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Der Blutfleck am Giebelbach

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24.10.2023
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Anmerkungen zum Text

Erster Versuch ...
Die Personen und die Handlung der Kurzgeschichte sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

Der Blutfleck am Giebelbach

Kurz nach sieben an am ersten Dienstag im Oktober fährt Rainer Hitzel mit dem Fahrrad auf dem Weg zur Arbeit durch die Giebelbachstraße. Die letzten Wochen waren außergewöhnlich mild und trocken gewesen. Auf den markierten Parkplätzen rechts der Straße bemerkt er einen nassen Flecken, was ihn nachdenklich werden lässt. Hundert Meter weiter wendet er, irgendwie kam ihm das suspekt vor. Er betrachtet die Stelle genauer, es war eine bräunlich schwärzlich schimmernde Masse. Sie hatte etwa einen halben Meter Durchmesser, am Rand zur Straße hin waren bereits einige andere Radfahrer drübergefahren. Er dachte zuerst an Öl, aber Öl roch irgendwie anders, und weil er hier und da etwas Rötliches zu sehen glaubte, schoss es im in den Kopf. Blut! Er zog sein Mobiltelefon aus der Jackentasche und wählte die Nummer der Polizei.

Zehn Minuten später kam der Streifenwagen und hielt hinter dem Flecken. Ein junger Polizist stieg aus, sah sich das Ganze aus verschiedenen Perspektiven an und stellte ganz schnell einige Leitkegel drum herum, ein Warndreieck davor, rannte zu seinem Fahrzeug und schaltete das Blaulicht ein. Im Fahrzeug sitzend telefonierte er kurz, dann stieg er aus und wies Rainer Hitzel an, erst einmal vor Ort zu bleiben, bis die Kriminalpolizei käme. Der Himmel war klar, es sollte wieder ein warmer Herbsttag werden. Hinter dem See sah man die Konturen der österreichischen und schweizerischen Alpen. Über dem Pfänder wurde es hell.

Kurz nachdem Julian Bergmann auf den Anruf Rainer Hitzel hin die Polizeiinspektion verlassen hatte, betrat eine Frau das Gebäude, die Augen tränenverklebt, das Haar durcheinander, so Ende dreißig. Sie drückte auf den Klingelknopf vor der Glasscheibe mit der Sprechanlage, drückte gleich wieder und dann noch einmal. Ralph Obermeyer, der Kollege von Julian Bergmann erschien, die Kaffeetasse in der Hand und irgendwie noch nicht ganz wach. „Jetzt mal langsam!“ murmelte er und musste kräftig gähnen. „Guten Morgen, was ist den passiert?“. Die Frau sprach schluchzend: „Mein, … mein, .. mein Mann .. ist die Nacht nicht nach Hause kommen.“ Dann weinte sie und sprach unverständlich weiter. „Jetzt beruhigen sie sich doch erst einmal.“ sagte Ralph Obermeyer und ließ sie ausweinen.

Als sie sich ein wenig beruhigt hatte, erzählte sie, dass ihr Mann gestern Abend die Wohnung verlassen hatte, um sich mit Kollegen auf ein Bier zu treffen. Und bis jetzt sei er nicht zurückgekommen.

„Kommt das häufiger vor, dass er abends ausgeht?“, fragte der Polizeibeamte.

„Zweimal, dreimal im Jahr.“ antwortete sie.

„Und wann ist er fort?“ Sie weinte wieder los. „Kurz .. vor … sieben oder so.“

„Und ein Handy hat er doch sicherlich, haben sie nicht versucht, ihn zu erreichen?“

„Doch .. ausgeschaltet, so nach zwölf das erste Mal, weil .. länger bleibt der nie, muss ja früh raus, und dann .. die ganze Nacht, bis ich eingeschlafen bin. Und dann um fünf wieder, immer ausgeschaltet, immmeeeeeer ausgeschaltet.“

„Ist er mit dem Wagen fort?“

„Nein, mit dem Stadtbus. Es findet sich immer Leute, die nichts trinken und die anderen zu Hause absetzen. Das ist noch nie passiert, noch nieeeee!“ Sie weinte wieder.

„Und was sollen wir jetzt machen?“, fragte Ralph Obermeyer, der den Zeitpunkt zu früh für eine Vermisstenanzeige fand.

„Ihn suchen“, schrie sie jetzt, „Ihn suchen, sie sind doch die Polizei!“

„Haben sie im Krankenhaus nachgefragt?“

„Hab‘ ich natürlich. Da ist er auch nicht.“

Obermeyer nahm die Personalien auf, stellte eine Vermisstenanzeige aus und ließ sie alles unterschreiben. Dann bat er sie, nach Hause zu gehen. Er musste sie mehrfach darum bitten.

Anschließend überflog er die Formulare, Annette Linke war ihr Namen und der Gatte heißt Paul mit Vornamen, eine Tochter, 11 Jahre alt. Wohnhaft im Ortsteil Hoyren, sie arbeitet in einem Versicherungsbüro, er bei einem ortsansässigen Automobilzulieferer als Teamleiter. Eine ganz normale Familie, war sein erster Gedanke. Er setzte sich an seinen Schreibtisch, schlürfte an seinem Kaffee und dachte nach. Vermutlich, so ging im durch den Kopf, hat er sich mit einer Kollegin eingelassen, sie die Nacht ordentlich durchgevögelt und traut sich jetzt nicht nach Hause. Nichtsdestotrotz greift er zum Telefon, ruft den Arbeitgeber von Paul Linke an und erfährt, dass er heute noch nicht an seinem Arbeitsplatz erschienen ist, obwohl er um sieben Uhr seine Arbeit hätte aufnehmen müssen. Tja, die liegen beide noch im Bett, dacht er. Sicherheitshalber fragt er auch im Krankenhaus nach. Fehlanzeige.

Sein Mobiltelefon klingelt. „Julian hier. Du, Du Ralph, da ist echt eine Blutlache am Giebelbach, so fünfzig Zentimeter im Durchmesser. Ich habe alles abgesichert und Kempten verständigt. Wenn die hier sind, übernehmen sie das, dann komme ich zurück und erzähle dir alles. Ich muss jetzt noch die ganze Straße sperren und den Fahrradverkehr umleiten. Bis später.“ Aufgelegt.

Na, ein schöner Tag wird das, denkt er sich und beißt in die Butterbrezel, die er sich auf dem Weg zur Inspektion beim Bäcker geholt hatte.

Es wird neun Uhr, bis Julian Bergman wieder zur Inspektion zurückkehrt. Die Kemptener waren mit zwei Kommissaren angerückt, und zwei Leuten von der KTU. Die Feuerwehr sei auch informiert, die machen dann alles sauber. Ralph Obermeyer erzählt ihm anschließend von der Frau und ihrem vermissten Mann. „Ob es da einen Zusammenhang gibt?“ fragte Julian. „Wir sollten es zumindest den Kollegen mitteilen. Rufen wir den Kommissar später an“, fügte er noch hinzu, „Frank Mayer, heißt er, Mayer mit ay, ist ganz neu dort. Aber lassen wir ihnen erst einmal Zeit, um die Blutlache am Giebelbach zu untersuchen.“ Ralph stimmt nickend zu.

