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Zwitschernde Vögel

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25.06.2016
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Zwitschernde Vögel

Ich blicke hinauf zu den vorbeiziehenden Wolken. Ein oranger Himmel malt den Hintergrund und ein großer Wald erstreckt sich vor mir. Ich atme die kühle Morgenluft ein, jogge über den Waldboden und höre die ersten Vögel zwitschern. Mein morgendlicher Lauf hilft mir, mich zu entspannen und den Alltag zu vergessen. Mein Puls ist gleichmäßig, ich kann ihn in meinen Adern schlagen hören. Plötzlich ein Knacken – nichts Ungewöhnliches in einem Wald, doch es war mir zu laut. Ich bleibe ruckartig stehen, fahre herum, starre in den Wald hinein. Nein, da ist nichts. Vielleicht doch nur ein Reh. Ich laufe weiter. Wieder ein Knacken. Ich drehe mich um, diesmal schneller. Nichts. „Ist da jemand?“, frage ich. Können auch nur spielende Kinder sein. Nein, nicht um diese Uhrzeit. Es ist viel zu früh. Unbehagen und Angst nisten sich in mir ein. So oft bin ich diese Strecke gerannt, nie ist etwas geschehen. Verunsichert blicke ich mich um. Gerade heute habe ich mein Handy nicht dabei und mein Freund schläft noch. Ein Schlag. Von hinten. Ein Stein, oder etwas Ähnliches. Ich falle zu Boden, mir wird schwarz vor Augen.

Ich finde mich neben einem alten Baum wieder, nackt, blutverschmiert. Mein Herz rast. Ein stechender Schmerz erschüttert meinen Körper. Ich blicke an mir herab, erkenne, weshalb es so schmerzt. Ich schnappe nach Luft, Tränen schießen mir in die Augen. Ich wimmere, schluchze. Er ist nicht mehr da. Ich zittere. „Hilfe!“, schreie ich. Vielleicht hört mich jemand. Nein, da ist nur das rauschen der Blätter. Ich kauere mich zusammen. Mir ist kalt. Das ist nicht geschehen, das kann nicht geschehen sein, nicht mir. In Wahrheit liege ich doch noch im Bett, ein schlimmer Traum, das war es. Doch die Vögel zwitschern weiter.

 
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Hallo Ayaka,

du bist ein Meister der wenigen Worte. Nun ist das schon deine dritte Kurzgeschichte (nach "Monster" und "Weißes Tuch") mit so wenigen Zeilen. ("Wolkenseegler" ist ja etwas länger). Aber du schaffst es auch diesmal wieder, in wenigen Sätzen ein spannendes Szenario aufzubauen und eine kleine packende Geschichte zu erzählen. Vielleicht könnten deine Geschichten etwas mehr Zeilen haben, um den Lesegenuss zu verlängern. Ich würde mich freuen, mehr lesen zu dürfen.

Gruß
Lind

 

Hei Ayaka,

mir gefällt dein Schreibstil sehr, sehr gut :)

vorbeischwebenden Wolken.
Ich empfinde 'vorbeiziehender' als 'richtiger'. Schwebend ist natürlich auch ein Bild, und wenn du genau das erzeugen möchtest, dann ist das selbstverständlich in Ordnung. Auf mich machen Wolken aber immer einen ziehenden Eindruck, keinen schwebenden ;)

Ein orangener Himmel
'orangener' ist umgangssprachlich, entweder 'oranger' oder aber 'orangefarbener'

Wieder ein knacken.
*Knacken

Ein Schlag. Von hinten. Ein Stock, oder etwas Ähnliches.
Wie kam der denn so plötzlich hinter sie, sie hat sich doch die ganze Zeit umgedreht?
Ein Stock klingt irgendwie so dünn und zerbrechlich. Entweder 'ein Ast' oder lieber gleich 'ein Stein', da wird jeder sofort die Assoziation zu 'hart, tut weh wenn man ihn an den an den Kopf bekommt' haben.

Ich blicke an mir herab, erkenne, was so schmerzt
'was so schmerzt' - vorher wurde gar nicht erwähnt, dass etwas schmerzt. Außerdem, wenn etwas schmerzt, dann weiß man meistens schon bevor man es sieht, wo genau es schmerzt. Du weißt ja auch, wo dein linker Arm gerade liegt, ohne hingucken zu müssen ;)

Ich schnappe nach Luft, tränen schießen mir in die Augen. Ein schrei der Verzweiflung
*Tränen
*Schrei
Ich finde den Schrei an dieser Stelle nicht ganz stimmig. Wenn ich mich in ihre Situation versetzen müsste, würde ich vermutlich eher Wimmern, nicht Schreien.

