- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 8
Zweite Wahl
Früher, als Alexandra noch Levins Freundin war, ließ ich keine Gelegenheit aus. Und Gelegenheiten hatte ich wahrlich genug. Ich habe sie sogar heute noch, als mäßig attraktiver Mittfünfziger. Bei Managern sehen die Damen gnädiger über Falten und Altmännerbeine hinweg. Alexa ist vierundvierzig und immer noch schön, auf ihre Art.
Ich war bereits Prokurist, als wir uns kennenlernten. Alexa arbeitete damals als Journalistin, zog Gemüse im Hinterhof, spielte Klarinette und war eine Granate im Bett. Als ich sie das erste Mal traf, diskutierte sie auf einer Party über Politik. Natürlich wusste sie, worüber sie sprach, andernfalls hätte sie nicht diskutiert, und sie argumentierte ein paar Herren in Grund und Boden, ruhig, sachlich, Ablenkungsmanöver ignorierend oder auf eine Weise tadelnd, die nachdenklich machte. Gleichzeitig sah sie blass und zerbrechlich aus in dem engen Kleid - und auch sehr sexy mit ihrem vollen, roten Haar. Ich war überwältigt von dem, was sie in mir auslöste, ohne dass ich auch nur ihren Namen kannte. Es mischte sich Respekt mit einem starken, fast wilden Beschützerinstinkt, Erregung und letztendlich, als Levin dazukam und mit einer lässigen Geste klar stellte, zu wem sie gehörte, Verzweiflung.
Ich betrete das Café, in dem ich nie zuvor gewesen bin. Hinten, in der Ecke, wo das Licht durch größere Fenster fällt, sitzt die Frau, die seit einundzwanzig Jahren mit mir verheiratet ist. Sie trägt einen Rollkragenpullover aus Mohair, der ihre flache Brust betont. Die Brust, an der neuerdings vermutlich wieder Levin herumfummelt, ihr niederländischer Aktivisten-Freund. Sie wohnt in seinem Hippiepalast aus nachwachsenden Ressourcen, seit sie mich verließ.
Im Gegensatz zu Levin war ich damals entschlossen, Alexa zu heiraten. Und das lag nicht daran, dass ich mich angestachelt fühlte, den Holländer und all die anderen Typen auszustechen. Ich glaubte, dass die Ehe leisten würde, was ich mir nicht zutraute: sie zu halten. Und sie blieb ja auch bei mir. Jedenfalls bis zu jener unseligen Betriebsfeier, die in einem Hotelzimmer endete – mit der temperamentvollen, unberechenbaren Miriam, die meine Tochter sein könnte. Miriam, frischgebackene Betriebswirtin, lebte für das Unternehmen, schätzte meinen Rat und gab mir das Gefühl, der großartigste Typ der Welt zu sein - die uralte Geschichte also. Nicht, dass ich deswegen jemals auf die Idee gekommen wäre, Alexa zu verlassen. Aber Miriam brachte es tatsächlich fertig, ihr einen Besuch abzustatten. Das passierte vor neunundzwanzig Tagen. Von dem Augenblick, an dem ich Alexandras Zettel auf dem Wohnzimmertisch fand, war mir kalt.
Jetzt sieht sie mir entgegen, reglos, die Hände auf der Tischplatte gefaltet. Sie wirkt ausgeruht und gelassen, als würde sie das Treffen nicht aufwühlen, als hätte ihr ein knapper Monat ohne mich gar nichts ausgemacht. Vielleicht musste sie sich nicht betrinken, um schlafen zu können. Vielleicht war sie sogar froh, dass ich es beendet hatte - sozusagen. Mein Gesicht zuckt, erst ein Muskel im Kinn, dann einer in der Schläfe. Die Krawatte würgt mich, ich spüre den kalten Schweiß unter meinen Achseln. Am Tisch bleibe ich stehen. Ihre Finger lösen sich von einander, dann verschränken sie sich wieder. Einen Moment lang hatte ich die Hoffnung, dass sie mich anfassen wolle. Mir wenigstens die Hand geben.