Um elf Uhr nimmt Julian Bergmann sein Mobiltelefon in die Hand und wählt die Nummer von Frank Mayer. Mayer meldet sich mit Dienstgrad, Namen und dem Namen seiner Dienststelle.

„Hallo, ich bin es, Julian Bergmann, Polizeiinspektion Lindau, der vom Giebelbach heute früh, bei der Blutlache.“

„Hallo Julian.“

„Wisst ihr schon was?“

„Nein, das Blut muss noch untersucht werden. Dauert was, die KTU hat ja auch Personalmangel“

„Nun“ meint Julian, „mein Kollege hat etwa um die Zeit, als ich auf euch gewartet habe, eine Vermisstenanzeige erhalten. Eine Frau war hier, ihr Mann ist abends nach einem Treffen mit Kollegen nicht mehr nach Hause gekommen. Ich denke, dass solltet ihr wissen. Vielleicht gibt es da ja einen Zusammenhang.“

„Klar, kann sein, muss aber nicht, soll ja schon mal vorkommen, dass Männer .. . Naja, unternehmt erst einmal nichts. Wie alt ist der angeblich vermisste Mann?“.

Julian Bergmann ruft zu Ralph Obermeyer rüber: „Ralph, wie alt ist der Linke?“

„Vierzig“, ruft dieser zurück, „also Ende des Monats, da wird er vierzig.“

„Neununddreißig.“, meldet Julian weiter.

„Okay“, sagt Mayer, wenn die KTU mir das Alter mitteilt, und es in dem Bereich liegt, dann melde ich mich wieder. Dann sollten wir was von dem .. Linke, ja?“

„Ja, Linke.“, bestätigt Bergmann.

„Also, dann solltet ihr uns was von dem besorgen, Kamm, Rasierer oder so was. Aber wir sollten die Frau nicht unnötig verängstigen. Und wer weiß, vielleicht taucht er ja noch auf“

„Okay.“, bestätigt Bergmann.

„Also ich melde mich, sobald ich Informationen habe. Kann noch was dauern. Bis dann, Julian“.

„Pfiat di.“, schließt Julien und drückt auf den roten Button.

Er schaut aus dem Fenster. Die Blätter der Bäume sind ja immer noch grün, denkt er sich, Anfang Oktober, das war früher anders. Und die Sonne, die brennt durch die Glasscheibe, 25 Grad wird es haben, und es ist erst gerade kurz vor Mittag.

Nach der Mittagspause sprang Ralph Obermeyer in den Dienstwagen. Er musste die Klimaanlage einschalten, der Innenraum des Fahrzeuges hatte sich so dermaßen aufgeheizt, dass gleich ins Schwitzen geriet, und die Uniformjacke hatte er gar nicht angezogen. Er fuhr in Richtung Zech, auf dem Weg zum Berliner Platz stand er bereits vor dem Landratsamt im Rückstau. Da nehmen die dem Stadtbus Haltestellen weg, damit er pünktlicher wird, und hier hängen die Busse im Stau, dachte er, er, der selbst mit dem Bus zum Dienst fährt und sich verkehrsarmer Lösungen für die Stadt wünscht. An der Pforte des Unternehmens, bei dem Linke sein Geld verdient, bittet er, einen Mitarbeiter aus Linkes Team sprechen zu können. Der Pförtner ruft den Sicherheitsverantwortlichen des Unternehmens. Auf die Frage nach dem Grund des Erscheinens der Polizei gab er keine klare Antwort. Der Sicherheitsverantwortliche wiederum telefoninerte und entschuldigte sich kurz. Es dauerte etwa zehn Minuten, dann betrat ein kleiner untersetzter Herr den Warteraum. „Çiçek”, stellte er sich vor, „Ahmet Çiçek, Tschitschek ausgesprochen, dass ist türkisch und heißt Blume auf Deutsch, und so nennen mich die Kollegen auch, einfach Blume, können sie auch sagen, Herr Polizist.“

„Obermeyer“, sagte Ralph Obermeyer, „Herr Obermeyer reicht.“

„Gut, Herr Obermeyer, was kann ich für sie tun?“

„Sie arbeiten im Team von Paul Linke?“

„Ja, aber er ist heute nicht zu Arbeit erschienen, keiner weiß, was passiert ist. Ich habe bei ihm zu Hause angerufen, aber es nimmt niemand ab.“

„Wieso hat der Sicherheitsbeauftrage sie geholt?“

„Ich bin Stellvertreter von Paul, bin hier schon über dreißig Jahre, kenne den ganzen Laden, wie man so schön sagt“

„Gestern Abend haben sich einige Leute von Euch getroffen, waren sie auch dabei?“.

„Nein, ich bin da nicht der Typ für sowas, ich passe auch abends auf meine zwei Enkelkinder auf, mein Sohn arbeitet Schicht und seine Frau oft bis acht Uhr abends an der Kasse.“.

„Wissen sie denn, wer gestern mit Paul Linke aus war?“

„Ja, sind alle aus unserem Team.“

„Kann ich zu ihnen?“

„Nun, ich darf sie hier nicht reinlassen, Sicherheit, auch wenn sie von der Polizei sind, damit ihnen nichts passiert, wissen sie?“ Ein Grinsen in seinem Gesicht. „Es ist auch verboten, da brauchen sie eine Erlaubnis vom Sicherheitsbeauftragten.“

„Können sie sie zu mir schicken.“

„Das kann ich, dauert was, fünfzehn Minuten, wegen der Maschinen. Ich gehe sofort. Möchten sie einen Kaffee, is‘ aus dem Automaten, aber ich spendiere ihn.“

Ralph Obermeyer lehnte das Angebot ab und wartete. Keine zehn Minuten später war Çiçek zurück, in Begleitung von zwei Frauen und drei Männern.

„Hier sind die fünf Personen.“, sagte der stellvertretende Teamleiter. Ralph Obermeyer betrachtete sie kurz, stellte sich vor und erklärte, dass Linke auf dem Heimweg in einen Unfall verwickelt worden sei. „Mehr kann ich im Moment dazu nicht sagen“, fügte er noch hinzu: „Ich würde gerne von ihnen wissen, wie der Abend verlaufen ist und wie sie nach Hause gekommen sind. Ich kann ihnen vergewissern, dass niemand von ihnen unter Verdacht steht.“

Ihm fiel auf, dass die schlanke blonde Frau, die ganz rechts stand, ständig Daumen und Zeigefinger der rechten Hand aneinander rieb.

