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Zwischentöne
„Man muss nicht immer allen Dingen einen Namen geben.“ Er spielt mit meinen Locken, so wie er es immer tut, wenn mein Kopf auf seiner Brust liegt. Ich weiß nicht, ob es eine zärtliche Geste ist oder ob seine Finger eine Beschäftigung suchen. Schweigend lasse ich ihn eine Weile gewähren, höre auf den Schlag seines Herzens, ehe ich ihm antworte.
„Aber ich muss es wissen, Nils. Ich muss wissen, was das mit uns ist. Liebe? Oder nur eine kopflose Angelegenheit, die uns beide alles kosten kann? Und wenn sie uns alles gekostet hat, wird es sie dann noch geben? Wird es das hier dann noch geben?“
Meine Hand beschreibt einen imaginären Kreis um uns beide.
„Schhhh…“ Wie ein Vater, der sein Baby beruhigen will, streicht er über meine Wange. Aufgebracht entziehe ich mich seinen Händen und setze mich auf.
„Du nimmst mich nicht ernst, oder? Behandle mich nicht wie ein Kind, selbst wenn…“
„Selbst wenn was? Selbst wenn du meine Tochter sein könntest?“
„Ja.“
Lange sieht er mich an, sein Blick gleitet über das dünne weiße Laken, das mich bedeckt und jede meiner Konturen abzeichnet, er sieht in meine Augen und ich weiß, dass er es mag, dieses Funkeln wenn ich zornig bin – oder glücklich. Vielleicht liebt er es sogar. Gesagt hat er es noch nie. Ich weiß, dass er mich jetzt in diesem Moment berühren und küssen will, aber ich weiß auch, dass er es jetzt nicht wagen wird.
„Möchtest du, dass wir uns nicht mehr sehen?“
Ich atme tief.
„Es wäre vernünftig und richtig.“
Jetzt setzt auch er sich auf, berührt mich leicht am Unterarm, während der Blick aus seinen blauen Augen mich nicht loslässt.
„Möchtest du vernünftig sein?“
„Würdest du mich denn gehen lassen?“
„Hätte ich eine Wahl?“
Ich schweige, unfähig ihm eine Antwort auf diese Frage zu geben. Soviel - zu viel - ist passiert in den letzten vier Monaten seit diesem einen Tanz, dieser Rumba, bei der Elton John begann, mich zu verhöhnen.
Als er damit anfing, hatte der Frühling gerade erst mit blühenden Krokussen und Märzenbechern die harte Schale des Winters durchbrochen. Jener betörende, Leben verheißende Frühlingsduft war es, der an diesem Abend durch die geöffneten Fenster drang und den Saal der Tanzschule erfüllte. Zu diesem Zeitpunkt kannten Nils und ich uns bereits zwei Jahre und ich hatte ihn auf Anhieb gemocht, diesen großen, charmanten Endvierziger mit dem Lausbubenlachen, der sich selbst nie zu wichtig nahm. Und ich mochte sie. Katarina. Seine Frau. Die beiden schienen sich blind zu verstehen. Auf dem Parkett wie im Leben. Eine Bilderbuchehe, das hätte ihnen jeder bescheinigt, der sie sah. Und Paul mochte ihn. Mein Freund.
Doch mit der Zeit hatte sich auch etwas anderes in diese Zuneigung gemischt, ein anfangs so unbestimmtes Gefühl das erst langsam an die Oberfläche drängte und mich, als es sich endlich Platz verschafft hatte, beschämte.
Seine Gegenwart – und irgendwann auch seine Abwesenheit spülten Bilder in meinen Kopf, die dort beharrlich liegen blieben wie Strandgut das niemand wegräumt und die mich dazu brachten, ihm nicht mehr in die Augen sehen zu können.
Beide waren wir an jenem Abend für einen Anfängerkurs engagiert worden, ich als Partnerin für einen der überschüssigen Herren und er als Vortänzer.
