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Zwei Zigaretten in der Psychiatrie

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10.08.2022
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Zwei Zigaretten in der Psychiatrie

Sie sitzt auf roten Fliesen. Die einzelnen Kacheln sind genau genommen braunrot, weiße Striche unterteilen sie voneinander. Paulina sitzt mit dem Rücken zur Wand. Quasi parallel zur Ein- bzw. Ausgangstür. Auf dem „Laufsteg“ der Psychiatrie. Ein langer Weg, der von der Tür zur eigentlichen Terrasse führt. Sie raucht hektisch. Führt die angebrannte Zigarette zum Mund, atmet schnell ein und aus, stößt den Rauch in Richtung Himmel, und beginnt von vorne. Ihre Hände sind schmal, lange, dünne Finger, abgenutzter lila Nagellack. An der rechten Hand, mit der sie die Kippe meistens hält, zieren zwei schmale Reife ihren Ringfinger. Beide in Gold, der untere mit kleinen Steinen besetzt, der obere ganz einfach gehalten. Ein gänzlich durchschnittlicher Ring, vermutlich ein Ehering – klassisch und ohne Schnörkel. Sie sitzt auf dem Boden, ihre Beine angewinkelt, aber ohne, dass sie ihre Arme darum hält. Eine Art Schneidersitz, nur mit mehr Platz. Sie hat dünne Beine, auch im Sitzen sieht man, dass ihre Oberschenkel eine deutliche Lücke aufweisen.

Es ist früher Morgen, Sommer, die Sonne kommt bereits zum Vorschein und entblößet die Adern auf ihren Beinen. Wie bei einem Finde-den-Ausgang-aus-dem-Labyrinth-Bild könnte man ihre Adern und Venen problemlos verbinden. Blaue Linien auf weißer Haut. Dazwischen blaue Flecken. Wenn sie so dasitzt, wirkt sie kleiner als sie eigentlich ist.

Sie trägt einen korralroten Hoodie, der ihr mindestens zwei Nummern zu groß ist. Dazu eine graue Baumwoll-Sporthose, weiße Chucks. Und ein Cappie von Ellesse. In großen Lettern rankt der Markenname in eben dem gleichem korralrot auf der Stirnseite der Kappe. Würde sie noch eine schwarze Sonnenbrille tragen, sähe sie mit dem Outfit aus wie ein Hollywoodstar, der bei einem cusual Einkauf von Paparazzi abgelichtet wird.

Die Zigarette ist aus. Mit zitternden Fingern nimmt sie sich die nächste aus der Marlboro Packung, die neben ihr liegt. Die roten, die starken. Ihre Beine zittern genauso wie ihre Hände. Sie steckt sich die Zigarette an und atmet hörbar aus. Dabei formt sie mit ihrem Mund eine Art O, Ihre Lippen, die voll sind und in der Oberlippe in einer schönen Herzform enden, formen sich zu einem Kreis. Ein schwarzes Loch, das Rauch ausstößt. Sie zieht die Stirn in Falten. Es sind nicht viele Falten, aber eine feine Linie zwischen den Augenbrauen, über dem rechten Auge der Ansatz eines Striches. Sie überlegt. Ihre grünen Augen wirken dabei unerwartet lebendig. Das Weiß ihrer Augen ist gerötet, die Lieder angeschwollen, aber jetzt in dem Moment, scheint in ihrer Iris ein kleiner Funken Helligkeit. Ihre Augen sind besonders, das hat sie schon oft gehört. „Gelb wie bei einer Katze“, „Löwenaugen“ waren dabei die netten Kommentare, „Grün wie Gift“, der von Ali auf der 5, der geschlossenen Station der Klinik. So oder so, sie mag ihre Augenfarbe. Die Leute haben nämlich recht, es ist eine Mischung aus grün, ockerfarben und gelb, gesprenkelt mit kleinen braunen Flecken, umrandet von einem dunkeln, fast schwarzen Rand. Mit dicht geschwungenen Wimpern, die zum Ende hin heller werden. Sie hat den ausgestoßenen Rauch eingeatmet und kräuselt daher aus Reflex ihre Nase, die schmal ist, aber im Profil einen kleinen Höcker hat. Müde raucht sie weiter. Streckt ihre Beine aus. Nimmt die Wärme des Bodens in sich auf.

Ein Windstoß verwirbelt ihre kurzen blonden Haare. Sie sind auf Kinnhöhe abgeschnitten, ungleichmäßig, was vermuten lässt, dass hier kein Friseur am Werk war. Trotzdem passt die Frisur irgendwie zu ihr. Sie streicht sich die Haarsträhnen aus dem Gesicht, teilt die obere Hälfte der Haare von der unteren und bindet sie mit einem Haargummi zusammen. Die Zigarette hält sie dabei im Mund. Atmet weiter ein und aus.

Die Tür öffnet sich. Einer der Pflegerinnen kommt hinaus. Steckt sich ebenfalls eine Zigarette an. „Nur in der Psychiatrie rauchen wirklich alle“, denkt Paulina sich. Sie hat keine Lust auf eine Unterhaltung, auf Fragen, wie es ihr geht, daher senkt sie schnell ihren Kopf. Der oben befestigte Zopf hält dabei nicht ganz, zwei Haarsträhnen lösen sich und fallen ihr wieder ins Gesicht. Sie lässt es so.

