Zwiegespräch mit dem Tod
"Du stehst auf der Brüstung. Der Wind weht dir ins Gesicht, kalt und unbarmherzig. Unter dir der rohe Beton, oder Asphalt, so genau kannst du das nicht sagen. Grau ist er und kalt, so wie der Wind. Du zögerst, wägst das Für und Wider ab. Hast du etwas zu verlieren? Nein, nur zu gewinnen. Du zögerst immer noch, hast Angst. Wovor? Vor dem Ungewissen, Dunkeln. Was wird danach mit dir passieren? Zu viele Fragen, mein Schatz, zu viele Fragen. Denk daran, was alles schief gegangen ist. Nicht nur bei dir zu Hause, sondern auch bei dir und ihm. Vielleicht war es deine Schuld, vielleicht auch nicht. Ins Herz kannst und konntest du ihm ja nicht schauen. Das ist aber sicher nicht dein einziger Beweggrund, oder? Es tut weh, ja es ist furchtbar, schier entsetzlich, aber alles geht vorbei, so schlimm es auch sein mag. Denk jetzt aber bitte nicht, dass ich dir in deine Anglegenheiten reden will. Was ist noch so unerträglich an deiner Situation? Das Klima zu Hause. Hmmmmmmmm...ich verstehe. Du kannst nichts dagegen unternehmen, alles bricht langsam auseinander. Du bemerkst, ich frage viel und analysiere alles. Aber das muss ich, es ist praktisch meine Pflicht. Würde ich das nicht tun, dann könnte mir meine, nun nennen wir es, `Gewerkschaft`die Hölle heiß machen. Eine groteske Vorstellung, nicht wahr? Mir macht jemand die Hölle heiß! Tja, so muss jeder sein Säcklein schleppen, wobei ich meines schon seit Anbeginn der Zeit trage. Und du? Dein Leben ist gerade einmal ein lächerliches Fingerschnippen für mich. Wobei, ich muss gestehen, mir das Schnippen nicht so recht gelingen will, du verstehst. Also, was machst du jetzt, wofür entscheidest du dich? Mir persönlich, wenn ich dir das so direkt sagen darf, ist es ziemlich egal, ob heute, morgen, nächstes Jahr, oder sonst irgendwann.Wenn du dein dir gegebenes Geschenk achtlos wegwirfst, bitte, jeder ist seines eigen Glückes Schmied.Für mich bedeutet dies hier lediglich einen weitaus größeren Zeitaufwand und verdammt viel Papierkram. Wieder eine Groteske. Es ist ja eigentlich zum Lachen; ich an einem Schreibtisch sitzend, vor einer Unmenge Papier. Hätte ich einen Computer, oder wie ihr das auch immer nennen wollt, wäre meine Arbeit bedeutend einfacher und vorallem schneller zu erledigen. Ich könnte dann ,möglicherweise, die Vorzeichen per e- mail verschicken. Du musst wissen, ich bin, gezwungener Weise, sehr der Tradition verpflichtet. Verzeih, ich rede und rede und das, nur von mir, wo es doch primär um dich geht, mein Schatz, Ich kann mich aber nur schwer zurückhalten, da ich sonst niemanden habe, dem ich mein Leid klagen könnte. Sonst muss ich mir immer eure Sorgen anhören. Es ist äußerst selten, dass jemand so schweigsam ist wie du, es kommt natürlich vor, trotzdem; sehr seltsam. Ist es möglich, dass du es etwa nicht ernst meinst, ich meine, ich persönlich hätte mich nach so einem Wortschwall sofort hinunter gestürzt. Übringens der Spruch "sich in den Tod stürzen" ist defintiv falsch. Ich fliege stets neben her, auf mich ist bis her noch nicht niemand gefallen, aber was nicht ist kann ja noch werden. Das Dasein ist schließlich voller Überraschungen, sogar für mich. Weißt du, was mich besonders erzürnt? Nein, woher auch. Die! Die, die euch ins Leben schicken. Keiner von euch wird darauf hin gewiesen, was euch später erwarten wird. Wer glaubst du wohl muss das dann später ausbaden? Ich natürlich! Die haben noch nicht bemerkt, was sie euch und vorallem mir und auch sich selbst ersparen könnten, wenn sie euch nur um Erlaubnis fragen würden, oder noch besser, wenn sie euch euer verpfuschtes Dasein zeigen kwürden. Egal. Widmen wir uns wieder dir. Was hast du jetzt vor ? Es läuft dir ja nichts davon, nur mir die Zeit und von der habe ich ja bekanntlich unendlich viel. Also, zwecks Verhinderung von Langeweile, entscheide
dich!"
Er ist schon eine sehr eigentümliche Erscheinung, er, der da neben mir auf dem rostigen Geländer der Brüstung sitzt. Seine langen, dürren Beine, die unter einer weiten, schwarzen Kutte nur angedeutet werden, baumeln frech in die Tiefe. Mit den spitzen Fingern der linken Hand krallt er sich an der kalten Eisenstange des Geländers fest. In der anderen Hand hält er die obligate Sense. Ich stehe immer noch da und überlege. Mein ilustrer Gesprächspartner ist äußerst geduldig und ausgeglichen. Er lächelt sogar, es ist ein hübsches, freundliches Lächeln. Warum ist er plötzlich so schweigsam? Ach, er wird auf meine Entscheidung warten. Sie ist schwer, die Bürde der freien Wahl. Der Asphalt, ich bin mir ziemlich sicher, dass es sich um Asphalt handelt, sieht nicht sonderlich einladend aus. Naja, immerhin besser als Rattengift oder aufgeschnittene Pulsadern. Jetzt nickt er mir aufmunternd zu. Seltsam, wie viel Zeit man für seine letzten Überlegungen braucht. Alles ist so trostlos, auch das erlösende Sterben. Ich möchte weinen, weil ich glaube, nein, ich hoffe, dass sich danach etwas Besserung einstellt, aber ich kann nicht, meine Tränen sind längst versiegt. Er will mich nicht, oder nicht mehr, was mich in meinem Vorhaben nur bestätigt. Diese Selbstzweifel, was ich nur falsch gemacht haben könnte. Mein Heim, sprich meine Familie, will micht nicht mehr, besser gesagt, ich ertrage sie nicht. Jenes ist aber keineswegs eine Begleiterscheinung der Pubertät. Und meine Zukunft- falls ich je eine hatte- endet hier. Jetzt rede, beziehungsweise, denke ich wie der Tod zuvor. Liegt das an seiner Gesellschaft? Möglich, es ist sogar sehr wahrscheinlich. Der Wind legt sich langsam. Es wird Zeit. Vorsichtig steige ich auf die Brüstung. 23,22,21,20.........Ich zähle mir meinen eigenen, letzten Countdown. Es tut bestimmt nicht weh, es geht ganz schnell, ganz schmerzlos, nur keine Angst. Denke ich das wirklich, oder redeter mir das ein? Egal, ich bin fest entschlossen, den einzigen mir verbliebenen Weg zu gehen. Meine klammen Hände lösen sich von der Eisenstange. Sie sind vermutlich rot, das werden sie bei Käte immer. Ich kippe nach vor, falle, immer schneller, der graue, tote Asphalt ist schon ganz nah, oder ist es doch Beton? Nein, Asphalt. Ich habe keine Angst, denn ich bin nicht allein, zum ersten Mal in meinem Leben. Ich habe jemanden an meiner Seite und das, ausgerechnet in meinen letzten Sekunden. Er ist neben mir, er wird mich halten, auffangen und davontragen, wohin auch immer. Ich schlage hart auf. Es ist ein dumpfes Geräusch. Meine Seele löst sich aus meinem zerschellten Körper. Blut tritt aus, bildet eine Lache, breitet sich aus. Und ich? Das, was ich noch "Ich" nennen kann, fliegt an der Hand des Todes honfort. Ich habe keine Ahnung wo hin. Ich werde müde, alles beginnt zu verschwimmen, wird dunkel. Er sagt etwas, aber ich verstehe es nicht, es ist so leise, so leise..........