Der Jüngste der Männer ergriff das Wort: „Nun, wir hatten einen lustigen Abend. Wir waren in der Alten Poststube, haben was gegessen und was getrunken, nicht viel, die Männer drei Weizen, Gaby hat den Abend an einem Weißwein geschlürft und Marion, also Frau Frey, trinkt ohnehin keinen Alkohol.“ Er blickte zu der Blondine ganz rechts, die immer noch Daumen und Zeigefinger aneinander rieb. Sie bemerkte aber jetzt, dass Obermeyer auf ihre Hand achtete, und bildete schnell eine Faust. „Wir haben uns“, fuhr der junge Mann mit tätowierten Oberarmen fort, „über alles Mögliche unterhalten, nichts besonders, ein paar Geschichten von früher, vom Urlaub, den Kindern. Wir waren alle guter Laune. Wie machen das ja zweimal im Jahr, dass stärkt den Teamgeist.“

„Kommen alle aus dem Team mit?“, fragte Obermeyer.

„Nur wer Lust und Zeit hat, und Blume hat nie Zeit, die Enkelkinder sind sein Leben. Einer ist gerade krank, eine andere hat Urlaub. Ach, und der Johann, der hatte Training, Fußball, Spielvereinigung.“

„Und wie sind sie nach Hause gekommen?“

„Nun, die Gaby hat uns drei Männer mitgenommen, nach Oberreitnau, da wohnen wir, mich bringt sie dann auch nach Dentenweiler raus, das ist kurz dahinter. Marion muss nach Schlachters, da ist sie alleine hin, und der Paul wollte einfach zu Fuß, obwohl der mit uns hätte fahren können. Ist dem Paul was Schlimmes passiert?“

„Dazu kann ich im Moment nichts sagen. Das reicht mir auch. Ich danke Ihnen. Auf Wiedersehen.“ Die Blondine rieb derweil wieder Daumen und Zeigefinger aneinander. Nervös oder eine dumme Angewohnheit, dachte Obermeyer beim Rausgehen.

Der Rest des Tages verlief mit Routinearbeiten. Kurz vor Dienstschluss erschien dann noch ein Mitglied des Ortverbandes der AfD und erstattete Anzeige wegen Sachbeschädigung. Er hatte auf der Fahrt durch Zech ein Wahlplakat mit dem Gesicht des Direktkandidaten seiner Partei entdeckt, das verunstaltet worden war. Jemand hatte den Herrn mit einem Hitler-Bart verschönert. Bergmann nahm die Anzeige auf, verabschiedet den Herrn und dachte sich, dass .. . Dann sprangen seine Gedanken in Richtung Feierabend, er würde den Sohn zum Fußballtraining fahren, dann die Tochter zur Musikschule, zu Hause zu Abend essen, die Kinder in der gleichen Reihenfolge wieder abholen, also zweimal zwischen Opfenbach und Lindau hin- und herpendeln, und dann noch was Fernsehen. Was interessierten ihn da eine paar Striche mit einem Edding-Marker unter der Nase eines AfD-Politikers.


Es ist halb acht am Tage nach der Entdeckung des Blutfleckes am Giebelbach. Die Lindauer Zeitung berichtete darüber, vermied aber Vermutungen und kündigt an, die Polizei um eine Stellungnahme zu bitten.

„Da müssen wir uns noch was einfallen lassen.“, sagt Bergmann zu Obermeyer. „Der Chef, der das mit der Presse immer macht, ist ja im Urlaub. Apropos Chef, wir sollten ihn schon informieren, oder?“

„Sollten wir“, antwortet Obermeyer, „Ich schreibe ihm nachher eine Mail, aber lassen uns erstmal frühstücken. Wo ist er nochmal hin?“

„Amalfi“, erinnerte ihn Bergmann.

„Ach ja, Amalfi, da wäre ich jetzt auch lieber.“

„Na komm‘, Ralph, hier am See ist es beinahe genauso schön, und zum Wochenende bleibt es warm und trocken, da kannst du ja in die Berge.“

Obermeyer lächelt. „Ja, in die Berge.“, fügt er hinzu.

Das Smartphone von Bergmann vibriert und beginnt zu piepsen. Er schaut auf das Display, der Name Frank Mayer ist zu lesen. „Da bin ich mal gespannt.“, denkt er sich. Er meldet sich nur mit Nachnamen.

„Frank Mayer, grüß‘ dich.“

„Morgen Frank.“, erwidert Bergmann und schaut gespannt zu seinem Kollegen rüber, der schon seine Butterbrezel in der Hand hält, aber jetzt nicht wagt, hinzubeißen und bereits Anstalten macht, sie wieder in die Papiertüte zu stecken.

„Also, ich kann euch schon mal folgendes mitteilen. Die DNA hat ergeben, dass das Blut von einer Person stammen muss, die männlich und so um die vierzig ist. Wir können einen Zusammenhang also nicht ausschließen. Hat sich die Frau gemeldet.“

„Nein, bis jetzt noch nicht. Aber es ist damit zu rechnen.“

„Okay, haltet sie hin, falls sie anrufen sollte, ich werde gleich nach Lindau düsen, zu der fahren wir dann gemeinsam. Ach, und die Presse, die wird auf euch zukommen, ein kurzer Bericht ist ja heute in eurem Lokalteil. Haltet sie auch hin. Sagt ihnen am Telefon, dass ihr noch am Recherchieren seid. Da ist alles noch zu früh. Ich bin spätestens in einer Stunde bei euch. Und was sagtest du gestern, euer Dienststellenleiter hat Urlaub. Habt ihr ihn informiert?“

„Nein, noch nicht.“

„Dann lassen wir das auch erstmal. Der soll sich erholen, das machen wir dann, wenn wir mehr wissen. Und an den Landrat, an den habe ich auch schon gedacht. Da sage ich meinem Chef, dass der mit dem reden soll. Dann bleibt der auch erst mal ruhig.“

„Okay, dann bis gleich.“

„Okay.“

Obermeyer hatte alles mitgehört, da Bergmann den Lausprecher eigeschaltet hatte. Er greift jetzt wieder in die Papiertüte, vorsichtig, um sich die Finger nicht mit der Butter, die mittlerweile recht weich geworden ist, zu verschmieren. Er führt die Brezel zum Mund, beißt genüsslich rein, Salzstücke fallen zurück in die Tüte, da klingelt das Diensttelefon. Bergmann geht hin, hebt ab und meldet sich.

„Wer?“

„Frau Linke.“ Er schaltet den Lautsprecher ein.

„Ich habe gestern meinen Mann bei ihnen als vermisst gemeldet.“.

„Ja, das war mein Kollege, der das aufgenommen hat. Herr Obermeyer.“

„Und wissen sie Bescheid?“

„Ja, ich bin informiert.“

Und haben .. „

Pause

„Und was haben sie unternommen?“

„Wir haben noch nichts unternommen. Wir warten in solchen Fällen immer noch etwas, meistens kommt der Vermisste dann doch zurück.“

„Das darf doch nicht wahr sein!“, schreit die Frau ins Telefon. Sie beginn zu weinen.

„Jetzt schreien sie mich nicht an. Das hilft niemandem weiter.“ Bergmann wurde auch laut.

Eine kurze Pause.

