Mitglied
- Beitritt
- 20.01.2019
- Beiträge
- 2
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 15
Zwischen den Wintermänteln
Meine Frau hat im Januar damit angefangen, mich zu betrügen. In unserem eigenem Zuhause. Glaube ich zumindest. Ich bin mir nicht hundertprozentig sicher, ob man es unter den gegebenen Umständen wirklich Fremdgehen nennen kann. Mittlerweile verschwindet sie jede Nacht aus unserem Ehebett. Sie glaubt zwar, dass ich nicht mitbekomme, wie sie langsam den Kopf aus ihrem Kissen hebt, die Decke mit einer Hand von den Schenkeln streift, aber ich höre das Knittern des Bettbezugs, Maus. Ich höre jedes Haar, dass über das Laken streicht. Warum hältst du mich nur für so einfältig?
Als sie sich am Rand ihrer Seite aufsetzt, wartet sie eine Weile, überprüft, ob ich noch lange und tiefe Atemzüge von mir gebe. Ich spiele mit. Ihr zuliebe. Aber in meiner Brust windet sich eine Drehleier, die sich jeglicher Gelassenheit verweigert. Sie steht auf. Ich beobachte sie durch halbgeöffnete Augenlider. Im Mondlicht leuchten ihre Waden so blass wie Fischbäuche. Ich drehe mich auf die Seite, als sie die Zimmertür öffnet. Vielleicht überlegt sie es sich ja anders, wenn sie glaubt, dass ich sie bemerkt habe. Aber das tut sie nicht. Ich höre ihre nackten Füße über das Laminat im Flur schleichen. Und ehe ich mich versehe, stehe ich ebenfalls auf und gehe ihr hinterher.
Sie verschwindet in Minas Kinderzimmer. Früher hatte Mina Angst, dort zu schlafen, weil sie nachts eine Gestalt in ihrem Kleiderschrank gesehen hatte. Ich hatte meiner Tochter nicht geglaubt. Vanessa schon.
Ich trete lautlos ins Kinderzimmer. Das Mädchen übernachtet bei einer Freundin. Die Hände meiner Frau umschließen die Eichengriffe des großen, schwarzen Kleiderschranks, als würde sie den geöffneten Gürtel an der Jeanshose eines Mannes packen.
Sie öffnet ihn.
„Nicht“, sage ich. Und sie erschrickt so sehr, dass es mir fast leid tut, sie aufgehalten zu haben. „Vanessa, bitte komm ins Bett zurück.“
Das spitze Kinn tickt ihr an die eigene Schulter, als sie mich mit großen Augen anguckt. Große, blaue Augen. Meerblau.
„Bitte, nicht heute“, sage ich.
Vanessa beißt sich auf die Unterlippe. Ich sehe, dass sie darüber nachdenkt, mit mir zurück ins Bett zu kommen. Aber ich sehe auch bereits, dass ich in diesen Gedankengängen nicht genug Gewicht auf die Waage bringe.
„Nur noch heute“, sagt sie leise. Flehend. „Es ist das letzte mal, Edgar. Heute und dann nie wieder. Ich schwöre es. Aber bitte nur noch heute. Du weißt, dass ich das brauche.“
Ihre Haare reichen ihr bis zu den Schulterblättern, hängen dort in Strähnen vor dem Riemen ihres Büstenhalters wie Bambusvorhänge in der Tür zu einem Strandhaus, das mir nicht gehört.
„Bitte“, sagt sie. „Bitte, bitte.“
Ich nicke.
Und dann steigt sie in den großen Kleiderschrank zwischen die Wintermäntel und bedankt sich bei mir, als würde mir ihre Dankbarkeit noch etwas bedeuten. Sie schließt die Türen. Die Schranktüren quietschen leise. Und ich gehe zurück in unser kaltes Ehebett, allein, auf die linke Seite zur Wand gerichtet und starre auf die Tapete.
Irgendwann, mitten in der Nacht, höre ich Vanessa vor schierer Lust aufschreien, als wäre meine Frau während ihres Orgasmus zum Puma geworden, und nicht mehr nur zu der Hauskatze, die üblicherweise in meinem Schoß schnurrt.
