Zwei Welten
"Bin ich dir egal?" ´
Sie sah ihn an.
"Natürlich bist du mir nicht egal."
Er nahm ihre Hand.
"Wieso machst du dann... sowas?"
"Sowas- was meinst du damit?"
Schweigen. Sie fühlte, dass ihr Tränen in die Augen schossen ob dieser Ignoranz seinerseits. Ob aus Wut oder aus Trauer konnte sie nicht genau sagen. Wollte oder konnte er nicht verstehen, was sie meinte?
Immer noch Schweigen. Sie fühlte eine Distanz zwischen ihnen beiden, die ihr schier unüberbrückbar vorkam; zuvor hatte sie etwas derartiges nie gespürt, sie war ganz vernarrt in ihn gewesen...oder? Nachdenklich strich sie über eine Falte in ihrem Rock. Was für ein schöner Rock! Sie bereute es, dass sie ihn ausgerechnet heute angezogen hatte, würde sie ihn doch nicht mehr lang haben...sie wusste genau, dass sie ihn verabscheuen würde, wenn sie ihn das nächste Mal anzog. Natürlich, er war noch genauso schön, aber er würde sie an diese schreckliche Unterhaltung, diesen schrecklichen Moment erinnern, in dem er nichts mehr zu ihr sagte und auc sie nichts mehr zu sagen hatte. Wenn sie so darüber nachdachte, dann war das eigentlich ein guter Ausgleich, hatte sie doch in den letzeten Tagen, Wochen, Monaten zuviel gesagt. Aber auch das wurde ihr erst jetzt bewusst, als sie in sein Gesicht blickte. Wie sie für ihn geschwärmt hatte! Und, unglücklicherweise, bemerkte sie, dass dieses Gefühl auch jetzt noch irgendwo in ihr saß. Sie hätte so gern gewusst,wo, denn dann hätte sie es ausmerzen können, jeden noch so kleinen Rest dieser Zuneigung zu ihm, der ihr mit seinem Verhalten so weh tat. So ausmerzen, wie sie es mit allem in ihrem Leben tat, was sie nicht beeinflussen oder gar steuern konnte. Das war es, was sie an Gefühlen so störte, man konnte sie nicht steuern.
- Weg, weg, weg ich brauche euch nicht, ihr macht mich traurig, ihr behindert mein Leben!-
Seltsam, mit ihm würde sie auch so umgehen wollen wie mit ihren Gedanken,eifach verscheuchen, brachte es aber aus irgendeinem Grund nicht fertig.
" Maus, was ist denn los?" Er schaute sie besorgt an.
-Was los ist, will er wissen!-
Innerlich begann sie zu lachen, ganz laut in Gedanken, aus Verzweiflung über seine anscheinende Naivität, dieses Ausblenden der Wirklichkeit aus ihrer Fast- Beziehung. Sie hatte sich immer geweigert, fest zuzusagen, denn das schien ihr zu endgültig, dann müsste sie voll auf ihn eingehen, vielleicht würde er es sogar noch als Bestätigung sehen, dass sie sich mit seiner Weltanschauung abgefunden hatte.
-Könnte sie ihn lieben?-
Kühl betrachtete sie sein Gesicht. Man könnte nicht sagen, dass der besonders gutaussehend wäre, noch war er besonders klug in der herkömmlichen Art(obwohl sie immer gedacht hatte, dass das ihr wichtigstes Auswahlkriterium sei), aber er konnte gut mit ihr reden, er gab ihr etwas, was sie suchte.
-Ja, sie suchte, aber was?-
Langsam begann er, sie mit seinen Armen zu umschlingen, wie er es oft zu tun pflegte, wenn er sie in seinen Bann ziehen wollte. Sie fühlte, dass er mit diesen Armen, die sie so gern mochte, nicht nur ihren Körper umschlang, sondern auch sie als Ganzes langsam in seine Gewalt brachte. Nicht mit dieser rohen Gewalt, die sie so verabscheute, sondern mit seiner sanften Art, die er nur bei ihr zu haben schien. Sie fühlte, dass seine Hand zärtlich über ihren Rücken strich, dass er auf die kleine nackte Stelle ihres Rückens zusteuerte, die sich ihm zwischen ihrem T-Shirt und dem hübschen Roch darbot. Natürlich würde er es dabei belassen, er drängte sie nicht, er respektierte ihren Wunsch. Doch nur in dieser Hinsicht.
Genauso wie diese nackte Stelle ihres Körpers fühlte sie sich. Er konnte, nein er könnte, sie in diesem Zustand hemmungslos verletzen, ihr weh tun, wenn er wollen würde, aber wollte ja nicht. Zumindest versicherte er das immer wieder. Sie sei besser als jede Droge für ihn, ihr Verantwortungsbewusstsein gebe ihm Halt. Sie glaubte ihm. Er war ehrlich.
Sie liebte ihn für die Art und Weise, wie er sie liebte. Und hasste ihn auch dafür.
Er war einfach zu jung. Nochmals spürte sie das Verlangen zu lachen. Aber das wäre wohl unangebracht gewesen, und so etwas machte sie nicht... Zu jung, sie hörte sich an wie eine altkluge, vom Leben gebeutelte Frau, dabei war sie genauso jung und unerfahren wie er- und doch unterschied sie etwas.
Jetzt streichelte er diese nackte Stelle ihres Körpers und lächelte sie an. In diesem Moment musste sie ihm wegschieben, sie wollte nicht, dass er ihre Seele streichelte, gut zu ihr war, ihr Geborgenheit schenkte...Das war es, das war, was sie bei ihm gesucht hatte und er sich von ihr nahm!
-Warum hatte sie das nicht früher erkannt?-
Andere durchschaute sie so schnell, analysierte deren Verhalten und lächelte über deren Berechenbarkeit.
-Und bei sich selbst versagte sie kläglich!-
Beim Wegschieben sah sie auf seine vom Nikotin gelb gefärbten Finger. Angewidert wich sie zurück und stolperte über seine halbleere Flasche Bier. Er sah sie verwirrt an. Sie atmete tief durch, um das durchstehen zu können, was sie schon vor langem hätte tun müssen. Dabei roch sei den süßlichen Geruch in seinem Zimmer, den sie nur allzu gut kannte und hasste. Er streichelte ihr Gesicht und öffnete den Mund, um etwas zu sagen...
-Schnell, schnell, bevor er sie einnahm, sie ihn sein sorgsam gewebtes Netz aus Liebeserklärungen einsponn, ihren Verstand betäubte, den sie so dringend brauchte.
"Ich liebe sich nicht." Verdutzt schaute er sie an. Wieder dieses Gefühl...
"Wir sind zu verschieden." Sie küsste ihn schüchtern und kurz, aber mit einem gewissen Genuss auf en Mund und verließ ihn mit dieser gelogenen Wahrheit.