, weil der Prot ja im Absatz zuvor auch die Hand spürt in seinem Traum. Ich hoffe, du verstehst, was ich meine. Es ist für mich dann vom Ablauf her nachvollziehbarer, dass der Großvater in der Zwischenzeit aufgestanden ist und jetzt an der Tür steht.
Ich habe seinen Blick bis heute nicht vergessen. Er wusste, diese Dinge würden bleiben.
„Komm jetzt.“
Eine sehr eindringliche Szene, aber "er wusste, diese Dinge würden bleiben" ist ein Wechsel der Erzählperspektive. Das kann der 14 jährige Erzähler nicht wissen. Ich denke, du kannst den Satz weglassen, für mich verstärkt das sogar die Dramatik des Augenblicks.
In der Diele zog ich mir Jacke und Gummstiefel an. Die Stiefel waren in Frankreich von Hand gefertigt worden, mein Vater hatte sie sich extra für die Jagd zugelegt. Die Stiefel schmiegten sich eng um den Fuß, waren gerade schwer genug, um darin nicht den Stand zu verlieren.
Was mir besonders gut gefällt, man spürt, dass der Junge stolz ist darauf, dass der Vater ihm die extra in Frankreich gefertigten Stiefel leiht. Sie sind etwas Besonderes. Je mehr ich daüber nachdenke, desto mehr muss ich sagen, wirklich clever gemacht!
Nachbarn standen auf der Straße, vor den Häusern, manche noch in ihren Morgenmänteln. Sie sprachen aufgeregt miteinander, wussten nicht, was sie sonst tun sollten.
Auch hier wechselst du du die Erzählperspektive. Der Prot kann nciht wissen, was in den Nachbarn vorgeht. Es kann vielleicht auf ihn so "wirken", dass sie nicht wissen, was sie sonst tun sollten.
Mein Vater ließ sich auf den Beifahrersitz fallen, ein großer, schwerer Mann, und da kam dieser Geruch mit ihm, der über die Jahre in das Material seiner Hose eingedrungen war. Nach Schlick, vertrockneten Algen, den Innereien gefangener Fische.
Das ist fantastisch.
Die beleuchtete Uhr auf der Litfaßsäule zeigte 4:40. Weiter, vorbei an leeren Feldern, die Remisen und Scheunen grau und verlassen vor heller werdendem Himmel. Die Wälder am Rande der Flur lagen noch im Halbdunkel, unberührt von allem. Das Tal sah ich in dieser Nacht das erste Mal, als wir über den Grat der Ville fuhren: eine geschlossene Fläche, die im Mondlicht schimmerte
hier war ich irritiert. Der Himmel wird heller, also geht die Sonne auf. Kann dann noch das Wasser im Mondlicht schimmern? Ich frage einfach in den Raum, denn ich weiß es nicht. Ich will dir nur vermitteln, dass mich das im Lesefluss irritiert hat, weil ich die Lichtverhältnisse/Tageszeit nicht richtig einordnen konnte. Im Verlauf der Geschichte brauchen die Männer eine Taschenlampe, um etwas zu sehen. Also ist es doch noch dunkel? Ich will nicht kleinkariert erscheinen, aber das hat mich einfach rausgehauen aus dieser großartigen Geschichte. Vielleicht gehst du das einfach nochmal durch.
„Der ganze Schnee und dann zu heiß“, sagte mein Vater. „Mitte April fünfunddreißig, fast vierzig Grad.“
Kann das sein, 40 Grad im April?
Im nächsten Moment stieg ein Schwarm Rabenkrähen von einem der Felder auf. Ich hörte ihr Kra Kra über der Ebene verhallen, die kräftigen, schnellen Flügelschläge. Der Schwarm flog über das Dach hinweg und löste sich in kleine, schwarze Punkte am Himmel auf.
Hier würde ich auch komprimieren: "Ein Schwarm Rabenkrähen stieg von einem der Felder auf. Ich hörte ich Kra Kra über die Ebene verhallen, die kräftigen, schnellen Flügelschläge, dann löste sich der Schwarm in kleine, schwarze Punkte am Himmel auf."
Der Klang des Atmens so nah, als käme er aus der Mitte des Schädels.
Das kann ich nicht nachvollziehen. Was meinst du mit dem "Klang des Atmens"? Ist das Atmen so laut, weil die "eigenartige Stille" herrscht?

Die Stimmen meines Vaters, meines Großvaters, die über Hohlräume an der Absperranlage und über ein Abrutschen der Dammwand sprachen, nicht mehr als ein undeutliches Murmeln.
Wie kann er verstehen worüber sie sprechen, wenn er nur ein undeutliches Murmeln hört?