Dieses ganze 'ich weiß, was passiert ist' kommt mir auch nicht so plausibel vor. Ja, natürlich weiß sie es. Der Leser weiß es auch, schon ab dem ersten Satz des zweiten Absatzes. Eigentlich ist es also unnötig, sie das so oft wiederholen zu lassen. Dieses 'ich weiß, was passiert ist' erinnert an andere Situationen, zB wenn man von seinem Freund betrogen wird oder whatever, also wenn man nicht selbst dabei war und nur über Dritte davon erfahren hat. Oder sich aus verschiedenen Hinweisen etwas zusammenreimt. Aber sie war ja dabei, auch wenn sie dabei nicht bei Bewusstsein war, sie spürt es ja ganz deutlich zwischen ihren Beinen.
Was ich dir vorschlagen könnte, wäre diese Erkenntnis ein bisschen anders aufzuziehen. Vielleicht, dass sie es nicht wahrhaben will, dass sie sich innerlich dagegen wehrt und Angst hat, sich das, was passiert ist, einzugestehen, dass sie es leugnet und Ausreden sucht, obwohl sie eigentlich genau weiß, was passiert ist. Das würde auch der Problematik näher kommen, dass Vergewaltigungsopfer diese abscheuliche Tat oftmals aus Schamgefühl nicht anzeigen, zT auch ihren engsten Freunden nicht anvertrauen. Wenn sie es sich selbst nicht eingestehen kann, dann kann sie es auch anderen nicht erzählen.

Du hast hier ein sehr dramatisches Thema gewählt, und du hast es in eine sehr schöne, sprachliche Form verpackt. Inhaltlich fehlt mir an einigen Stellen der Bezug zur Realität, da sind noch zu viele Ecken und Kanten, als dass man hundertprozentig in die Geschichte einsteigen könnte. Aber daran kann man arbeiten, und ganz ehrlich? Solche Szenen sind nie einfach zu schreiben, es ist auch nicht einfach, sich in so eine Situation hineinzuversetzen, und schonmal gar nicht, wenn man es nicht selbst erlebt hat. Und das wünscht man ja wirklich niemandem.

Insofern finde ich deinen Ansatz schon sehr gut gelöst, auch, dass du die eigentliche Tat überspringst und sie erst im Nachhinein wieder 'aufweckst' und mit dem Geschehenen konfrontierst.
Ich denke du bist hier in diesem Forum genau an der richtigen Stelle gelandet, ich freue mich auf deine weiteren Texte.

Liebe Grüße,
Sommerdieb.

 

Hallo Ayaka,

du hast es dir offenbar zur Aufgabe gemacht, in kurzen, knappen Szenen verschiedene Ausnahmesituationen, in die Menschen geraten können, zu beschreiben. Das ist eine gute Übung, ich will dir das auf keinen Fall ausreden.
Allerdings hätte ich es in diesem Fall besser gefunden, wenn das Szenario etwas weniger abwegig gewesen wäre. Denn auch wenn meine Mutter immer versucht hat, mich vom Gegenteil zu überzeugen: die wenigsten Vergewaltigungen finden am frühen Morgen im einsamen Wald statt. Und es ist auch in den seltensten Fällen der böse Unbekannte, der hinterm Baum lauert, der sie begeht.
Aber als Übung zum Spannungsaufbau ist es gut gelungen und auch die Reaktion der Protagonistin auf die Tat klingt ganz plausibel. Das Ende mit dem Kontrast zu den zwitschernden Vögeln ist nett gemacht.
Zwei Sachen im Detail, die meine Vor-Rezensenten noch nicht erwähnt hatten:

Ich kauere mich zusammen.
Das klingt für mich ein bisschen schief. Vielleicht aber auch nur, weil ich "kauern" noch nie reflexiv verwendet habe. Dann hat es laut Duden auch mehr die Bedeutung "hocken, ducken". Während "kauern" ohne "sich" das "zusammengekrümmt hocken" ausdrückt, das du wahrscheinlich meinst. Dann wäre aber das "zusammen" auch doppelt.
Nein, da ist nur das rauschen der Blätter.
"das Rauschen" großgeschrieben

Jetzt hoffe ich, du hast nach all den Kritiken zu den bisherigen Texten nicht die Lust verloren und da kommt noch mehr. Es würde mich freuen.

Viele Grüße
Ella Fitz

 

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