der Anfall
Was muss das für ein Gefühl sein, wenn du weißt, dass du demnächst sterben wirst?
Wenn du deinen Tod schon seit Wochen genau vor Augen hast und wenn du genau weißt, wie es sich ereignen wird?
Stell dir vor, du sitzt allein mitten in einem kleinen Zimmer, in einer kleinen Wohnung im vierten Stockwerk, draußen ist es dunkel, du hörst, wie die Regentropfen hart gegen dein Fenster schlagen.
Das einzige Licht kommt von dem kleinen Fernseher , dessen flimmernde Bilder wie eine bunte Maske auf dein Gesicht scheinen.
Du hörst, wie der Wind pfeift und es kommt dir vor, als dränge dir das schauerliche Geräusch durch jede Pore, als würde jeder Millimeter deiner Haut wird von der Kälte gestreift werden.
Wie eine Spinne krabbelt sie ganz langsam über deinen Rücken, eine Welle der Grauens packt dich, reißt dich mit und lässt dich wieder los.
Jeder deiner Sinne ist bis aufs Äußerste gespannt.
Du riechst die Kälte, du nimmst sie als bitteren Geschmack auf deiner Zunge wahr, die Kälte und die Angst, die sie unweigerlich mit sich bringt. Wie eine eiskalte Hand umschließt sie dein Herz. Du hörst dich nur noch selbst atmen, dein Herz klopft.
Alles um dich herum scheint in einem Meer der Belanglosigkeit zu versinken. Die Werbesendung im Fernsehen, der Regen, ja selbst das Pfeifen des Windes scheint sich zunehmend von dir zu entfernen.
Alles, was bleibt, ist die klamme Hand des Todes, die sich immer fester um dein Herz zu schließen droht.
Stille
Du fühlst nichts mehr, keine Kälte und nicht einmal mehr die Angst.
Du versuchst, einen klaren Gedanken zu fassen.
Aber es will dir einfach nicht gelingen.
Alles, was dir einmal etwas bedeutet hat, scheint plötzlich so extrem belanglos, ja geradezu lächerlich zu sein.
Deine Familie, dein Haus, dein Geld, dein….
Warum versuchst du es überhaupt noch, wo doch nichts von Alldem noch das geringste Fünkchen Wert zu haben scheint?
Was bringt es dir, zu leben, wenn dein Leben dir nichts bedeutet?
Welchen Sinn hat es dann noch?
Welchen Wert?
Du fühlst nichts, als die Stille, die dich umgibt.
Nur die reine, blanke, unpersönliche … Stille.
Doch langsam, ganz langsam und allmählich, schleicht sich die Angst an.
Sie scheint innezuhalten.
Wie ein Raubtier scheint sie zu warten, zu lauern um im richtigen Moment aufzuspringen und dich zu zerreißen.
Dann beginnt sie wieder zu schleichen.
Sie kommt Schritt für Schritt näher und noch bevor du sie auch nur erahnen kannst hat sie bereits Besitz von dir ergriffen.
Das Raubtier bohrt seine Krallen tief in dein Fleisch, es scheint eine Ewigkeit zu dauern.
Es ist immer noch ruhig.
Es ist ZU ruhig!
Warum ist es so ruhig?
Nicht einmal dein Atem ist mehr zu hören.
Atmen Menschen nicht normalerweise?
Wieso atmest du nicht mehr?
Plötzlich weicht die Angst zurück und macht einem noch stärkeren Raubtier Platz, der Panik!
Warum atmest du nicht mehr?
Was ist mit dir los?
Warum kannst du nicht schreien?
Mit einem Schlag bist du wieder in deinem Wohnzimmer!
Alles kehrt in Bruchteilen von Sekunden zurück, der Fernseher, der Regen, die Kälte … die Angst!
Erleichtert atmest du ein.
„Wieder ein Anfall!“, denkst du, „Heute Nacht hab ich überlebt. Und morgen Nacht?“