In der Pause hatte er mich aufgefordert. Seine Arme bereits in Tanzhaltung, hatte ich unter den neugierigen Blicken der am Rand der Tanzfläche stehenden und an ihren Getränken nippenden Anfängern, keine Chance ihm zu entkommen. Ich ergab mich der Situation, legte meine linke Hand auf seine Schulter, reichte ihm meine rechte, spürte die Wärme seiner Haut und versuchte verzweifelt die Bilder in meinem Kopf zu verscheuchen.
Die ersten Takte erklangen und Nils begann mich zu führen, summte leise die Melodie des Liedes mit.
It's a human sign when things go wrong
when the scent of her lingers and …
„Du weißt schon, dass die Rumba ein Liebesspiel symbolisiert, oder? Wir zwei trinken hier aber gerade höchstens zusammen lauwarmen Kaffee“, raunte er mir zu und quittierte damit meine Bemühungen, ihn möglichst wenig zu berühren oder anzusehen.
…temptation's strong … into the boundary of each married man …
Abrupt stieß er mich weg, drehte mich, hielt mich mehrere Takte lang auf Abstand, um mich dann noch näher an sich zu ziehen. All das schien ihn nicht die geringste Anstrengung zu kosten, so leicht und gleichmäßig waren seine Atemstöße die ich in meinem Haar spürte und die Bewegungen seiner Brust, die sich synchron dazu gegen die meine drängte. Die Tanzfläche gehörte nur uns und er nutzte sie, durchschritt mit mir den Raum, gab mich frei, schenkte mir einige Sekunden ohne die Wärme seines Körpers, für die ich dankbar war und die ich doch gleichzeitig kaum aushalten konnte. Schließlich überließ ich mich ganz seiner Führung, die Spannung seines Körpers übertrug sich und machte es unnötig, auf meine Schritte zu achten.
… sweet deceit comes calling…
Am gleichen Abend noch liebten wir uns, auf dem Rücksitz seines Wagens, der unter Bäumen am Rande eines Feldes parkte, während die moosigfeuchte Frühlingsluft durch das halb geöffnete Autofenster kroch. Es war klischeehaft, wie in einem schlechten Film; der Rücksitz, der Frühling als Kulisse und der Ring an seiner Hand, den ich zu oft sah. Doch er sammelte sie ein, diese Strandgutbilder in meinem Kopf, jedes einzelne machte er überflüssig, tauschte sie gegen Berührungen, gegen den Geschmack seiner Lippen und die Wärme seines Körpers.
Ich fuhr nach Hause, viel zu spät, roch ihn in jeder Faser meiner Kleidung, meiner Haut und meines Haars. Sein Geruch haftete an mir wie der olfaktorische Beweis unserer Untreue. In jener Nacht fand ich kaum Schlaf, teilte dieses Geheimnis mit meinem Lieblingsteddy - dem letzten Relikt meiner Kindheit, das noch nicht aus meinem Bett verbannt worden war. Doch er konnte mir nur zuhören, auf eine Absolution wartete ich vergebens.
Fünf Tage vergingen bis zu unserer nächsten Begegnung, Tage, in denen ich mir selbst fremd vorkam, in denen ich Pauls Nähe kaum ertrug und in denen ich viel zu wenig schlief. Scham, Schuld und Sehnsucht rieben mich auf, verbündeten sich und zeichneten mir Augenringe. So sehr ich es noch vor wenigen Wochen bedauert hatte, so froh war ich nun über den Umstand, dass Paul und ich noch nicht zusammenlebten.
Ich war mir sicher, Nils würde unseren Ausrutscher bereits bereuen.
Als ich nach diesen Tagen wieder meine Tanzschuhe anzog und die Tür des Saales öffnete, war es Katarina, die mich zuerst erblickte und lächelnd auf mich zukam. Als sie mich freudig umarmte, glaubte ich mich übergeben zu müssen. Aus den Augenwinkeln sah ich ihn, wie er an der Theke saß, mit dem Barkeeper scherzte und an seinem Rotwein nippte.
