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Der Angler
Der dichte Kranz aus Bäumen und Sträuchern, welcher den See umschlang, spiegelte sich schemenhaft auf dem Wasser. Es war ein warmer Nachmittag, der Sommer hatte seinen Höhepunkt erreicht, weiß-rosa Blüten strahlten vom Ufer her, das Laub und die Nadeln strotzten vor Grün und ein leises Zwirpen der Grillen lag in der Luft. Die Sonne warf bereits den Schatten der Bäume über ein Drittel des Sees, doch dem Angler, der bis zur Mitte hinaus gerudert war, fielen die heilenden Strahlen noch satt aufs Gesicht. Er reichte die Pfeife zum Mund und zog schonend an ihr. Der Rauch drang sachte in seine Lungen, um ein paar Sekunden später wieder durch Mund und Nase zu entweichen. Eine Mücke schwirrte hartnäckig um den Kopf des Anglers, saß hin und wieder auf sein Gesicht, um dann gleich von einer nachlässigen Handbewegung vertrieben zu werden.
Der Angler richtete sich auf. Das Wasser war trüb und still. Verschiedenste Pflanzenreste schwammen an der Oberfläche. Ein Stock hing von Tang umwickelt fest, Algen färbten das Wasser grün. Eine Libelle schweifte in weiten Kurven über den See. Er legte die Pfeife beiseite und präparierte seinen ersten Haken an diesem Tag. Die Spitze durchbohrte das Fleisch eines Wurmes, welchen er am Ufer im Boden gefunden hatte. Dann nahm der Angler die Rute in eine Hand und schwang sie über den Bootsrand, sodass der Köder ein paar Meter daneben landete. Zufrieden lehnte er sich wieder zurück.
Etwas später spürte der Mann ein sachtes Ziehen an der rechten Hand. Er sah auf, das Ziehen wurde entschlossener, er hielt die Rute fester, legte die Pfeife ab und nahm die andere Hand dazu. Etwas wand sich direkt an der Oberfläche unnachgiebig um den Köder. Es war eine Schlange. Er neigte die Angel in die Höhe, sodass sie längs ausgestreckt in der Luft hing. Völlig regungslos baumelte sie jetzt an der Leine und der Angler spürte wie sich bei ihm Haare an Armen und Beinen aufstellten. Ein befremdlicher Schauer durchfuhr ihn bei diesem Anblick. Eine Schlange, die in einen Angelhaken beißt, davon hatte er noch nie gehört. Immer fester schüttelte er, um sie zum Loslassen zu zwingen. Schließlich fiel sie in einem akrobatischen Bogen, den Kopf voraus, zurück ins Wasser. Sie tauchte senkrecht gestreckt und fast ohne Spritzer ein. Einen Moment lang saß der Angler nur ratlos da. Dann nahm er die Angel zurück ins Boot und machte sich daran einen neuen Köder am Haken anzubringen, unentschlossen darüber, ob ihm für heute die Lust nicht vergangen war.
Als die Verwunderung und das unwohle Gefühl dann aber nachließen warf er die Angel doch wieder in guter Erwartung aus und nahm sein Pfeifchen zur Hand. Er musste es neu anzünden und der erste Zug schmerzte ihn in der Brust, sodass er den Rauch hüstelnd wieder ausstieß. Sein Rücken schmiegte sich wieder an die wärmenden Holzplanken seines Bootes. Er sank immer tiefer ins Innere, bis der Bootsrand schließlich über Augenhöhe war und er so geborgen, umgeben von warmem Holz, dalag. Er würde es diesen Herbst frisch streichen müssen. Die rote Farbe war spröde und bröckelte an zahllosen Stellen langsam ab. Erst würde er diese Reste abschleifen müssen, das Holz gründlich reinigen und anschließend die frische Farbe mehrschichtig auftragen. Das würde zwar einige Zeit in Anspruch nehmen, aber zum Frühjahr würde er wieder ein schönes Boot haben. Der Himmel war noch immer wolkenlos blau.
Später, er wusste nicht wie viel Zeit wohl vergangen war, verselbständigte sich die Angel plötzlich und wäre mit einem Ruck beinahe über Bord gegangen. Er griff im letzten Moment nach ihr und hielt dem beachtlichen Zug stand, wobei ihn ein lustiges Gefühl ergriff, als dehnten sich seine Arme dabei gummiartig in die Länge. Das Boot begann sich langsam in Bewegung zu setzen, doch auf einmal ließ der Zug nach und ein Ungetüm schoss aus dem Wasser. Es war ein weißer Hai. Am Höhepunkt seines Fluges schlug er gewaltig mit der Rückenflosse, worauf sich der Leib drehte und sein Kopf sich dem Angler zuwand. Seine urzeitlichen Augen, wie zwei schwarze Löcher, fixierten ihn, schienen ihn für einen Moment lang einzusaugen in eine andere Welt, bevor er mit einem lauten Krachen waagrecht aufs Wasser schlug. Eine Welle erreichte das Boot, dann noch eine, das Boot geriet tatsächlich ins Wanken. Überhaupt hatte der Seegang zugenommen, der Angler spürte den Wind im Gesicht und auf seiner Zunge vernahm er einen leicht salzigen Geschmack. Er sah Gischt im Augenwinkel spritzen und gleich darauf spürte er winzige Tröpfchen auf der Haut. Obwohl etwas in seinem Inneren nach Hause drängte, holte er die Angel nochmals ein und befestigte einen neuen Köder. Er war wie in Trance, es schien als hielt die See etwas für ihn bereit und er war fest entschlossen es zu erforschen. Eine persönliche Botschaft, eine Warnung, eine jenseitige Erfahrung, irgendetwas wartete da unten darauf sich ihm zu offenbaren. Wie ferngesteuert warf er die Angel aus, mit neuem Elan, er stand auf, stellte sich breitbeinig hin, trotzte dem Wellengang.
Das Wasser war unruhig und dunkel, gleich käme der Moment, der Mann stemmte sich nach hinten, die Angel bog sich durch, immer stärker und stärker, sie schien kurz davor zu brechen. Mit einem beherzten Ruck zog er es schließlich aus dem Wasser, doch was er sah ließ ihn völlig erstarren. Es war ein Alptraum. Ein böses Echo seines Lebens. Die Angel fiel ins Wasser. Sein Kopf geriet ins Wanken, eigenwillig taumelte er von der einen Schulter zur anderen. Da waren längst verschmerzte Leiden. Längst vergessene Geister. Und da wuchs etwas heran, etwas Fremdartiges, dessen Ausmaß er nicht abzuschätzen vermochte. Das Wasser war wieder still und glitzerte fröhlich in der Sonne. Er musste weg. Der Angler warf sich ins Boot, packte die Ruder und legte los. Am Ufer legte er noch die Leine um den kümmerlichen Holzpfosten, der als Befestigung diente, nahm seine Tasche und verließ den kleinen See ohne nur einen Blick zurück zu werfen.
Die Wochen vergingen und der Herbst brach herein, nahm den Blättern die Farbe und ließ sie torkelnd zu Boden sinken. Eines von ihnen sank in das Boot, das verlassen am Ufer lag, und landete direkt neben einer langen, hölzernen Pfeife. Als dann der erste Schnee fiel und der See an den Rändern zuzufrieren begann, wurde sie langsam von einer weißen Schicht bedeckt, genau so wie die spröde, rote Farbe des Holzboots.