Beide Männer verdienten ihren Lebensunterhalt seit jeher mit schwerem Gerät. Sie fuhren Sattelzüge, Tieflader, Spezialfahrzeuge für Langmaterial, bedienten Kräne, Betonmischer und Hublader. Kleine Kinder kamen zum Betriebshof der Familie, blieben vor dem Sicherheitszaun stehen, um ehrfürchtig die großen, mächtigen Maschinen dahinter zu bestaunen. Jede Unze davon gehört uns, sagte mein Vater immer, darauf war er stolz.
Das finde ich auch super gelöst, so ist der Familienhintergrund klar. Man spürt, dass der Junge zu seinem Vater und Großvater aufschaut.

ohje, sehe gerade, dass ich vor lauter Vertieftsein in den Text immer auf die "Kommentar absenden"-taste gedrückt habe. Sorry!

wulstigen Brauen,
dichte Brauen - wulstig passt eher bei Lippen.
Dann stoppte die Unterredung. Die Männer sahen alle gleichzeitig zum Wagen herüber, und ich hörte, wie mein Vater sagte: „Er ist alt genug.“
"Dann stoppte die Unterredung" würde ich streichen. "Dann sahen die Männer alle gleichzeitig zum Wagen herüber..."
Er stand immer noch bei den Männern, sie sprachen miteinander, aber etwas hatte sich verändert, es herrschte Aufregung, Angst.
Woher weiß der ich-Erzähler, dass Aufregung herrscht? Er kann das vermuten, aber nicht wissen.
Das war Jahrzehnte her gewesen.
"gewesen" würde ich streichen.
Da war dieser Geruch, den ich bis heute nicht vergessen kann: nach kalkhaltiger Erde, den das Wasser aus den tief liegenden Sedimenten gewaschen hatte, sauer und beißend.
nach kalkhaltiger Erde, DIE das Wasser aus den tief liegenden Sedimenten gewaschen hatte.
Oder "nach Kalk, DEN das Wasser ....."
Bald darauf war die Straße nicht mehr passierbar - Schlamm hatte die Fahrbahn überflutet, eine tonnenschwere Decke, die über dem Asphalt lag. Aus der Masse ragten entwurzelte Bäume, Verkehrsschilder, Teile von Dächern. Die Lamellen eines Garagentors bewegte sich im Wind knarzend hin und her.
„Hast du deine Taschenlampe?“
„Ja“, sagte ich und holte die Walther aus der Innentasche meiner Jacke. Mein Großvater fuhr im Schritttempo weiter,
Die Lamellen (...) bewegteN sich
Die Strasse war nicht passierbar, ist überflutet von Schlamm - aber der Großvater fährt im Schritttempo weiter.
Ein Rascheln im Gebüsch. Zwei, drei, vier Krähen erhoben sich, ich hörte ihre Flügelschläge über mir, dann verschwanden sie aus meinem Blickfeld. Seine Haut war glatt wie ein Stein aus dem Fluss, ganz weiß, da war nur eine dünne, blaue Ader neben der Schläfe. Ein Strampler aus gestreifter Wolle, in dem sich ein paar Laubblätter verfangen hatten. Die Augen offen, ich blickte in starre, dunkle Pupillen und wollte meine Hand ausstrecken, um es zu berühren.
„Was ist da?“, fragte mein Vater und blieb neben mir stehen. „Ist da was?“
Ich ließ meine Hand sinken. Er nickte. Sein Atem dampfte.
„Das ist nichts", sagte er. „Nur `ne alte Hemdchentüte."
Es war die Art, wie er mich ansah. Er sah mich so an, wie er die anderen Männer angesehen hatte, als gäbe es da einen Bund zwischen ihnen, als seien sie alle Teil einer großen, gemeinsamen Sache.
Das ist eine sehr berührende Passage. Für mich auch absolut nachvollziehbar, dass ein 14 jähriger so tut, als wäre nichts. Was ist auch ganz großartig finde ist der Satz "er sah mich so an, wie er die anderen Männer angesehen hatte, als gäbe es da einen Bund zischen ihnen..." das allein erzählt schon eine ganze Geschichte.
eine Kelle Spies aus dem Eimer
Nur ein Verständnisfrage, meinst du "Speis" ? So würde man bei uns sagen. "Spies" habe ich noch nie gehört.


