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Am Grabe

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27.04.2003
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Am Grabe

Hinab sah er: Verlorene Gedanken, begraben fast und doch taumelnd im Tanze, so lebend – wollten sie vergehen? So fremd erschien ihm alles hier, so weit weg. So befremdlich auch die Natur, in ihrer Andacht: den Tod verleben? Die Achtsamkeit ihrer Augen, die sich dem Nichts verschließen, sie behagte ihm nicht.
Er sah hinab: Auf das gelebte Leben unter dem Bunt, das auch bald verginge, wäre er nicht, der Hinabsehende, der sich auflehnen sollte, gegen die Körper der Natur, nur für höhere Dinge, vom Mensch gemacht. Nein, wähnte er sich zufrieden, Pflanzen haben keine Seelen: Sie sind Seelen. Die Wurzeln des Nichts winden sich durch das Reich der Erde, um die Entfernte, die Entgangene, in sich aufzunehmen – und alles kehrt zurück.
Hinab sah er: So weit weg vom Zurück. Wo war hier die Verbindung? Gleichgesinnte? War das die Absicht? Müde war er, Müdseligkeit, in der Tat, ein fremdes Wort – kein Fehler. Was, wenn er sich dazu läge, daneben, immer noch drüber? Würde man ihn, schlafend am Grabe, für einen Toten halten und untergraben wie seine Brüder in Särgen, oder würden sie ihn, wenn er sich räkelte, als Auferstandenen denken und empor heben, so hoch, dass er hinab sähe auf sie, auf die Lebenden?
Verlorene Gedanken erdenken sich Verlorenheit. Und mit ihnen erfindet sich neu, der Denker, im unendlichen Strom des Denkens, mit dem er die Blumen auf dem Grabe stillt – tränkt – und sich selbst dabei zu Grabe trägt, denkend denkend.
Zurück sah er, am Tor, ein letztes Mal; bis er wieder komme, in Zukunft. Er wollte diesen Platz verlassen, dachte er: Aber sah aufs Grab, wo er gestanden hatte und sah sich selbst, sich hinab sehen, in Gedanken verloren. Am Tor wähnte er sich gemütlicher, und sah in die Welt hinaus: das blaue U (und sein Einlass), usw.
Mit einem Bein schon im Leben der Stadt, wollte er sichergehen, was er gesehen, und sah zurück: Sein Vergangenes legte sich neben das Grab. Für einen kurzen Augenblick: Solle er ihn zu den Brüdern legen? Dann ging er in die Welt, das Schwarz unter dem blauen U. Als er unten ankam, verharrte er, sah ins Hell hinauf. Er war nicht des Wankelmuts, aber er fing ein letztes Mal an, zu denken.

 

Oha, dieser Text hat Charakter.
Zwar erklimmen mich einige Fragen, aber vielleicht ist dies bewusst gewählt.
Eine "Gänsehaut-Atmosphäre" und zugleich eine tiefe Ruhe.
Nicht schlecht. Wirklich.
Gruß,
Anna

 

Danke, Anna,
es freut mich, dass Dir dieser Text gefällt.
Das er Fragen aufgeben würde, habe ich mir auch bereits beim Schreiben gedacht: Darum auch die Frage im Text selbst, ob nur Gleichgesinnte ihn verstünden, so wie ich ihn verstehe - aber könne dies die Absicht eines Kunstwerks sein?

Schönen Gruß,
Philip

 

Salut Philip,
als erstes denke ich, dass es darum geht, seine momentanen Gefühle und Gedanken oder Ideen Ausdruck zu verleihen.
Erst in zweiter Linie ist die Wirkung und das Verständnis von Bedeutung.
Und wenn es darum geht, ob es Kunst sein kann, wenn nur wenige es verstehen, so kann man in der Literatur das Beispiel des Dadaismus nehmen. Auch hier haben nur wenig Menschen den Sinn und die Freude erkannt. Dennoch- meine ich- ist es Kunst.
Na, ist dies eine zufriedenstellende Antwort? ;)
Gruß,
Anna

 

Erst mal Herzlich Wilkommen auf KG.de

Ich finde deine Geschichte auch nicht schlecht!!! :thumbsup:
Kann man flüssig lesen, flott geschrieben.

MFG Johann Wolfgang Goethe;)

 

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