Es vergeht kein Tag mehr, an dem sie nicht in den Kleiderschrank geht. Es hatte damit angefangen, dass sie Mina beweisen wollte, dass es keinen Butzemann in ihrem Schrank gab, vor dem sie Angst haben musste. Deshalb hatte sie im Kinderzimmer übernachtet. Mit offenen Schranktüren. Ich weiß nicht, ob es der Butzemann war, vor dem sich das Mädchen gefürchtet hatte, aber es war in dieser Nacht definitiv etwas in diesem Schrank. Und es hatte meine Frau dazu überredet, hineinzusteigen und die Türen zu schließen. Jedes Mal, wenn ich sie heute dabei ertappe, versichert sie mir, dass sie es nur noch ein mal tun würde.
Nur noch heute. Nur zehn Minuten hinein. Und das war es dann. Ein für alle mal. Glaub mir doch. Lass mich doch.
Ich bin seit sechzehn Jahren Kettenraucher und selbst ich habe weniger letzte Zigaretten geraucht, als sie letzte Ausflüge in den Kleiderschrank unserer Tochter genossen hat.
Ich habe schon so oft den verdammten Schrank aufgerissen und durchwühlt, sobald sie zur Nachtschicht ins Theatercafe verschwand. Ich habe die weichen Mäntel von den Bügeln gerissen, die Ecken mit einer Taschenlampe ausgeleuchtet und die Rückwand auf versteckte Hohlräume abgeklopft. Nichts. In diesem schwarzen Schrank befindet sich nichts, außer dämlichen Winterjacken, die mittlerweile nach getrocknetem Schweiß und meiner Frau stinken.
Da ist ein Mann in dem Schrank, Papa, hatte Mina gesagt. Und ich Idiot hatte sogar noch darüber gelächelt.
Mittlerweile ist Mina in das Zimmer im Erdgeschoss gezogen. Es war Vanessas Vorschlag und ich hab es einfach schweigend abgenickt, weil ich mich damit abgefunden habe, dass es sich nicht bessert. Sie entschuldigt sich auch nicht mehr für ihre Ausflüge und hat endlich damit aufgehört, mir zu schwören, dass es das letzte mal wäre. Wenn die Kleine in einem anderen Zimmer schläft, dann muss Vanessa sie nachts wenigstens nicht mehr wecken und auf den Flur bringen, falls sie in den Kleiderschrank möchte.
Sie schläft nicht mehr mit mir. Ich masturbiere in den letzten Wochen wieder so oft, wie schon seit zwanzig Jahren nicht mehr. Aber ich beschwere mich nicht. Der Sex war nie besonders gut gewesen. Und das wussten wir beide.
Ich sitze im Wohnzimmer und esse mein bescheidenes Zwiebelbrot, während die Lokalzeitung vor mir liegt und das Radio läuft. Ich habe das Radio bereits lauter gemacht, um das Klopfen von oben nicht hören zu müssen. Dieser monotone Taktschlag, als wenn ein nackter Rücken hemmungslos gegen eine Schranktür gestoßen wird. Und es will einfach nicht aufhören, wechselt stetig von sterbenslangsam, zu Waschmaschinentrommelschleudergang, zum Herzschlag eines kleinen ängstlichen Nagetiers, und dann wieder zurück zu sterbenslangsam. Sie ist jetzt seit mehr als vier Stunden da drin. So lange habe ich sie noch nie stöhnen gehört. Nicht mal annähernd, selbst wenn sie unter mir nur so getan hatte, als ob. Ich drehe den Regler am Radio bis zum Anschlag um das Klopfen auszuschalten. Es hilft nichts. Knock, knock, knocking on Heavens door.
Das Essen ist fertig. Vanessas Mutter hat Nudelsalat mit Rucola und angebratenen Pinienkernen mitgebracht. Mina hat von ihrem Großvater einen Gameboy geschenkt bekommen und sitzt mit dem Ding vor dem Weihnachtsbaum.
Ich steige die Treppe hinauf und höre sie bereits aus dem Flur winseln. So leise fauchen, flehen, flüstern, hecheln, hauchen, gehorchen, bitten: schneller, kreisen, fester. Und ich balle beide Fäuste, als ich wütend an die schwarzen Schranktüren klopfe. Ihr Gestöhne hört sofort auf. Vanessa schiebt ihren Kopf durch die halbgeöffnete Schranktür und starrt mich an. Ihre großen, blauen Augen sind jetzt so gar nicht mehr Meerblau. Mehr Meergrau.
