Was ist neu

Das Fremde und Ich

Mitglied
Beitritt
20.01.2024
Beiträge
9
Zuletzt bearbeitet:

Das Fremde und Ich

Selten hatte Jane sich so unwohl gefühlt wie an diesem Morgen. Im Nachbarzimmer hatte ein Baby geschrien, als sie dann doch endlich Schlaf gefunden hatte, erwarteten sie endlose Albträume und direkt nach dem Aufstehen hatte kalter Regen ihr ins Gesicht gepeitscht, als sie das Fenster geöffnet hatte. Mit tiefen Ringen unter den Augen und zerknitterten Klamotten machte sie sich jetzt die schmalen Treppen des alten Hotels hinunter auf den Weg zum Frühstück. Dem Rest des Etablissements nach zu urteilen würde sie ein wässriger Kaffee erwarten, der trockenes Brot und mit reichlich Glück etwas viel zu süßen Aufstrich begleitete.

Unten angekommen nahm sie am letzten freien Tisch im Saal Platz, inständig hoffend, der zweite Stuhl möge leerbleiben. Doch noch während sie vorsichtig den ersten Bissen verkostete wurden ihre Hoffnungen zerschmettert und eine ebenfalls verschlafen, aber gut gelaunt wirkende junge Frau gesellte sich zu ihr. Die beiden grüßten einander und sie fühlte sich verpflichtet, der Form halber ein wenig Smalltalk zu halten. Und so begann sie ihr zu erzählen, was sie hierher brachte, in das unbekannteste Hotel einer unscheinbaren Stadt, die zu besuchen sie nie wirklich geplant hatte. Aufmerksam hörte die junge Frau zu, nickte und wünschte ihr Erfolg. Ihrerseits erzählte sie von ihrem Besuch bei der Familie hier und den Bedenken wegen deren Gesundheit. Danach erwähnte sie, sie habe in der vergangenen Nacht von einer Blumenwiese geträumt, auf der sie mit ihrer Familie herumgetollt war, wie damals, als sie alle beisammen gewohnt und keine Sorgen in der Welt, keine ungewisse Zukunft gehabt hatten. Diese Offenheit regte Jane dazu an, ihrerseits ihre Träume zu teilen, also begann sie, ohne weiter nachzudenken:

"Ich war in einem Wald und hatte das Gefühl, alles über jeden Baum zu wissen, aber keinen zu erkennen. Als wäre ich in einer Spiegelung der Realität gelandet, in der alles in einer anderen, für mich unverständlichen Sprache ausgeschrieben ist. Die Suche nach Erklärungen trieb mich durch die Reihen der Bäume, bis plötzlich eine Gestalt vor mir stand. Gebeugt, mit langen, dunklen Haaren kam sie langsam auf mich zu, als hätte sie mich gesucht, streckte ihre Hände nach mir aus und alles in mir schrie auf. Ich wollte rennen, fliehen und drehte mich auf der Stelle um, ging ohne mich noch einmal nach ihr umzusehen fort. Ich wollte nicht wahrhaben, dass sie immer noch da war, aber ich sah mich kein einziges Mal um. Dennoch hinterließen ihre Augen stechende Male auf meinem Hinterkopf, egal, wie oft ich um Ecken lief, die Richtung wechselte oder mein Tempo veränderte. Während dieser Wanderung durch das Labyrinth der Pflanzen, deren Name mir unausgesprochen unter der Zunge lagen, darauf wartend, von mir wieder erinnert zu werden, dachte ich unentwegt über sie nach, bis ich schließlich vor einem Baum stehen blieb. Ihre Zweige faszinierten mich auf eine magische Art und Weise, schienen mich umarmen zu wollen. Und dann war die Gestalt wieder da. Ein Tippen auf meiner Schulter, ein kurzer Schreck, dann sah ich ihre großen Augen und wie sie mir in der dreckigen Hand ein zerknülltes Foto hinhielt. Ich nahm es an und sah darauf meine Tochter, wie sie stolz neben einem schlanken Stamm stand. Wie Schuppen fiel es mir dann von den Augen und ich dankte der Gestalt wortlos, sie verschwand und ich stand alleine vor der Lärche. Als ich mich dann umblickte, fiel mir alles ein, jeder Baum hatte wieder einen Namen und jedes Blatt eine eigene Geschichte."

Schweigend hatte die junge Frau ihr zugehört, aufmerksam an ihren Lippen gehangen und dem Traum gelauscht. Jane trank hastig die letzten Schlucke ihres Kaffees, denn ihr Termin rückte näher, bedankte sich für das nette Frühstück und verließ mit deutlich besserer Laune als zuvor das Hotel, auf dem Weg in das überschaubare Ungewisse.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo!

Ein Albtraum kann sich mit unter genau so anfühlen. Sobald das Prinzip jedoch durchschaut ist, ließt das kaum mehr wer. Die Augen halten schnell nach offensichtlicher Veränderung im Textbild Ausschau. Habe kürzlich ein entfernt ähnliches copy/paste Experiment versucht und wurde dafür abgewatscht. Jetzt, mit etwas Abstand und deinem Text vor Augen, kann ich mehr nachvollziehen, warum.

Anbei noch ein paar Punkte, die mir beim Lesen aufgefallen sind:

Mit tiefen Ringen unter den Augen und zerknitterten Klamotten machte sie sich jetzt die schmalen Treppen des alten Hotels hinunter auf den Weg zum Frühstück.
die schmale Treppe – sie kann sich nur eine davon hinuntermachen ...
Doch noch während sie vorsichtig den ersten Bissen verkostete wurden ihre Hoffnungen zerschmettert und eine ebenfalls verschlafen, aber gut gelaunt wirkende junge Frau gesellte sich zu ihr.
zu sich nahm; enttäuscht – ist mir beides zu viel, aber das ist Geschmacksache
Ihrerseits erzählte sie von ihrem Besuch bei der Familie hier und den Bedenken wegen deren Gesundheit. Danach erwähnte sie, sie habe in der vergangenen Nacht von einer Blumenwiese geträumt, auf der sie mit ihrer Familie herumgetollt war, wie damals, als sie alle beisammen gewohnt und keine Sorgen in der Welt, keine ungewisse Zukunft gehabt hatten.
... auch nur Stilgedöns

BG,
Sammis

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom