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Zwischen den Sätzen klatschen

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20.02.2002
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Zwischen den Sätzen klatschen

In einem klassischen Konzert zwischen den Sätzen zu klatschen, war eine Sache die sich nicht lohnte. Ich war kurz oft da vor es zu probieren, ließ es dann aber besser sein. Es hätte mich vermutlich den Job gekostet.

Ich lehnte mich ein Stück über die Brüstung der Terrasse und blickte auf die Alster. Es war noch früh am Nachmittag und wir waren bereits mit den Vorbereitungen für den Abend fertig. Für alle blieb genug Zeit, noch irgendetwas zu erledigen oder sich zu entspannen. Die Konzerte der Stiftung waren noch der beste Teil des Jobs.
Ich schaute hinüber zu den Seglern auf der Alster und merkte, dass der Wind stärker wurde. Marie hatte darauf bestanden, dass wir das Konzert im Freien aufführen sollen. Und meistens richteten wir uns nach Maries Wünschen. Denn Marie war die Geschäftsführerin unserer Stiftung, die sich um das Talent junger Musiker kümmerte. Einem Talent in dem sich die Sponsoren aus der feinen Gesellschaft sonnen konnten. Meine Aufgabe war es, die Sponsoren zu betreuen, Hände zu schütteln, Komplimente zu machen, Schecks entgegen zu nehmen. Ich hasste diese Leute. Und - ich hasste meinen Job.
Hinter mir spürte ich nun Schritte. Es war Frau Dieckmann, der die Stiftung gehörte. Sie trug ein cremefarbenes Kostüm und einen weißen Sommerhut. Ich lächelte sie an, als sie die Terrasse betrat. Sie lehnte sich neben mich an das Geländer und zündete sich eine Zigarette an. Mir bot sie auch eine Zigarette an. Ich betrachtete ihr Gesicht von der Seite, folgte dem Rand des Hutschattens über ihre Haut. Sie muss über 50 Jahre alt gewesen sein, und das sah man in gewisser Weise auch. Trotzdem hatte sie eine sehr interessante Ausstrahlung. Ich mochte Frau Dieckmann sehr. Und ich wusste, dass sie mich auch mochte. Sie bemerkte meinen Blick und grinste. Ich wusste, dass es sie nicht störte, wenn man sie betrachtete. „Glauben sie, wir haben genügend Stühle aufgestellt. Ist die Terrasse nicht zu klein für das Konzert?“, fragte sie mich. „Ich denke es wird reichen“, antwortete ich. Natürlich teilte ich ihre wahren Sorgen. Es wurde seit Stunden immer windiger und wir wussten, dass das Bläserquintett an diesem Abend schlecht zu hören sein würde, wenn überhaupt. Den feinen Damen würde es den Hut vom Kopf wehen und die Haare zerzausen. Marie aber hatte darauf bestanden, dass Konzert im Freien aufzuführen. Wegen der Atmosphäre. Die Terrasse sei so schön und dieser wunderbare Blick auf die Alster, dass müsse man einfach nützen.
Das letzte Argument hatte sich inzwischen als völlig unsinnig erwiesen. Marie nämlich hatte im Laufe das Vormittags auch die Schönheit der gemieteten Jugendstilvilla entdeckt und gemeint, sie müsste den Hintergrund für die Bläser bilden. Keiner der Gäste würde also die Alster sehen, keiner den Sonnenuntergang und die Skyline am anderen Ufer.
Obwohl Frau Dieckmann die Stiftung gehörte, konnte sie sich seit einiger Zeit nicht mehr gegen Marie durchsetzen. Ich wusste wie sehr sie das bedrückte. Und weil sie mir so als eine Verbündete gegen die arrogante Marie erschien, mochte ich sie nur umso mehr. „Ich werde jetzt die Erfrischungen vorbereiten, in einer halben Stunde kommen die Musiker“, sagte sie und ging zurück ins Haus. Sie hatte einen stolzen, damenhaften Gang.
So lief es normalerweise immer ab, wenn ich und Frau Dieckmann uns unterhielten. Wir wechselten meist nicht viele Worte und rauchten eine zusammen. Das war in Ordnung so und mehr als nur ein Wortwechsel. Es war ein stillschweigendes Übereinstimmen, wie heute etwa gegen Maries Idee das Konzert im Freien aufzuführen.

Gegen 18 Uhr kamen die Gäste. Geschäftsführer, Banker, Kulturschaffende, Galerienbesitzer, die meisten aus Hamburg oder Norddeutschland. Ich schüttelte Hände, lächelte, machte den Damen Komplimente. Ich hasste diese Leute. Und – ich hasste meinen Job.