„Was denn?“, fragt sie. Schweiß klebt ihr auf der Stirn.
„Kommst du endlich?“, frage ich zurück.
„Wohin.“
„Nach unten.“
„Nicht jetzt, Schatz.“
Ich reiße den Schrank komplett auf, weil sie Anstalten macht, ihn wieder zu verschließen. Sie steht halbnackt vor mir. Jetzt sehe ich auch, warum sie die Tür mit dem Kopf geöffnet hat. Die weiße Bluse, die ich ihr geschenkt habe, ist halb zerissen und wurde umfunktioniert, um ihre Handgelenke damit auf den Rücken zu fesseln. Ihr BH ist offen und der Hosenstall ihrer Jeans ebenfalls.
„Deine Eltern sind da“, sage ich. „Das muss jetzt aufhören!“
„Sie sind schon da? Jetzt schon?“, fragt sie und beißt sich wieder so verzweifelt auf die Unterlippe.
„Es ist viertel nach Sieben, Nessi. Wir warten bereits seit einer Stunde auf dich. Und die Ente ist fertig.“
Irgendetwas zieht sie leicht zurück zwischen die Wintermäntel, aber ich erkenne nicht, was es ist. Als wenn es die weichen Mäntelärmel selbst wären. Die Pelzkragen und Kapuzen. Der Saum einer Thermojacke, der sich um ihre Hüften schmiegt. Sie kämpft sich wieder nach vorne. „Fuck. Bitte, Schatz, nein, es geht jetzt nicht. Ich darf noch nicht. Nicht jetzt sofort. Bitte lass mir noch ein wenig Zeit.“
„Du hast genug Zeit in dem Drecksding verbracht. Ich werde nicht alleine mit deinen Eltern essen.“
Irgendetwas im Schrank zieht an ihren Haaren wie an einem Tau und ihr Kopf legt sich in den Nacken. Und sie lächelt, flüstert etwas über die Schulter, als ob sie dahinten jemand verspielt am Nacken necken würde.
„Zwanzig Minuten“, sagt sie.
„Zwanzig? Bist du noch bei Verstand? In der Zeit haben wir gegessen.“
Schwarze Handschuhe legen sich um ihre Oberschenkel und spreizen sie sanft und die Schranktüren schließen sich so abrupt, dass ich mir fast den Schädel an ihnen aufgeschlagen hätte.
„Bitte nur zwanzig Minuten, Schatz. Ich bitte dich. Gib uns nur noch zwanzig Minuten.“ Sie atmet heftig. Fährt mit den Schneidezähnen über das Holz. Ich höre wie ihr Körper von einem Ding angehoben und an die Rückwand gedrückt wird.
Ich schlage mit der flachen Hand auf den Kleiderschrank ein und pfeife Luft durch die Zähne.
„Fünfzehn Minuten. Und dann kommst du da raus und hast dir was übergezogen, verdammter Mist.“
Daraufhin sagt sie sehr oft, dass sie mich liebt, als wäre es ein Mantra, dass sie aufsagt. Immer und immer wieder. Insgesamt neun Mal. Als hätte sie die Bedeutung der Worte vergessen, und zischt sie stattdessen nur noch vor sich her wie eine geöffnete Pfandflasche, damit sie derweil nicht so etwas wie: Fuck, Gott oder mach weiter stöhnt. Dann hört es sich so an, als ob ihr etwas den Mund verschließt.
Nach einer halben Stunde komme ich ein weiteres Mal nach oben. Wir haben inzwischen ohne Vanessa gegessen und sie hatte angefangen im ersten Stock so laut und ekstatisch zu brüllen, dass ihre Eltern mich mit besorgten Blicken anglotzten.
„Ihre Migräne“, habe ich nur gesagt und dann so getan, als wenn ich eine Packung Ibuprofen aus der Kommode im Flur krame.
