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Barat: Die Ankunft des Erben
Schier endlos lag die Ödnis da. Bloß spröder Boden, in der Farbe von Knochen, wohin man auch sah. Aus zahlreichen Rissen stiegen karmesinrote Rauchfahnen empor und kräuselten sich, doch heiße Böen vertrieben sie rasch.
Ein Krieger wanderte über diese Ebene, langsam, aber stetig. Seine Rüstung bestand aus Horn und Gebein erschlagener Gegner. Sie bedeckte große Teile des Körpers, nur an wenigen Stellen sah man graue, ledrige Haut. Ein Knochenhelm schützte das Haupt, gefertigt aus dem Schädel einer gewaltigen Raubkatze. Auf dem Rücken des Mannes ragte der Griff eines Langschwerts aus einer schmucklosen, härenen Scheide, das Licht der hoch stehenden Zwillingssonnen blinkte auf dem stählernen Waffenknauf.
Der Krieger blinzelte sich Schweiß aus den Augen und sah gen Westen, denn dort entwuchsen dem flirrenden Horizont zwei Gestalten, allem Anschein nach kamen sie direkt auf ihn zu. Ein Mann und sein Reittier, am Zügel geführt.
»Na, ist das nicht mal ein starkes Stück, Ambratsch?«, fragte Grenzgänger, »da traut sich tatsächlich jemand durch die Tulang’gurun. Und er ist ganz allein!«
Der Esel an seiner Seite schnaubte leise.
»Hm.« Grenzgänger nickte und tätschelte ihm den struppigen Hals. »Da hast du recht. Ein harter Bursche, so scheint es. Besser, wir sind vorsichtig, was? Überlass das Reden mir.« Sie näherten sich bis auf zehn Schritt, dann blieben sie stehen. »Ich grüße dich, Fremder. Sprichst du die Handelssprache der westlichen Kolonien?«, fragte Grenzgänger.
Der Krieger antwortete nicht. Sein hinter Knochen verborgener Blick, glitt über den Burnus aus dunkler Baumwolle, zum knorrigen Wanderstab und kam schließlich auf dem Esel zum Erliegen.
Grenzgänger dachte angestrengt nach. Sieh dir diesen riesigen, grauen Muskelberg an. Seine Vorfahren könnten Uul Khun gewesen sein. Was trägst du da Interessantes bei dir, mein Großer? Er versuchte, nicht allzu neugierig auf den offensichtlich prall gefüllten Tuchbeutel an der Hüfte des Kriegers zu schielen und dachte stattdessen an die wenigen, ihm bekannten Wörter der Sprache des Bergmenschenvolkes: Essen, Schlafen … Frieden! »Perdam …«, setzte er an, doch der Hüne fiel ihm ins Wort:
»Wie nennt man dich?«, fragte er in der Handelssprache.
Grenzgänger schauderte, nur mit Mühe unterdrückte er den Wunsch, sich zu schütteln. Bei Beruangs haarigem Arsch! Als würde man uraltes Felsgestein mit einer Raspel bearbeiten! Mit wohlsam bedachter Handbewegung schlug er die Kapuze zurück. Umgehend bereute er die Etikette, beschienen die Zwillingsonnen doch nun den kahlen Schädel. Er legte die Hand auf die Brust und deutete eine Verbeugung an, jetzt, da die Sprachbarriere anscheinend überwunden war. »Mein Name ist lang und selbst für die meisten meiner Landsleute nur schwer über die Zunge zu bringen. Daher, und für das, was ich tue, nennt mich schlicht: Grenzgänger«, sagte er und zwang sich ein Lächeln auf die Lippen
Der Fremde rührte keinen Muskel.
Der Esel hingegen schnaubte und scharrte mit dem Vorderhuf.
Grenzgänger seufzte theatralisch auf. »Verzeiht, wie unhöflich von mir! An meiner Seite, darf ich vorstellen, mein Freund und Begleiter: Ambratsch von den grünen Weiden.«
»Iihh-Jaahh!«, krakeelte der Esel und schlug mit der Schwanzquaste.
»Und Ihr seid …?«, fragte Grenzgänger und wedelte dabei mit der Hand.
Der Krieger musterte die beiden und entschied, dass sie niemals eine Gefahr für ihn darstellen würden. Er nahm den Helm ab.
Als hätte die Wüste darauf gewartet, fuhr in diesem Moment eine Bö über das Trio hinweg. Die an den Seiten abrasierten, doch obenauf langen, mit zwei kohlrabenschwarzen Federn geschmückten Haare hatten die Farbe von Eisen und wehten im Wind.
