Die Geistermaske
Hi, ich heiße Ricardo. Ich muss zu meiner eigenen Schande zugeben, dass ich nicht gerade der Mutigste bin.
In meiner Stadt ist letztens etwas Unglaubliches passiert. Es war an Halloween, ungefähr nachmittags. Ich hatte mich, wie oft, mit meinem Freund Lukas in der Fußgängerzone verabredet.
“Ach, wie öde, immer nur dieselben langweiligen Geschäfte“, gähnte Lukas, während wir die Straße entlanggingen.
„Stimmt“, bekräftigte ich und schaute mich um.
Dann, plötzlich, sah ich es: Der neue Laden hatte geöffnet!
„Mensch, das ist ja ein Ding! Der hat ja lauter Masken!“, rief Lukas. „Lass uns gleich reingehen.“
„Eigentlich möchte ich da gar nicht rein.“
„Nun hab dich nicht so“, sagte er, „da drin gibt es bestimmt etwas für Halloween.“
„Meine Mutter macht mir schon selbst ein Kostüm“, log ich.
„Dann lass uns noch schnell die Kürbisse holen!“
“Okay, dann aber los!“
Wir brauchten fünfzehn Minuten bis zum Kürbisfeld. Gerade wollten wir die Kürbisse auf unsere Gepäckträger laden, als wir ein Rascheln hörten.
„Was war das?“, fragte ich ängstlich.
Auf einmal ertönte ein gruseliges Heulen wie von einem Werwolf, und eine große Gestalt wankte auf mich zu.
„Mama, Hilfe, zu Hilfe!“, schrie ich. Doch dann stockte ich. Dann hörte ich ein unterdrücktes Geräusch. Weinte der Werwolf? Nein, er lachte!
Plötzlich fiel dem Werwolf die Maske herunter. Es war Steve aus meiner Klasse, der sich vor Lachen kaum noch halten konnte. „Du hättest dein Gesicht sehen sollen“, brüllte er.
„Komm, Lukas, wir gehen“, sagte ich. Als wir außer Hörweite waren, fragte ich: „Warum machen sie das eigentlich immer bei mir?“
„Du machst es ihnen aber auch zu leicht“, stellte er fest.
„Dem werde ich es noch zeigen!“
Zu Hause zeigte meine Mutter mir einen Kürbis. „Guck mal, der sieht fast so aus wie du“, sagte sie lächelnd. „Der passt doch gut zu deinem Kostüm für Halloween!“
Siedendheiß fiel mir ein, dass ich noch gar kein Kostüm hatte! „Bin gleich wieder da“, rief ich und stürzte aus dem Haus.
Kurze Zeit später stand ich vor dem Laden. Ich öffnete die Tür und ging vorsichtig hinein. „Toll, so viele Masken!“ Ich war fasziniert.
Plötzlich öffnete sich eine Tür und ein Mann betrat den Raum. Ärgerlich fragte er: „Was machst du hier? Ich wollte gerade schließen, komm morgen wieder!“
Ich sagte: „Ich brauche aber unbedingt eine Maske für Halloween!“
„Na gut, du hast fünf Minuten“, bestimmte er. Dann schrillte ein Telefon. Der Ladenbesitzer nahm ab.
Ich ging von Regal zu Regal und schauderte wegen der gruseligen Gesichter der Masken. Eine war schrecklicher als die andere. So gelangte ich schließlich in einen Raum ganz hinten, wo nur eine detailgenaue Maske des schrecklichen Aliens hing.
„Nein!“, schrie da plötzlich eine Stimme. Erschrocken fuhr ich herum. Hinter mir stand der Ladenbesitzer. „Diese Maske ist nicht zu verkaufen!“
„Aber ich brauche sie so dringend!“
„Ich habe noch eine Gorillamaske im Angebot, die kann ich dir umsonst geben!“
“Ich brauche aber diese Maske!“
“Ich kann sie dir nicht verkaufen! Sie ist verflucht!“
„Das ist mir egal!“ Ich riss einfach die Maske von der Wand, warf das Geld hin und lief aus dem Laden. Jetzt hatte ich endlich eine Waffe gegen Steve.
Zu Hause zog ich mir die Maske über und stürzte ins Zimmer meiner Schwester.
Sie kreischte vor Schreck, als sie mich sah.