Sie steht auf. Nickt der Pflegerin kurz zu, irgendwie will man ja doch immer höflich sein, und geht zum Mülleimer. Erst jetzt fällt auf, wie dünn sie wirklich ist. Wie zerbrechlich und klein sie wirkt trotz ihrer eigentlichen Größe von 1.75m. Und traurig. Obwohl ihr Gang zielstrebig ist – ihre Beine arbeiten einwandfrei – lassen die zusammengesenkten Schultern erahnen, welche Last sie trägt. „28 Jahre verschwendetes Leben“, wird sie nachher in ihr Tagebuch schreiben.

Sie drückt die Zigarette an der Seite des Mülleimers aus. Atmet tief ein. Klare Luft, ohne Rauch. Legt den Kopf dabei kurz nach hinten in den Nacken. Schließt die Augen. Öffnet sie wieder. Stellt sich auf und geht zurück zum Eingang der Akut-Depressionsstation.

 

Hej @Tigris8 und herzlich willkommen,

Pauline sitzt und raucht vor der Psychiatrie. Das macht sie recht intensiv, das Sitzen und Rauchen. Als Leser bekomme ich ein exaktes Bild von ihr als Person. Sowohl was ihre Äußerlichkeit angeht, als auch abgeschwächt über ihr Selbstbild. Sie ist groß, wirkt klein und traurig, ist dünn und blond mit Katzenaugen, die sie an sich mag, vermutlich verheiratet, akut-depressiv.
So weit so gut. Mir gefällt es, das zu lesen, wenn ich auch latent ungeduldig werde, denn ob die Striche zwischen den roten/rot-braunen Fliesen/Kacheln nun weiß sind und wie ich mir den Winkel ihrer Beine beim Sitzen nun ganz genau vorzustellen habe, ist in dieser Form meine Sache nicht. Ich habe keinen eigenen Raum, mir das Bild von der Protagonistin zu schaffen. Es bleiben keine Fragen offen und ich lese mich dem raschen Ende zu und denke: Ach was, so sieht also ein Sommer in der Psychiatrie aus. Ich bin enttäuscht, denn ich erfahre nichts weiter. Nun türmen sich mir Fragen auf, was mich eigentlich an der Geschichte interessieren würde, was für mich relevant wäre und gehe leer aus.

Sie hat dünne Beine, auch im Sitzen sieht man, dass ihre Oberschenkel eine deutliche Lücke aufweisen.
Ich sehe Oberschenkel mit Lücken. Du meinst sicher den Raum zwischen den beiden Oberschenkeln. Das ist wirklich nicht einfach zu beschreiben. :shy:
Sie trägt einen korralroten Hoodie, der ihr mindestens zwei Nummern zu groß ist.
korallenroten
in eben dem gleichem korralrot auf der Stirnseite der Kappe.
same
der bei einem cusual Einkauf von Paparazzi abgelichtet wird.
casual
Die Zigarette ist aus.
Im Sinne von erloschen und abgebrannt nehme ich an, was sich in meinem Kopf schöner anhören würde
Sie überlegt.
Ich habe aufgemerkt und mir eine Überlegung erhofft, irgendetwas von innen nach all dem Äußerlichen, aber leider stehen die beiden Worte verloren herum und es geht mit der Beschreibung weiter
Das Weiß ihrer Augen ist gerötet, die Lieder angeschwollen, aber jetzt in dem Moment, scheint in ihrer Iris ein kleiner Funken Helligkeit.
Lider
Erst jetzt fällt auf, wie dünn sie wirklich ist. Wie zerbrechlich und klein sie wirkt trotz ihrer eigentlichen Größe von 1.75m.
Ich kann mir bei dieser Länge und mangelnden Körperfülle partout keine kleine Frau vorstellen. So sorry.
lassen die zusammengesenkten Schultern erahnen, welche Last sie trägt.
ich hänge daran fest und versuche mir zusammengesenkte Schultern genau vor Augen zu führen und entscheide mich dann für, auch weil ich nun schon mal ins Stocken geraten bin, eine leicht vorgebeugte Haltung.

Du hast ganz sicher etwas in Gang getreten über diese junge Frau, die ich äußerlich so exakt vorgeführt bekommen habe und mich zurückgelassen, mir nun alles mögliche vorzustellen, was ihr widerfahren sein könnte, um in dieser Situation zu landen. Aber ehrlich gesagt, habe ich dazu keine Lust, denn das würde ausufern, weil ich überhaupt keine Anhaltspunkte erhalten habe.

