Adrian der Klops
Adrian joggte durch den Park, ein Teil seines allmorgendlichen Programmes. An den Büschen lugten die ersten grünen Knospen hervor. Der Frühling wacht auf, dachte er, in seinen Ohren pochten die Herzschläge.
Adrian war dick. Oft tat ihm das Gehen weh, beim Schuhe zu binden war ihm sein gewaltiger Bauch im Weg. Wenn er die Toilette aufsuchte, bereitete ihm das Abwischen jedes Mal Mühe. Bisher hatte er noch keine Freundin gefunden, mit Adrian dem Klops, wie sie ihn alle nannten, wollte keine etwas zu tun haben.
Seit einigen Wochen überlegte er, einen Job auf einer Ölplattform oder als Ranger in einen der kanadischen Nationalparks anzunehmen. So richtig konnte er sich nicht entscheiden. Zumindest sollte der neue Job weit weg von Supermärkten, Imbissketten und Fastfood-Restaurants sein. Ein Jahr Ölplattform oder in der kanadischen Wildnis und er würde wie verwandelt in die Welt zurückkehren.
Jeden Morgen streifte er sein BATMAN-T-Shirt über, drehte eine beschwerliche Runde durch den Kilometerweg des Stadtparkes. Der Kilometerweg hieß so, weil er genau einen Kilometer lang war, zwei rot-weiß gestreifte Poller markierten die jeweiligen Enden.
Um zu verhindern, dass seine Oberschenkel wundscheuerten, trug er eine gepolsterte Radlerhose. Ein zusammengerolltes Handtuch, hinten in den Radlershorts, sollte verhindern, dass ihm der Schweiß in die Poritze lief. Die Joggingjacke, über dem schweißdurchtränkten T-Shirt, klebte am Körper. Japsend erreicht er sein Ziel, den Poller am Ende des Kilometerweges und stützte sich daran ab. Mit schweißnassen Fingern zog er das Handy aus der Joggingjacke und tippte auf die Timer-App. Zwanzig Minuten, er wurde immer langsamer. Am Ende schlich er nur noch, war kaum schneller als gebrechlicher Greis.
Er spürte ein Stechen in den Knien, dass sich über die Oberschenkel in den Bauchraum ausbreitete. Vielleicht sollte er sich ein paar Tage Ruhe gönnen, um den geschundenen Körper eine Chance auf Erholung zu gönnen.
Eine Spaziergängerin mit einem kleinen Mädchen an der Hand gingen an ihm vorbei, kurz darauf drehte sich das Mädchen um. «Mama, weißt du warum der Mann so stinkt?» Die Antwort der Mutter verstand Adrian nicht, aber die Frage des Kindes gab ihm einen Stich ins Herz.
Den Weg nach Hause war er sonst immer mit der Straßenbahn gefahren, diesmal beschloss er zu laufen.
Auf dem Fußweg, in den Parterrebereichen der mehrstöckigen Miethäuser befanden sich kleine Ladengeschäfte, wie Friseur, Bäcker, Zeitungsladen. Vor dem Schaufenster eines Sportstudios blieb er stehen, ein athletischer Kerl rannte schwungvoll über ein Laufband. Adrian schaute ihm eine Weile zu, zu den Schmerzen in den Knien, dem Stechen in der Seite, gesellte sich jetzt ein Reißen im Rücken.
Er schleppte sich weiter, am Ende der Straße erblickte er Werbung an einer Fassade. «EMS-Training hier! Fett in Muskeln umwandeln, ganz einfach!»
Den Eingang des EMS-Trainingsstudios ließ er vorerst links liegen, eine Viertelstunde später kroch er die Treppen zu seinem Apartment in der fünften Etage hoch, schälte sich aus den verschwitzten Kleidern.
Duschte, seifte seinen mächtigen Bauch ab, walkte Fleischmassen. Seine Haut, sonst von einer schweinchenrosa Färbung, erstrahlte heute feuerrot.