„Buh“, schrie ich und dann: „Hey, ich bins doch nur!“
„Ricardo?“
„Ja.“
„Hä, aber wie...? Deine Stimme klingt so anders!“
„Dann nehme ich jetzt mal die Maske ab… Komisch, ich krieg sie nicht … ach, doch, jetzt.“
Da fiel mir ein, dass ich ja um Acht mit Lukas verabredet war. Sofort ging ich los. Im Vorbeigehen schnappte ich mir den Kürbis, der mir so ähnlich war.
Als Lukas die Maske sah, sagte er: „Oh, warst du doch in dem neuen Laden?“
„Ja“, bestätigte ich. Dann fragte ich: „Wo ist Steve?“
“Wir werden ihn schon finden!“ Neugierig fingerte er an der Maske herum „Sag mal, das Ding ist doch nicht aus echter Haut, oder? Es ist nämlich warm und richtig eklig!“
„Halt die Klappe!“ Komisch, wie war mir? Ich war ja auf einmal so aggressiv!
Plötzlich kam mir der Gedanke, dass ich ja Steve suchen und es ihm heimzahlen könnte. Ich lief los. Jeder Nerv in meinem Körper kribbelte. Jetzt hatte ich auch keine Angst mehr vor Steve. Verrückt! Da, Steve kam gerade mit einer Süßigkeitentüte aus einem Haus. „Jetzt gibt es Rache!“, dachte ich. Auf einmal spitzte er die Ohren. Er hatte mich gehört! Ich nutzte meine Chance und gab ein unmenschliches Kreischen von mir.
„Was willst du, Alien?“, fragte Steve, der aussah, als würde er jeden Moment in Ohnmacht fallen vor Angst.
Ich schrie: „Wenn du nicht sterben willst, entschuldige dich bei Ricardo für deine Streiche!“
„Ja, m... mache ich!“ Er lief los. Ich ließ ihn entkommen.
Plötzlich kam mir der Gedanke, dass es eine gute Idee sein könnte, den Kürbis hier zu vergraben. Es durfte nicht sein, dass es einen Kürbis gab, der genauso aussah wie ich. Ich schüttete gerade das Loch zu, als plötzlich Lukas auf mich zugelaufen kam. „Wo warst du denn?“
“Ich habe mich wohl verlaufen.“
„Was hast du mit dem Kürbis gemacht?“
„Den habe ich weggeworfen.“
“Nimm doch bitte die Maske ab! Sie ist so gruselig!“
“Okay – he, sie geht nicht ab… schnell, hast du eine Schere, dann kann ich sie aufschneiden?“
„Ich habe keine!“
„Oh nein! Wie kriege ich jetzt diese Maske vom Gesicht?“
„Lass mich mal sehen. Hä, aber zwischen der Maske und deiner Haut ist kein Übergang!“
„Und mir ist ganz schwindelig...“
In meiner Panik lief ich einfach los. Der Mann im Maskenladen konnte mir sicher helfen! Oder war das alles nur ein Traum? Nein!
Ich stürmte ins Geschäft. Dort stand der Mann. „Bitte, helfen Sie mir! Nehmen Sie mir dieses Ding ab!“
„Es geht nicht!“
„Warum?“
„Ich erzähle dir jetzt was! Diese Maske lebt! Ich hatte dir ja schon gesagt, dass sie verflucht ist, aber du wolltest ja nicht hören! Wenn du sie vier Stunden lang getragen hast, ziert sie für immer dein Gesicht.“
„Wie spät ist es?“
„11.52 Uhr.“
„Nur noch acht Minuten!“
„Du musst diesen Kürbis wieder ausgraben!“
Ich machte mir keine Gedanken darüber, woher der Mann das wusste, sondern lief los, so schnell ich konnte.
Ich erreichte endlich die Stelle, wo ich den Kürbis versteckt hatte. Mit letzter Kraft grub ich mein Ebenbild wieder aus und hob es empor. „Das ist Ricardo! Das bin ich! Ich will wieder ich selbst sein! Ich will, dass dieses Ding aus meinem Gesicht verschwindet!“
Mit einem unmenschlichen, wahnsinnigen Kreischen löste sich die Maske von meinem Gesicht. Ich warf sie in eine Mülltonne und schleppte mich mit letzter Kraft nach Hause. Dort ging ich das erste Mal freiwillig ins Bett.
Halloween feiere ich übrigens trotzdem noch jedes Jahr. Aber ich werde nie wieder eine Maske tragen.