Ich hoffte, wir würden uns ignorieren könnten, elegant aus dem Weg gehen und vergessen, was geschehen war, wenn auch eine kleine aufmüpfige Stimme in mir nicht ‚Vergessen‘ sondern ‚Wiederholen‘ schrie.
Doch er ließ mich nicht durchkommen mit meiner Scham, mit diesem Gefühl, jeder könne sehen, dass wir es getrieben hatten. Als Ben hinter dem Mischpult Elton Johns Sacrifice startete, forderte Nils mich auf und beschwor ihn erneut herauf, den Zauber und das Verhängnis unseres ersten Tanzes. Meinen halbherzigen Versuch, seine Aufforderung abzulehnen, hatte Katarina mit einem aufmunternden Lächeln und einem fröhlichen ‚Tritt ihr nicht auf die Füße, Schatz‘ im Keim erstickt.
Elton John erging sich bereits in der zweiten Zeile seines Abgesangs auf die Untreue, als Nils mich in seine Arme zog. Ich war mir sicher, jeder würde es spätestens jetzt erkennen, würde seiner Hand in meinem Rücken all die Berührungen ansehen, die von ihr ausgegangen waren.
„Sie werden es nur merken, wenn du dich weiter derart anstrengst, dass es niemand merkt.“ Ich gab ein wenig meine Abwehrhaltung auf, doch ansehen konnte ich ihn noch immer nicht. Er machte eine kurze Pause, seine Hand berührte für den Moment einer Drehung meinen Nacken, ehe sie wieder ihre Position auf meinem Schulterblatt einnahm.
„Wieso tust du das?“
„Ich habe an dich gedacht in den fünf Tagen.“
Ich schwieg, fügte mich in seine Führung, die nun schon zu lange im Grundschritt verharrte und versuchte das Toben in meinem Inneren niederzukämpfen.
„Sieh mich an Hanna. – Bitte.“
Ein leichtes Kopfschütteln war meine Antwort. Es dauerte eine erneute Drehung, zwei Takte in der Promenade, ehe er mich wieder an sich zog. Das Lächeln in seiner Stimme war hörbar, als er weiter sprach.
„Du schämst dich. Vor mir. Für das, was wir getan haben, für deine Berührungen und für meine. Für die Bilder, die du seitdem in deinem Kopf hast – und vielleicht auch schon davor… Das ist … süß.“
Die Leichtigkeit, mit der er mich durchschaut hatte und die Art, wie er die Dinge beim Namen nannte, ließen Tränen in meine Augen steigen. Ich hob den Kopf und sah ihn an. Obwohl Wut und Scham sich in meinem Hals zu einem Kloß zusammenballten, fanden die Worte ihren Weg aus meinem Mund.
„Ja. Bist du nun zufrieden? Ist es das, was du wissen wolltest? Tanzen wir deshalb schon wieder zusammen, weil du hören wolltest, welchen Eindruck es auf mich gemacht hat mit dir zu schlafen?“
Das Lächeln in seinem Gesicht war verschwunden.
„Nein.“
Eine erneute Drehung, ich schritt weiter aus als nötig, nahm mir den Raum um mich wieder zu fangen, er verstand und gönnte mir einige Takte, in denen sich nur unsere Hände berührten, doch ohne mich aus den Augen zu lassen.
…into the boundary of each married man
sweet deceit comes calling… Der leichte Zug an meiner Hand verriet mir, dass es Zeit war zurück zu kehren in seine Arme, dass er mich wieder bei sich haben wollte. Ich sah ihn an, hatte nichts mehr zu verstecken. Der Ausdruck in seinem Gesicht war warm und der Schalk, der sonst in seinen blauen Augen blitzte, zeigte sich nicht.
„Du solltest auf ihn hören.“
Irritiert sah er mich an.