„Außerdem übernimmt die Personensuche die Inspektion in Kempten. Aber auch die werden nicht gleich einen Suchtrupp oder ein SEK einsetzen.“

„Aber unternehmen sie doch was, ich verzweifele, ich verzweifele. Unsere Tochter ist heute nicht in die Schule gegangen, hat die ganz Nacht geheult. Ich kann es ihr nicht erklären, was soll ich ihr sagen. Ich …. ich … ich weiß nicht mehr weiter.“

„Wo sind sie heute?“

„Zu Hause, ich habe mich krankgemeldet.“

„Den ganzen Tag?“

„Ja was meinen sie denn, meinen sie, ich gehe jetzt spazieren oder ins Kino?“

„Dann bleiben sie bitte dort. Mein Kollege aus Kempten kommt nachher, ich werde mit ihm vorbeikommen. Dann sehen wir weiter.“

Schluchzen.

„Gut.“

„Okay, Frau Linke, bis später.“

Bergmann legt den Hörer auf.

Kaum hatte Obermeyer das letzte Stück von der Butterbrezel heruntergeschluckt, hörten sie, wie ein Fahrzeug auf den Parkplatz fuhr. Beide schauten aus den Fenstern und erkannten ein Polizeifahrzeug mit dem Kennzeichen KE. Mayer war angekommen. Bergmann ging hinaus und kam mit Mayer wieder herein. Er stellte ihm seinen Kollegen Obermeyer vor.

„Bist du alleine gekommen?“, fragte er Mayer.

„Ja, ja,“, gab er zur Antwort, „ich habe Euch ja.“

„Also, fahren wir gleich los?“, fragte Bergmann und griff zu seiner Jacke.

„Können wir.“, antwortete Mayer, „Wir werden aber nichts von dem Blut erwähnen und einfach um etwas bitten, dass für eine DNA geeignet ist. Zeitung hat sie ja anscheinend keine gelesen, sonst hätte sie gleich angerufen.“

„Sie hat angerufen.“ Obermeyer knüllte die Papiertüte zusammen, die noch vor im lag. Ein wenig Salz fiel auf seinen Schreibtisch. „Sie hat sich erkundigt, und dann geheult und sich beschwert, dass wir noch nichts unternommen haben. Aber es stimmt, von der Seebrücke weiß sie wohl noch nichts, sonst hätte sie es erwähnt. Sie weiß, dass sie gleich Besuch von uns bekommt. Sie ist zu Hause, krankgemeldet, auch das Kind.“

Mayer und Bergmann fuhren mit dem Polizei-BMW zum Aeschacher Knoten, vor dem sich der Verkehr staute, durch die Friedrichshafener Straße, auch hier wieder Stau, und bogen dann in die Schönauer Straße. Gleich hinter dem Brunnen befindet sich das Haus, in dem die Familie Linke wohnt. Sie parkten, stiegen aus, gingen zur Haustür und klingelten. Es dauert eine Weile, bis über die Sprechanlage ein Ja ertönte. „Polizei.“, sagte Bergmann mit leiser Stimme. Die Türe machte ein Geräusch, die beiden traten ein und stiegen in den ersten Stock. Annette Linke stand im Türrahmen, die Tochter neben ihr, sie hatte ihren Arm um sie gelegt. Beide hatten tränenverschmierte Augen und wirkten übernächtigt.

„Treten sie ein.“. Annette Linke sprach mit einer weinerlichen Stimme, und ihre Tochter heulte jetzt richtig los. Mayer und Bergmann stellten sich vor. Dann wurden sie ins Wohnzimmer geführt und setzten sich an den Esstisch. Einige benutzte Gläser, Tassen und Teller standen auf dem Tisch, es roch ein wenig nach Alkohol. Auf der Anrichte standen Bilder, ein Hochzeitsfoto, Annette und Paul Linke in früheren Jahren irgendwo am Meer, ein Foto mit der Tochter, ein Porträt von der Tochter. Heile Familienwelt, wo man auch hinschaute.

„Was da heute in der Zeitung stand, vom Giebelbach, hat das mit meinem Mann zu tun?“, fragt Annette Linke.

„Das können wir nicht bestätigen.“, meint Mayer schnell. „Wissen Sie, wenn Menschen plötzlich verschwinden, kann das viele Gründe haben. Wir erleben bei unserer Arbeit unvorstellbare Sachen. Vermutungen sind wie Sandburgen, darauf bauen wir nicht. Waren sie beide glücklich?“

„Mama und Papa waren glücklich!“, fiel die Tochter dazwischen.

„Ja, wir haben alles zusammen gemacht, Ausflüge, Urlaub. Mein Mann ist selten alleine fortgegangen, ein paarmal im Jahr mit den Kollegen, die Jahresabschlussfeier, eine Verabschiedung, sonst war er nur zu Hause. Selbst zum Lindauer Oktoberfest ist er nie gegangen, obwohl ich ihn gefragt habe. Nein, das war nichts für ihn. Wir wollten uns bald ein Reisemobil kaufen, wir lieben Skandinavien und da kommt man so am besten dort herum.“ Und dann weinte sie wieder.

„Nun,“, sagte Mayer, „wir möchten sie auch nicht lange aufhalten. Herr Bergmann hat sich ja bereits bei den Kollegen ihres Mannes umgehört, der Abend verlief recht ruhig, keiner hatte zu viel getrunken. Ihr Mann wollte an dem Abend zu Fuß nach Hause gehen, es war ja ein milder Abend, und er soll einen Abendspaziergang einer Mitfahrmöglichkeit vorgezogen haben. Wenn wir einen Zusammenhang zwischen dem Blut am Giebelbach und ihrem Mann ausschließen wollen, bräuchten wir aber etwas von ihrem Gatten, die Zahnbüste, die Haarbürste oder was Anderes. Und dann wird es sich aufklären.“

„Ich geben ihnen seinen Kamm, mein Mann mag keine Haarbürsten, so viele Haare hat er ja auch nicht mehr. Nur er hat ihn benutzt.“ Sie wollte gleich ins Bad rennen, aber Mayer hielt sie auf. „Ich gehe mit ihnen, sie fassen ihn bitte nicht an.“ Er folgte ihr und hörte hinter sich, wie die Tochter Bergmann fragte: „Papa ist aber nichts passiert?“ „Nein, ich denke nicht.“, hörte er Bergmann noch antworten. Im Bad ließ er sich den Kamm zeigen, holte einen Kunststoffhandschuh und einen Kunststoffbeutel aus seiner Jackentasche, zog den Handschuh über seine rechte Hand, fasste den Kamm vorsichtig und ließ ihn in dem Klarsichtbeutel verschwinden, den er anschließend achtsam verschloss und in die Jackentasche steckte. Zurück im Wohnzimmer gab er Bergmann mit einer Kopfbewegung zu verstehen, dass es Zeit war, zu gehen. Frau Linke gab er noch seine Visitenkarte und fügte hinzu: „Für alle Fälle.“ Man verabschiedete sich und die beiden Polizeibeamten fuhren zurück zur Inspektion, nicht ohne sich wieder zweimal durch einen kleinen Stau zu quälen.

Zurück auf dem Parkplatz der Dienststelle steht Ralph Obermeyer vor der Eingangstür im Schatten des Dienststellengebäudes, trinkt Kaffee und raucht.

„Und?“

„Die Frau ist fertig. Aber jetzt lassen wir erst mal eine DNA von Linke machen. Ich düse gleich los ins Allgäu. Und was war bei dir?“

„Die Zeitung!“, stöhnt Obermeyer, „Penetrant. Die Juliane Liebermann, die kriegste nicht so schnell vom Telefon weg. Ich kenne sie ja, sind per du. Sie hat’s aber schließlich eingesehen.“

„Also ich fahr‘ jetzt. Würde zwar gerne einen Kaffee, aber wir müssen uns ranhalten. Ich hol‘ mir einen an der Tankstelle oder beim Mac. Die von der KTU werde ich was drängeln, ich will heute noch das Ergebnis haben. Dann können wir die Frau beruhigen.“

„Oder auch nicht!“, setzt Obermeyer obendrauf.

„Oder auch nicht.“, bestätigt Mayer.

Kurz nach dem Mittag wird ein Auffahrunfall am Berliner Platz gemeldet. Ralph Obermeyer fährt dieses Mal raus. Er kommt kaum zur Unfallstelle durch, alle Zufahrten sind verstopft. An der Unfallstelle streiten die beiden Fahrer, es ist nur Blechschaden, aber eines der beiden Fahrzeuge kann nicht mehr bewegt werden. Der Abschleppdienst muss benachrichtigt werden. Es dauert eine halbe Stunde, bis der gelbe Abschleppwagen vor Ort ist. Raus aus dem Kreisverkehr kommt er nicht mehr, er wartet erst einmal auf dem Vorplatz des LindauPark‘s, bis der Verkehr wieder einigermaßen fließt. Als Ralph Obermeyer wieder an der Dienststelle eintrifft, ist es später Nachmittag.

Obermeyer und Bergmann warten auf Thorsten Munke, die Ablösung, aber der ruft an, dass er später kommt. Der Verkehr. Dann klingelt das Diensttelefon. Bergmann hebt ab, nicht ohne den Lautsprecher einzuschalten, und meldet sich. Eine aufgeregte Stimme legt los:

„Also, Tag, ich .., ich bin mit meinem Hund ..“

„Wer spricht da?“

„Böhler, Werner Böhler, aus Hörbranz.“

„Ja und … ?“

„Ja, ich bin mit meinem Hund über die Leiblach nach Deutschland, über die kleine Brücke beim Diezling, da, da, wo die Scheune ist, mein Hund, der zieht plötzlich ab, in den Wald, bellt, ist ein Jagdhund, müssen sie wissen, rufe ihn, er kommt nicht zurück, ich hinterher, durch das Gestrüpp, bin ja schon über siebzig, und da liegt was Großes in Plastik eingewickelt, der Hund reißt die Folie schon auf, hat Blut am Mund, bellt, ich bin da näher ran, also, da ist einer drin, in der Folie, der muss tot sein. Ich nehm‘ den Hund an die Leine, ziehe ihn zurück, zurück zur Straße, und denke mir, da musst du die Polizei anrufen.“

„Wo sind sie jetzt genau?“

„An dem Heuschober, da wo die kleine Brücke über die Leiblach nach Hörbranz führt, und wo es nach Witzigmann hoch geht.“

„Okay, bleiben sie dort, bis wir kommen. Halten sie den Hund an der Leine. Und bleiben sie unauffällig, nicht dass ganz Lindau dahinkommt. Wir kommen ganz schnell.“

Obermeyer und Bergmann schauen sich mit großen Augen an.

„Wird ein langer Abend!“, brummelt Bergmann.

Ralph, du rufst den Rettungswagen und die Feuerwehr. Ich rufe den Mayer an.

„Hauptkommissar ..“

„Ist schon gut, Frank, ich bin’s, Julian aus Lindau. Da hat einer eine Leiche gefunden, in einem Waldstück an der Grenze, wir fahren jetzt sofort dahin, Rettungswagen und Feuerwehr alarmiert Ralph gerade, ihr müsst mit der ganzen Mannschaft anrücken, in die Hangnach, an der kleinen Grenze, Oberhochsteg, Leiblachstraße heißt das, ist ganz schmal, okay? Hangnach. Leiblachstraße, zu der großen Scheune.“

„Okay, bis gleich.“

In dem Moment kommt Thorsten Munke rein.

„Entschuldigung, der Verkehr, ich ..“

„Ist schon gut. Wir müssen gleich los, da liegt eine Leiche bei der Leiblach, wir haben alles alarmiert. Übernimm‘ du bitte hier. Komm, Ralph.“

Blaulicht an, Sirene an. Ludwig-Kick-Straße, Reutiner Straße, Steigstraße, Rickenbacher Straße und raus nach Oberhochsteg. Viel Verkehr, aber der fließt. Dann in die schmale Straße zur Hangnach, ein paar Radfahrer, ein paar Häuser, ein Bauernhof, und hinter der Wiese sieht man den Heuschober, und da steht auch ein Mann mit Hund. Sie parken auf der Wiese, steigen schnell aus, eine filmreife Szene.

„Wo liegt der?“, fragt Obermeyer nur kurz.

Der Hund bellt, der Mann zeigt zum Wald.

„Zwischen den beiden großen Bäumen, dann zwanzig Meter geradeaus.“

Die beiden Polzisten rennen los, der Hund bellt weiter. Ein Stück geht es einen Hang hoch, dann drängen sie sich durch enges Gestrüpp, Obermeyer macht die Taschenlampe an. Nach ein paar Metern entdecken sie die schwarze Kunststofffolie. Sie stehen davor, an einer Stelle ist sie eingerissen, wohl vom Hund, Fliegen krabbeln rein und raus, es stinkt.

„Da machen wir nichts mehr. Wir warten auf Mayer.“, sagt Obermeyer.

Unter fahren zwei Rettungswagen und zwei Feuerwehrfahrzeuge vor.

„Bleib‘ du hier, Julian, ich schicke die Sanis hoch, sie sollen aber nichts verändern.“

Obermeyer rennt zurück zur Straße und gibt den Sanis Anweisungen. Den Jungs von der Feuerwehr sagt er, dass sie die Straße an der der Kreuzung links und am Bauernhof rechts sperren sollen, niemand, wirklich niemand darf durch, außer den Kollegen aus Kempten. Die Radfahrer, die stehengeblieben sind, bittet er, weiterzufahren und die Arbeit hier nicht zu behindern. Dann nimmt er noch die Personalien von dem Mann mit den Hund auf und bittet ihn, fortzugehen.

Die Sanis kommen zurück. „Mausetot.“, sagt einer. „Wir bleiben noch hier, bis eure Kollegen da sind, für alle Fälle.“ Sie setzen sich in ihre Rettungswagen und spielen auf den Smartphones rum.

In der Ferne ertönen Sirenen.

„Ich gehe mal davon aus, dass das der vermisste Ehemann ist.“, sagt Mayer zu den beiden Lindauer Polizeibeamten, nachdem er sich den Leichnam angesehen hatte und den Rest dem Team der Spurensicherung überließ. „Ich werde nachher zu ihr gehen, und ihr sagen, dass man davon ausgehen muss. Gewissheit liefert aber auch hier nur die DNA. Oder wollt ihr zu ihr fahren?“ „Nein!“, antworteten beide gleichzeitig.

