zweiter Versuch
"Es tut mir leid, ich weiß nicht, wie ich Dich damals so verletzten konnte. Du bist sicherlich das Beste was mir je passiert ist." Bei diesen Worten presst sie seinen Handrücken und die Finger fest gegen ihre Wange. Ein Spiel, wie sie es damals immer spielte. Ein Spiel mit der Zartheit ihres Gesichtes und der Schönheit seiner Hände und umgekehrt.
Er runzelt nur die Stirn. Das heißt so viel wie "ich weiß". Würde aber arrogant klingen und "das passt jetzt nicht" denkt er. "Du bist das beste, was Dir je passiert ist" sagt er stattdessen. und spürt, wenig später eine Träne seinen Handrücken hinunterkullern. "Das glaubst DU nicht wirklich - oder?" "Ich muss es nicht glauben, es is evident." "Klingt aber so romantisch. So nach Seelenglauben, Gottglauben, Schicksalsergebenheit."
Er seufzt. "Klänge es weniger romantisch, wenn ich gesagt hätte: ich bin auch das Beste, was mir jemals passiert ist? Ungefähr so war es gemeint. Du wusstest damals nicht, dass Dir nichts besseres mehr passieren würde. Weder wusstest Du dass noch bis und falls wir uns wieder sehen und ich wusste es auch nicht. Was gibt es da 'leid zu tun'?" Er schüttelt den Kopf und schweigt.
"Aber weißt Du der Typ. Der wegen dem ich von Dir weggegangen bin. Der war es eigentlich nicht wert." David unterbricht sie barsch. "Er war es wert damals. Und er war es wert aus Deiner damaligen Sicht. Und er war es für Dich noch eine ganze Weile lang wert. Es ist nicht fair was DU tust. Es ist nicht fair ihn, wie er damals war und das was aus Euch wurde aus Deiner heutigen Sicht zu beurteilen. Nicht fair ihn zu beurteilen, jetzt wo er Dir wehgetan hat. Er hat Dir schließlich lange Jahre gut getan." "Aber aus meiner heutigen Sicht, war es ein Fehler, ihn gegen Dich zu tauschen." "Du hast nichts getauscht. Das was er Dir war, wäre ich nie gewesen, hätte ich nie sein wollen und das weißt DU. Ich versteh was Du meinst. Versteh, dass Du glaubst wir hätten Zeit verloren. Ich glaub nicht, dass wir was verloren haben und bin froh, dass wir uns noch einmal treffen dürfen, hoffe wir werden uns noch mal finden." "Finden? Ich such Dich David. Glaub mir. Niemand sucht Dich so wie ich."
"Weißt Du, wenn Du damals diese Tür nicht so fest verschlossen hättest, wenn Du nicht so endgültig weggegangen wärst, hätte ich wohl zwei Mal in meinem Leben ein Gefühl verpasst, das ich nie wieder erleben möchte und das ich doch erleben musste um hier zu sein." Sie schweigt. "Ich meine, dieses Loch direkt unter dem Ende des Brustbeins. Dieses Loch das der Verlust eines Traums einer Verliebtheit, einer Liebe reißt. Der endgültige Verlust. Dieses Loch, das versteinert und dem Du glaubst, was all diese romantischen Gedichte beschwören wollen, dass es ist, als sei Dir Dein Herz herausgerissen und durch einen Stein ersetzt worden. Dass es ist, als sei dort nur noch ein harter, kalter Stein. Und jedes Mal, wenn ich es spürte musste ich weinen." "Zwei Mal" fragt sie.
"Das erste Mal als Du gegangen bis und das zweite Mal als meine Frau starb - wenige Jahre später. Wärst Du bei mir geblieben hätte ich ihren Tod wohl nur noch aus der Ferne miterlebt." Betretenes Schweigen.
"Dieser Tag, war wie das Drehbuch zu einem Liebesdrama mit allzu bekanntem Storyboard und doch war es tragisch ihn zu erleben. Weißt Du, an dem Tag hatten wir uns nachts zuvor geliebt. Wir hatten eine Nacht nackt, Arm in Arm geschlafen. Das war so eine zärtliche und verliebte Nacht. Wir waren schon zwanzig Jahre zusammen und immer noch, immer wieder so verliebt, mir ging das Herz auf, immer wenn ich da lag und sie so spürte. Am morgen hatten wir uns dann zerstritten, wegen irgendeiner Kleinigkeit, an die ich mich nicht mehr erinnere. Wir haben uns gefetzt wie die Kesselflicker und sie ging grußlos aus dem Haus. Als dann kurz nach Mittag die Nachricht kam, sie sei bewusstlos ins Krankenhaus eingeliefert worden, dachte ich schon nicht mehr daran. Als ich an ihrem Bett saß und ihre Hand hielt nicht mehr. Als der Arzt mir in technokratischem Deutsch erklärte, was ein Aneurysma sei, dass es eine angeborene Schwäche einer Ader sei und Schicksal ob diese aussacke und unentdeckt eines Tages platze, dass die Ader irgendwo im Körper versteckt sein könne und das Gehirn eben nur ein Platz, wo sie platzen könne, dachte ich nicht daran. Und als dieses mir heute schreckliche letzte Zittern durch Ihren Körper lief, in dem Augenblick als sie in meinen Armen starb, auch nicht.
