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Der Pflaumenbaum

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07.12.2004
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Der Pflaumenbaum

Der Pflaumenbaum

Die blasse weiße Blüte, die sich zwischen verbrannten giftigorange-gelben Gummireifen und verrosteten violett-grauen Autogehäusen emporstreckt, ist wunderbarer und reiner als die Farbenvielfalt einer unberührten Blumenwiese in freier Natur. Denn sie beschwört in einem zufälligen Beobachter die Erkenntnis herauf, dass die Natur langsam, aber sicher, ohne Hast, aber unerbittlich, schamvoll den Müll verdeckt, den Menschen unserer Mutter Erde anlasten. Wie ein Heranwachsender, der seinen Eltern helle blitzartige seelische Schmerzen zufügt, um sich von ihnen zu emanzipieren. Wann wird der Mensch erwachsen? Darum fesselte die alte braun-blaue Fabrikhalle meine Gedanken derart. Denn aus den von Erdbeben aufgerissen Wunden der Erde wuchs zwischen grauem aufgeworfenem Betonboden, wenn man ganz genau hinsah, ein kleiner Pflaumenbaum.
Ich verbrachte all meine aufbringbare Zeit bei diesem kleinen Wunder, pflegte es, bestaunte es, schlief bei ihm. Mein Leben verflocht sich langsam aber sicher mit den Verzweigungen des Pflaumenbaums. Fast träge, aber ohne Unterlass bedeckte und versteckte er meine dunklen Saiten und Ängste. An dem Tag als der Frühling dem Pflaumenbaum das erste Blatt schenkte, öffnete sich auch meine Seele und in mir breitete sich die Zuversicht aus, auch das Gewicht eines Blattes tragen zu können: Ich lernte Ciruela kennen.
Eines Morgens wachte ich neben dem kleinen Pflaumenbaum zu meiner Linken auf. Zu meiner Rechten ruhte Ciruela. Ich habe vergessen wie sie aussah. Ich weiß nur noch, dass sie schön war. Wie die Pflaume, die dem Pflaumenbaum noch fehlte. Als sie aufwachte, blickte ich in ihre grünen Augen.
Ciruela beschloss, bei mir zu bleiben und während des Sommers reifte unsere Liebe. Unsere Herzen verflochten ihr Geäst wie zwei Bäume, die eng beieinander stehen. Doch so schwer wie sich aus einem Quadrat ein Kreis formen lässt, so schwer ist es eigene Nischen und Ecken im Kreislauf der Natur zu finden. Im Herbst welkte das Blatt des Pflaumenbaums und auch Ciruela, die ein Kind der Natur war, wurde unruhig wie ein Tier, das die Spur der Herde verloren hat, wie ein Zugvogel, der in jedem Herbst die Reise in den Süden antritt.
An jenem Morgen nachdem der Pflaumenbaum sein welkes Blatt verloren hatte, wachte auch ich von Ciruela verlassen auf. Ich habe nie erkannt, ob Ciruela mich verließ, weil der Pflaumenbaum, der uns aneinander gefesselt hatte, seinen Saft verlor oder ob das Blatt einging, weil unsere Liebe welkte. Aber ich habe Ciruela im folgenden Winter nicht vergessen.

Einem der ihn brach
Schenkt der Pflaumenblütenzweig
Trotzdem seinen Duft

Dank meines blinden Vertrauens in den immer wiederkehrenden unerschütterlichen grünen Kreislauf der Natur, warte ich auf Ciruela, denn wenn nicht sie, so wird eine andere Ciruela im Frühling neben mir erwachen. Wenn der Pflaumenbaum sein erstes Blatt trägt.

 

Lieber Hermes!

Du schreibst Deinen Text in einer sehr poetischen Sprache. Das gefällt mir einerseits recht gut, ist aber andererseits meiner Meinung nach ein ziemliches Risiko, weil Dein Text hin und wieder leider etwas in den Kitsch abgleitet.

"wunderbarer und reiner als eine weiße Blume in einer natürlichen grünen Umgebung."
Der Vergleich ist ziemlich bekannt. Vielleicht könntest Du eine Metapher finden, die dieselbe Reinheit für Dich und für den Leser symbolisiert, aber "Hermes-typisch", kreativ und noch erfrischend neu ist.

"schamvoll den Müll verdeckt, den wir Menschen unserer Mutter Erde anlasten."
Diese Aussage birgt für mich relativ viel Polemik. Es klingt mir nach einer Anklage, nach "diese bösen, bösen Menschen!" und geht Deiner Intension, etwas ganz Feines, Besonderes, Zartes zu schreiben völlig zuwider. Wenn Dein Text ein hauchzartes Gewebe sein soll, dann lass diese Aussagen bitte nicht die Schere dazu sein. Das ist wirklich schade. Vielleicht fällt Dir hier etwas weniger Scharfes ein.

