Hallo Michael & ParaButuz
Natürlich liegt ihr nicht komplett daneben. Ich finde es alleine schon interessant, die einzelnen Interpretationen zu lesen. Vielen Dank dafür!
Eine kleine Anregung kann ich euch geben: Jedes Wort ist genau so beabsichtigt und drückt etwas bestimmtes aus.
Weil euch aber doch gerne zeigen möchte, welche Gedanken mir ursprünglich beim Verfassen durch den Kopf gegangen sind, habe ich meine eigene Interpretation (die durchaus nicht die einzig richtige sein muss!) online gestellt: http://adm.my-page.org/optix/paperworks/Deutung_Selbst.doc
Viel Spass damit!
Edit: Auf Wunsch von Uwe Post stelle ich meine Interpretation hier in den Post:
Deutung von "Das kleine graue Selbst"
Also gut, ich werde es versuchen. Vorneweg soll die Story wie gesagt zum Nachdenken anregen und kann auf verschiedene Arten gedeutet werden.
Es geht um die Suche nach dem berüchtigten "Selbst", also um "sich selbst finden". Der einfachste Hinweis darauf ist: "Es wollte auch gar nicht gefunden werden."
Jedes Mal, wenn ich das Gefühl hatte, ganz mich selbst zu sein, stellte ich mir mein "Selbst" als eine kleine graue Kugel im Inneren meines Körpers vor, die grösser wird je mehr ich ich selbst bin und die als Ziel mich selbst ganz ausfüllen soll. Immer wenn ich aufgrund von gesellschaftlichen Zwängen oder anderen Gründen nicht ich selbst sein kann, verschwindet diese Kugel.
"Seit Tagen schon war das kleine graue Selbst eingesperrt. Es sass nackt am beigen Tisch und pulsierte vor sich hin. Es fühlte sich nicht so recht wohl."
Der Protagonist, also das "Ich" in der Geschichte hat sein selbst durch die oben beschriebenen Ursachen so verdrängt, dass es wie in einem Gefängnis sitzt. Das Selbst lebt (ich stelle es mir "pulsierend" vor, ähnlich einem Herz) in einem kleinen Zimmer am tristen ("beige" schien mir passend für trist) Schreibtisch und fühlt sich eingesperrt.
"Alles war dunkelrot und roch nach fleischlicher Lust. Das kleine graue Selbst wollte hemmungslos vögeln und zu Tode gebissen werden."
Rot ist die Farbe der Emotionen, denen aber durch das Dunkel ein melancholischer Klang beikommt. Das soll die Stimmung des Selbst ausdrücken und ist zudem ein Hinweis auf die Region, in der ich mir das Selbst vorstelle (Herz). Riechen ist für mich der animalischste der Sinne und passt deshalb zur fleischlichen Lust, die das Selbst ebenfalls verkörpert. Es strebt nach Lust, nach höheren Empfindungen, auch nach Schmerz ("zu Tode gebissen werden") und will eigentlich nur aus der Monotonie ausbrechen.
"Wenn es aus dem Fenster schaute, sah das kleine graue Selbst die anderen draussen herumtollen und spielen. Nur es sass drin und musste nicht einmal Hausaufgaben machen."
Das Selbst sieht andere Menschen ihr Ich ausleben und strebt diesem Ideal nach, kann es aber nicht. Eine Parallele dazu ist das Kind, dass im Zimmer sitzt und Hausaufgaben machen muss, während die anderen draussen spielen. Aber um genau diese Vorstellung zu durchbrechen, muss bei mir das Selbst eben NICHTS machen. Es hat kein Ziel, keinen Lebenszweck, es herrscht nur Monotonie.
?Was soll das Ganze?? fragte sich das kleine graue Selbst oft.
Die finale Frage und eine Zusammenfassung des oberen Zustandes, eigentlich könnte man diesen Satz weglassen, ist nur zur Erklärung.
"Es wollte auch gar nicht gefunden werden."
Noch ein Wink mit dem Zaunpfahl und eine Andeutung auf die Suche nach dem Selbst. Das Selbst sieht selbst darin keinen Sinn mehr und glaubt nicht, dass es in diesem Menschen noch glücklich werden kann. Es hat diese Hoffnung aufgegeben.
"Das Bettlaken war schnell geknotet. Das kleine graue Selbst schlüpfte aus dem Ohr und sprang beherzt auf die beige Couch. Es macht ihm nichts aus, nackt zu sein. Der Fernseher lief."
Das geknotete Bettlaken ist ein Symbol für den Ausbruch aus dem "Gefängnis", wird in diesem Zusammenhang ja auch häufig gebraucht. Aus dem Ohr schlüpft das Selbst, weil es hier unbemerkt entkommen kann (alle anderen Öffnungen sind unüblich und liegen im Blickfeld des Menschen oder liegen nicht frei).
Das Selbst ist nackt und schutzlos, aber nun stört es sich nicht mehr an diesem Zustand. Es ist frei.
Der Fernseher soll die Passivität des Menschen ausdrücken, der sich in die Wunschwelt des Fernsehens (Idole, Kommerz, Brainwash etc., kennt man ja) hineindenkt, anstatt sich selbst zu sein.
"Das kleine weisse Selbst sprang davon und suchte sich jemand anderes."
Die logische Konsequenz. Das Selbst löst sich von dem Menschen und versucht sich in einem anderen zu verwirklichen, was durchaus sehr paradox ist . Es ist nun plötzlich nicht mehr grau, sondern weiss, weil es frei und unbelastet ist (?weisse Weste? oder ganz einfach positive Aufwertung von grau zu weiss).
"Und ich habe es nicht einmal gemerkt."
Da der Mensch sein Selbst sowieso nicht verwirklicht, bemerkt er sein Fehlen logischerweise auch nicht und bleibt deshalb seelenlos, eine Art Zombie quasi, der sich nicht selber steuern kann sondern nur von Gesellschaft/Fernsehen/etc. gesteuert wird.