„Maus“, rufe ich und hämmere an die Schranktüren. Der Schrank hört diesmal nicht auf, leicht zu ruckeln und meine Frau hört nicht damit auf, bestialisch zu stöhnen. Ich versuche den Schrank zu öffnen, rüttle an den roten Griffen, die mich wie rote Bremslichter anleuchten, doch der Schrank ist wie von Innen vernagelt. Ich boxe gegen die schwarze Tür, was mehr schmerzt, als ich dachte.
„Was?“, keift Vanessa mich aus dem Inneren an.
„Es muss jetzt gut sein. Lass es gut sein, Nessi.“
Sie wird von Innen gegen die Schranktüren gestoßen. Ihre Finger strecken sich aus dem Spalt zwischen den Türen und umklammern weit gespreizt das Holz, während ihr Rachen Geräusche ausatmet, die an sehr tiefen Walgesang erinnern.
„Schatz“, sagt sie: „Schatz, du hast doch gesagt fünfzehn Minuten.“ Ihre Haltung im Schrank verändert sich, sie wird gedreht, und ihre Finger verschwinden. „Du musst dich schon daran erinnern, dass du mir fünfzehn Minuten versprochen hast. Fünfzehn Minuten, vergiss das nicht. Wenigstens fünfzehn Minuten.“
„Es sind mittlerweile fünfundreißig Minuten gewesen, Maus!“
„Das kann gar nicht sein“, sagt sie mit einem dezent arroganten Unterton, der mich daran erinnern soll, dass ich einfach einen kleinen Rechenfehler gemacht haben muss. Dass ich die Klammer nicht aufgelöst habe, die Kommastellen falsch übertragen habe. „Fünfzehn Minuten. Fünfzehn Minuten.“ Vanessa nuschelt nur noch, als ob ihr der Mund zugehalten wird, damit sie nicht so viel Luft vergeudet. „Gib mir doch bitte nur die fünfzehn Minuten. Er lässt mich in fünfzehn Minuten raus. In fünfzehn Minuten sind wir fertig.“
„Wer ist er, Maus?“
Ich sehe ein Stück von ihrem Bein durch den schmalen Spalt zwischen den Schranktüren. Es wird in einen rechten Winkel zum Körper gehoben und statt zu antworten, schlägt sie mit dem Fuß immer wieder gegen die Innenwände und flüstert: Ja – ja – ja. Ich schlage die Hände über dem Kopf zusammen, raufe mir die Haare.
„Bleib doch gleich bis Neujahr in diesem Schrank, hörst du? Bleib solange da drin, wie du willst, Maus. Es ist mir gleich. Werd doch mit dem Butzemann im Schrank glücklich oder was auch immer sich darin befindet.“
Ein Klatschen auf Haut aus dem Kleiderschrank. Mehrere male. Und ich verlasse mit meinem heißen Bügeleisengesicht das Zimmer, in dem gerade ein Orgasmus wie das Rasseln von Feuerwerksraketen zusammenbricht, wie der Beifall von tausend Konzertgästen nach einem Kanonenschlag von Tschaikowski. Meine Zähne knirschen. Vanessa wird von jemandem geküsst. Ich höre es genau. Sie gurrt nämlich immer so, wenn ihre Lippen während des Höhepunkts von anderen Lippen verschlungen werden.
Da ist ein Mann im Kleiderschrank, Papa. Ich liege in meinem Ehebett und rauche eine Zigarette. Ein Mann im Kleiderschrank. Es ist halb zwei Uhr nachts. Hab ein fröhliches, neues Jahr gehabt, die letzten anderthalb Stunden. Meine Frau hat seit dem zweiten Weihnachtsfeiertag den Kleiderschrank im ehemaligen Zimmer unserer Tochter nicht mehr verlassen. Neujahrsanfang, und ich bin so allein wie nie zuvor. Da ist wirklich ein verdammtes Monster in diesem Kleiderschrank. Und es frisst meine Frau. Es vernascht sie. In jeder einzelnen Minute, die sie in diesem häßlichen, schwarzen Ding verbringt. Eine Rakete explodiert draußen irgendwo.
Happy New Year, Edgar, altes Haus. Und ein Fucking, Happy New Year, wünsche ich auch dir, Vanessa. Dir, und dem Mann, der dich wahrscheinlich gerade zwischen den Wintermänteln im Kleiderschrank so fest an sich drückt, dass sich deine Beine gierig wie Zeitungspapier um ein Kaminfeuer falten.