Es wurde dunkel. Die wenigen möglichen Spuren waren gesichert, Fußabdrücke hatte man im Gras keine finden können, das Gras ist nochmal hochgewachsen, bei dem milden September, die Reifenabdrücke waren unsicher, da an diesem Abschnitt der schmalen Straße viel Fahrzeuge über den Asphalt hinaus die Kurve schnitten oder bei Gegenverkehr über den Straßenrand hinaus fuhren. Der Metallsarg wurde in den Kleintransporter getragen, Obermeyer sagte dem Leiter der Feuerwehrteams, dass er die Leute wieder einsammeln könnte, und dann setzte sich eine Schlange aus Polizei-, Rettungs- und Feuerwehrfahrzeugen langsam in Richtung Lindau in Bewegung.

Mehrere Journalisten standen am Straßenrand, aber die Polizeifahrzeuge ließen die Seitenscheiben oben und fuhren im Schritttempo an ihnen vorbei. Fotokameras blitzten auf. Am Rande der schmalen Straße standen Schaulustige, ihre Fahrzeuge machten die Weiterfahrt nicht leicht. Hinter der Schrebergartenanlage war dann freie Fahrt.

Die Polizisten hatten vereinbart, sich erst morgen früh wieder Kontakt aufzunehmen, dann werde auch das Ergebnis bekannt sein. Die KTU handelt bei Mord ohnehin umgehend. Bergmann und Obermeyer brachten Munke noch auf den Stand der Dinge, und Bergmann brachte seinen Kollegen nach Hause.

Als Bergmann am nächsten Morgen die Wohnung verlassen wollte, bekam er einen Anruf. Frank Mayer stand auf dem Display. Er nahm ab und sagte nur: „Und?“ „Es ist Linke.“, meinte Mayer. „Ich bin schon seit sechs Uhr im Büro, wir kommen gleich mit der großen Mannschaft. Macht bitte was Platz in der Inspektion. Zwei Teams werden die Stellen untersuchen, die am Giebelbach und die Stelle, wo die Leiche gefunden wurde. Wie heißt das nochmal?“ „Hangnach“, antwortet Bergmann. „Okay bis nachher, wir haben viel Arbeit heute.“ Bergmann sprang seinen Wagen, rief während der Fahrt Obermeyer an, um ihm zu sagen, dass die Leiche identifiziert worden sei. Paul Linke.

In der Inspektion machten sie im Besprechungsraum Platz, stellen alle verfügbaren Stühle und Tische hinein, holten das Whiteboard aus dem Nebenraum, legten Stifte, Zettel und Magneten bereit. Auf so einen Akt war man gar nicht vorbereitet, aber die aus Kempten würde auch einiges mitbringen. Dann fuhren auch schon die Kemptener ein, fünf BMW und ein Transporter. Mayer kam erstmal alleine rein, lies sich alles zeigen und verteilte dann seine Mitarbeiter in der Inspektion. „Die Spurensicherung habe ich gleich vor Ort geschickt, ein Team zum Giebelbach und eines in die Hangnach. Ach, und wenn die Presse anruft, abwimmeln, ist noch alles zu früh. Das der Tote der Linke ist, ist irgendwie schon durchgesickert, könnt ihr also bestätigen, mehr aber nicht. Ach, und die Linke, die hat getobt gestern Abend. Hat mich eine halbe Stunde gekostet. Ich habe sie heute auf dem Weg hierher nochmal angerufen, sie schien etwas gefasster, nur dem Kind geht es noch verdammt schlecht. Ich habe ihr die Nummer des psychiatrischen Notdienstes gegeben. Ich hoffe, sie nutzt das. Machen wir uns an die Arbeit.“

Obermeyer kam in den Besprechungsraum, in dem es drunter und drüber ging. Er suchte Bergmann und Mayer. Sie waren nicht zu finden. Auf dem Parkplatz traf der sie. Mayer rauchte. Er zündete sich auch eine Zigarette an und ging zu ihnen. „Der Chef hat gerade angerufen. Hat die Lindauer Zeitung online gelesen. Kann auch nicht richtig abschalten im Urlaub. Er war aufgeregt. Ein Toter in Lindau und er sitzt an der Amalfiküste und trinkt Espresso. Er wollte sogar den Urlaub abbrechen. Ich konnte ihn beruhigen, Montag ist er ohnehin wieder zurück. Er wird noch deinen Chef in Kempten anrufen. Ich denke, der ist bestens informiert, Frank?“

Frank nickte. „Klar doch!“

Am Giebelbach und in der Hangnach waren zur gleichen Zeit je ein Team der Spurensicherung im Gange. Zwischen der Wackerstraße, den Tennisplätzen und dem Giebelbachweg musste das Giebelbach-Team alles genau untersucht. Keine leichte Aufgabe für die acht Frauen und Männer, hier liegt so viel Müll herum, dass es sehr schwierig ist, was zu finden, dass mit dem Fall zu tun hat. Als Polizeioberwachtmeisterin Petra Graf auf dem Bürgersteig der Wackerstraße vor der Einfahrt zum Parkplatz des Tennisclubs Lindau-Aeschach stand, kam ihr ein älterer Mann mit seinem grauen Rauhaardackel entgegen. Sie ging auf ihn zu.

„Gehen Sie öfters hierher?“, fragte sie ihn.

„Hier ist ja was los! Wohl wegen den Blut! Ja, ja, viermal muss ich mit Sokrates raus.“, antwortet er.

„Und am Abend, wann gehen sie das letzte Mal mit im Gassi?“.

„So halb neun, neun.“

„Vorgestern Abend auch?“

„Vorgestern, am Abend? Warten sie, ich war schon vor dem Fernseher eingedöst, da wurde der Hund was unruhig. Naja, ich dachte, da gehe ich nochmal kurz mit ihm“

„Wohin sind die gegangen?“

„Hierhin, bis kurz vor die Container. War sichtlich was nervös, der Kleine.“

„Ist ihnen was aufgefallen, waren Personen zu sehen, Stimmen zu hören, oder sonst was Auffälliges?“

„Nein, nur als wir kurz vor der Eingangstür waren, kamen zwei Wagen vorbei, etwas zu schnell, würde ich sagen.“

„Welche Art Fahrzeuge fuhren da an ihnen vorbei, haben sie die Modelle erkannt?“

„Nun, ich habe mich umgedreht, als ich die Wagen hörte, ein Kombi kam zuerst, Passat Kombi oder so, dunkle Farbe, und gleich dahinter was Kleineres, ein Fiesta oder was Japanisches, auch dunkel.“

„Haben sie die Personen erkannt. Die Anzahl?“

„Nein, das ging alles zu schnell, nein, wirklich, die Scheiben reflektieren ja auch das Licht der Straßenlaternen, da erkennt man nichts. Auch auf die Kennzeichen habe ich nicht genau geachtet, der kleinere hatte LI vorne, mehr weiß ich nicht.“

„Sonst was Auffälliges?“

Der alte Mann dachte nach, während der Rauhaardackel die ganze Zeit Petra Graf anstarrte.