Dann kamen die hektischen Tage. Beerdigungsvorbereitung. Särge, Kränze, Totenhemd und Blumen auswählen. All das Zeug wurde nur erfunden glaube ich, um die, die noch dableiben müssen abzulenken, von dem, was ihnen so plötzlich fehlt. Ich musste eine Ganztagesbetreuung für die Kids organisieren. Ich hatte viel zu viel zu tun, um an irgendetwas zu denken. Dann der Friedhof. Die Kapelle. Die Musik. Ich musste schon früher immer fast weinen, wenn in einer Friedhofskapelle Musik gespielt wurde, auch wenn ich den zu beerdigenden Menschen kaum kannte. Bei Sarah aber bin ich fast zusammengebrochen vor Schmerz. Dann das offene Grab. Der Sarg. Die Nelken. Wieder hatte ich keine Zeit zu denken. Bis zum Abend.
Ich hatte schon oft geschlafen, schien es mir, seit sie tot war obwohl es erst ein Woche nach ihrem Tod war. Aber an dem Abend ihrer Beerdigung dann, in meinem, ehemals unserem Bett. Als ich mich plötzlich und sei es nur wegen Ihres Nachtgeruches in dem Pyjama, der noch immer unter Ihrem Kopfkissen lag, an den Streit erinnerte, den wir am Ende hatten, da dachte ich, das ist das Ende meiner Welt. Ich wurde von Weinkrämpfen geschüttelt. Ich heulte laut und brüllte vor Wut und Schmerz. Niemand wirklich niemand war da, der mich in den Arm nahm oder tröstete. Ich fühlte mich einsam. Ich schimpfte den Gott, der mir das angetan hatte ein Arschloch. Ja ich wusste nicht, ob der, mit dem ich in meinen Gebeten immer gesprochen hatte, ein Gott oder doch eher ein Teufel gewesen war." Schweigen. Langes Schweigen.
"Wie sehr hätte ich in diesem Moment zärtliche Nähe benötigt. Ich glaube in dieser Nacht habe ich nicht geschlafen, stattdessen schien es mir am morgen, als sei ich eine Nacht lang bewusstlos vor Schmerz gewesen. Und mein Herz schien eine Maschine aus Stein geworden zu sein. Kalt. Ahnungslos. Ohne Gefühl. Ohne Verstand." Minutenlang nur Schweigen.
"Es war das gleiche Gefühl, wie an dem Tag als Du gegangen bist. Dasselbe Gefühl wie an jenem 9. Oktober 2002. Seltsam nicht. Klingt schon fast lächerlich. Kitschig. Klingt, als wolle ich Sarahs Tod und Deinen Abschied gleich setzen. Das will ich nicht. und doch fühlte ich das gleiche. Beides war damals für mich endgültig. Beides löste dasselbe Gefühl verzweifelten Alleinseins in mir aus. Und beides habe ich überlebt. Das klingt kalt und hochnäsig. Ja es ist arrogant. Ist aber nicht so gemeint. Ich habe weitergelebt.
Ich habe Sarah noch oft getroffen. In meinen Gedanken, in meinen Träumen. Und jetzt Du. Plötzlich bist Du wieder da."
"Tja."
"Ich sehne mich immer noch nach Dir. Nach Deiner zärtlichen Nähe. Deiner kritischen Begleitung. Deinem einfach nur da sein." "Ach David." "Ich habe keine Frau mehr berührt, seit Sarah tot ist. Ich wollte keine mehr. Niemanden mehr, der mir so nah sein konnte, dass mich sein Weggehen verletzen würde. Und jetzt Du. Hier. Meine Hand an Deiner Wange, als sei nicht eine Sekunde vergangen seit damals. Als seien nicht immer noch fast zwanzig Jahre Unterschied zwischen uns."
"David? - Hey David, hör mir mal zu. Lass uns das Pferd dieses Mal anders aufzäumen. Denk nicht so viel nach. Wein keiner Vergangenheit mehr nach. Träum Dir keine Zukunft mit mir. Leb einfach jetzt. Bleib hier. Geh nicht zurück, dahin wo wir einst waren. Geh nicht zurück in Deine Erinnerung. Nicht zu Sarah. Nicht zu Ulli. Nicht zu mir. Nicht zu Vaterkomplexen und Midlife Crisis. Bleib einfach da. Bleib hier. Hier bei mir. Bleib im Heute. Bleib heute bei mir. Lass uns neu anfangen. Lass uns mit etwas anfangen, das wir immer weit weg geschoben hatten, weil wir dachten, dafür hätten wir noch alle Zeit der Welt. Weil wir dachten wir wollten warten, bis die Nähe uns von selbst dort hin spüle." Schweigen.
"Sonja? - Was meinst DU? - Worauf willst DU hinaus?" "Zahl zwischen 5 und 7!?" lächelt Sonja scherzend. "Menge der ganzen Zahlen?" fragt David verschmitzt lächelnd zurück. Und Sonja drückt ihre Lippen zu einem zärtlichen Kuss auf Davids Handrücken. Dann beginnt sie an seinen Fingern zu knabbern und zu lutschen. "Wohin fahren wir?" fragt sie zwischendurch. "Zu mir." "Lass uns lieber zu mir fahren" schlägt sie vor, "da ist weniger Platz. Weniger wo wir uns aus dem Weg gehen können. Weniger wo wir Distanz erleben können. Ich lad Dich ein auf ein Wochenende bei mir - ok?" "Also nicht nur 'Frustsex'?" fragt David mit vor Erstaunen gerunzelter Stirn. "Ach David...."