„Hannes Wader?“, hatte Miriam gesagt, ihre Hand auf meinen Oberschenkel gelegt und mit der anderen die CD aus der offenen Mittelkonsole gezogen, „Du hörst Schlager?“ Das schockierte mich dann doch. Mir war außerdem klar: egal, was ich sagen würde, sie würde es nicht verstehen. „Gehört meiner Frau“, log ich. Und obwohl ich Miriam erst dreißig Minuten später aus der engen Jeans schälen sollte, fühlte ich mich schon im Auto wie ein Verräter, Alexa und Hannes gegenüber.
Alexandras Augen: unter den hohen, elegant geschwungenen Lidbögen sind sie so undurchschaubar wie Kathedralenfenster. „Hallo, Alexa.“, sage ich und meine Stimme windet sich nur zu Hälfte am Krawattenknoten vorbei. „Bin ich zu spät?“ Ich suche die Wände mit Blicken nach einer Uhr ab, hauptsächlich, damit ich meine Frau nicht ansehen muss.
„Hallo, Viktor.“ Sie zieht die Lesebrille aus und legt sie auf die Zeitung, die sie sich mitgebracht hat. Ich setze mich, ohne sie zu küssen. Der Drang ist übermächtig, die Angst vor einer Zurückweisung größer. Es zuckt um ihren Mund, als wollte sie noch etwas sagen. Am Telefon hatte ich mich wieder und wieder entschuldigt und beteuert, dass Miriam nichts bedeutete. Grauenvolles Gelaber, schlimmer als in einem schlechten Film. Ich werde bei dem Gedanken daran rot.
„Alexandra, ich hab…“ Die Kellernin unterbricht mich. Als sie wieder geht, weiß ich nicht mehr, wie ich anfangen wollte.
„Wie geht es dir?“, fragt Alexa. Es klingt tatsächlich interessiert. Verblüfft antworte ich, ohne nachzudenken: „Grauenvoll. Und dir?“
Sie senkt den Kopf ein bisschen, als wolle sie das schiefe Lächeln verstecken, das in ihrem Mundwinkel erblüht und gleich wieder verwelkt. „Mir auch.“, sagt sie.
Einen Moment lang schweigen wir. Ich meine, sie zu riechen: eine vertraute Mischung aus Lavendel, Marseillaiser Seife und dem Duft ihrer Haut. Unbegreiflich, dass sie sich so weit von mir entfernt hat. Unbegreiflich, dass es so weit gekommen ist.
„Bitte“, höre ich mich krächzen, „komm zurück.“ Ich will etwas hinzufügen, etwas Gewichtiges, ein Argument, das sie bewegt, mir zu verzeihen. Aber sie ist schneller.
„Das werde ich. Ja.“ Sie wischt eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht. Sie macht das mit der flachen Hand, es ist eine eher maskuline Geste, die nach nichts heischt. Erleichterung schießt mir in die Augenhöhlen. Ich nicke, weil ich lieber nicht sprechen will.
Der Kaffee kommt. Sie reißt das Tütchen mit Zucker auf und schüttet den Inhalt in ihre Tasse. Ihre Finger zittern ein wenig und ich frage mich, seit wann sie ihren Kaffee gesüßt trinkt.
„Und was ist mit Levin?“
Sie sieht nicht auf, scheint nicht im Mindesten überrascht, dass ich es weiß. Nur ihre Brauen rutschen ein Stück nach oben. „Ich frage auch nicht nach dieser Miriam.“
„Das ist nicht das gleiche.“, entfährt es mir, wofür ich mich sofort schlagen könnte. Alexandra lässt sich nach hinten gegen die Stuhllehne fallen. Sie hat noch immer den Zuckerbeutel in der Hand.
„Vergiss es“, sage ich schnell. „Tut mir leid.“
Sie runzelt die Stirn, als habe sie Kopfweh. „Du hast ja Recht.“, sagt sie dann. Ich sehe zu, wie sie eine Hand hebt und mit den Fingerspitzen kurz die Schläfe massiert. Mir wird kalt.
„Du hast dich verknallt.“, folgere ich matt.
Sie lacht freudlos. „Das macht wohl den Unterschied.“
„Seit wann…?“
„Ach, Viktor“, sagt sie so leise, dass ich sie kaum verstehen kann. Sie legt die Arme auf den Tisch, die offenen Handflächen nach oben. „Es hat doch nie aufgehört.“