»Mein Name«, grollte es aus dem Hünen, »ist Khurdan Sharkh. Erstgeborener des Kaahn Yalagh, Gebieter über die Zähne der Welt!«
Den Esel durchlief ein Zittern, dann plumpsten ein halbes Dutzend dampfender, brauner Brocken in den Staub.
Khurdans Blick erschütterte Grenzgänger, er musste sich schwer auf den Stab stützen, sonst wäre er wohlmöglich gestrauchelt. Oh, ihr Götter! Möge das lodernde Feuer in diesen dunklen Untiefen uns niemals verbrennen! Der Erbe des Kaahn, Träger von ›Dians Zorn‹. Bitte strafe den Tratsch der Waschweiber Lügen. Yang Menarik, was hast du getan?
»Prinz Khurdan …«, sagte Grenzgänger und machte Anstalten, auf ein Knie zu sinken, doch der Krieger stoppte ihn, mit rascher Geste.
»Lass das! Ihr Westländer seid wie Hunde, wenn ihr euch zu Boden werft. Das ist erbärmlich. Und nenn mich nicht so!«
Grenzgänger richtete sich auf, fasste den Stock fester und räusperte sich. »Prin… äh … Erstgeborener, w-wollt Ihr die alten Bräuche wahren und einen Tausch vollziehen, nun, da Ihr die Grenze unseres schönen Reiches übertretet?«
Khurdan besah die Weite der kargen Ebene, als wäre dort tatsächlich eine Linie gezogen, die ein Hoheitsgebiet von einem anderen trennte. »Ich hörte davon«, knurrte er. »Was bietest du an?«
Nickend und froh, einen Handel vollziehen zu können, nestelte Grenzgänger sogleich an den Schnallen der zahlreichen Taschen und Behältnisse, festgezurrt auf dem Rücken des Esels.
Khurdan betrachtete derweil das Tier, welches absolut stillstand, den Krieger unverwandt anstarrte und dabei die Zähne bleckte.
»Dein Freund«, sagte Khurdan leise zu Grenzgänger, »gefällt mir nicht.«
»Beachtet ihn nicht, Erstgeborener!«, erwiderte er, ohne sich umzudrehen. »Er ist eine treue Seele, aber leider auch störrisch … wie ein Esel … ah, ja … hier bist du!« Triumphierend hielt er eine lederne Werkzeugtasche in den Händen.
Die Sonnen standen mittlerweile tief, als die zwei Männer sich einig wurden. Grenzgängers Versuche, die eigene Nervosität zu maskieren, indem er dem Prinzen seine Waren mit ausschweifenden Geschichten feilbot, schienen aufzugehen.
Bisweilen brummte der Krieger etwas Unverständliches, besah sich ein Werkzeug genauer und wog es in seinen schwieligen Pranken von der Größe zweier Eisenpfannen. Am Ende fiel seine Wahl auf eine hölzerne Stechahle. Khurdan streifte den Tuchbeutel von der Schulter, holte eine zur Hälfte gefüllte Trinkblase heraus und warf Grenzgänger den Beutel dann mit Wucht gegen die Brust. »Nimm dir, was gefällt!«, rief er und drehte sich weg, während er gedankenversunken die neue Errungenschaft betrachtete.
Grenzgänger öffnete den Beutel und sah auf eine Ansammlung frisch abgezogener Kleintierfelle, Schlangenhäute, Raubtierzähne sowie Klauen und Hörner herab. Bei Pemburus sicherem Blick, lass mich nie zur Beute dieses Jägers werden!, bat er stumm und entschied sich für die gebogene Kralle einer Panzerechse. Er verstaute sie mit der Werkzeugtasche zurück auf dem Esel, dann schloss er die Augen, sammelte all seinen Mut und sagte: »Nun, habt Dank, Erstgeborener, der Brauch besteht fort. Wenn Ihr erlaubt, so darf ich Euch fragen, wer oder was das Ziel Eures Weges ist?« Verstohlen huschte der Blick zum Griff des Langschwerts.
Khurdan grunzte, hängte sich den Tuchbeutel um und verstaute die Ahle darin. »Der Dieb ohne Ehre, den ihr Yang Menarik nennt.«
»Iihh-Jaahh!«, krakeelte der Esel.