„Ach, doch, ja, der Kombi, genau, der Kombi hatte an der Dachantenne ein gelbes Band, das bei der Fahrt flatterte. Ja, es war gelb, sicher, gelb war es.“

„Danke.“ Petra Graf notierte sich Namen, Adresse und Telefonnummer und wies ihn darauf hin, dass man auf ihn zukommen werde, um das Ganze als Zeugenaussage aufzunehmen.

Dann rief sie umgehend Frank Mayer an und berichtete ihm. „Kombi, Kleinwagen, beide dunkle Farbe, LI, gelbes Band an der Dachantenne.“, fasste er zusammen, bedankte sich und legte auf. Er sagte es den beiden Lindauer Polizisten und fügte hinzu: „Spärlich, sehr spärlich!“ Ein, zwei Minuten vergingen, da fragte Obermeyer plötzlich: „Gelbes Band an der Antenne?“ Mayer nickte. „Wieso fragst du?“ „Nun, ich weiß, dass die Mitglieder des Dartclubs ein gelbes Band als Mitgliedskennzeichen an ihren Autos haben, wie heißt er nochmal, .. warte .. The Dartdevil, genau, Dartdevils.“

Obermeyer stürmt an seinen Computer, sucht die Homepage des Dartclubs, überfliegt das Menü und klickt auf ‚Vorstand‘. Zuerst erscheint Martin Haber, 1. Vorstand, dann Thomas Frey, 2. Vorstand. „Da!“, sagt er, „Frey!“ „Und?“, fragt Bergmann. „Ich hab‘ doch die Leute gesprochen, die mit Linke den Abend aus waren. Ich hab‘ leider vergessen, mir die Namen aufzuschreiben, ich weiß, Anfängerfehler, aber eine, die hieß Frey, die, die alleine nach Hause gefahren ist, und die mir sehr nervös zu sein schien, rieb ständig Daumen und Zeigefinger der rechten Hand aneinander.“

„Stehen Telefonnummern dabei?“, fragt Mayer.

„Ja.“

„Dann ruf‘ ihn an und bestelle ihn her.“

„Der haut dann vielleicht ab.“

„Und, dann holen wir ihn uns schon. Julian, stell‘ mal fest, ob auf ihn Fahrzeuge zugelassen sind“

Obermeyer wählt die Nummer von Frey. Nach einer Minute legt er wieder auf und schüttelt den Kopf.

„Egal,“, sagt Mayer, „nachher nochmal. Wir fahren dann gleich zu seiner Frau, Ralph, du kennst sie ja, du kommst mit, dann noch zwei von meinen Jungs, zwei Wagen.“

„Verdammt!“, ruft Bergmann aus dem Nebenraum, „Der Frey hat einen Passat Variant, stahlgrau. Und sie einen Fiesta, schwarz. Der alte Mann ist noch gut drauf.“

„Ruf nochmal an, Ralph!“

Er tippt auf die Nummer aus ‚Letzte Anrufe‘, es ertönt das Freizeichen …

„Ja, wer spricht da?“

„Polizeiinspektio..“.

Aufgelegt.

„Ja, da hat aber einer ein schlechtes Gewissen!“. Mayer hüstelt. „Julian, gib‘ das Kennzeichen zur Fahndung raus, auch bei den Württembergern und den Vorarlbergern. Wo der arbeitet, das weiß keiner von uns, wird uns seine Dame aber sagen, wenn sie nicht auch schon weg ist. Ralph, wir fahren los. Du fährst bitte, dann rufe ich auf dem Weg meinen Chef an, wir brauchen Haftbefehle von der Staatsanwaltschaft. Los, auf!“

Mit Blaulicht und Sirene fahren die zwei Streifenwagen los, meiden den Berliner Platz und parken gleich vor der Pforte. „Wir sind ja keine Besucher.“, meint Obermeyer und grinst.

Mayer stellt sich dem Pförtner vor, zeigt seinen Dienstausweis und bittet ihn, Frau Marion Frey zu rufen. Der Pförtner grüßt erst einmal Obermeyer, an den er sich noch erinnert, und bittet um ein wenig Geduld. Er telefoniert leise und wendet sich der Polizei zu. „Kommt gleich.“

Zwei Minuten später erscheint sie. Sie ist blas im Gesicht, reibt wieder Daumen und Zeigefinger der rechten Hand aneinander und sagt nur: „Ja.“

„Wir möchten sie bitten, sofort mit zur Inspektion zu kommen“, sagt Mayer energisch.

„Sofort?“

„Ja, sofort. Wenn sie noch was Persönliches mitnehmen müssen, Handtasche oder so, dann holen sie es jetzt, mein Kollege wird sie begleiten.“

„Das geht aber ..“, fällt der Pförtner ein.

„Das geht.“, fällt Mayer dazwischen und gibt seinem Kollegen ein Zeichen.

Zwei Minuten später sind sie zurück, Marion Frey trägt eine Handtasche um die Schulter.

„Hab‘ kurz reingeschaut,“, meint er Polizist, der sie begleitet hat, „nichts Gefährliches drin.“

„Gut“, sagt Mayer, „dann fahren wir mal los.“

Ein Polizist geht schnell vor, öffnet die linke Hintertür von Mayers Dienstwagen und setzt sich auf die rechte Seite. Der andere bleibt ganz nah an Marion Frey, führt sie zur Wagentür, und hält, während sie einsteigt, die Hand über ihren Kopf. Die anderen beiden steigen vorne ein, die Türen werden verriegelt, und Obermayer fährt los.

Plötzlich beginnt Marion Frey zu kreischen und schlägt mit den Fäusten auf die Kopfstütze vor sich. „Beruhigen sie sich!“, schreit Mayer, „Beruhigen sie sich! Sie machen alles nur noch Schlimmer. Oder haben sie uns was zu sagen?“

„Ich wusste, dass das schiefgeht. Ich hab’s im gesagt. Das geht nicht gut, das kann nicht gut gehen.“

„Wo ist ihr Mann jetzt?“, fragt Mayer. Obermeyer fährt hinter dem Stadtbus die Reutiner Steig hoch.

„Auf der Arbeit, denke ich.“

„Wo arbeitet er?“

Sie nennt den Namen der Firma.

Mayer ruft Bergmann an, soll in der Firma nachfragen. „Wir sind gleich zurück.“, ergänzte er noch.

Der Parkplatz vor der Polizeiinspektion hatte sich mittlerweile geleert. Nur noch ein Streifenwagen aus Kempten stand dort. Sie parkten, die beiden Kollegen von Mayer nahmen Marion Frey in ihre Mitte und führten sie in ein leeres Büro. Bergmann kam hinzu, brachte Mineralwasser und Kunststoffbecher und erklärte: „Der Frey ist nicht mehr an seinem Arbeitsplatz. Meinte, dass es ihm nicht gut ginge und ist nach Hause.“

„Ach, siehe da!“, sagte Mayer, und dann ganz laut zu Marion Frey. „Wissen sie, wo er ist?“

„Nein.“, antwortet die Frau, „Nein, das weiß ich nicht.“

„Nun, dann erzählen sie mal, was an dem Abend passiert ist. Wir haben einen Zeugen, der ihre Wagen gesehen hat. Wollen sie einen Anwalt?“

„Nein, wozu, ist doch alles vorbei.“

Mayer klärte sie über ihre Rechte auf und fügte dann hinzu: „Wir hören. Julian, du schreibst bitte mit.“

Julian nickte.

Sie zitterte am ganzen Körper. Sie schwitzte. Sie trank Wasser.

„Also …. . Also, wir fünf, gingen ohne Paul zum Parkhaus. Parkhaus Inselhalle. Paul sagte den anderen, dass er zum Bahndamm gehen würde. Ich verabschiedete mich am Aufzug von den vieren, sie hatten unten geparkt, mein Wagen stand in dem Parkdeck darüber. Ich fuhr mit dem Aufzug hoch, wartet noch ein wenig im Wagen, um sicher zu sein, dass die anderen weg sind, und dann fuhr ich zum Milchpilz.“

„Milchpilz?“, fragte Mayer.

„So ein Imbiss in Form eines Pilzes. Liegt auf dem Weg zum Bahndamm.“, erklärte Obermeyer.

„Warum sind sie dorthin gefahren?“, hakte Mayer nach.

„Paul wartet dort auch mich.“

„Paul Linke? Warum?“.

Pause.

„Wir, … wir wollten noch was zusammen machen.“.

„Was?“.

„Was. Denken sie doch mal nach. Was? Ficken, man. Er, .. er war schon die ganze Zeit hinter mir her und er gefiel mir, ja, ich hatte Lust auf ihn. Nein, keine Liebe, einfach nur ..“

Mayer hustete. „In dem kleinen Wagen?“

„Ja.“

„Und weiter?“

„Er stieg ein, wir fuhren auf den Parkplatz Hintere Insel. Aber da waren Jugendliche. Krakelten rum. Laute Musik. Er sagte, dann ich solle zum Giebelbach fahren. Ich sagte, dass da auch Leute sein könnten, er meinte, mal solle erst mal schauen. Wir fuhren dorthin, es war menschenleer und mausestill. Dann fingen wir an. Der Wagen beschlug von innen. Und dann klopfte jemand an die Scheibe. Paul machte die Hose schnell zu, ich zog den Rock runter und schloss die Bluse. Paul öffnete die Wagentür und mein Mann stand dort. Er sagte nichts, zog Paul raus, zog ihn vor den Wagen und, und, und, … er hatte ein Messer dabei und stieß es ihm in den Bauch, zweimal, dreimal, ich konnte es nicht sehen, die Scheiben waren ja … Oh Gott, oh Gott!“

„Und dann?“

„Paul blutet aus dem Bauch. Konnte aber noch stehen, Paul in hielt ja auch fest. Er gab mir seinen Autoschlüssel, ich sollte den Passat holen, stand am Tennisplatz, und nur mit Standlicht in den Giebelbach rein. Ich lief, holte den Wagen und stellte ihn vor die beiden. Heckklappe auf, die Plastikfolie ausrollen, ich tat alles, was er sagte, wie mechanisch, wir hievten ihn auf die Folie, er atmete noch, wir achteten darauf, nicht in das Blut zu treten, wickelten ihn ein und machten Klebeband drum. Ich konnte gar nicht denken, machte nur, was er sagte. Ich sollte ihm hinterherfahren, mehr er sagte nicht dann nicht mehr, meinte aber noch, ich solle nicht durch das Blut fahren.“.

Pause.

Weinen.

„Ich fuhr ihm dann hinterher.“

„Haben sie nicht den alten Mann gesehen? Mit einem Hund?“

„Nein, ich starrte nur auf den Wagen vor mir. Wir fuhren durch die Stadt, und dann nach Oberhochsteg raus. Dann in die Hangnach, bis zu dieser Scheue. Licht aus, zeigte er mir mit einer Handbewegung. Dann schleppten wir den Paul aus dem Wagen, in Plastik eingewickelt, über die Wiese. Man, war der schwer. Am Waldrand machte Thomas eine Stirnlampe an, ich hatte sie gar nicht gesehen im Dunkeln. Dann durch das Gestrüpp, Paul atmete noch, schwer. Wir ließen ihn irgendwann los, ich hatte keine Kraft mehr. Ich fragt, ob wir nicht doch den Krankenwagen …. , aber er ließ mich nicht ausreden. Gleich nach Hause, befahl er mir. Zu Hause zog er die Kleidung aus, steckte sie in einen Kunststoffsack, ich sollte das gleiche machen, soll dann irgendwann verbrannt werden, und dann ging er Duschen, trank einen Obstler und ab ins Bett.“.

„Und die Blutlache?“, fragte Obermeyer.

„Vergessen, toooootal vergessen.“

Das Handy von Bergmann vibrierte auf dem Tisch. Er hob ab, hörte kurz zu und sagte: „Die haben ihn, A96, kurz hinter Leutkirch, Autobahnpolizei.“.

„Gut,“, sagte Mayer und dann ganz laut: „Bringt ihn nach Kempten, die wissen da Bescheid. Den Wagen lasst abgeschlossen stehen, den soll sich die Spurensicherung ansehen, sagt das da bitte.“

Bergmann nickte zu Mayer, um ihm zu signalisieren, dass sie alles verstanden hatten.

Ein Polizist klopfte an, trat ein und sagte: „Mensch, da draußen ist was los. Ganz viele Pressefritzen, der Bayrische Rundfunk und Antenne Bayern sogar mit einem Übertragungswagen.“

„Danke.“, stöhnte Mayer, steckte sich eine Zigarette in den Mund, steckte sie dann hinter sein rechtes Ohr und machte ein paar Notizen.

„Dann werde ich mal rausgehen.“, stöhnte er weiter. „Übrigens, mein Chef ist auf dem Weg hierher, der macht das Formelle mit ihnen, Frau Frey. Sie sollten sich einen Anwalt dazu nehmen. Erstmal bleiben sie mit einem Kollegen hier im Raum. Ach, was mir noch einfällt, das Messer? Wo ist die Tatwaffe?“

„Mein Mann ist ganz früh wach geworden, er ist dann zum See gefahren und hat es irgendwo reingeworfen wo, das weiß ich nicht. Da fragen sie ihn besser.“

Mayer stand auf, atmete tief durch und ging nach draußen.

 

Hallo kafka! Deine Geschichte ist sehr flüssig geschrieben, die Dialoge klingen authentisch und bis auf kleine Dreher oder vergessene Buchstaben stimmt auch die Orthographie. Allerdings finde ich, dass beim Anbahnen der Auflösung etwas mehr Spannung und Überraschung der Geschichte mehr Pfiff geben würde. Auch das Ende finde ich zu abrupt. Aber insgesamt gefällt sie mir prima.

 

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