Er zog sich neue Kleidung an, Jeans mit Gummibund und hellblaues T-Shirt, schlüpfte in eine weite Fleecejacke. Vor der Garderobe standen zwei Pappkartons, einer mit Schokoriegeln, der andere war mit Gummibärchenentüten gefüllt. Diesmal widerstand er der Versuchung, schloss die Wohnungstür ab, ging an der Aufzugtür vorüber und lief die Treppen herunter.
Das EMS-Trainingsstudio befand sich in der neunten Etage eines Hochhauses, die Aufzugtür schloss sich gerade, Adrian, außer Atem, quetschte sich noch schnell hinein. «Puh, ist das eng», sagte die einzige Person in der winzigen Kabine, ein Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, obwohl sie versuchte, streng zu blicken. «Das Problem liegt an den zu kleinen Aufzügen, ich versuch den Bauch einzuziehen», feixte er zurück, musterte seine Mitfahrerin. Mittelgroß, ausgeprägte Rubensfigur, fülliger Vorbau, dunkelblond. «Das Problem liegt nicht am Aufzug. Bestimmt in die neunte Etage», sie lachte, deutete mit dem Finger nach oben. «Yepp», erwiderte er. «Bischen Fett verbrennen. Bist du das erste Mal hier?» Adrian nickte. «Eigentlich will ich nicht Fett verbrennen, sondern Muskeln aufbauen.» «Ich auch, aber nur wegen Muskelaufbau», sie grinste, der Aufzug hielt in Etage neun..
«EMS bedeutet elektronische Muskelstimulation, da müsst ihr euch nicht mit Hanteln, Kraftsportstationen und Laufbändern herumquälen. Ihr werdet verkabelt und mit kleinen Stromschlägen bearbeitet. Ist ähnlich wie Reizstrom und kribbelt ein wenig», erklärte die Trainerin, eine drahtige junge Frau, Mitte zwanzig. Adrian und Lisa, so hieß die Rubensfrau aus dem Aufzug, wie sie beim Ausfüllen des Anmeldeformulars verriet, stimmten einem Schnuppertraining zu.
Nachdem er sich in das Sportzeug, ein schwarzes T-Shirt und eine gleichfarbige, oberschenkellange Hose hineingequält hatte, begegnete er im Sportraum Lisa. «Die größte Größe war 3 XXL, hab kaum reingepasst», jammerte sie. Ihr fülliger Vorbau kam jetzt trefflich zur Geltung, wie Adrian mit Wohlwollen feststellte. «Stimmt, 3 XXL ist viel zu klein», gab er zurück, versuchte sein T-Shirt über den hervorquellenden Bauch zu ziehen, was aber misslang.
Nach dem viertelstündigen Training, er fühlte sich noch genauso dick und schwer wie vorher, bekam weder Atemprobleme noch Seitenstechenstechen, entfernte die Trainerin die Kabel mit den Elektroden von Adrians Körper.
Im Anschluss lud er Lisa, zu einem Eiweißshake in die Studio-Bar ein.
Er erfuhr, dass sie als Büromanagerin in einer Heizungsbaufirma arbeitet, dort den ganzen Tag am Schreibtisch sitzt.
Sie klagte ihm ihr Leid, das sie viel zu dick sei und am liebsten einen Job auf einer Ölplattform oder als Rangerin in einen der kanadischen Nationalparks annehmen würde. So richtig könne sie sich nicht entscheiden. Zumindest sollte der neue Job weit weg von Supermärkten, Imbissketten und Fastfood-Restaurants sein. Ein Jahr Ölplattform oder in der kanadischen Wildnis und sie würde wie verwandelt in die Welt zurückkehren. Schlank und grazil.
Sie unterhielten sich lange, Lisa schaute ihn an. „Bei dir habe so ein komisches Kribbeln im Bauch. Spürst du es auch?“ „Yepp“, brummte Adrian, spürte wie sein Blut in den Kopf stieg. Sie gefiel ihm.
Zum Abschied tauschten beide ihre Telefonnummern aus, Lisa gab ihm einen dicken Kuss auf die Wange.