»Der Sohn des Königs!«, entfuhr es Grenzgänger, wofür er sich umgehend hätte ohrfeigen können. »W-warum ersucht Ihr um Audienz, Erstgeborener?«
»Ich suche nicht. Ich bin von den Zähnen der Welt herabgestiegen, um das zurückzubringen, was gestohlen wurde.«
Bei den Göttern. Dann stimmt es, was man sich erzählt. Oh, mein Prinz, was wirst du tun? Grenzgänger glaubte die Antwort bereits zu kennen und wurde leichenblass.
»Deine Fragen foltern meinen Geist, also werde ich gehen. Leb lang«, sagte Khurdan, wandte sich ab und stapfte in den Sonnenuntergang, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Grenzgänger indes wartete ab, bis beide Scheiben versunken und der Mond an ihrer statt erschienen war. Dann holte er Schreibzeug aus den Satteltaschen hervor und kratzte im fahlen Licht hastig wenige Zeilen auf das Palimpsest. Seine Hände zitterten, als er die Nachricht in der ledernen Rolle verschloss und sich an den Esel wandte: »Flieg wie der Wind, mein Freund, um unser aller Willen, hörst du!«, flehte er. »Du musst den Prinzen erreichen, bevor er es tut. Versagst du, so wird dies unser Untergang!« Die letzte Worte waren kaum mehr als ein Flüstern, rasch vertrieben von einer weiteren Bö.
Zwei Tage waren seit der Begegnung mit dem Fremden, der sich selbst Grenzgänger nannte, verstrichen. Weitere Bekanntschaften hatte es seitdem nicht gegeben und auch, wenn die ersten Lichter der Behausungen dieses westländischen Volkes sich mittlerweile dutzendfach am Horizont abzeichneten, so schätzte Khurdan seine Reise auf mindestens zwei weitere Tagesmärsche bis zum Ziel.
Er lag auf dem Rücken, die Füße zum Lagerfeuer hin ausgestreckt, die Hände hinter dem Kopf verschränkt und besah sich die Sterne. Unzähligen Edelsteinen gleich, ausgebreitet auf einer Decke aus schwarzblauem Samt. Ab und an huschte einer der funkelnden Punkte davon, zog seinen Schweif hinterher und verschwand in der Unendlichkeit.
Sieh genau hin, Khurdan, mein Junge. Nur die wenigsten von uns schaffen es, vom angestammten Platz in Dains ewiger Heerschar, zu ihm persönlich gerufen zu werden, in seinen Tempel, wo an der Seite des Götterfürsten niemals endende Freuden warten. Das ist es, was dann passiert, erinnerte Khurdan sich an Vaters Worte. Gesprochen vor langer Zeit, am Eingang einer Höhle, hoch oben nahe dem Gipfel vom schwarzen Zahn.
Eine Brise kam auf und mit ihr zupften die strengen Gerüche von Schweiß, Pisse und weiteren menschlichen Ausdünstungen an der Wahrnehmung des Kriegers. Er setzte sich auf. Rüstzeug, Waffe und Tuchbeutel lagen ganz in der Nähe, angelehnt an den skelettierten Überresten von dem, was früher wohl mal eines der Raubtiere dieser Wüstenei gewesen war. Khurdan griff nach der Scheide, zog das Langschwert heraus und rammte die Spitze in den rissigen Boden. Dann wartete er.
Lautlos schälten sie sich vor ihm aus der Dunkelheit und traten an den Rand des Lichts. Er zählte fünf, vier Männer und eine Frau, mit sonnengebräunten Gesichtern. Gekleidet in faltige Tuchrüstungen in der Farbe von Schlamm; die darin eingenähten Bronzeplättchen hielten den Flammen den Spiegel vor.
Sie fächerten sich weiter auf, bildeten einen Halbkreis um das Feuer. Die Klingen gekrümmter Säbel und Langdolche blitzten auf, soeben zog die Frau einen mit Eisenbändern beschlagenen Stock hinter dem Rücken hervor.
»Du hättest nicht von deinem stinkenden Berg herunterkommen sollen, Affenmensch!«, zischte der Mann ganz links außen und setzte seitwärts einen Fuß über den anderen, ohne Khurdan dabei aus den Augen zu lassen.
»Hast du wirklich geglaubt, du durchquerst die Knochenwüste, spazierst entspannt zur Zitadelle und stiehlst unserem Prinzen die Trophäe?«, fragte sein Gefährte am anderen Ende.
