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Zwischenstopp

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10.12.2002
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Zwischenstopp

Inge wartete im Wagen. Schon fast eine halbe Stunde, und Lutz ließ sich immer noch nicht blicken. Er und seine blöde Firma!

"Muß nur noch kurz mit Ulfie was klären, bevor ich morgen weg bin. Dauert nich' lange,"

hörte sie ihn noch sagen, als er seine zwei Zentner aus dem BMW wuchtete, über den Parkplatz stampfte und im Firmengebäude verschwand. Sie kamen von einem Einkaufsbummel und waren auf dem Heimweg, als ihrem Mann die geniale Idee kam, noch kurz bei seinen Kollegen vorbeizuschauen.

Ulfie! Was konnte man mit jemandem klären, der sich so nennen ließ? Doch höchstens, wie groß sein Dachschaden war! Inge kannte keinen Arbeitskollegen ihres Mannes näher, und daran wollte sie auch überhaupt nichts ändern. Alles Säufer und Halbidioten, Lutz leider teilweise eingeschlossen. Im Straßenbau waren die Ansprüche halt nicht so hoch, aber Inge liebte ihren Mann trotzdem. Ihre Ehe hielt schon über zwanzig Jahre und morgen sollte ein weiterer Höhepunkt hinzukommen: der Italienurlaub! Mit dem Auto wollten sie bis zum Gardasee hinunter fahren, ewig hatten sie dafür gespart. Lutz mußte seinem Kollegen wohl erklären, was er während dessen Abwesenheit zu tun hatte. Gab's denn da keinen Vorarbeiter? Jetzt meldete sich auch noch ihre Blase, Inges Laune sank weiter. Sie sah auf die Uhr, eine Dreiviertelstunde war vergangen. Nein, sagte sie sich fest entschlossen, ich werde nie und nimmer den Laden betreten und nach einer Toilette fragen. Eher tacker ich mir den Unterleib zu! Beiß die Zähne zusammen, Weib! Mit starrem Blick fixierte Sie die Hintertür des Gebäudes aus dem Beifahrerfenster. Wenn sie sich nur stark genug konzentrierte, würde Lutz in der Tür erscheinen. Nach einigen Minuten ließ ihre Konzentration jedoch nach und die Resignation schlich sich ein. Der pochende Druck wurde unangenehm, das ging bei ihr immer sehr schnell. In Gedanken sah sie sich bis zum nächsten Morgen im Auto liegen, mit zusammengepreßten Beinen und glasigen Augen. Lutz' Kollegen würden sich lachend um den Wagen versammeln und sagen:

"Ey Lutzie, wie hastes so lange mit der ausgehalten, häh?"

Er würde wortlos mit roter Birne einsteigen und sie zum Krankenhaus fahren, wo man sie nach Verabreichung eines krampflösenden Mittels auf einen Fünf-Liter-Eimer setzen würde. Dieser Schmach wollte sich Inge nun wirklich nicht aussetzen, also seufzte sie einmal tief und sah sich vorsichtig auf dem Parkplatz um. Da offiziell bereits Feierabend war, standen außer ihnen nur noch zwei weitere Autos in einiger Entfernung, Leute waren nirgends zu sehen.

Inge stieg aus, streckte sich kurz und ging um den Wagen herum. Wenigstens hatte sie so Sichtschutz zum Haus hin, was Ulfie, Wollie, Hirni oder sonstwem keine Gelegenheit gab, seine Runkelnase am Fenster plattzudrücken und zu schreien:

"Boah Lutzie! Kuck mal, was deine Alte da macht! Die schifft uns den Parkplatz voll!"

Inge hockte sich hin und betete, dass niemand auf den Platz geschossen kam. Es dauerte eine Ewigkeit, wieviel Liter konnte der Körper eigentlich speichern? Dann hatte sie es endlich geschafft und pflanzte ihren stattlichen Körper wieder in den Wagen. Die Erleichterung konnte ihre Wut nicht mildern. Sie würde Lutz den schwabbeligen Hals umdrehen, soviel war klar.

Weitere zehn Minuten vergingen, bis sie näherkommende Schritte hörte. Im Geiste ging Inge noch einmal die Tirade durch, die sie Lutz an den Kopf werfen wollte, ein paar Ausdrücke mußten noch ausgewechselt werden. Die Schritte verstummten, es folgte Stille. Was denn jetzt schon wieder! dachte Inge, kurz vorm Platzen. War er auf halbem Wege vor Schwäche zusammengebrochen? Sie drehte sich um, so weit es ging, konnte ihren Mann aber nirgends entdecken. Jetzt wurde es ihr zuviel, der Kerl konnte sich warm anziehen! Sie öffnete die Tür und stampfte hinten herum. Da war er ja! Aber was machte er denn da? Er kniete neben dem Vorderrad und schien beschäftigt. Inge hörte ihn erst leise murmeln, dann immer lauter:

"Verfluchte Scheiße! So'n blöder Mist! Das gibt's doch gar nicht! Gerade heute muß das passier'n!"

Inge vergaß schlagartig ihre Wut und versuchte, ihm über die Schulter zu sehen, konnte aber nichts Merkwürdiges erkennen.

"Was ist denn, Lutz? Was mit dem Wagen? Sag' bloß nicht, der ist im Arsch oder so!"

Lutz reagierte nicht, schien sie kaum zu hören. Er holte tief Luft, schluchzte er etwa?

"Tja, schätze, der Urlaub ist gewesen. Hier, kuck dir das an."

Er hielt ihr einen Finger hin und rieb ihn prüfend mit dem Daumen.

"Dat sieht ganz übel aus. Kostet unser Urlaubsgeld und die Fahrt könnwe auch vergessen."

Inge sah nach unten, während Lutz weiter brummelte, immer wieder seine Finger prüfte und daran roch.

"Kühlerbruch! Wennde mich fragst, ganz einfach. Scheißkarre! Aber ich hab' mir schon was überlegt, weißt du..."

Er drehte sich zu ihr um und sah sie an.

Da konnte Inge nicht mehr. Sie prustete und grunzte, dann lachte sie laut los und fand kein Ende. Sein Gesichtsausdruck tat das Übrige, selbst ein Schaf hätte ihm gegenüber wie Einstein ausgesehen. Sie konnte nur nach unten zeigen und mit letzter Kraft "Pipi" hervorbringen, bevor sie sich erschöpft am Wagen festhielt. Lutz sah nur begriffstutzig auf den Fleck vor der Fahrertür und von da aus unter den Wagen, wo sich die Lache durch den schrägen Asphaltverlauf gesammelt hatte und meinte:

"Ja, dann mal nach Italien!"

 

Hallo Mammut!

Ich wollte es eigentlich nicht so derbe übertreiben und das Ganze eher realistischer halten, beruht nämlich auf einer wahren Begebenheit. Außerdem find' ich die Kürze hier ganz passend, so als Happen zwischendurch. Bei einem Spannungsaufbau im Minutentakt brauchts auch eine Menge Fantasie, um sich nicht zu wiederholen oder die Luft rauszunehmen.

Aber danke für die ehrliche Meinung.

Gruß Peter

 

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