Den Titel finde ich im übrigen ebenfalls irritierend, denn zwei Zigarettenlängen machen ja noch keinen Sommer. ;):D

Viel Freude hier. Kanji

 

Hallo Kanji,

erst einmal lieben Dank für deine Anmerkungen und dass du dir so viel Zeit genommen hast, meine "Geschichte" zu lesen. Ich gebe dir in allen Punkten recht. Wirkliche eine Kurzgeschichte ist es (noch) nicht. Ich hatte versucht, eine Hauptperson zu entwerfen. Hab ewig gar nichts mehr verfasst und dachte, ich versuche das mal als Einstieg. Ist natürlich die Frage, ob ich das schon hier hätte hochladen sollen.. Den Titel habe ich schon mal geändert, aber ich vermute, ich muss den ganzen Text neu schreiben und den Teil jetzt nur als Grundgerüst bzw. Anfang nehmen und irgendwie in eine Geschichte aber verflechten. Soweit bin ich allerdings noch nicht :D Aber deine Anmerkungen helfen mir wirklich schon sehr, du hast gute Stellen angesprochen, die man weiter ausführen muss.

Danke für den Feedback. Das muss ich wohl noch mal ran.

Liebe Grüße
Tigris

 

Wirkliche eine Kurzgeschichte ist es (noch) nicht. Ich hatte versucht, eine Hauptperson zu entwerfen.
genau so dachte ich auch beim Lesen! Da kommt jeden Moment noch mehr! :lol:
Es wäre doch schön, wenn du hier ansetzen, den Text entschlacken und ein Thema einpfriemeln würdest, denn ich wüsste wirklich entsetzlich gerne, was es mit dieser jungen Frau auf sich hat!
den Teil jetzt nur als Grundgerüst bzw. Anfang nehmen und irgendwie in eine Geschichte aber verflechten.
So nämlich! ;)
Das muss ich wohl noch mal ran.
Ran ans Werk!

Ick freu mir, @Tigris8
Kanji

 

Hallo @Tigris8,

ich habe deinen Text mit Interesse gelesen. Da sind viele schöne Szenen drin bzw. Sätze, die zeigen, dass du schreiben kannst und weißt, was du da baust. Finde ich an einigen Stellen sehr gelungen und mir ging es ähnlich wie @Kanji, dass ich gerne weitergelesen hätte und das Ende ziemlich abrupt kam. Besonders gelungen fand ich die kleinen Details, die deine Prota nach und nach lebendiger werden lassen. Bei einer Sache war ich mir nicht ganz sicher: Ist der Erzähler in ihrem Kopf oder nicht? Erst wirkt es auf mich wie eine distanzierte Beschreibung, später schilderst du auch Gedanken und dann stellt die Erzählstimme wiederum Vermutungen an bzw. sagt einmal aus, dass sie etwas in ihre Tagebuch schreibt. Da hatte ich ein kleines Fragezeichen.

Ihre Hände sind schmal, lange, dünne Finger, abgenutzter lila Nagellack. An der rechten Hand, mit der sie die Kippe meistens hält, zieren zwei schmale Reife ihren Ringfinger.
Ein feines Detail mit dem abgenutzten lila Nagellack. Ich hatte sofort ein Bild im Kopf, sehr stark.

Wenn sie so dasitzt, wirkt sie kleiner als sie eigentlich ist.
Die äußere Beschreibung ist zwar distanziert, löst bei mir aber Empathie aus. Das ist nicht einfach und dir ist das hier gut gelungen. Habe ich gerne gelesen.

der bei einem cusual Einkauf
Casual, oder?

Dabei formt sie mit ihrem Mund eine Art O, Ihre Lippen, die voll sind und in der Oberlippe in einer schönen Herzform enden, formen sich zu einem Kreis.
Schönes Detail, das ist eine der großen Stärke deines Textes. Zudem ist es keine Behauptung, sondern eine Szene, aus der ich selbst schließen kann, was passiert bzw. was für einen Charakter sie hat.

So oder so, sie mag ihre Augenfarbe. Die Leute haben nämlich recht, es ist eine Mischung aus grün, ockerfarben und gelb, gesprenkelt mit kleinen braunen Flecken, umrandet von einem dunkeln, fast schwarzen Rand.
Sie sind auf Kinnhöhe abgeschnitten, ungleichmäßig, was vermuten lässt, dass hier kein Friseur am Werk war.
„28 Jahre verschwendetes Leben“, wird sie nachher in ihr Tagebuch schreiben.

Hier die Stellen, bei denen ich mich gefragt habe, ob die Erzählstimme distanziert ist, an ihrer Seite steht oder doch in ihrem Kopf ist. Ich bin mir da selbst nicht ganz sicher, würde vom Gefühl aber dazu tendieren, die Erzählstimme einheitlich zu machen. So hat es auf mich etwas unentschlossen gewirkt. Möglicherweise ist das aber auch nur eine Präferenz meinerseits.

So viel zu meinem Leseeindruck, habe ich gerne gelesen und hoffe auf eine Erweiterung des Textes. Sehe da viel Potential.


Beste Grüße
MRG

 

Hallo Tigris,
kann es sein, dass du schon eine Geschichte im Kopf hast , dich aber noch nicht rantraust?
Deine detailreichen Beschreibungen von Pauline lassen ein Bild von ihr in meinem Kopf entstehen, doch auch die Erwartung, dass jetzt eine Geschichte folgt.
Die Neugier ist auf jeden Fall geweckt!
LG
Jutta

 

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