»Außerdem«, sagte die Frau, die jetzt mittig vor dem Feuer stand und ihn angrinste, »wenn dein Vater es seinem Weib nicht richtig besorgen kann, ist es kein Wunder, dass sie zum prallen Schwanz unseres Prinzen greift!«
Khurdan achtete nicht auf das allgemeine Gelächter, er konzentrierte sich auf die zwei Feinde links und rechts neben der Frau. Wie sie die Schultern spannten und ihre Knie beugten, waren sie zum Sprung bereit.
Dann griffen sie an.
In einer Bewegung, so schnell, dass sie vor aller Augen verschwamm, griff Khurdan sein Schwert, wirbelte um die eigene Achse hinter den noch lachenden Mann links außen und sank auf ein Knie. Rückseitig stieß er ihm die Klinge in den Leib, sie schrammte an Wirbelknochen entlang, durchbohrte die Lunge, und drang aus der Brust wieder hervor.
Ungläubig, als würde er es nicht verstehen, sah er auf den Stahl herab, der aus dem eigenen Körper wuchs, dann spuckte er Blut und starb.
Erneut rotierte Khurdan nach links, ein grauer Schemen in der Nacht. Sein Schwung befreite das Schwert, er fasste es in der Drehung mit beiden Händen und köpfte den nächstbesten Angreifer mit einem einzigen Schlag. Khurdan behielt das Tempo bei, unterlief den ungestümen Hieb eines Krummsäbels, indem er den eigenen Oberkörper weit nach hinten bog und auf den Knien voran rutschte, sprang auf und parierte zwei weitere Schläge. Sein gezielter Tritt gegen ein Knie knackte die Scheibe wie trockenes Holz, der Gegner heulte auf, Khurdan rammte ihm das Schwert in den Rachen und als es durch Zähne, Zunge und Nacken brach, blieben bloß gurgelnde Laute übrig.
Niemand machte mehr Witze oder schwang große Reden.
Die übrigen Angreifer, ein Mann mit zwei Dolchen und die Frau mit dem Kampfstab belauerten ihn. Einer einstudierten Schrittfolge gleich, bewegten sich die drei im Reigen ums Feuer.
Khurdan fuhr mit der Zunge über die Lippen, schmeckte das noch warme Blut seiner Feinde. Von der Klinge in seinen Händen ging ein wachsendes Puckern aus, er spürte, wie die gebundenen Seelen im Innern des Schwertes trunken wurden vom Lebenssaft. Er spuckte ins Feuer, bleckte die Zähne und breitete die Arme aus: »Ja, komm nur!«, spie er der Frau entgegen, »siehst du mich? Ich bin es, Khurdan, Sohn des Kaahn und Dian ist mit mir!« Der rückwärtige Luftzug ließ ihn ausweichen, er tauchte nach rechts weg, holte weit aus zu einem beidhändig geführten Überhandschlag und zielte in der Drehung auf den Kopf. Sein Hieb traf den Schädel des Mannes genau in der Mitte, zertrümmerte Knochen, fuhr durch Hirnmasse, Knorpel und Röhren und spaltete den Mann bis zum Becken. Ein blutiger Regen ging auf Khurdan nieder, als die zwei Leichenteile zu Boden plumpsten.
Das Puckern im Schwertinnern wuchs und wuchs, rot schwarze Runen erglühten auf der Klinge. Rauch trat hervor, umspielte Heft und Parierstange und wurde zu Kettengliedern, die sich wie von Geisterhand um Khurdans Arme schlangen. Jetzt war es der Krieger, der lachte.
Die Frau riss die Augen auf, ihr entfuhr ein Wimmern. Sie ließ den bebänderten Kampfstab fallen und floh.
Das Dunkel verschluckte ihren Körper und Khurdan hegte nicht den Drang, sie zu verfolgen. »Ja! Lauf, Weib! Lauf zu deinem Prinzen und warne ihn vor mir! Denn auch über ihn werde ich kommen und bei Dians Macht, ich werde ihn strafen, für das, was er getan hat!« Sollte sie allen erzählen, was auf dem Weg zu ihnen war. Er säuberte das Schwert an der Kleidung eines der Toten. Jetzt, wo die Klinge nichts mehr zu trinken bekam, verschwanden die Runen und ebenso die Kettenglieder aus Rauch. Dann durchsuchte er seine Opfer nach nützlicher Kriegsbeute. Und wie er über den Leichen kniete, war ihm nach einem grimmigen Schwur: »Grenzgänger«, knurrte er, »und Ambratsch von den grünen Weiden, betet, dass wir uns nicht erneut begegnen, denn ich schwöre, beim Götterfürsten, es wird euer beider Ende sein.«