Gegen 19 Uhr begann das Konzert und der Wind wurde stärker. Unter Frau Dieckmanns Lächeln wuchs eine sorgenvolle Miene. Marie blickte begeistert auf das Bläserquintett. Die Musik brannte in meinen Ohren. Mein Entschluss stand fest. Vielleicht schon seit Wochen. Mit jeder neuen Sinfonie wuchs meine Wut. Die geschminkten Gesichter der eitlen Damen wurden mit jeder Kadenz mehr zur Fratze. Ich hasste ihre Kleider und die ewig weißen Hemdkragen der Männer. Ich hatte lange genug Zeit gehabt, sie zu betrachten.
Der erste Satz war vorbei. Meine Anspannung wuchs. Der Wind wurde noch stärker. Der zweite Satz war der vorläufige Höhepunkt im Stück. Note für Note schoss durch meinen Kopf. Die Blätter der Baume rund um die Terrasse rauschten im Wind.
Als der Klarinettist die letzte Note verhallen ließ, geschah es. Der Wind wehte seinen Notenständer um und der brachte ebenso die anderen vier mit lautem Rasseln zu Fall. Unzählige Notenblätter wehten über die Terrasse und ins Publikum. Die Querflöte stieß einen spitzen schrei aus. Der befürchtet Sturm war nun offenbar im Gange. Das Publikum erschrak für einen Moment. Sekundenlang herrschte Stille. Das war meine Chance. Langsam erhob ich mich von meinem Platz in der letzten Reihe, und mit dem einsetzenden Regen begann mein Applaus.

In einem klassischen Konzert zwischen den Sätzen zu klatschen, war eine Sache, die sich nicht lohnte. Doch manchmal musste man ausbrechen. Natürlich verlor ich meinen Job. Das Konzert an der Alster hatte ihm ein Ende gesetzt. Frau Dieckmann würde nie aufstehen um zwischen den Sätzen zu applaudieren. Sie hatte sich längst mit ihrer Lage arrangiert.

[ 13.05.2002, 01:19: Beitrag editiert von: Salinger ]

 

Hm. Komische Geschichte, hat mir aber gefallen. Ist nett für Zwischendurch - wenn ich mich jetzt auch wirklich frage, was Du uns damit sagen willst... :susp:

Gruß! :thumbsup:
stephy

 

Danke erstmal den beiden Reaktionen.
@stephy:

wenn ich mich jetzt auch wirklich frage, was Du uns damit sagen willst...
Echt? Dasbei steht alles im letzten Absatz, was wichtig ist. Und das obwohl ich es nicht gut finde, solche moralisierende Absätze zu machen. Hier gehts grade noch?

@Kristin:

genau auf dem richtigen Fuß erwischt,
Na sowas. Dann erzähl doch mal.

 

Ich muss sagen, dass ich den Text wirklich interessant finde. Vielleicht sollte man eine Fortsetzung machen, aber diesmal aus der Sicht eines der Bläsers! :rolleyes:

NoName

 

Hallo noname,
interessante Idee, aber ich weiß nicht, ob die Geschichte dann noch funktionieren würde.

Viele Grüße aus Leipzig nach Leipzig, Sal

 

Lieber Salinger,

Kristin hat in ihrer ersten Kritik Folgendes geschrieben:

Deine Geschichte hat mich letzte Nacht genau auf dem richtigen Fuß erwischt, nämlich mitten in einem Gespräch über das, was bei Dir durch das "Klatschen" dargestellt wird.
Ich war Teilnehmer an diesem Gespräch (und auch der Auslöser), und ich bin erfreut darüber, dass es Dir gelungen ist, das Gefühl des "Ich muss hier raus!" in eine kleine, aber feine Geschichte zu verpacken, ohne dass dabei die Aussage weichgespült wurde.

Timm

 

die geschichte ist gut geschrieben, find ich, aber irgendwie verfehlt mich die tragik der ganzen sache total. entweder diese stiftung ist eine quasi-totalitäre einrichtung, oder der protagonist ist ein ziemlich feuchter keks. ich seh keinen grund, warum er/sie bleibt, davon steht nichts in der geschichte. und um ehrlich zu sein hab ich auch nicht so ganz verstanden, warum er/sie rausgeschmissen wird. das mit dem klatschen war nicht besonders nett, aber das konzert war ja eh vorbei - wegen wind und wetter. bin verwirrt. bitte um aufklährung.

 

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