Der Weg
Nach der Arbeit verlässt er das Büro, nur um in einen Platzregen zu kommen.
Plötzlich aller Weihnachtsgefühle beraubt steht er da und betrachtet die grauen Silhouetten. Alles Rot und Grün ergibt sich den matten, den faden, ja den öden Farben. Er hebt die Hand und ein Taxi fährt an ihm vorbei.
Ein gelber Regenmantel schiebt sich an der Hand einer telefonierenden Mutter an ihm herüber und tritt ihm dabei beinahe auf die teuren Büroschuhe. Die Frau telefoniert weiter, schenkt dem hüpfenden gelben Etwas kaum Beachtung. „Frohes Fest“, brummt er und sieht, wie der gelbe Regenmantel mit einer Hand voller Glitzer und winziger Papiersterne winkt. Ein Blick auf seinen grauen Mantel verrät ihm, dass auch er jetzt glitzert.
Mit einem müden Seufzen beschließt er die U-Bahn zu nehmen und dreht sich in Richtung Unterführung. Das Grau des Himmels breitet sich um ihn herum aus, es verschluckt die gelben Taxis, die Mülltonnen neben dem Bürokomplex, die Sterne an den Straßenlaternen.
In der Unterführung versperrt ihm eine Gruppe schnatternder Touristen, allesamt ausgestattet mit Glühwein und Mutzen To-Go, den Weg. Geduldig wartet er, dass der Weg frei wird und summt leise für sich „Ihr Kinderlein kommet“, was die angeheiterte Gruppe dazu anstiftet in einem undefinierbaren Akzent mit ein zu steigen. Eine Woge der Heiterkeit und des angetrunkenen Geschaukels breitet sich in der Unterführung aus. Ein halbes Lächeln stahl sich auf sein Gesicht, bis auf der Rolltreppe eine heiße, klebrige Flüssigkeit seinen Nacken trift.
Fluchend stolpert er einen Schritt vorwärts, alle weihnachtliche Heiterkeit von dem brennenden Getränk das ihn durchnässt hinfort gespült. Entschuldigungen in einer Sprache die er nicht versteht und ein paar halbherzige Versuche ihn mit einem grauen Schal ab zu tupfen bringen ihn in Verlegenheit bis er die Gruppe Touristen an dem Gleis abschütteln kann.
Die U-Bahn ist leer, kaum jemand fährt jetzt aus der Stadt hinaus, alle wollen weiter hinein in das pulsierende Herz der Weihnachtsmärkte, der Buden und Einkaufszentren. Er setzt sich auf den erstbesten sauberen Platz und betrachtet die Werbeanzeigen des Abteils bis er umsteigen muss. Mit hängenden Schultern, glitzernd und nach Rum, Zimt und Früchten riechend verlässt er die U-Bahn. Vor ihm sind grau geflieste Wände, Mülleimer und Kippen die eine Spur zur defekten Rolltreppe bilden. Er wendet sich zum Fahrstuhl, roch Erbrochenes und nimmt die Treppe. Die grauen Fliesen and den Wänden werden schwarz, seine Laune ist von Weihnachten so weit entfernt, wie Pontius Pilatus von Geschenken. Die schwarzen Fliesen werden dunkelblau, dann hellblau und er verlässt die Treppe.
Vor ihm tummeln sich Reisende in den billigen Ramschgeschäften die die unterirdische Passage säumen und die letzten Weihnachtskarten, Weihnachtsmützen und kleine Schachteln, gefüllt mit reduzierter Schokolade, ergattern. Wie das Meer wogen die Massen um ihn herum, schwappen von Geschäft zu Geschäft, fließen die Treppen zu den Gleisen herab oder hinauf. Er setzt seinen Weg durch die stürmische See fort, Kurs auf sein nächstes Gleiß gesetzt und wünscht sich auf ein anderes Taxi gewartet zu haben. Das Meer teilt sich, eine Insel aus einem Geigenkoffer, einem Laternenlicht und einer Musikantin die „Halleluja“ übt erscheint vor ihm. Abrupt bleibt er stehen, das Lied könnte er im Schlaf mit singen. Bei der zweiten Strophe finden die Augen der Musikantin ihn und mustern seinen glitzernden Mantel und den Glühweinfleck an seinen Kragen. Sie kichert und beendet ihr kleines Konzert, packt sorgfältig ihre Geige ein und nimmt die Laterne in die Hand. „Fröhliche Weihnachten, Papa!“ Sie fällt ihm um den Hals, es riecht nach Rum, Gewürzen und Früchten. „Fröhliche Weihnachten“ murmelt er in ihr Haar, der Glitzer von seinem Mantel verteilt sich jetzt auch auf ihrer Jacke. Er nimmt ihr den Geigenkoffer ab und fährt nach Hause.