Mir fällt auf, dass Du zweimal im Text "verpflochten" schreibst. Das Wort kommt von "verflechten" und heißt in der Mitvergangenheit "verflochten".

"Unsere Herzen verpflochten ihr Geäst wie zwei Bäume, die sich lieben."
Das klingt mir leider auch wieder etwas kitschig. Und vor allem: lieben Bäume einander? Glaubst Du das wirklich? Vielleicht findest Du einen Vergleich, der weniger hinkt, mehr Aussage hat und genauso zart ist wie Dein Text.

"Doch so schwer wie sich aus einem Quadrat ein Kreis formen lässt, so schwer ist es eigene Nischen und Ecken im Kreislauf der Natur zu finden."
Ich als Leser empfinde mich mit dieser - entschuldige bitte - lapidaren Erklärung total abgefertigt. Jetzt hast Du mich die ganze Zeit neugierig darauf gemacht, wie es denn mit Ciruela weitergeht, und jetzt heißt es quasi "sorry, die zwei hatten Probleme. Das war's. Bitte keine weiteren Fragen mehr". Den Leser in einigen Dingen im Unklaren zu lassen, ist ein Stilmittel. Aber in so völlig in der Luft hängen zu lassen, nimmt dem Text jede Tiefe.
Und genau das finde ich so schade! Wenn aus der Beschreibung, so empfinde ich den Text jetzt stellenweise, wirklich ein tiefes Stück werden soll, dann gib dem Leser doch wenigstens hin und wieder eine "Karotte": gib ihm ein paar Anhaltspunkte, was genau die Probleme zwischen dem Prot und Ciruela gewesen sein könnten, warum sie dann so unruhig wurde und ihn schließlich verließ! Laß den Leser nicht ganz so arg schwimmen!

Das von Dir gewählte Haiku finde ich TOTAL SCHÖN! Es passt genial zu Deinem Text und auch die Stelle ist super ausgewählt!!!
ABER: Du erhöhst mit dem Haiku die Spannung Deines Textes unermesslich. Damit bereicherst Du Deinen Text wirklich!
Aber Du nimmst Deinem Text im selben Atemzug alles Potential, das Du ihm gerade noch vor einer halben Sekunde gegeben hast, mit folgender total unnötigen, unpassenden, plötzlichen und unerwarteten Ansprache des Lesers mit folgendem Satz: "Vielleicht kennt ihr das Haiku:" Bitte, bitte nicht!!!! Es ist nicht nötig für Dich zu wissen, ob der Leser das Haiku kennt. Es ist auch nicht für das Wirken und die Intension Deines Textes von Bedeutung. Also, warum fragst Du dann den Leser hier so ganz schmerzhaft (für mich) "hey, hallo Leser! Kennst du das?!" Du handelst hier total dem absoluten Potential dieses Augenblicks zuwider. Und das empfinde ich als ehrlich schade.
Laß den Haiku dort stehen - genau so. Aber ohne den Leser plötzlich danach zu fragen, ob er den Haiku kennt!

Bitte fasse meine Kritik nicht böse auf! Gerade weil ich viel Potential in Deinem Text sehe, wollte ich Dich einfach auf "Fallen" aufmerksam machen.

Liebe Grüße
Andrea

 

Hallo Andrea!

Danke für deine Kritik! Nach langer Abwesenheit, habe ich mir die GEschichte nochmal vorgenommen und versucht, deine Kritik ernstzunehmen, um die GEschichte zu bearbeiten:
Hab versucht, einen anderen Vergleich für die Reinheit der Natur zu finden; bei dem Teil, den für zu polemisch hältst ("schamvoll den Müll verdeckt, den wir Menschen unserer Mutter Erde anlasten."), viel mir kaum etwas Besseres ein, doch letztendlich denke ich, wird diese Aussage dadurch weniger polemisch, dass ich das "wir Menschen" einfach durch "Menschen" ersetzt habe, vielleicht ist das die Lösung.
Hab auch versucht, ein bisschen zu erklären, warum Ciruela davon zieht (ein Naturkind im Kreislauf der NAtur) und das Haiku einfach so in den Raum gestellt, wie du angeregt hast.
Nochmals danke und ich hoffe, nach der BEarbeitung, gefällt dir die Geschichte noch besser!

LG

PS: Ich werde die Moderatoren bitten, diese Geschichte in Experimente zu verlegen.

 

Danke für deine Kritik! Ich möchte nicht, dass jemand das mit dem Haiku falsch versteht: Es ist NICHT von mir! Meine Geschichte baut sich nur darum herum auf!

Ja, antiquiert ist die Geschichte vielleicht.

 

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