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Alle Erfahrung ist Mülltrennung

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18.04.2002
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Alle Erfahrung ist Mülltrennung

Ich bin noch heute froh, dass ich damals dringend in die Uni musste ...

„Wir fahren gleich weiter, dauert nur noch 'ne Minute!“
Die Verzögerung passte mir überhaupt nicht. Ich war heute natürlich wieder einmal unter Zeitdruck. Wenn ich zu spät zur Dekanatssitzung käme, würden meine Kollegen aus der Naturwissenschaft wieder lästern: „Ja, ja, die Philosophen und ihr Zeitbegriff.“
„Können Sie meine Einfahrt nicht gleich freimachen?“, fragte ich den großen, hageren Mann leicht nervös.
„Nee - der Müll ist noch nicht sortiert, wir können nicht einfach alles mitnehmen.“
„Ist das nicht übertrieben, ihn zu sortieren?“
„Ihre Aussage erscheint mir nicht durchdacht, werter Herr“, entrüstete sich der Lastwagenfahrer, „Sie sind wohl ein Mülltrennungsskeptiker?“
„Aber wenn man das mal kritisch analysiert, ich meine: was bringt denn die Trennung bei der Müllsammlung?“
„Also, ich werde Ihnen die Angelegenheit einmal strukturiert darlegen. Aber mein Gedankengang zielt hier nicht auf die Analyse der getrennten Sammlung von Müll, sondern auf die Untersuchung ihrer Grundlagen. Welches sind die Voraussetzungen einer Mülltrennung? Was muss selbst für den Fall wahr sein, dass wir nur jenen bloßen Blickwinkel frei haben, den uns der Skeptiker zuschreiben will? Wenn wir diese Voraussetzungen klären können, werden sie zugleich unabhängig von der Mülltrennung an sich als wahr gelten. Denn ihre Wahrheit ergibt sich nicht daraus, dass wir diese oder jene Mülltrennung machen, sondern aus dem Umstand, dass wir überhaupt eine Mülltrennung machen. Daher bedürfen die Bedingungen der Möglichkeit von Mülltrennung zu ihrer Verifikation keiner besonderen Art von Mülltrennung und lassen sich aus der Vernunft allein begründen. Sie werden unter allen Umständen und in jeder Welt wahr sein - vorausgesetzt, sie ist verständlich - in der sich die skeptische Frage formulieren lässt. Und das läuft darauf hinaus, dass die Mülltrennung notwenig ist. Ich kann mir ihre Falschheit nicht vorstellen, denn ich kann mich selbst nicht als Teil einer Welt vorstellen, in der die Mülltrennung nicht gilt.“
Der Müllfahrer räusperte sich und schaute mich erwartungsvoll an. Ich war verblüfft. Noch nie war mir bewusst geworden, welch grundlegende philosophische Dimension sich hinter dem Konzept der Mülltrennung verbarg. Wonne der Praxis, hinfort mit dir, schnöde Theorie! Voller Freude dankte ich dem klugen Fahrer dieses herrlichen, auf Müllsortierung eingerichteten Lastwagens. Ich rief in der Uni an, dann bei der Stadtverwaltung. Endlich - nach langem Hin und Her gaben sie meinem Drängen nach: Ich bekam den Job ...

 
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Hallo Berg,

eigentlich müsste man jetzt `groß´ definieren, gell? ;)

Ich denke, es ist ein entscheidender Unterschied, wenn ich die Textelastizität überprüfen will, probiere, ob sich Satirisches ergibt, dann ist ein fremder Text `objetiver´, ein eigener könnte das Gewünschte enthalten (bewußt oder nicht).

L G,

tschüß Woltochinon

 

Hallo Woltochinon,

mir hat sie gefallen, die kurze Reise durch das was ist oder wäre, sofern ich es mir vorstellen kann oder könnte. Es runterzubrechen auf etwas scheinbar Banales beweist ja u.a., daß (sic) Philosophie nicht ausschliesslich ohne Bodenhaftung auskommen muss. Wobei sie nicht unbedingt zugänglicher wird dadurch, doch das wollte Emanuel wohl auch nicht.

Eine Kleinlichkeit noch :

Wonne der Praxis, hinfort, mit dir, schnöde Theorie!
Da ist ein Komma zuviel, welches, das hängt vom Sinn des Satzes ab.

Grüße,
C. Seltsem

 

Hallo C. Seltsem,


interessant, dass du das mit einer Reise vergleichst.

„daß (sic) Philosophie nicht ausschliesslich ohne Bodenhaftung auskommen muss“


- Ja, oft täuscht die Form eine `Höhe´ vor, die dem Inhalt nicht zukommt. Fragen der Moral haben schließlich einen ganz praktischen Bezug.

Zitat:

Wonne der Praxis, hinfort, mit dir, schnöde Theorie!


- Natürlich, das stimmt - das Komma nach „hinfort“ muss fort!


Emanuel hat sich wahrscheinlich nicht um die Zugänglichkeit seiner Gedanken geschert, er hat wohl alles dem Zweck, etwas Umfassendes zu schaffen, untergeordnet. (Vielleicht kommt man in so einem Fall um Unzugänglichkeit nicht rum …)

Vielen Dank für deine Gedanken.

L G,

tschüß Woltochinon

 

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