Das trockene, dumpfe Geräusch brechender Knochen
Hört sich nach Kieferbruch an...das erscheint mir ziemlich heftig, um danach noch Autofahren zu können.

Ich hoffe, du kannst etwas damit anfangen, ich habe jedenfalls aus deiner Geschichte viele Inspirationen mitgenommen!

LG
Perisade

 

Eine sehr eindringliche Szene, aber "er wusste, diese Dinge würden bleiben" ist ein Wechsel der Erzählperspektive. Das kann der 14 jährige Erzähler nicht wissen. Ich denke, du kannst den Satz weglassen, für mich verstärkt das sogar die Dramatik des Augenblicks.

Nur kurz, ich antworte später ausführlich. Ich habe das rausgenommen aus dramaturgischen Gründen. Es ist allerdings kein Fehler der Perspektive, weil die Geschichte nicht von einem 14 Jährigen erzählt wird, sondern von einer wesentlich älteren Person, die nur in dieses junge Selbst schlüpft; dann kann er sehr wohl aus der Distanz beurteilen, was sein Vater wusste oder ahnte. Es ist ja auch ein Urteil, welches die erlebende Person abgibt, die konstatiert: Mein Vater wusste, was passieren wird, und er wusste, diese Dinge würden eine nachhaltige Wirkung auf mich haben. Wenn es jetzt der 14 Jährige wäre, der erzählen würde, dann könnte er das nicht wissen, dann müsste die Erzählung aber im Präsens sein oder in einer erst kürzlichen Vergangenheitsform, also ich erzähle das, was letzte Woche passiert ist, aber der Text müsste dann vollkommen anders konzipiert sein.

Gruss, Jimmy

 

Eine sehr eindringliche Szene, aber "er wusste, diese Dinge würden bleiben" ist ein Wechsel der Erzählperspektive. Das kann der 14 jährige Erzähler nicht wissen. Ich denke, du kannst den Satz weglassen, für mich verstärkt das sogar die Dramatik des Augenblicks.

Nur kurz, ich antworte später ausführlich. Ich habe das rausgenommen aus dramaturgischen Gründen. Es ist allerdings kein Fehler der Perspektive, weil die Geschichte nicht von einem 14 Jährigen erzählt wird, sondern von einer wesentlich älteren Person, die nur in dieses junge Selbst schlüpft; dann kann er sehr wohl aus der Distanz beurteilen, was sein Vater wusste oder ahnte. Es ist ja auch ein Urteil, welches die erlebende Person abgibt, die konstatiert: Mein Vater wusste, was passieren wird, und er wusste, diese Dinge würden eine nachhaltige Wirkung auf mich haben. Wenn es jetzt der 14 Jährige wäre, der erzählen würde, dann könnte er das nicht wissen, dann müsste die Erzählung aber im Präsens sein oder in einer erst kürzlichen Vergangenheitsform, also ich erzähle das, was letzte Woche passiert ist, aber der Text müsste dann vollkommen anders konzipiert sein.

Eine sehr eindringliche Szene, aber "er wusste, diese Dinge würden bleiben" ist ein Wechsel der Erzählperspektive. Das kann der 14 jährige Erzähler nicht wissen. Ich denke, du kannst den Satz weglassen, für mich verstärkt das sogar die Dramatik des Augenblicks.

Nur kurz, ich antworte später ausführlich. Ich habe das rausgenommen aus dramaturgischen Gründen. Es ist allerdings kein Fehler der Perspektive, weil die Geschichte nicht von einem 14 Jährigen erzählt wird, sondern von einer wesentlich älteren Person, die nur in dieses junge Selbst schlüpft; dann kann er sehr wohl aus der Distanz beurteilen, was sein Vater wusste oder ahnte. Es ist ja auch ein Urteil, welches die erlebende Person abgibt, die konstatiert: Mein Vater wusste, was passieren wird, und er wusste, diese Dinge würden eine nachhaltige Wirkung auf mich haben. Wenn es jetzt der 14 Jährige wäre, der erzählen würde, dann könnte er das nicht wissen, dann müsste die Erzählung aber im Präsens sein oder in einer erst kürzlichen Vergangenheitsform, also ich erzähle das, was letzte Woche passiert ist, aber der Text müsste dann vollkommen anders konzipiert sein.

Gruss, Jimmy

weil die Geschichte nicht von einem 14 Jährigen erzählt wird, sondern von einer wesentlich älteren Person, die nur in dieses junge Selbst schlüpft;
hallo Jimmy,
da hast du allerdings recht. Denkfehler von mir,
Gruß
P.

 

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