„Auf wen?“
„Auf Elton John. Du bist verheiratet. Deine Frau steht dort hinten, sieht uns zu und hat nicht den Hauch einer Ahnung, dass wir... was wir… du weißt schon. So etwas kann nur schief gehen.“
„Wären wir jetzt alleine hier Hanna, ich würde dich auf der Stelle küssen. Denn auf mich hat es verdammt viel Eindruck gemacht, mit dir zu schlafen und ich möchte es immer wieder tun.“
Seine Worte fluteten meinen Verstand, der keinen seiner tausend Einwände und Bedenken an dem Kribbeln in meinem Schoß vorbei schleusen konnte.
„Wann?“ Meine Stimme war nicht mehr als ein heiseres Krächzen.
„Katarina fährt heute noch zu ihrer Schwester nach München und bleibt bis Montag. Wir haben ein ganzes Wochenende – wenn du willst.“
We lose direction
No stone unturned…
„Wo?“
Er lächelte wieder.
„Lass dich überraschen. Hol das, was du für ein Wochenende brauchst und wir treffen uns in zwei Stunden auf dem Wanderparkplatz am Ortseingang.“
„Mehr als dich brauch ich doch nicht, oder?“
Meine Worte verpassten um einen winzigen Moment den Schlussakkord. Augenblicklich ließ ich Nils los, zog meine Arme vor die Brust und wich einen Schritt zurück. Zu meiner Erleichterung stellte ich fest, dass niemand etwas gehört zu haben schien. Demonstrativ sah ich auf die Uhr.
„Oh. Ich muss los. Noch so viel zu tun heute.“ Ich winkte in die Runde und eilte hinaus. Auf der Fahrt nach Hause nahm mein Verstand erneut Anlauf, flüsterte immerzu Pauls Namen, versuchte, mein Gewissen ins Boot zu holen, doch ich verpasste ihm Redeverbot, indem ich mir ausmalte, was mich an diesem Wochenende erwarten würde.
Als ich zwei Stunden später an unserem Treffpunkt ankam, war es bereits dunkel geworden, doch ich erkannte ihn gleich, wie er an der Leitplanke lehnte, eine kleine Tasche zu seinen Füßen, in der er das Nötigste verstaut hatte. Er öffnete die Tür und ließ sich auf den Beifahrersitz fallen. Kaum war die Innenbeleuchtung erloschen, küsste er mich, teilte mit seiner Zungenspitze meine Lippen und brachte damit endgültig diese kleine, hartnäckige, Paul rufende Stimme zum Schweigen.
Meine Entscheidung für dieses Wochenende, die Stunden in denen wir uns liebten, berührten oder nur schweigend ansahen, waren eine Entscheidung gegen Paul, wie ich bald feststellen musste. Er spürte meinen Zorn, meine Gedankenversunkenheit, an manchen Tagen meinen Ekel vor mir selbst und meine Lust, die nicht ihm galt. Paul gab sich verständnisvoll, ließ mir wochenlang Zeit, es ihm freiwillig zu sagen, ehe er es mir schließlich abnahm, ihm zu beichten was er längst gewusst hatte.
„Also?“
„Was?“
„Ob ich eine Wahl hätte, habe ich dich gefragt.“
„Man hat immer eine Wahl.“
„Ich möchte dich nicht verlieren“, sagt er und küsst mich.
Mein Blick fällt auf seine Hand und erst jetzt sehe ich, dass er heute zum ersten Mal, seit wir uns treffen, vergessen hat seinen Ehering auszuziehen. Vielleicht hat er seine Wahl schon getroffen, ohne es selbst zu wissen.
Als er ins Bad geht, ziehe ich mich an, lege einen meiner Tanzschuhe auf das Bett, nehme mir einen Bogen des hoteleigenen Briefpapiers und bringe mit einer von Elton Johns Zeilen das zu Ende, was mit ihm begonnen hat.
Two hearts living in two separate worlds…